The Project Gutenberg EBook of Das heilige Donnerwetter. Ein Blücherroman by Adolf Paul This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license Title: Das heilige Donnerwetter. Ein Blücherroman Author: Adolf Paul Release Date: May 7, 2012 [Ebook #39650] Language: German Character set encoding: UTF‐8 ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS HEILIGE DONNERWETTER. EIN BLÜCHERROMAN*** [Illustration: Titelseite] _ADOLF PAUL_ *Das heilige* *Donnerwetter* Ein Blücherroman _Berlin_ Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H. Copyright 1918 by Albert Langen, Munich Alle Rechte, insbesondere der Übersetzung und Dramatisierung, vorbehalten! _Printed in Germany_ INHALT 1. Im Adlernest 2. Erster Flugversuch 3. Der alte Adler 4. Im Schatten 5. Aus dem Nest heraus 6. Der Solofänger Nummer Eins 7. Vulkans Schmiede 8. „Prüske Dickköppe“ 9. Jena 10. Zwei Welten 11. Zwischen den Schlachten 12. Das heilige Donnerwetter 13. Das Fell des Löwen 14. Der größte Sieg Bemerkungen zur Textgestalt 1 IM ADLERNEST In schnellem Flug huschte dann und wann der schneeweiße Körper einer Möwe vorüber und leuchtete grell gegen das von keinen Wolken bedeckte Blau des Himmels auf. Aber keiner von den drei jungen Leuten, die nebeneinander auf den zusammengerafften Segeln im Boote lagen, drehte auch nur den Kopf, um die Kunststücke des gewandten Luftseglers zu beachten. Sie starrten unentwegt nach dem kleinen dunklen Punkt, der, kaum noch wahrnehmbar, sich hoch in den Lüften bewegte. „Aufgepaßt!“ rief der eine halblaut, „seine Kreise werden enger! Er sieht Beute!“ „Er zielt!“ rief der zweite. „Er fällt!“ Der schwarze Punkt wurde schnell größer, breitete sich zur Fläche aus, gliederte sich, wurde zum Körper, dessen Kopf, Rumpf, Flügel und Schwanz sich scharf von der klaren Luft abzeichneten. Dann schoß er rasch tiefer, hielt jäh an und stürzte pfeilschnell kopfüber in den See. Mit einem Ruck schnellten die drei jungen Leute empor, standen da kerzengerade im Boot und blickten dem goldbraunen Körper des Raubvogels nach, der ins Wasser hineinschoß, daß der Schaum hoch aufspritzte. Bald kam er wieder zum Vorschein, hob sich zum Flug und steuerte mit ruhigen, kraftvollen Schlägen seiner mächtigen Schwingen in flacher Bahn der Küste zu, einen großen, silberweißen Fisch in den Krallen mit sich führend. „Der Adler von gestern!“ rief der längste von den dreien. „Ich kenne ihn genau! Die gleiche Größe und Zeichnung! Nicht zu verkennen!“ „Er wird wohl hier in der Gegend nisten!“ „Sicherlich! Denn als er gestern drüben bei Hiddensee fischte, stieg er mit seinem Raub jäh in die Höhe und flog nach Nordost, hierher. Jetzt steuert er flach gegen das Land. Dort auf den Kreidefelsen wird es sein!“ „Schauen wir nach!“ Im Nu saßen zwei an den Riemen, der dritte am Steuer, und von kräftigen Schlägen getrieben, glitt das Boot dem Ufer zu, wo hoch oben auf dem weiß leuchtenden Kreidefelsen ein paar uralte Kiefern wie vorweltliche Riesen ihre knorrigen Kronen aus der saftig grünen Masse des Laubwaldes emporhoben. Auf diese Bäume setzten sie Kurs. Und lange dauerte es nicht, bis das braungeteerte Boot sich am Geröll des Ufers scheuerte. Bald war es an Land gezogen, Segel und Ruder versteckt, und die drei Freunde sprangen von Stein zu Stein auf das Gemengsel von Sand, Schlemmkreide und Feuersteinen hinauf, aus dem der schmale Uferstreifen gebildet war, der den Felsenrand vom Wasser trennte. „In einer der alten Kiefern da oben wird er sein Nest haben!“ „Klettern wir hinauf!“ „Wozu klettern? Weiter nach links weiß ich einen Pfad, der bequem zu steigen ist!“ „Der gerade Weg ist der beste!“ antwortete der, der zuerst geredet hatte – ein lang aufgeschossener Jüngling mit Adlernase und dunklen, blauen Augen. Und ohne sich um die anderen zu kümmern, nahm er entschlossen Anlauf, packte mit kräftigem Griff den nächsten Busch, stemmte die Füße gegen die Spalten und Vorsprünge des Felsens, nahm im ersten Ansturm die halbe Höhe und blieb da auf einem breiteren Vorsprung stehen und blickte hinauf. „Da ist er wieder!“ schrie er und zeigte auf den Adler, der in raschem Flug wieder seewärts steuerte. „Was sagte ich? Sein Nest ist hier!“ „Vorwärts nur!“ Ein paar kräftige Klimmzüge, ein Keuchen und Fluchen, wenn der Fuß einmal ausglitt und Steine und Sand prasselnd in die Tiefe schickte, dann waren sie oben und fanden da den Dritten im Bunde lachend vor. Denn der bequemere, wenn auch längere Pfad hatte ihn doch zuerst ans Ziel geführt. „Lache nur!“ rief der Lange. „Hier wärest du nimmermehr heraufgelangt!“ „Wozu denn Wände hochsteigen, wenn es auch so geht?“ antwortete der andere, ohne sich aus der guten Laune bringen zu lassen. „Um auf dem geraden Weg zu bleiben! Umwege sind Abwege!“ Damit drang er den anderen voran durch den Laubwald nach der Anhöhe, wo in einsamer Majestät eine alte Kiefer thronte. Das Adlernest hatte er bald herausgefunden. Aber wie hinaufkommen? Der riesige, mannsdicke Baum, der es trug, hob sich wie eine Säule zu mächtiger Höhe. Sein von Wind und Wetter glattpolierter Stamm bot dem Kletternden fast gar keine Stützpunkte. „Wo du da einen bequemeren Umweg finden willst, möchte ich nur wissen!“ rief der Lange. „Freund Diercks klettert auf die Bäume wie ein Affe, Bruder!“ antwortete der zweite der beiden Bergsteiger. Und Diercks, der seine Kräfte vorhin geschont hatte, spuckte in die Hände, packte den Baumstamm, umschlang ihn mit Armen und Beinen und schob sich so langsam daran hoch, jede Muskel des stämmigen Körpers auf das Äußerste anspannend. Endlos schien es den Untenstehenden, bis sie ihn den Arm über den ersten Ast der Krone schieben sahen, um mit Aufbietung der letzten Kraft den Körper hinaufzuziehen. Einen Augenblick blieb er sitzen, um Atem zu schöpfen, dann ging es weiter von Ast zu Ast, bis an das Adlernest heran. Ein Blick hinein, ein Aufschrei! „Gebhard! Siegfried! Ein ausgewachsener Adler!“ „Schon flügge?“ „Sicher! Aber er scheint noch keine Ahnung davon zu haben! Er liegt ganz still!“ „Wirf ihn herunter!“ Einen Augenblick wurde es still da oben. Dann kam ein Aufschrei: „Verflucht! Den Schnabel weiß er schon zu brauchen!“ Dann hörte man nichts mehr als das Geräusch eines zähen Kampfes. Trockenes Reisig und Grasbüschel flogen aus dem Neste zu den Wartenden hinunter, und zuletzt sauste, mit kräftigem Schwung geschleudert, ein fast ausgewachsener junger Adler herab. Zunächst fiel er in schwindelnder Fahrt, dann auf einmal breitete er mit gellendem Aufschrei die Flügel aus, und zum ersten Male trugen sie den Körper in sanftem Flug hinunter und landeten ihn unweit der unten Harrenden. Einen Augenblick blieb er betäubt liegen, dann wurde er von vier kräftigen Fäusten gepackt und ihm eine Kappe über den Kopf gezogen. Sein Bezwinger war unterdessen heruntergerutscht und kam jetzt heran. „Den Vogel nehme ich mit nach Hause!“ sagte er. „Da ich ihn fing, ist es nur billig, daß ich ihn behalte!“ „Wo willst du ihn bei euch hintun?“ „In den Hühnerstall, bis ich ihm einen Käfig gebaut habe!“ „Einen Adler in den Hühnerstall tun?“ rief Gebhard, der längere von den beiden Brüdern, entrüstet. „Das geschieht nie und nimmer!“ Und ehe die anderen es sich versehen konnten, riß er die Kappe vom Kopf des Adlers fort und warf den Vogel in die Luft. „Gebrauche deine Flügel, jetzt wo du weißt, wozu sie taugen!“ rief er. Der Adler machte ein paar ungelenke Bewegungen mit den Schwingen und setzte sich in einiger Entfernung wieder auf den Rasen, nahm aber dann, von seiner Angst getrieben, noch einmal Anlauf. Zwei, drei Schläge nur mit den Flügeln, und die Unsicherheit war verschwunden, er wagte den Flug und schraubte sich in sanftem Bogen um den Baum herum, bis er ins Nest hineinblicken konnte. Dann war er mit einer schnellen Bewegung darüber und ließ sich rasch hineinsinken. „So!“ sagte Gebhard und zog seine frei gewordene Kappe wieder über die Locken. „Vor dem Hühnerstall wären wir bewahrt!“ „Du bist nur neidisch,“ murrte sein Freund, „weil du ihn nicht selbst fangen konntest!“ „Dafür konnte ich ihm die Freiheit geben!“ sagte Gebhard, und es wetterleuchtete vor trotzigem Stolz in seinen dunklen Augen. „Frei wie die Luft, die er atmet, muß der König der Lüfte sein! Ich mußte ihm da helfen. Und ich täte es nochmals, ob’s dir paßt oder nicht! Da“ – er zeigte landwärts auf die Wiese unterhalb des Berges –, „da fliegen andere Vögel, die nicht dem Himmel so nahe kommen. Fang’ dir die ein!“ „Die schwedischen Husaren!“ rief Diercks und vergaß über dem Anblick den Adler und seinen Ärger über Gebhards eigenmächtigen Eingriff in seine wohlerworbenen Rechte. Er jauchzte laut den blaugelben Reitersleuten zu, die aus dem Wald heraufsprengten, um in wildem Galopp über die Ebene hinwegzusausen. „Den Flug machen wir mit!“ rief er. „Die holen wir noch ein! Rasch, fangen wir ein paar von Vaters Pferden unten auf der Wiese ein und setzen wir ihnen nach!“ Gesagt, getan! Die drei unternehmungslustigen jungen Leute hatten sich bald je ein Pferd eingefangen und ritten, statt den Reitern auf dem großen Fahrwege über Altenkirchen zu folgen, auf ihren ungesattelten Pferden querfeldein nach der Wittower Fähre hin, wo sie gleichzeitig mit den Husaren anlangten. Diercks fand unter ihnen seinen Bruder vor, der bei den Schweden diente, und viele Bekannte und Freunde außerdem. Über den Zweck des Streifzuges: nach dem Gang der Aushebung auf Rügen zu sehen, wurde er gleich aufgeklärt, und bald plauderten sie über die Aussichten Schwedens, seine pommerschen Grenzen im Kriege gegen Preußen zu verbessern. Denn als Schirmherr des Westfälischen Friedens hatte Schweden sich den Feinden Friedrichs des Großen angeschlossen, die ihn an seinem kühnen Unternehmen hindern wollten, die Landkarte für sich bequemer zu gestalten. Er hob also auch in seinen deutschen Provinzen Kriegsvolk aus. Und da waren die drei waghalsigen Reiter kein unwillkommener Zuzug zu der Schar, durften sich also ohne weiteres anschließen, und trabten vergnügt mit auf dem Wege nach Bergen, bis Venz in Sicht kam. Dort verabschiedeten sich die beiden Brüder von den anderen und ritten nach dem Gutshof hinauf, wo sie bei ihrem Schwager zu Gast waren. Ihr Freund dagegen folgte den Husaren, nicht ohne den lebhaften Neid seiner beiden Gespielen zu erregen, die gern noch weiter mitgeritten wären. „Weiß Gott,“ sagte der jüngste, „mir ist’s, als gehörte ich zu dem Kriegsvolk und müßte mit, gleichviel wohin! Wäre ich schon siebzehn, wie du, ich ließe mich anwerben!“ „Ich besorg’s dir, Gebhard und mir auch!“ „Die Schulbank zu drücken habe ich satt! Wozu auch, wo’s Pferde gibt? Aber nichts dem Schwager verraten!“ „Ich werde mich hüten! Der schickt mich dann gleich zurück nach der Schweriner Pagenschule, auf daß ich bei den Mecklenburgern graue Haare kriege, ehe ich ein Offizierspatent bekomme! Da möchte ich nicht dienen!“ „Ich auch nicht!“ „Bei den Preußen aber noch weniger! Ich danke für die Fuchtel Fritzens!“ „Ich auch!“ „Bei den Schweden reitet sich’s viel freier und lustiger!“ „Gehen wir zu den Schweden!“ Nachdem sie so im Fluge mit echt jugendlicher Sorglosigkeit diese nicht ganz unwichtige Lebensfrage erledigt hatten, sprangen sie von den Pferden, trieben sie wieder auf die Weide und gingen zum Gutshof hinauf, um den Rest des Tages irgendwie totzuschlagen. * In der darauffolgenden Nacht hatte Gebhard einen sonderbaren Traum. Von scharfen Krallen an der Brust gepackt, wurde er plötzlich von der Erde gehoben und hoch durch die Lüfte getragen. Schwindelnd schloß er die Augen, sein Atem stockte, sein Herz schlug immer stärker und stärker. Schließlich ging die Aufwärtsbewegung in ein langsames Sinken über, die Krallen ließen ihn los; er fiel, stieß sanft auf den Boden auf, öffnete die Augen und sah über sich den großen Adler kreisen, hörte dessen gellende Schreie, die zu Worten wurden. Und die Worte wiederholten kurz, schneidend, immer wieder seine beiden Vornamen: Gebhard Lebrecht, aber in verkehrter Weise. „Leb–hart! Geb–recht! Leb–hart! Geb–recht!“ so kreischte es aus der Höhe. Und der Adler zog immer weitere Kreise, stieg immer höher und verschwand schließlich im tiefen klaren Blau des Himmels, das sich über ihm wölbte, von rotbraunen, knorrigen Ästen und blaßgrünen Kiefernadelbüscheln umkränzt. Er atmete befreit auf, streckte sich auf dem Lager aus und fand es ganz wie es sein sollte, daß er da oben im Adlernest auf trocknem Gras und Reisig ruhte, statt in seinem Bett. Dann setzte er sich auf und blickte neugierig über den Rand des Nestes hinaus, sah unter sich wogende Laubkronen, Felder und Wiesen, schneeweiße Kreidefelsen und weit in der Ferne, mit dem Himmel zusammenfließend, das endlose blaue Meer. Und der Baum wuchs und schob seine Krone mit dem Adlernest immer höher in die schimmernde, klare Luft hinauf. Immer weiter wurde der Rundblick, die Insel ringsumher immer kleiner und kleiner. Frei und unbehindert sah Gebhard über das jenseitige Land hinaus, sah Städte, Burgen, Häfen, Wälder, Felder und Wiesen, Flüsse und Kanäle und weit in der Ferne schneeige Gipfel in Sonnenlicht gebadet. Sein Herz schwoll im starken Glücksgefühl, mit dieser ganzen Herrlichkeit eins zu sein und fest in diesem Boden zu wurzeln. Wonnetrunken ließ er die Blicke immer weiter schweifen, gen Morgen, über das Meer hinaus, wo mächtige Knäuel leuchtenden Dunstes, zu einer gewaltigen Wolkenwand zusammengeballt, in den Strahlen der sinkenden Sonne goldrot aufleuchteten, während von Westen her ein stickiger, schwarzer Nebel langsam herankroch und die ganze strahlende Herrlichkeit zu verdecken begann. Immer mehr verschlang der Nebel von den gesegneten Gestaden, an deren Anblick er sich soeben ergötzt hatte. Bald würde er den Baum erreichen und sein Adlernest und ihn selbst mit einer undurchdringlichen Nebelkappe überziehn. Eine quälende Angst beschlich ihn. Er blickte hinauf, mit der letzten Kraft seiner Augen das schwindende Licht trinkend. Da sah er den Adler heransausen, hörte wieder sein gellendes Gekreisch: „Geb–recht! Leb–hart! Geb–recht! Leb–hart!“ Und der junge Adler, dem er die Freiheit wiedergegeben hatte, war auch dabei. Er tummelte sich in den Lüften, in stolzem Bewußtsein, ganz wie der Alte seine Schwingen gebrauchen zu können, und schrie vor Gier danach, seinen Hunger zu stillen. Mit Windeseile schossen sie auf den im Neste Liegenden herab und gruben ihre Schnäbel in seine Brust. An sein Herz wollten sie heran! Ein mutiges Herz war die rechte Speise für den König der Lüfte! Das Herz wehrte sich aber und flog wie ein gefangener Vogel zwischen den Stäben seines Rippengehäuses hin und her, um sich dem Griff des scharfen Adlerschnabels zu entziehen. Aber das Raubtier ließ nicht von seiner Beute! Immer tiefer wühlte sich sein Schnabel zwischen die Rippen hinein und versuchte das Herz aus seinem Käfig zu reißen. Das Herz aber war tapfer, krampfte sich zusammen und zog den Kopf des jungen Adlers immer tiefer hinein. So kämpfte sein Herz mit dem Raubtier, stählte sich am Kampfe und wurde kräftiger und stärker, bis es ihm schließlich gelang, mit einem gewaltigen Ruck den jungen Adler zwischen die Rippen hineinzuziehen. Und da saß er nun im Brustkorb gefangen wie hinter dem Gitter eines Käfigs, an Stelle des Herzens, das er mit letzter Anstrengung verschlungen hatte. Das Herz pulsierte wohl noch voller Sehnsucht wie vorhin. Aber seine Sehnsucht hatte jetzt die Schwingen des Adlers bekommen und Kraft, ihn hoch über alle Erdenschwere hinauszutragen. Er brauchte nur zu wollen. Und im nächsten Augenblick stand er drüben auf der gewitterschwangeren Wolkenwand, die sich immer noch hoch über Land und Meer und über allen quälenden Nebeln erhob. Mit Riesenkräften packte er sie und preßte sie zusammen; Blitze zuckten, die Donner grollten, und vom Feuer des Himmels verzehrt, löste sich der schwarze Nebel auf, der schon die Herrlichkeit des ganzen Landes bedeckt hatte, und alles lag wieder im stillen Glanz, befreit da, von der Abendröte umglutet. – – Aber hoch über ihm, dem es im Traum gegeben wurde, die Blitze des Himmels zu schleudern, kreiste der Aar, dessen Junges ihm ans Herz gewachsen und zum zweiten Herzen geworden war. Und gellend wie die Kriegstrompete schmetterte er sein Gekreisch in die Lüfte hinaus: „Leb–hart! Geb–recht! Leb–hart! Geb–recht!“ ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Er erwachte jäh und lag noch lange, ehe es ihm klar wurde, daß es nur ein Traum gewesen war und daß er in seinem Bette lag in seiner Schwester Haus zu Venz auf Rügen und nicht im Adlernest draußen auf den Felsen von Stubbenkammer. Und er starrte seinen Bruder Siegfried fragend an, der lange draußen seinen Namen gerufen hatte und jetzt mit Freund Diercks hereinstürmte, um ihn aus dem Schlafe aufzurütteln. „Auf!“ riefen sie, „heraus aus dem Nest! Heute fangen wir den jungen Adler wieder ein!“ „Den Adler?“ fragte Gebhard und rieb sich die Augen und griff sich an die Brust, wo er ihn hineingeträumt hatte. „Meine Mütze zieht ihr ihm aber nicht mehr über den Kopf! Das gibt dann wieder Träume, wenn ich sie aufsetze!“ Er sprang aus dem Bett, schlüpfte in die Kleider, gab sich kaum noch Zeit, den bereitstehenden Morgentrunk zu schlürfen, sagte seiner Schwester rasch guten Morgen und war eben im Begriff, den anderen auf neue Abenteuer zu folgen, als sein Schwager, der Kammerjunker von Krackwitz, ihn aus dem Fenster seines Arbeitszimmers rief. „Ihr müßt euch heute ohne Gebhard behelfen“, sagte er, ohne ihren langen Gesichtern Beachtung zu schenken. „Ich brauche ihn hier!“ Dagegen war nichts zu wollen. Gebhard mußte mit sehnsüchtigen Augen die anderen abziehen sehen und ging dann zu seinem Schwager hinein. Der Kammerjunker war ein solider, ehrenfester Mann, ohne jeglichen Hang zu abenteuerlichen Träumereien, stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden realer Tatsachen und packte das Leben von der nützlichen Seite an, wie sich’s für einen Mann von Grundsätzen gehört. Nach gebührender Hervorhebung des Umstandes, daß er gewissermaßen an Vaters Stelle stünde, nachdem er Gebhard in seinem Hause aufgenommen hatte, führte er dem jungen Schwager zu Gemüt, er dürfe das Leben nicht zu sehr auf die leichte Achsel nehmen. Er sei bereits sechzehn, also in einem Alter, wo der Ernst des Lebens zu beginnen und das Spiel aufzuhören hätte! Ob er sich schon Gedanken über die Zukunft gemacht habe? Und was er wohl zu werden gedenke? „Soldat wie der Vater und die Brüder!“ Das wäre ja alles gut und schön! Aber – wo er der Jüngste unter sieben Brüdern sei, die alle dienten! Und bei dem beschränkten Einkommen seines Vaters? Ohne Zuschuß vom Vater könne er nicht daran denken, auf der Offizierslaufbahn vorwärts zu kommen! „So hilf du mir!“ Dem wäre er wohl nicht abgeneigt! Aber gegen die militärische Laufbahn hätte er seine Bedenken! Erstens gehöre Rügen zu Schweden. Er wäre also Schwede und könnte ihn wohl durch seinen Einfluß in schwedischen Diensten vorwärtsbringen! Aber – das hätte seine zwei Seiten! Mit der schwedischen Macht ginge es abwärts. Lange würden die Schweden ihre deutschen Besitzungen nicht mehr behaupten können! Eines Tages käme man unter andere Herrschaft, und er hätte dann von vorne anzufangen. Denn lieber gar nicht! Lieber Landwirt werden! Da könne er besser helfen! Er würde ihn in allen Stücken unterrichten und ihm dann helfen, eine einträgliche Pachtung zu bekommen, damit er auf eigene Beine käme im Leben! Das wäre doch die Hauptsache! Und hätte er dann noch das Glück, eine Frau zu finden, die auch nicht mit leeren Händen käme, dann wäre er sein eigener Herr. Und dann – wenn’s nicht anders ginge, und wenn die Lust in ihm übermächtig werden würde –, dann wäre es immer noch Zeit, zur Fahne zu gehen! – Bei der Rede des Schwagers wurde es ihm zumute wie gestern, als er die Gespielen davon sprechen hörte, den jungen Adler in den Hühnerstall zu sperren. Alles in seinem Innern lehnte sich dagegen auf. Die graue Alltäglichkeit eines unbemerkten Schicksals sagte ihm wenig zu. Im Spiele mit den Rostocker Bürgerssöhnen war er stets der Führer gewesen, der sie alle anfeuerte, allen voranstürmte und die Palmen des Sieges an sich riß! Nur so und nicht anders konnte er sich das Leben denken! Aber tagaus, tagein hinter dem Pfluge torkeln, das sagte ihm ganz und gar nicht zu. Er antwortete nicht. Und der Schwager, der sah, wie schwer ihm die Entscheidung wurde, drang nicht weiter in ihn, sondern machte ihm nur den Vorschlag, vorläufig auf seinem Gute alles zu erlernen. Er setzte ihm sogar ein Gehalt aus, sobald er sich eingearbeitet haben würde, und lud ihn zu einem Ritt durch die Felder ein, um erst alles in Augenschein zu nehmen. Gebhard folgte ihm schweigend. Kaum saß er aber im Sattel, so war die Mißstimmung verflogen. In der Phantasie trabte er jetzt nicht aus, um die Erdarbeiter zu inspizieren, sondern stürmte an der Spitze einer Schar Reiter auf den Feind los. Und der Schwager hatte Mühe, ihm zu folgen. Als sie nach einem erfrischenden Ritt zurückkehrten, strahlten Gebhards Augen wieder in voller Lebenslust, seine Stirn war klar. Er tat sich gütlich bei einem reichlichen Mittagsmahl und empfing so den von der Adlerjagd zurückkehrenden Bruder. Der hatte geholfen, den jungen Adler wieder einzufangen. Und Freund Diercks hatte den Wildvogel geradeswegs nach Gagern gebracht, damit Gebhard ihm nicht wieder die Freiheit gäbe! Abends aber, als sie zu Bett gingen, flüsterte ihm der Bruder etwas zu, das sein Blut in Bewegung brachte. „Morgen in aller Früh’, ehe der Schwager munter wird, geht’s nach Bergen!“ „Nach Bergen?“ „Ja, zu den Husaren! Ich lasse mich bei den Schweden einstellen! Du auch!“ „Ist es denn möglich?“ „Diercks hat es mit mir ausgemacht. Er will auch selbst Handgeld nehmen, wie sein Bruder!“ „Was wird der Vater sagen?“ „Gar nichts! Und wenn schon –, sobald wir Handgeld genommen haben, nützt es ihm nichts!“ „Aber der Schwager?“ „Der wird schon aufbegehren! Aber das geht uns nichts an! Mit dem werden wir schon fertig!“ „Denkst du, daß man uns nimmt? Bin ich nicht zu jung?“ „Keinesfalls! Auf das Körpermaß kommt es an, und das hast du! Ich weiß außerdem, daß man uns will!“ „Ganz gewiß?“ „Ganz bestimmt! Gestern, als wir uns von den Husaren trennten und nach dem Gasthof galoppierten, da sagte der Hauptmann zu Diercks: ‚Die beiden Jungen hole ich mir noch! Sie reiten ja wie die Deibel!‘ Und er mußte ihm versprechen, uns morgen zu ihm nach Bergen zu bringen! Ich gehe auf alle Fälle hin!“ Gebhard sagte nichts. Er ging anscheinend ruhig zu Bett. Aber er vermochte kein Auge zuzutun. Er war jetzt am Scheideweg, wo es galt, entweder den breiten gesicherten Weg zu wählen, den ihm der Schwager wies, oder den Weg seiner Träume, deren Ziel er noch nicht sah, auf den es ihn aber mit aller Macht hintrieb. Lange lag er da und sann. Plötzlich setzte er sich im Bett auf. „Was ist aus dem Adler geworden?“ fragte er. „Der Adler?“ antwortete der Bruder halb im Schlaf. „Den wollte Diercks mit einer Kette an einem Pfahl im Garten anschließen, bis sein Käfig fertig wird!“ Und damit schlief er ein. Als Gebhard aber den Bruder fest schlafen hörte, stand er auf, zog sich rasch an, schlich leise aus der Kammer hinaus, die Treppe hinunter, durch den Garten und auf den Weg nach Gagern. Dort schwang er sich über den Gartenzaun und fand schnell den Pfahl, an den der Adler gefesselt war. Mit einer mitgeführten Kneifzange hatte er bald das Fußeisen durchschnitten, ergriff den Vogel, warf ihn in die Luft und sah, wie er auf mächtigen Schwingen durch die Nacht davonschwebte. Unbemerkt, wie er gekommen, ging er dann wieder nach Hause, schlüpfte rasch ins Bett und schlief bald ebenso fest wie der Bruder – jetzt aber ohne zu träumen. 2 ERSTER FLUGVERSUCH „Blitz und Donner!“ fluchte der Wachposten am Eingang zum Zeltlager, das sich am Waldessaum breitete. „Hier kann einer tagaus, tagein sich mit dem saudummen Postenstehen die Beine in den Leib treten! Himmeldonnerwetter! Wer endlich einmal dreinhauen dürfte! Zu denken, was ich alles an Beute gemacht hätte – von den Gefangenen nicht zu reden! Leutnant hätte ich schon sein können – Rittmeister sogar – wer weiß, vielleicht bald General! Man hat’s gesehen!“ „Sachte, sachte!“ mahnte ein alter Graubart, der am Schilderhaus lehnte, nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie an der Stiefelsohle aus. „Als ich dereinst ins Feld zog, da hatte ich wohl auch wie du den Marschallsstab im Tornister, obwohl ich bloß ein Trommlerjunge war. Und so muß es sein. Die wenigsten erwischen ihn aber! Mir gelang’s schon! Daß ich aber auf meinen alten Tag nur Futtermarschall beim Regiment werden sollte – darauf hätte ich damals nicht schwören mögen!“ Er schwieg plötzlich, hielt die Hand vors Auge und blickte über die Felder hinaus, zwischen denen sich die Landstraße heranschlängelte. Ein plötzliches Klappern von eilenden Hufen hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Der Wachposten hielt in seinem Hin- und Hertrotten inne und blickte auch hin. „Ein durchgegangenes Pferd!“ „Wenn der sich nicht das Genick bricht!“ „Himmelsakra! Hecke und Graben im Flug genommen! Ratsch über die Wiese!“ „Jetzt klabastert’s schon auf der Landstraße! Das weiß den Weg nach deiner Futterkiste!“ „Dann wird’s auch wissen, wie leer sie ist! Heißa! Hussassah!“ schrie der Alte und trat zur Seite. Denn jetzt sauste es heran mit rasender Schnelligkeit. Dann: ein Ruck – alle viere in die Erde gestemmt – den Reiter in elegantem Bogen abgeschleudert und – war’s Zufall, war’s Instinkt – still stand es gerade vor dem Futtermarschall, zitternd, schaumbedeckt und leise wiehernd, als ahne es dessen nahe Beziehung zum Hafertrog. Die beiden Husaren hielten sich die Seiten vor Lachen. „Habt Ihr’s aber eilig, junger Herr!“ sagte der Alte. „Ich habe nur Eure Fahne gegrüßt!“ sagte Gebhard, der schon wieder auf den Beinen war, und zeigte auf das blaugelbe Tuch, das über ihren Häuptern flatterte. Denn er und kein anderer war’s, der in dieser übereilten Weise das schwedische Lager gestürmt hatte. „Die anderen sind aber gehörig nachgeblieben!“ fügte er hinzu und blickte über den Weg hinaus. „Sie haben’s nicht gemerkt, als ich ihnen ausgerückt bin. Der Adebar auf der Wiese, der paßte aber auf, ließ dicht hinter mir ein Klappern steigen, und mein Brauner legte gleich los wie gestochen!“ Er versetzte dem Pferd einen Klaps auf die Lende, ging dann herum, faßte es beim Kopf und blies ihm beruhigend in die Nüstern. „Ein Angsthuhn bist du“, gab er ihm kosend seinen Denkzettel und wandte sich dann an den Alten mit einer Frage nach der Regimentsschreiberei. „Ihr wollt Euch als Rekrut bei uns eintragen lassen?“ „Das stimmt! Zeige mir nur den Weg!“ „Kehrt lieber um! Oder, meinetwegen, geht zu den Preußen! Bei uns ist für Euch kein Fortkommen! Das heißt, wenn Ihr vorwärts wollt! Rückwärts reiten wir schon!“ „Halt’s Maul!“ rief der junge Husar ärgerlich. „Und paß auf, was du redest! Wer wird sein eigenes Nest beschmutzen!“ „Ich nicht! Durch mich wurde es nicht beschmutzt! Durch dich auch nicht, obwohl du auch weidlich schimpfst!“ „Ich?!“ „Eben du! Und solange ich dich kenne! Bist Husar, bist ein Reitersmann und hast kein Pferd, wie so viele vom Regiment! Und du kriegst auch keins, wie brav du auch schimpfst! Und – wie schaut’s mit der Montierung aus?“ „Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“ „Nein! Aber du kannst deinen Schnabel halten, statt von deinen Vorgesetzten schlecht zu reden!“ „Wie redest denn du?!“ „Mein Reden ist eines Mannes Rede! Aber du, Lausbub, hast das Maul nicht so weit aufzureißen! Erst etwas mitmachen und dann reden! Ich,“ – der Alte richtete sich auf und schlug sich auf die Brust, „ich war mit bei Narwa, bei Riga, bei Clissow und Holofzin – leider aber auch bei Pultawa! Als Trommlerjunge zog ich aus mit König Karl dem Zwölften, Gott hab’ ihn selig“ – er zog ehrfurchtsvoll den Hut bei Nennung des Königs. „Mit ihm zog ich aus, um den Moskowiter zu verprügeln, und machte das ganze tolle Abenteuer mit bis zum Kalabalik in Bender. Der große Krieg mit dem Moskowiter und dann mit den Polacken, das war der Anfang vom Ende. Dir wünsche ich, daß du den Schluß nicht sehen mußt. Denn er wird uns wenig Ehre bringen!“ Der Wachtposten machte achselzuckend kehrt und fing wieder sein Hin- und Herwandeln an. „Kann ich dafür, daß die Offiziere das Geld für die Ausrüstung am Spieltisch vertun?“ Gerhard stand da, das Pferd am Zügel, und fragte nochmals ungeduldig: „Der Weg nach der Regimentsschreiberei?“ Der Alte beachtete die Frage kaum, setzte sich gemächlich auf einem Feldstein zurecht, zog den Tabaksbeutel, stopfte die Pfeife, schlug Feuer, setzte sie in Brand und zeigte auf die Fahne, deren tiefblaues Tuch sich in wogenden Wellenlinien warf. Sie breitete sich aus, ließ ihr gelbes Kreuz in der Sonne aufleuchten und sank dann in sanft weichenden Buchten zurück, um wieder Wind zu fangen und von neuem das Spiel zu beginnen. „Die Fahne,“ sagte der Futtermarschall, „die kann sich schon sehen lassen! Auf die könnt Ihr stolz sein, aber nicht auf die Regierung, die heute ihre Ehre so mäßig schirmt! Einst – so vor hundertundfünfzig Jahren war’s wohl –, da flatterten die blauen Fahnen mit dem gelben Kreuz lustig übers Meer hinaus. Nach allen Richtungen hin flogen sie, als wollten sie den schäumenden Fluten Eystrasalts zurufen: ‚Fortan seid ihr schwedisch – die ganze Ostsee ist von jetzt ab ein schwedischer Binnensee!‘ Als ich mit dem hochseligen König Karl“ – er zog wieder den Hut – „in den Krieg zog, da hielten wir noch das ganze Land um die Ostsee herum. Als wir aber nach achtzehn Jahren wieder geschunden nach Hause zurückkehrten – da wagte die blaugelbe Fahne sich kaum noch im Baltikum zu zeigen, die moskowitischen Mordbrenner verheerten aber lustig die schwedischen Küsten, und rein aus Gnaden ließ man uns beim faulen Friedensschluß das bißchen Pommern und die Insel. Und die sollen wir jetzt auch noch verlieren! Zu dem Zweck ziehen wir jetzt mit leeren Kriegskassen, auf lahmen Pferden hinaus in den Krieg! Und das wollt Ihr, junger Herr, noch mitmachen?!“ „Den Weg nach der Regimentsschreiberei will ich wissen, weiter nichts!“ rief Gebhard nochmals ungeduldig und schlang die Zügel um das Handgelenk. „Ich werde Euch schon den Weg zeigen! Aber wißt Ihr auch, warum Ihr ihn gehen werdet?“ „Warum denn sonst! Um mich bei euch Schweden als Kämpfer anwerben zu lassen!“ „Als Kämpfer wofür?“ „Für die Krone Schwedens –“ „Für die kämpfen wir Schweden längst schon nicht mehr! Wir führen nur noch die Kriege der anderen Mächte – bald Englands, bald Rußlands, bald Frankreichs, je nachdem – und tun es auch jetzt, nachdem jene Mächte unseren Reichsrat gekauft haben, und ziehen gegen Preußen und gegen den Schwager unseres Königs, weil – nun eben weil unser König eine Schlafmütze ist!“ „Du sollst wider die Majestät unseres allergnädigsten Herrn nichts sagen!“ rief die Schildwache ärgerlich und blieb vor dem Futtermarschall stehen. Der aber ließ sich nicht dreinreden. „Ich pfeife auf solche Herrschaft“, rief er. „Das ganze Land lacht über den dicken Holstein-Gottorper, dem die Zarin unsere Königskrone über die Nachtmütze stülpte, weil er ihr Neffe war!“ „Halt’s Maul!“ „Den Weg nach der Regimentsschreiberei?“ rief Gebhard immer ungeduldiger. „Wartet lieber ab, bis unsere Regimentsschreiberei in Preußen steht!“ murrte eigensinnig der Alte, „denn so wird’s bald kommen!“ „So wird’s _nicht_ kommen! Himmelkreuzdonnerwetter noch einmal!“ schrie der junge Husar wütend. „Sorgt nur für gute Pferde, setzt uns Jungen in den Sattel und gebt uns Leute an die Spitze, die reiten können, dann sollt Ihr was erleben! Mordselement, Herr! Hört nicht auf den Unglücksraben! Geht nur immer in die Regimentsschreiberei! Geradeaus geht der Weg, dann links in die erste Gasse gebogen, und dann fragt Euch vor! Und Gott befohlen!“ Gebhard hörte den Abschiedsgruß nicht mehr. Er saß schon im Sattel und galoppierte ins Zeltlager hinein, gerade als sein Bruder und sein Freund unten auf der Landstraße zum Vorschein kamen, ihren Pferden die Sporen gaben und ihm in vollem Trab nachsetzten, ohne sich um den Anruf der Torwache zu kümmern. * War das eine Jagd! Über Felder und Wiesen flogen die Sturmvögel des Alten Fritzen – seine schwarzen Husaren, mit dem Totenkopf an der Stirn – auf die Landstraße zu, um die Schweden abzuschneiden, ehe sie zur Brücke gelangten. Eine kleine Patrouille der Blaugelben nur war es, aber gut beritten. Wie die Teufel pfefferten sie los, daß die Satteltaschen flogen, allen voran ein baumlanger, schlanker Kornett, der die Kameraden durch nie ermüdendes Zurufen anfeuerte. Vorwärts ging es über Stock und Stein. Aber die Schwarzen waren nicht schlechter beritten. Dicht vor der Brücke gerieten die Gegner aneinander, mit einer Wucht, daß alles sich zu einem unentwirrbaren Knäuel von wild um sich schlagenden Pferdeleibern und dreinhauenden Reitersleuten verwickelte. Die Säbel blitzten, Kommandorufe schmetterten, Schimpfwörter flogen hin und her. „Warum trägst du deine Rippen draußen auf dem Rock, statt im Busen, wie sich’s gehört?“ rief der Kornett und ritzte mit dem Säbel die gelbe Verschnürung seines Gegners auf. „Und den Totenkopf trägst du auf dem Tschako, statt im Schädel! Hast wohl nichts als Häcksel drinnen!? Wie? Wollen mal nachschauen!“ Und er versetzte dem Gegner einen gewaltigen Hieb nach dem Kopf. Aber der war nicht saumselig. Er parierte mit einer Doppelterz, daß Gebhard der Säbel aus der Hand flog und seine Kopfbedeckung denselben Weg nahm. „Die Mütze her!“ schrie Gebhard zornesrot, gab seinem Pferd die Sporen, flog dem Frechen an die Gurgel, packte mit eisernem Griff sein Handgelenk, als dieser zum tödlichen Streich ausholte, riß ihm den Säbel aus der Hand, die Mütze vom Kopf, hieb ihn vom Pferd herunter, stülpte sich die Mütze auf und – heißa, hussassa! – eine Gasse durch die sich balgende Rotte gebahnt, über die Brücke gesprengt! Und dann frei wie ein Vogel weitergesaust nach dem Quartier, um Meldung zu erstatten. Die anderen folgten. „Ich hätte gern die ganze Uniform zum Ansehen mitgebracht! Und den Kerl, der drin steckte, auch!“ sagte Gebhard, als er vor dem Rittmeister stand und ihm den eroberten Tschako zeigte. „Es ist eine ganz neue Sorte von Gegnern, schwarz mit grünen Aufschlägen, grünem Kragen, gelber Verschnürung und diesem Tschako! Ich sehe die Uniform zum ersten Male!“ „Ich nicht“, sagte der Rittmeister. „Aber als Gegner erst heute! Es sind die Bellingschen Husaren! Der Preußenkönig hat Verstärkungen geschickt, wie es scheint! Von seinen besten Reitern! Wir werden zu tun bekommen!“ „Gott geb’s!“ sagte Gebhard. „Der Oberst Belling ist ein ganzer Kerl! Ich sah ihn einst bei Eurem Schwager! Beim Krackwitzen auf Rügen, mit dem er verwandt sein soll. Er wird uns zu schaffen machen!“ „Wir ihm auch!“ trotzte Gebhard. „Die Mütze möchte ich behalten! Bald hole ich mir den Rest von der Uniform!“ „Das tut nur!“ lachte der Rittmeister und verabschiedete ihn. Er tat’s auch binnen kurzem. Aber in anderer Weise, als er’s sich dachte. * „Ihr reitet zu toll, junger Herr“, sagte der alte Futtermarschall und streichelte das Pferd, als Gebhard sich einige Tage später in den Sattel schwang. „Man braucht nicht gleich wie’n Gewitter dreinzusausen und das Pferd zuschanden zu reiten. Die Feinde laufen auch so!“ „Wer ein Blitzpferd zwischen den Schenkeln hat –“, lachte Gebhard. „Dem geht es früher oder später durch! Das hat man gesehen!“ „Jetzt bleibe ich im Sattel! Jetzt bin ich drin!“ „Das wart Ihr auch, als Ihr in unser Lager auf Rügen hineingaloppiertet! Und wurdet doch abgeworfen!“ „Halt’s Maul!“ rief Gebhard ärgerlich, gab seinem Pferd die Sporen und folgte den anderen, denen er bald weit voraus war. Die Schweden waren dabei, einen Vorstoß in die Uckermark zu machen und tasteten sich durch den Kavelpaß, an der pommerschen und mecklenburgischen Grenze vorwärts, die Preußen vor sich hertreibend. Gebhard, der mit seinen Leuten immer den anderen voran war, um aufzuklären, hatte Glück. Denn durch das schneidige Vorgehen der Sparreschen Husaren wurden eben seine grimmigsten Gegner, die schwarzen Bellingschen Husaren, abgeschnitten. Aber sie schlugen sich durch. Und als die Schweden wieder zurückgingen, um Quartiere zu suchen, waren jene gleich hinterher wie ein Schwarm Hornissen und waren aus Verfolgten Verfolger geworden. Gebhard, dem es mehr zusagte, den Feind zu suchen als vor ihm zurückzugehen, blieb ihm mit der Nachhut fest an der Klinge. „Bischt zurückbliewe, Bübele?“ rief ihm ein hünenhafter Kerl von den Bellingschen zu, mit dem er oft Hieb und Schimpfwörter gewechselt hatte. „Eil’ dich! Sonst fange dir die andere den Fisch aus der Ostsee vor der Nas’ weg!“ „Erst schlachte ich mir ein paar von euch schwäbischen Krähen zum Angelfraß!“ lachte Gebhard und zog vom Leder. „I werd’ di scho’ schlachte, Bübele!“ rief der Lange und ritt auf ihn zu. Gebhard warf aber sein Pferd herum und entging so mit knapper Not der Gefahr, umgeritten zu werden. „Hast wohl das Reiten auf der Schulbank gelernt?“ höhnte Gebhard. „I bring di noch auf die Schulbank! I schaff’ dir noch Maniere!“ rief der Lange, feuerte seine Pistole auf das Pferd Gebhards ab, daß es sich bäumte und den Reiter abwarf, fing dann mit geschicktem Schwung den Fallenden auf, zog ihn quer über seinen Sattel und sprengte davon. Und Gebhard ließ es zu. Im Augenblick des Fallens ging mit ihm eine sonderbare Veränderung vor. Er war aus der Wirklichkeit jäh wieder in seinen Traum versetzt, fühlte sich wieder, von den Adlerkrallen gepackt, im weiten Flug durch die Lüfte fortgetragen, schloß die Augen und erwartete nun, im Adlernest zu landen. So lebhaft war die Vorstellung, daß alles andere um ihn schwand und er wie gelähmt dalag und sich ohne Widerstand fortführen ließ. Er sah nichts, hörte nichts und wußte nicht, was mit ihm geschah. Durch die ohnmachtähnliche Lähmung aller Sinne drangen ins Bewußtsein nur die Worte des alten Futtermarschalls, die er ihm zurief, als er heute zu Pferde stieg: „Wie’s anfängt, so hört’s auch auf.“ Das war also das Ende! Der Oberst Belling, ein würdiger, freundlich dreinblickender Herr mit gerötetem Gesicht und ergrautem Schnurrbart, ließ den gefangenen schwedischen Kornett vorführen. Er betrachtete wohlgefällig die jugendliche, schlanke Gestalt und das bartlose Gesicht, aus dem Jugendfrische und trotziger Wagemut hervorleuchteten. „Name?“ „Blücher!“ „Vorname?“ „Gebhard Leberecht!“ „Vater?“ „Christian von Blücher, Rittmeister in der hessischen Armee!“ „Geboren wo?“ „In Rostock, zweiundvierzig!“ „Also achtzehn Jahre! Er ist zu jung, um schon Kornett zu sein. Was hat sich Sein Vater dabei gedacht?“ „Ich habe ihn gar nicht danach gefragt!“ „So ist Er hinter dessen Rücken zum Militär gegangen!“ „Ich und mein Bruder auch!“ „Hat es denn so gebrannt?“ „Das freie Leben wollt’ ich – wollte ein Pferd zwischen den Schenkeln, hatte es satt, die Schulbank zu reiten! Mir brummt noch der Schädel von all dem Latein!“ „Schon gut! Aber warum denn gleich in ausländischen Dienst? Warum zu den Schweden? Gab’s für einen Mecklenburger nichts Näherliegendes – wenn’s schon Ausland sein mußte? Preußen zum Beispiel?“ „Bei den Preußen dienen schon zwei meiner Brüder. Und was sie zu melden wußten, verlockte mich nicht.“ „Bei uns Preußen gibt’s eben Disziplin!“ „Bei den Schweden auch, Herr Oberst!“ versetzte Gebhard, und seine Haltung straffte sich. „Das schwedische Regiment lag übrigens gerade auf Rügen, wo ich zu Besuch war!“ „Und da war das die nächste Gelegenheit, von der Schulbank fortzukommen“, lachte der alte Herr. „Denn das war wohl dabei die Hauptsache! Wo war Er denn auf Rügen?“ „Beim Kammerherrn von Krackwitz, der mein Schwager ist.“ „Da sind wir ja in Familie miteinander“, rief der Oberst. „Der ist auch mein Verwandter! Dann bleibe Er nur bei mir! Da werde ich schon für Ihn sorgen, damit Er ein rasches Fortkommen findet! Will Er in mein Husarenregiment eintreten? Zunächst als Kornett?“ „Dem König von Schweden habe ich den Fahneneid geschworen!“ „Der schwedische König kann Ihn vom Eid entbinden, und wird es auch tun, wenn Er darum nachsucht und gute Gründe gibt. Versteht Er: gute Gründe.“ Gebhard schüttelte den Kopf. „So höre Er einmal und denke Er darüber nach! Was fesselt Ihn an die Schweden? Doch nicht die Aussicht, nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft bei mir, als Kornett zu ihnen zurückzukehren? Tritt Er bei mir ein, ist Er in kurzer Zeit Leutnant und, wer weiß, vielleicht bald Rittmeister! Das kann bei den Schweden lange dauern! Ich dagegen werde demnächst ein zweites Bataillon meines Regiments, im ganzen fünf Schwadronen, anwerben, und lange dauert’s nicht, dann schaffe ich noch ein drittes Bataillon. Wer bei mir Offizier ist, hat also schnelle Beförderung zu gewärtigen. Schlage Er nur ein!“ „Ich bin an meinen Eid gebunden, Herr Oberst!“ „Ich will Ihn gewiß nicht dazu verführen, gegen Ehre und Gewissen zu handeln. Ich will Ihm aber etwas sagen. Ich werde in aller Form bei den Schweden um Abschied für Ihn einkommen. Ich werde erbötig sein, ihnen einen gefangenen Offizier für Ihn freizugeben. Und außerdem schreibe ich dem König von Preußen und schlage Ihn als Kornett bei meinen Husaren vor. Dann sitzet Er wieder frei im Sattel und kann drauflosreiten, was Ihm wohl doch die Hauptsache zu sein scheint. Sonst kann Er lange die Pritschen in den Kasematten drücken, und die sind bei uns Preußen weit unbequemer als die Rostocker Schulbänke! Für ein gutes Pferd will ich überdies Sorge tragen! Laß Er mich nur machen, dann kommt alles auf die beste Art in Ordnung, Sein Gewissen bleibt unberührt, und der König von Preußen hat einen Offizier mehr nach seinem Sinn! Einverstanden?“ Er hielt seine Hand hin. Gebhard schlug ein, und so kam er endlich auf den rechten Pfad im Leben. Als er nach kurzer Verhandlung seinen Abschied aus dem schwedischen Dienst hatte – als die Bestätigung des Alten Fritz als Kornett bei den Bellingschen Husaren eingegangen war, und er, in seinem Quartier, vor dem Spiegel stand, da trat ihm da ein baumlanger, spindeldürrer, bartloser Husar entgegen, den er sich erst genau besehen mußte, um mit ihm auf vertrauten Fuß zu kommen. Ein schwarzer Pelz mit grünen Aufschlägen, gelbe Schnüre über der Brust, auf dem Kopf den Tschako mit dem Totenschädel – das war ein ganz anderer Kerl als der blaugelbe, den er soeben ausgezogen hatte. „Allezeit bereit, soll das heißen! Das merke dir!“ nickte er seinem Gegenüber zu und tippte leicht auf den Totenschädel! „Hast alles, was du brauchst: die nötige Länge, den forschen Blick! Fehlt nichts, als daß dir der Himmel einen Schnurrbart ins Gesicht pflanzt!“ Sein Spiegelbild machte ein Gesicht, als wollte es sagen: „Was soll ich mit der Pflanzung?“ „Du nichts! Aber die holden Mägdelein, denen sie auf die Lippen fällt! Die werden es schon wissen!“ 3 DER ALTE ADLER Den dreieckigen Hut mit der zerrissenen Tresse verkehrt auf dem Kopf, den blauen, verschlissenen Waffenrock mit den roten Aufschlägen halboffen um den hageren Leib, Schnupftabak über der gelben Weste, Puder auf der Schulter, die schwarzen Samthosen in den hohen Stiefeln verschwindend, die Rechte schwer auf dem Krückstock ruhend, den schweren Kopf mit den vorquellenden Augen vorgestreckt, so stand der Große König, einem alten Raubvogel mit zerzaustem Gefieder nicht unähnlich, im Kreise seiner vierbeinigen Lieblinge und hielt Musterung. Durch die offene Tür zum Arbeitszimmer sah er seine Kabinettsräte mit ihren Schreibtafeln warten, um die Fortsetzung seines Diktats aufzunehmen. Der Kammerdiener meldete den General von Lölhöffel, Inspekteur der Kavallerie, der zur Audienz befohlen war. „Warte Er, Lölhöffel!“ rief der König hinaus, ohne zur Tür zu gehen. „Erst muß ich bei meinen Hunden nach dem Rechten sehen. Dann kann Er mir von den Kavalleriepferden mitsamt ihren Reitern referieren, so Er mir etwas Erbauliches zu melden weiß.“ Die allerhöchsten Hunde waren eben dabei, höchstihro Mahlzeit einzunehmen, von betreßten Lakaien mit Mundtüchern über den Arm alleruntertänigst assistiert. Nichts auf dieser Welt vermochte sonst den Gebieter Preußens von seiner Arbeit abzulenken, außer der Sorge um das Wohlbefinden seiner vierbeinigen Familienmitglieder. Für sie hatte er immer einige Minuten übrig. Auf die Meldung hin, daß das Diner der hohen Vierfüßler aufgetragen sei, erhob er sich denn auch mitten im Diktat eines Briefes und verfügte sich ins Schlafzimmer, um die Haupt- und Staatsaktion der Abfütterung in höchsteigener Person zu überwachen. Er hatte befohlen, ihnen heute einen Extraleckerbissen von gebratenem und gesottenem Hühnerfleisch zu geben, und paßte genau auf, daß jedes Vieh sein ihm zugedachtes Teil ordnungsgemäß erhielt und daß keins übervorteilt wurde. Kosenamen für die Hunde, Scheltworte und gelegentlich auch Stockschläge für die Lakaien halfen da aus. Zwischendurch, wenn die Köter sich gelegentlich so ins Abnagen der Knochen vertieften, daß sie Ruhe hielten, setzte der König durch die offene Tür sein Diktat fort. Aber ohne die Hunde aus den Augen zu verlieren. „Schreibe Er also weiter, wo wir aufhörten!“ rief er hinein. Und die Kabinettsräte senkten die Griffel auf ihre Schreibtafeln. Der König diktierte: „Die Einfuhr von Kaffee ist, wie befohlen, tunlichst zu beschränken. – Hat Er das?“ „Zu Befehl!“ Der König nahm bedächtig eine Prise Schnupftabak aus der Dose, die er nebst dem Krückstock in der Rechten hielt, pfropfte sich die Nase damit voll und meditierte dabei halblaut vor sich hin: „Jeder Lump will heutzutage Kaffee trinken! Der pure Übermut! Biersuppe tut’s ebensogut! Die trank ich selbst, als ich jung war! Das ist weit gesünder! Und das Geld geht nicht außer Landes! – – _Tu beau_, Alceste!“ rief er einem der Windspiele zu. „Gönne den anderen auch das Leben! – – Weiterschreiben!“ Die Kabinettsräte gaben acht, und der König diktierte weiter. „Den Beuchower Gemeindeältesten wird auf ihre Eingabe beschieden, der Invalide Faber bleibet im Amte! Für die Volksschule dorten ist er gut genug! Es genüget uns vollauf, wenn auf dem platten Lande die Kinder Lesen und Schreiben lernen! Wissen sie zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretärs werden und so etwas. Das ist nichts! Der Invalide Faber bleibet ihnen! Die sollten sich was schämen, Leute, die fürs Vaterland alles geopfert, nicht versorgt wissen zu wollen! Wo er sich überdies nützlich macht, den Leuten das Vieh hütet und auch den Nachtwächterdienst versieht, so haben die Beuchower alles mögliche Gute von ihm und haben nichts mehr zu wollen! – – Der Alkmene läßt du den Knochen! Ich komme dir sonst!“ Wieder drohte er einem der Lieblinge mit seinem Krückstock und wandte sich dann zur Tür. „Macht also die Briefe zur Unterschrift fertig!“ verabschiedete er die Kabinettsräte, die sich verneigten und gingen. „Laß Er jetzt hören, Lölhöffel! Was bringt Er mir heute?“ Der General von Lölhöffel trat näher an die Tür heran und blickte in das Schlafzimmer hinein. „Melde gehorsamst, Majestät! Zunächst hätte ich das Abschiedsgesuch des Rittmeisters von Blücher von den Bellinghusaren Allerhöchstdero Entscheidung zu unterbreiten!“ „Der Rittmeister bleibet in Dienst!“ „Der Rittmeister besteht aber inständigst auf seine Entlassung!“ Der König blickte den General scharf an. „Ist der Kerl noch nicht mürbe? Wie lange sitzet er schon?“ „Zu Befehl“, sagte Lölhöffel und salutierte. „Der Rittmeister hat bereits mehr denn dreiviertel Jahr strengen Arrest gehabt!“ „Viel zu wenig für einen Offizier, der sich unterfängt, seinem König despektierlich zu kommen! Die Offiziers sollen lernen sonder Räsonieren, Ordres zu parieren! Sie haben sich nicht in meine Politik zu melieren!“ „Melde gehorsamst: von politischer Wühlerei steht in der Konduite des Rittmeisters von Blücher nichts!“ „Dann schreibe Er das hinein!“ „Zu Befehl!“ Der König blickte seinen General an. „Er muckst wohl mit mir? Wer mein General sein will, muß auf Subordination halten!“ „Zu Befehl!“ „Nun, hatte ich meinen Truppen in Polen befohlen, die Polacken milde zu behandeln, oder hatte ich es nicht befohlen? Antworte Er!“ „Zu Befehl! Es sollte alles vermieden werden, was die Krone Preußen bei der polnischen Bevölkerung verhaßt machen könnte!“ „Sehe Er, so war das! Das hatten wir, die wir wissen, was wir wollen, bei der Besetzung des polnischen Landes ausdrücklich befohlen! Und da muß mir jener Sausewind mit dem Kopf durch die Wand wollen und setzet mir alles in Feuer und Flammen! Er hat überdies noch die Keckheit, ob seines Ungehorsams avancieren zu wollen! Und will noch meinen Rock ausziehen, weil ihm das nicht gelang! Lassen wir ihn nur ruhig weiterbrummen, bis Er ein Einsehen hat! Ihm schadet’s nicht, und der Dienst gewinnt!“ Lölhöffel räusperte sich, salutierte nochmals und wagte eine Entgegnung. „Es ist meine Pflicht als Inspekteur der pommerschen Kavallerie, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen, daß der Rittmeister von Blücher immerdar ein eifriger und meritierter Offizier war!“ „Davon müßte ich doch wissen!“ „Er hatte im letzten Kriege nicht das Glück, unter den Augen Eurer Majestät zu kämpfen!“ „Das hat mit meinem Wissen nichts zu schaffen! Wir pflegen uns auch so nicht all die jungen Leutnants zu merken, die uns einmal an der Nase vorbeilaufen! Und wissen doch in der Armee Bescheid! – – Halte Hektor zurück, du dummer Esel!“ fuhr er plötzlich den hinter ihm stehenden Lakaien an. „Er überfrißt sich sonst! – – Mußt dir mehr Zeit nehmen, du gutes Tier!“ Er kraute den Liebling und streichelte ihn zärtlich. Seine Augen leuchteten auf einmal freundlich, und er wandte sich bedeutend weniger kratzbürstig dem General zu. „Immerhin lese Er mir des Rittmeisters von Blücher Konduite vor!“ Lölhöffel suchte unter den Papieren in seinem Portefeuille ein Dokument heraus, hielt es militärisch steif vor sich hin und las mit lauter Stimme vor: „Trat mit achtzehn Jahren von den Schweden über, erhielt die königliche Bestallung als Kornett im Husarenregiment von Belling, wurde am 4. Januar 1761 Sekondeleutnant, am 11. Juli 61 Premierleutnant, focht 62 in der Armee des Prinzen Heinrich, Königliche Hoheit, Korps Seydlitz, als die Bellingschen die Reichsarmee bis Hof in Bayern zurücktrieben, machte da, bei Auerbach, 500 Gefangene, wurde mit nur 60 Mann bei Libkowitz von 200 Österreichern angegriffen, machte 60 Gefangene, wurde in der Schlacht bei Freiberg verwundet –“ „Ein braver Offizier,“ sagte der König, „ich erinnere das alles jetzt ganz gut! Soll aber ein gar wüster Spieler und Duellant sein und auch hinter den Weiberschürzen her – wie alle von den Bellingschen! Ein Zigeunerregiment ist das immer gewesen und keine Husaren!“ Er stieß mit dem Krückstock hart auf dem Boden auf. „Gib doch dem Hund zu trinken,“ schrie er dem Lakaien zu, „du siehst ja, daß er erstickt!“ Dem Hund wurde Wasser gegeben, seine Schnauze und Pfoten mit Servietten abgewischt. Schweifwedelnd schlich er an den König heran und leckte ihm die Hände. „Ein wüster Duellant – ein Raufbruder!“ wiederholte der König. „Er sieht, ich kenne meine Leute!“ „Zu Befehl! Der Säbel saß ihm stets locker in der Scheide“, sagte Lölhöffel trocken und blickte in sein Dokument. „Hier steht noch angeführet, daß der Regimentsadjutant Blücher wegen Herausforderung seines Chefs, des Obristen Belling, strafversetzt werden mußte!“ „Was sagte ich!“ knurrte der König gallig. „Ein aufrührerischer Krabat! An seinen Chef wollte er heran! Und nun möchte er gar an uns selbst sein Mütchen kühlen! Ich werde ihn schon Mores lehren!“ Er erhob den Stock und schlug auf den Tisch. „Keinen Pardon vor ihm! Keinen Pardon! Und den Abschied auch nicht!“ „Wollen Majestät gnädigst verstatten? Hier steht noch von einer öffentlichen Belobigung des gedachten Rittmeisters aus Allerhöchstdero eigenem Munde!“ Lölhöffel zeigte auf sein Dokument. „Wo hatte ich? Wann hätte ich?“ „Bei einer Revue in Stargard Anno siebenzig!“ „In Stargard? Laß Er sehen!“ Der König blieb stehen und dachte nach. „Recht hat Er – der von Blücher war’s! Der hatte mit einer Handvoll Leute dreihundert konföderierte Polacken angegriffen, vier Rittmeisters und achtzig Mann gefangengenommen! Und Er selbst, Lölhöffel, mußte ihn, auf meinen Befehl, vor der Front loben! So war’s! Sehe Er, unser Gedächtnis pariert Ordres noch besser, als unsere Offiziere es manchmal tun! – Ein braver Mann! Ein tapferer Mann! Können solche Leute immer gut gebrauchen! Der Rittmeister bekommt seinen Abschied nicht!“ „Sein Chef, der General von Lossow, befürwortet die Entlassung!“ „Der von Lossow ist ein Besserwisser und ein Streber. Der soll mir nichts weismachen wollen. Weswegen mag er den Rittmeister nicht leiden?“ Lölhöffel las in seinem Papier nach und blickte dann den König an. „Zu Befehl! Eben wegen der Verfehlung, die Majestät soeben Höchstselbst an ihm zu rügen geruhte! Weil er entgegen des Allerhöchsten Verbots die Polacken durch sein allzu forsches Zugreifen aufreizte, als er eine seiner Postierungen ermordet vorfand!“ „Mir sind die Einzelheiten der Geschichte entfallen!“ sagte der König. „Wir haben so viel und weit Schlimmeres im Leben erfahren! Erzähle er mir! Wo hatte der Blücher zugegriffen? Wen hatte er –?“ „Einen polnischen Landgeistlichen in der Gegend von Kalisch, den er als Anstifter in Verdacht hatte. – Er ließ ihn aufheben und, da er nicht bekennen wollte, _sans façon_ vor eine frisch aufgeworfene Grube stellen, die Augen verbinden und eine Salve über seinen Kopf abfeuern!“ „Das wird dem hübsch in die Glieder gefahren sein!“ „Vor Schreck ist er fast ums Leben gekommen!“ „Groß wäre der Schaden nicht gewesen! Unrecht ist ihm sicherlich auch nicht geschehen!“ „Zu Befehl! Seine Schuld war mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen! Nur nachweisen ließ sich nichts!“ „Der Rittmeister tat gegen Befehl, dafür gebührte ihm Strafe. Er handelte aber ansonsten brav! Das wollen wir ihm lohnen! Sage Er einmal, Lölhöffel, wieso kommt jener Brausekopf dazu, mir einen despektierlichen Brief zu schreiben?“ „Er fand sich unverdienterweise übergangen! Er glaubte als ältester Stabsrittmeister ein Anrecht auf die erledigte Schwadron des abgehenden Majors von Zülow zu haben, die einem anderen gegeben wurde!“ „Was heißt Anrecht? Die Schwadrons vergebe ich! Ein Anrecht außer Unserer Entschließung gibt’s nicht! Und wider Unsere Entschließung hat niemand aufzubegehren. Der Rittmeister war ungehorsam – dafür wurde er im Avancement mit Recht übergangen! Er schrieb uns einen despektierlichen Brief, dafür sitzet er in Arrest! So er sich aber demütiget, wollen wir ihn begnadigen und ihn befördern. Schreibe Er: der Rittmeister von Blücher wird zum Major befördert! – – – Nein, noch nicht! Erst soll er abbitten! Sonst denkt er, er hätte es uns abgetrotzt!“ Lölhöffel räusperte sich, blickte den König unsicher an und wagte dann doch noch der Gnaden des Königs anheimzustellen, dem Rittmeister, der trotz seines Eigensinnes und seines jähzornig aufbrausenden Temperaments ein verdienter, tapferer Soldat sei, die ersehnte und erflehte Beförderung zum Major zuteil werden zu lassen. Um so eher, da gedachter von Blücher im Begriff sei, zu heiraten und einen Hausstand zu begründen – – Damit kam er an den Unrechten. „Heiraten will er?“ schrie der König außer sich und stieß mit seinem Stock mehrfach auf den Boden auf. – „Was erzählt Er mir da für Räubergeschichten, Lölhöffel? Weiß Er nicht, daß es sich vor die Husaren nicht schickt, wenn sie Weibers nehmen? Daß sie dann keinen Schuß Pulvers mehr wert sind?! Weiß Er nicht, daß ich vor alle derartigen Mariagen einen greulichen Abscheu habe? Wie kann Er indizieren, daß wir einen Menschen von solcher Fermete noch befördern? Er ist wohl des Teufels?!“ Der König redete sich immer mehr in die Wut hinein und schrie, daß die Hunde ängstlich wurden, ihm winselnd um die Beine liefen und den General gar auch noch anknurrten, weil er den Zorn ihres Herrn geweckt und ihre Ruhe gestört hatte! „Ruhe, ihr Biester! Oder wollt ihr etwa auch _mariage_ tun?“ schrie der König und schlug nach seinen Lieblingen, zum maßlosen Staunen der Lakaien. „Ruhe, Mene! _Tu beau_ Alceste! Wo hat Er das Gesuch des Rittmeisters, Lölhöffel? Geb Er den Wisch her!“ Und er riß dem General das Papier aus der Hand, humpelte, so gut es ging, auf seinen alten gichtischen Beinen an ihm vorbei ins Arbeitszimmer hinein, warf das Papier auf die schräge Tischplatte, ergriff einen Federkiel, stieß ihn mit Wucht in die Tinte, daß sie weit herumspritzte, kratzte dann mit zitteriger Hand eiligst ein paar Worte unter das Gesuch und sprach sie, wie immer, beim Schreiben laut vor sich hin. „Der Rittmeister von Blücher kann sich zum Teufel scheren!“ Er warf den Federkiel fort. „Mag er sich in des Teufels Namen kopulieren lassen, soviel er will! Aber unter meine Husaren führet er keine Schürzenwirtschaft ein! Basta!“ Dann ließ er den General stehen, eilte mit gehobenem Stock wieder ins Schlafzimmer hinein, wo die Hunde nur mit Mühe von den Lakaien gebändigt werden konnten, und hieb – nicht die Hunde – aber die Diener durch, die so schlecht aufpaßten, daß ihm heute keine Ruhe zum Regieren blieb! Und Lölhöffel zog mit langem Gesicht ab. Es war ein schnöder Abschied für einen langgedienten, braven Offizier wie Blücher. Aber mit der Despektierlichkeit durfte man dem Alten Fritz nur vorsichtig nahen! Und mit der _mariage_ nimmermehr! 4 IM SCHATTEN „Hätte ich noch den schwarzen Dolman angehabt,“ sagte der Rittmeister Blücher und hieb Treff-As auf den Tisch, daß er zitterte, „weiß der Deibel, ich hätte mir vielleicht doch noch die Sache überlegt! Denn den hatte ich mir sozusagen mit der Waffe in der Hand erobert und in Ehren getragen! Im roten Dolman hatte ich immer das Gefühl: den ziehst du bald wieder aus! Gemütlich war’s ja nicht, drin zu stecken, nachdem der Alte Fritz die von Gersdorffschen aufgelöst hatte und uns kommandierte, in ihre entehrte Pelle zu schlüpfen! Trotzdem ziehe ich sie mit Wonne wieder an, wenn’s endlich so weit gediehen ist mit der königlichen Gnade! Kinder!“ rief er, schob seinen Stuhl zurück und füllte die Gläser, während der Postmeister die Karten mischte und der Apotheker Gewinn und Verlust der letzten Runde getreulich buchte. „Mit keinem König möchte ich tauschen, so vergnügt bin ich heute!“ „Nun ja,“ schmunzelte der Postmeister, „du hast auch alle Ursache! Reiten, jagen, das Mädchen geküßt, die Karte in fröhlicher Runde gebogen, was willst du mehr?“ „Gewinnen!“ antwortete für ihn der Apotheker, der jetzt mit seiner Rechnung im reinen war. „Gewinnen will er!“ „Gewinnen, verlieren, gleichviel!“ lachte Blücher. „Nur nicht sein Leben lang hinter dem Ofen hocken, oder die Nase über die Schmöker hängen und Kriegsgeschichte oder so ’n Zeug pauken! Kriegsgeschichte, pfui Deibel! Als Soldat mache ich Kriegsgeschichte und schreibe sie in Blut oder beschreibe sie beim Rotspon! Die Tinte lasse ich die Federfuchser saufen!“ „Nun, die Kriegsgeschichte wird dir wohl nicht allzu lästig, seitdem du des Königs Rock auszogst!“ versetzte der Apotheker. „Wenn ich auch den Rock auszog, mit Leib und Seele blieb ich doch Soldat! Sollst sehen, bald reite ich wieder an der Spitze meiner Schwadron, die mir von Rechts wegen zukommt!“ „Sei froh, solange du’s nicht nötig hast! Genieße dein Leben! Hast ja alles, was der Mensch sich wünschen kann: eine brave, liebe Gattin, prächtige Kinder, giltst als einer unserer besten Landwirte hier in Pommern – was willst du mehr?“ „Red’ keinen Schwefel!“ „Na, höre einmal!“ sagte der Apotheker, „um nichts gab dir wohl der König neuntausendfünfhundertfünfzig Taler Meliorationsgelder für dein Gut?“ „Neuntausendfünfhundertfünfzig, ja! Das war so recht der Alte Fritz! Zehntausend voll hätte er mir ruhig geben können. Aber nein, er mußte noch etwas davon abstreichen, um seinen Sparsinn zu befriedigen! Sonst hätte ihm die ganze Sache keinen Spaß gemacht! Und nun muß ich mich hier am Spieltisch mit euch abrackern, um die Summe wieder abzurunden!“ „Das tust du auch redlich!“ lachte der Apotheker. „Aber nach unten hin scheint’s mir!“ „Verliere ich, so gewinne ich auch – das Geld wie das Majorspatent, und sitze im Sattel, ehe ihr’s ahnt!“ rief Blücher übermütig. „Dieser Haufen Taler auf Pik-Dame gesetzt, daß es so kommt!“ Er nahm eine Handvoll Talerstücke aus einem auf einem Stuhl neben ihm stehenden, mit Geld gefüllten Suppenteller, setzte auf die Karte und verlor. „Verflucht! Die Dirne ging mir durch die Lappen mit dem Geld! Die Schwarzen waren mir niemals hold! Eine Blonde her! Coeur-Dame gewinnt! Coeur-Dame war mir stets gewogen! Siehst du, was sagte ich? Hab’ Dank, holde Schöne! Her mit dem Geld! Kinder, ich könnte die ganze Welt in Trümmer schlagen, so vergnügt bin ich! Eine Kraft ist in mir! Himmeldonnerwetter! – Ein Schwert in der Faust, einen Gaul unter mir, Feinde genug zum Dreinhauen, was brauche ich mehr?!“ „Glück im Spiel!“ „In der Liebe, du Giftmischer! Ich pfeife auf alles andere!“ „Nun“, sagte der Apotheker und strich wieder den Einsatz ein. „Das hättest du erreicht!“ „Noch einmal zur Attacke auf Fortuna, das Luderchen!“ rief der Rittmeister, „Karten her! Und hier der Rest!“ Er leerte seinen Suppenteller auf den Tisch, nahm neue Karten und verlor noch einmal. „Blasen wir die Reserve heran!“ sagte er, ohne darum seine gute Laune zu verlieren. „Ich hole Sukkurs!“ Er stand auf, ging ins Nebenzimmer, öffnete die Ofentür, steckte die Hand hinein, zog sie aber gleich wieder leer heraus und machte ein langes Gesicht. Kniete dann nieder und blickte in den Ofen. „Da soll mir der Donner dreinschlagen!“ fluchte er. „Drei Suppenteller voll Geld stellte ich drinnen parat, zwei nahm ich heraus, wo zum Kuckuck blieb der dritte?“ „Haben Panje Rittmeister etwas verloren?“ flötete hinter ihm plötzlich die Stimme seiner alten polnischen Wirtschafterin. Er schnellte empor. „Hast du etwas gefunden, Sonja?“ „Kann sein!“ schmunzelte die Alte. „Etwa einen Teller –?“ „Einen Suppenteller – –“ „Mit –?“ „Mit etwas drauf, was hier im Hause nicht lange darauf zu bleiben pflegt! Etwas, was Panje Rittmeister und seine bürgerlichen Freunde meistens zum Spaß zum Fenster hinaus zu werfen pflegen!“ „Zum Spaß?! I, du dummes Luder, das geschieht gewiß nicht zum Spaß! Das werfen wir zum Fenster hinaus, damit es zum Schornstein wieder hereinkommt! Verstehst du?“ „Ach so! Dazu stellen Panje Rittmeister die Suppenteller in den Ofen?“ „Ja! Ging dir jetzt ein Licht auf? Damit das Geld doppelt und dreifach wieder hereinfliegt – dazu schmeißen wir’s zum Fenster hinaus! Denn unterwegs jungt es – verstehst du wohl? Und den Teller stellen wir in den Ofen, damit es nicht in die Asche fällt! Und nun sage mir, mein Täubchen, wo du den Teller mit dem Gelde hingetan hast.“ „Oben ins Schlafzimmer, auf der gnädigen Frau ihr Bett! Nachher, wenn Panje Rittmeister schlafen geht, wird er sich freuen, noch so viel Geld im Hause zu haben!“ „Sofort holst du es wieder herunter!“ „Die gnädige Frau Rittmeister schlafen doch! Sie schliefen schon, als ich das Geld hintat!“ „Hol es rasch her! Und daß du sie mir nicht dabei weckst!“ „Lassen wir das Geld ruhig auf der gnädigen Frau ihrem Bett! Am Ende jungt’s da noch besser!“ „Nee!“ lachte Blücher, „da jungt ganz was anderes!“ „Die heilige Jungfer bewahre!“ rief die Alte erschreckt. „Es ist längst mehr als genug! Die kleine und zarte Person, und schon sechs Kinder! Sechs habe ich schon auf meinen Armen getragen! Panje Rittmeister, nichts für ungut! Die Liebe ist eine schöne Sache! Aber, was zuviel ist, ist zuviel! Und so viel Liebe hetzt den Menschen ins frühe Grab! Sechs Kinder, bedenket doch, Panje, was das für eine Frau heißt! Und dreie deckt schon der grüne Rasen! Da liegen die kleinen Engelchen und rufen nach der Mutter! Und die Mutter will zu ihnen und wird mit jedem Tag immer blasser!“ „Red’ nicht!“ sagte Blücher kurz und drehte seinen Schnurrbart. Es kam etwas Feuchtes in seine Augen. „Immer blasser wird sie! Und wie sollte sie auch nicht, bei dem tollen Leben hier, wo der Postmeister und der Apotheker ihr Unwesen treiben, und das Spiel und das Pokulieren nimmermehr aufhört! Ich hab’s auch nicht leicht, wenn ich den Kindern Rede und Antwort stehen muß. Sie fragen mich alles mögliche über den Papa – wo er seine Soldaten hat und wieso er keinen bunten Rock wie die andern Offiziere trägt –“ „Himmelkreuzelement! Halt’s Maul!“ „Ja, das ist immer das Ende vom Lied: halt’s Maul! Ich hätte man das Maul halten sollen, vor zehn Jahren, als meine kleine Herrin mir von dem tollen preußischen Offizier vorschwärmte, der ihr den Hof machte! Ich hätte das Maul halten sollen, vor vier Jahren, als Panje Rittmeister das schöne Polen verließ und hierher nach Pommern zog! Ich hätte sagen sollen: nein, ich gehe nicht mit. Dann hätte ich nicht sehen müssen, wie meine kleine Herrin vor Gram elend umkommen muß! Sie, die Enkelin eines großen Herrn, des Starosten von Gnesen, des erlauchten Herrn von Bojanovsky selbst! Das edelste polnische Blut! Einen Grafen hätte sie haben können! Einen Fürsten sogar! Sie hatte es nicht nötig, einen kassierten Offizier zu nehmen, der sich mit niedrigen Bürgersleuten gemein macht!“ Mit dem kassierten Offizier wagte sie sich aber erst dann heraus, als Blücher längst nicht mehr im Zimmer war. Er hatte sie einfach stehenlassen, als sie anfing, ihm ihre gewohnte Litanei vorzuleiern, war die Treppe nach dem oberen Stock hinaufgeeilt, öffnete leise die Tür des Schlafzimmers und schlich auf den Fußspitzen hinein. Seine Frau schlief. Zu ihren Füßen, auf dem Federbett, stand der Teller mit dem Gelde. Einen Augenblick stand er noch da und lauschte auf ihren Atem. „Daß du das Geld bei dir hast, bringt Glück!“ sagte er, nahm den Teller, ohne sie zu wecken, und ging leise, wie er gekommen war, zu seinen Gästen hinunter, setzte den Teller auf die Karte, die soeben ausgeschlagen wurde, und rief: „Das Ganze! Das Ganze gewagt!“ Und er gewann. „Noch einmal!“ rief er, schob den Teller nochmals hin und gewann abermals. „So!“ sagte er. „Nun ist’s genug. Jetzt habe ich die Summe des Alten Fritzen wohl genügend abgerundet! Ich hatte also Glück mit dem Gelde! Das Glück in der Liebe brachte mir auch Glück im Spiel! Das hat wohl denn auch gute Vorbedeutung für mein Gnadengesuch an den König.“ „Du hast wieder –“ „Ich habe dem König für das mir geliehene Geld gedankt und die Gelegenheit benutzt, um Wiedereinstellung als Major zu bitten, und zwar mit Anciennität vom Tage meines Abschieds ab! Einmal hat er’s mir abgeschlagen. Das war vor vier Jahren! Jetzt wird er wohl ein Einsehen haben!“ „Alle Wetter!“ sagte der Postmeister. „Gut, daß du von der Sache sprichst. Vorhin kam eben ein amtliches Schreiben an den Herrn Deputierten des Pommerschen Landschaftsrates von Blücher an. Vom Königlichen Kabinett, scheint’s mir! Ich nahm das Ding mit. Ihr machtet aber gleich einen Lärm, daß ich nicht zu Worte kommen konnte, und dann hab ich’s verschwitzt, als es mit dem Spiel losging! Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Da nimm!“ Er reichte Blücher einen Brief mit dem königlichen Siegel. Blücher nahm ihn, machte ihn schnell auf, flog den Inhalt durch, wurde plötzlich ernst und nahm sein Glas. „Auf das Wohl Seiner Königlichen Majestät!“ sagte er kurz. „Er soll leben! Und wir auch – wofern wir nicht für ihn sterben dürfen!“ „Abgelehnt?“ fragte der Postmeister zögernd. „Abgelehnt!“ sagte Blücher kurz. „Abgelehnt zum zweiten Male! Das bedeutet weiter nichts, als daß ich nochmals bei Seiner Majestät mit meinem Gnadengesuch vorstellig werde, und dann nochmals und dann nochmals, bis ich damit durchdringe und er mich wieder einstellt. Ich lasse nicht locker! Ist er eigensinnig – bin ich es noch zehnmal mehr! Jetzt kommt aber; es wird schwül hier drinnen! Draußen im Garten atmet sich’s leichter! Ich lasse eine Bowle ansetzen, die euch munden wird wie den Kindern Israels das Manna in der Wüste!“ Er setzte den Hut auf, faßte den Postmeister unter den Arm und ging hinaus, von den beiden anderen gefolgt. 5 AUS DEM NEST HERAUS „Enten waren da, die Masse“, sagte der Rittmeister und zwirbelte seinen Schnurrbart. „Aber sie hatten Glück! Der Nebel wollte nicht weichen, die Sonne machte sich’s bequem! Und der Hund taugte auch nichts! Weiß der Teufel, was ihm in die Nase gefahren war! Der Nebel hatte ihm wohl den Riecher genommen! Denn er stieß direkt mit der Nase auf den Vogel, ehe er ihn gewahr wurde! Der schoß dann wie ein Pfeil davon, und der dumme Köter stand da und glotzte in sein Kielwasser, wie es lustig durch das Schilf rieselte, bis es zu spät wurde und der Vogel untergetaucht war. Keinen einzigen Aufflug brachte er zustande! Keine Möglichkeit, zum Schuß zu kommen! Da mußte ich selbst den Hund machen! Beim nächsten Vogel, den wir aufstöberten, sprang ich ins Wasser und machte ein alles andere denn weidmannsgerechtes Hallo, um ihn zum Aufflug zu bringen! Das gelang nun schon nach Wunsch! Aber alles, was ich vom Vogel bekam, war weiter nichts als sein höhnisches Schnattern und das Rauschen seiner Flügel und, wo er aufflog, eine sonderbare Bewegung im Nebel, die im Dämmerlicht der aufgehenden Sonne Gestalt annahm und zu etwas Menschenähnlichem wurde!“ „Etwas Menschenähnlichem?!“ wiederholte die Frau Rittmeisterin und blickte von ihrer Handarbeit auf. „Ja, eine menschenähnliche Gestalt, eine Nixe, die mich hold anlächelte und die Arme gegen mich ausstreckte. Deine Züge hatte sie!“ „Geh!“ „Auf Ehre! Sie hatte es! Und ich, nicht faul, gleich hinterher, ohne an den morastigen Boden zu denken! Und plötzlich, ehe ich’s mich versah, gab der Grund unter meinen Füßen nach, und im Nu stand ich bis zum Hals im Sumpf!“ „Das geschah dir recht! Warum jagst du Nixen nach!“ „Deine Züge hatte sie!“ „Wer’s glaubt. Dann hättest du’s sicher nicht so eilig gehabt!“ „So eilig sogar, daß es mir fast das Leben kostete!“ „Dein Leben achtetest du stets gering!“ „In dem Augenblick nicht! Ich gab gehörig Hals! Und zum Glück war der Förster nicht weit!“ „Der Hasse?“ „Ja! Im letzten Augenblick kam er hinzu, reichte mir seinen Flintenlauf, und daran konnte ich mich dann so allmählich aus dem Schlamm herausholen! Es hätte aber schief gehen können!“ „Ja, da siehst du, wohin der Übereifer dich führt! Immer mußt du Leben und Gesundheit aufs Spiel setzen, und sei’s nur um eine Wildente – oder, meinetwegen, um eine Nixe zu erwischen!“ „So ist’s! Immer aufs Ganze! Nur so erreicht man etwas!“ „Wenn man nicht das Genick dabei bricht!“ „Darum brauchst du nicht zu bangen! Ich komme nicht um! Ich bin fest überzeugt, daß mir gegeben wurde, im Leben etwas Besonderes zu leisten! Das macht fest gegen Schuß und Hieb! Wenn ich auch manchmal etwas abgekriegt habe –, das Leben hat’s noch nicht gekostet! Zum Krüppel wurde ich auch nicht! Und heute, wo ich bis zum Hals versank und mich kaum noch bewegen konnte, auch heute verließ mich die Zuversicht nicht, sondern ich dachte: ‚Habe ich etwas im Leben zu tun, so bleibe ich wohl am Leben!‘ Und ich blieb! Die rettende Hand war gleich zur Stelle! Das gibt mir Zuversicht. Denn so wie auf der heutigen Jagd, so war mein ganzes bisheriges Leben, seitdem ich den Dienst quittierte. Bis zum Hals im Schlamm versunken, ohne Möglichkeit, mich zu bewegen, wenn nicht bald die Hilfe kommt, mich aus dem Sumpf herausbringt, mich wieder als Soldat einstellt und mich mittun und mitleben läßt! Denn so wie jetzt geht’s nicht weiter! So komme ich um! So versumpfe ich ganz und gar!“ „Warst du denn so unglücklich mit mir?“ „Wie kannst du nur fragen? Saumäßig wohl war’s mir die ganze Zeit! Ein stolzes Gefühl, als freier Herr auf eigenem Grund und Boden zu schalten und zu walten und zu sehen, wie wir vorwärtskamen und uns wohl dabei standen! Ich trug schon die Nase gehörig hoch bei all der Anerkennung, die mir von allen Seiten zuteil wurde! Das leugne ich gewiß nicht! Aber das ist gewesen, und das soll mich von nichts mehr abhalten dürfen! Alles hat seine Zeit! Das mußte auch erlebt sein, und das habe ich erlebt! Das genügt aber nicht! Das erfüllt mein Leben nicht! So schlafe ich ein, geistig wie leiblich. Und das darf nicht sein! Ich habe den Trieb, mich weit darüber hinaus zu betätigen, und wenn’s mir das Leben kosten sollte! Vorwärtsstürmen aufs Unmögliche los, um es möglich zu machen und auch andere dazu treiben! Das habe ich! Das kann ich! Ob’s der Abenteurer ist, der mir im Blute liegt – ob’s weiter nichts ist als purer Leichtsinn –, jener Trieb muß befriedigt werden, oder ich krepiere!“ Die Frau Rittmeisterin blickte auf. „Man soll das Leben nur für etwas einsetzen, was des Lebens wert ist!“ „Wer nicht bereit ist, es stets und immerdar für seine Sache einzusetzen, wie gering sie auch anderen scheinen mag, der ist nicht wert, zu leben!“ „Du wirfst es aber hin, wie wenn du Geld auf eine Karte setzest.“ „Und gewinne es zehnfach wieder!“ „Wenn du nicht Pech hast, wie meistens – Pech beim Spiel, Pech auf der Jagd, Pech in der Liebe –“ „Wie kannst du das sagen?“ „Wieso nicht?! Wo du mit einer Frau leben mußtest, die dir weiter keine Empfindungen eingeben konnte als das Gefühl, an ihrer Seite im Sumpf zu versinken!“ „Verdrehe meine Worte nicht! Versteh mich recht: ich fühle mich zurückgesetzt, ausgestoßen, zu nichts nutz! Bloß als Brotverdiener auf der Welt und weiter nichts! Mein Leben geht dahin, und ich leiste nichts! Die Zeit schwindet, und ich stapfe noch immer auf demselben Fleck! Wenn ich sehe, wie weit es meine ehemaligen Kameraden inzwischen gebracht haben – –“ „Da solltest du dem Himmel danken, daß du des Königs Rock beizeiten auszogst! Denn das machte dich zum freien Mann und erhielt deinen Sinn unabhängig! Gott behüte, daß du heute da stehen solltest, wo deine Kameraden jetzt sind. Keinen Schritt könntest du machen ohne Befehl –, keine Bewegung außer der reglementierten! Das kannst du aber jetzt –“ „Das kann ich jetzt erst recht nicht, wo ich die Rücksicht auf die Familie und auf unser täglich Brot über alles andere stellen muß. Ich ziehe jedenfalls das soldatische Reglement dem der Ehe vor! Verzeihe mir, aber es mußte einmal klar und deutlich ausgesprochen werden.“ „Ich glaube,“ sagte die Frau Rittmeisterin, ohne die geringste Bewegung zu verraten, „ich glaube, daß unsere Ehe dir genug Bewegungsfreiheit für deine persönlichen Neigungen ließ. Jedenfalls nahmst du sie dir mehr als reichlich!“ „Das tat ich! Und das hätte ich auch als Offizier getan. Ich war dumm, als ich den Dienst quittierte!“ „Du warst weder dumm noch klug, du warst ein aufrechter Mann. Und niemals habe ich dich mehr geliebt als in dem Augenblick, wo du Manns genug warst, deine Würde zu wahren. Denn Unrecht geschah dir, als ein Fürstensprößling dir vorgezogen wurde, der dir sowohl an Meriten wie an Dienstjahren nachstand. Und du tatest recht, als du dem König daraufhin deinen Degen vor die Füße warfst! Jetzt aber, wo du jahraus, jahrein dem König schreibst und ihn um Wiedereinstellung als Offizier anbettelst, jetzt schäme ich mich deiner! An die zehnmal schriebst du ihm! An die zehnmal gab er dir den Fußtritt, der dir ob solchen kläglichen Gewinsels gebührte!“ „Hör auf!“ „Hörtest du wohl auf mit deinen Bettelbriefen? Schriebst du nicht unter jeden Brief: ‚in allertiefster Devotion ersterbend, Eurer Königlichen Majestät alleruntertänigst gehorsamer Knecht‘? –“ „Phrasen, weiter nichts!“ „Habe ich einen Phrasendrescher zum Mann genommen? Habe ich einem alleruntertänigst gehorsamen Knecht die Hand gegeben, der ‚in allertiefster Devotion erstirbt‘? Oder war’s ein Mann, der aus Ehrgefühl zum Rebellen werden konnte?“ Er nahm sie in seine Arme und küßte sie herzlich. „Halte dich nicht über Äußerlichkeiten auf. Der althergebrachten, von der Gewohnheit, oder sagen wir: vom Zeremoniell geheiligten Form muß ein jeder genügen, hoch oder niedrig, der sich dem Träger der Krone naht! Das ist weiter nichts als eine Redensart!“ „Mag sein! Aber eine Redensart, die entwürdigt. Ich würde mich schämen, sie zu gebrauchen!“ „Und ich –, ich schreibe sie ihm nochmals und nochmals, bis er nachgibt und mir meinen Willen tut. Wenn ich bloß ans Ziel komme, wenn ich erreiche, tätig sein zu können, was kümmert’s mich, wie ich dazu komme? Jeder Weg ist mir da recht! Und wäre er noch so holperig, ich gehe ihn doch ohne Zögern! Das ist nichts als einfache Pflicht, der Macht gegenüber, die mir anheimgab, eine Aufgabe über das Alltägliche zu suchen! Und daran hindert mich nichts – deine Verachtung nicht, und erst recht nicht dein Schelten! In einem gebe ich dir aber jetzt recht: das Schreiben von Bittgesuchen war dumm! Das werde ich künftig lassen. Es gibt andere und bessere Wege! Wo ich Deputierter der Landschaft bin, kann ich auch so an den König heran. Das nächste Mal, wenn er hier Revue abhält, sorge ich dafür, daß ich die Landschaft vertrete. Da bedarf es keines Audienzgesuches! Und das Weitere wird sich ergeben. Aber von meinem Vorhaben lasse ich nicht ab. Soldat bin ich mit Leib und Seele, und Soldat bleibe ich! Du sollst es schon sehen: eher als du denkst, wirst du als Frau Majorin aufwachen!“ „Gott verhüte es! Dann müßte ich unser schönes Groß-Raddow verlassen und in der Garnisonsstadt leben!“ „Das schon!“ „Das wäre mein Tod! Das kann ich nicht! Ich würde ersticken. Ich würde ohne Licht und Luft zugrunde gehen! Bin ich dir denn kein Opfer wert? Ist dir der Traum, dem du nachjagst, mehr als eine ruhige, gesicherte Wirklichkeit an meiner Seite? Wozu jetzt noch einmal dein altes Leben von vorne anfangen? Vierzehn Jahre warst du schon außer Dienst, und du bist nicht mehr der Jüngste, hast nicht mehr das Ungestüm der Jugend, das vorwärts über alle Hemmnisse hinwegtreibt. Du wirst nur Enttäuschung über Enttäuschung erleben und bitter bereuen, unser Glück um ein Hirngespinst geopfert zu haben. Du hast ja ohnehin Tätigkeit übergenug! Hast ja die Güter – unser schönes Groß-Raddow und Sassenhagen, das du eben angekauft hast! Ein ganzes Leben brauchst du, um die hochzubringen. Wie kannst du nur daran denken, daneben noch als Offizier zu dienen? Entweder die Güter werden vernachlässigt, oder der Dienst wird es!“ „Dann lieber die Güter“, dachte der Rittmeister. „Die kann man ja verkaufen, wenn sie im Wege sein sollten!“ Aber er sagte es nicht laut. Er sah, wie sie mit ganzer Seele daran hing, ihr Leben in der bisherigen Weise weiterleben zu können, dachte an ihre zunehmende Kränklichkeit, fühlte ein menschliches Rühren, wurde großmütig, opferbereit und schwang sich sogar auf, den Verzicht auszusprechen. Das beruhigte sie. Aber er selbst fühlte, als hätte er seiner ureigensten Natur Gewalt angetan und das Heiligste verleugnet. Ein brennendes, fieberndes Verlangen nach dem großen Abenteuer seines Lebens, das er haben mußte, wenn er nicht elendiglich verkümmern sollte, bemächtigte sich seiner ungestümer denn je und ließ ihm keine Ruhe mehr. * In Sanssouci endete zu gleicher Zeit ein einsamer Mann, von Arbeit ermüdet, von Krankheit zerrüttet und von aller Welt verlassen. Ein Leben erlosch, das Kampf gewesen war, Kampf und Sieg gegen eine ganze Welt – ein Leben voll treuester Pflichterfüllung und Strenge gegen sich selbst und alle anderen. Der alte Adler starb und schloß seine Augen für immer. Ein Aufatmen –, ein Gefühl der Erleichterung ging durch das ganze Volk. Die wenigsten gedachten bei der Todesbotschaft der großen Lebensleistung, deren Zeugen sie gewesen waren. Die erlittene Bedrückung zitterte noch bei allen nach. Auch nach Pommern drang rasch die Kunde des großen Ereignisses. Hier wie dort im ersten Augenblick ein Aufjauchzen, das die Größe dessen, der zu Grabe getragen wurde, total verwischte. Auch Blücher ging es nicht anders. Aber zugleich fühlte er etwas wie ein Rauschen großer Flügel um sein Haupt und wurde von einer seltsamen Empfindung beschlichen, als sei ihm ein Erbe überkommen. „Jetzt ist’s vorbei mit dem schmählichen Beiseitestehenmüssen! Jetzt ist meine Zeit da!“ So jauchzte er auf bei der Trauerkunde. Und seine Frau schwieg. Sie sah es ein, daß er nicht mehr zu halten sein würde. Der stille Verbündete, den sie in dem alten König gegen ihn gehabt hatte, war nicht mehr! Keine Macht gab’s mehr auf Erden, die seinen Tatendrang, der stets ihr Eheglück sprengen wollte, eindämmen konnte! Sie mußte es über sich ergehen lassen, wie es auch kommen würde! Und Tränen der Wehmut, nicht des Stolzes, waren in ihren Augen, als sie beim darauffolgenden Durchzug des neuen Königs durch Stargard ihren Mann, hoch zu Roß, in der kleidsamen Uniform der pommerschen Landschaft, dem königlichen Wagen voraussprengen sah. Und auch als er siegestrunken zurückkehrte und ihr vom Gelingen seines Unternehmens und von der Audienz beim Könige erzählte, sowie von dessen gnädiger Zusage, ihn bei Gelegenheit mit voller Anciennität als Major in sein altes Regiment wiedereinstellen zu wollen – auch dann vermochte sie nur mit Mühe die qualvollen Seufzer niederzuhalten, die sich ihrer Brust entringen wollten. * Einige Jahre später stand er vor ihr in ihrer kleinen Wohnung im pommerschen Städtchen Rummelsburg, hatte den Feldzug in Holland hinter sich, hatte den Verdienstorden um den Hals und war im Begriff, sich wieder von ihr zu verabschieden, um in den Krieg gegen Österreich zu ziehen. Er sah ihre bleichen Wangen, ihr abgezehrtes Gesicht, ihren müden Blick, sah mutlose Resignation in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und sein Herz schnürte sich zusammen. Seinem Beruf zuliebe hatte sie auf das Landleben verzichtet. Ihre Güter, an denen sie hing, die aber aus der Entfernung nicht bewirtschaftet werden konnten, waren verkauft. – Groß war das Opfer, das er von ihr verlangt hatte – er sah es ein. Aber er hatte nicht anders handeln können. Und jetzt galt es wieder Abschied nehmen. „Diesmal wohl für immer“, sagte sie wehmütig lächelnd. „Ich dachte es schon damals, als du in den holländischen Feldzug gingst. Und einmal muß es ja sein! Es ist ja auch besser so. Ich sehe es ein – ich bin dir im Wege und muß fort. Ich beklage mich nicht. Du warst immer gut, immer lieb zu mir. Du kannst wohl aber nicht aus deiner Haut heraus. Dein Beruf muß dir ja über alles gehen, und mir kommt es zu, ihn nach Kräften zu fördern. Ich gehe also hinüber zu den Kindern! Es muß auch nach ihnen geschaut werden! Sie rufen mich schon oft, viel lauter als die Lebendigen. Bleib du denen ein guter Vater. Und hab’ Dank für alles. Es war schön mit dir. Und wenn ich nochmals mein Leben anfangen könnte, ich würde dich wieder nehmen!“ Er schloß sie in seine Arme und küßte sie. Seine Tränen mischten sich mit den ihren. Dann riß er sich los, eilte hinaus, stieg in den Sattel und zog an der Spitze seines Regiments sang- und klanglos zur Stadt hinaus. „Wenn i kumm, wenn i kumm, wenn i wiederum kumm – –“ summte er dabei leise das alte Lied. Als er aber wiederum kam – da war die Hochzeit gewesen. Ein anderer Freier, der nirgends ungehört anzuklopfen pflegt, hatte ihr das Brautbett gerüstet und sein Liebstes in kühler Erde zur letzten Ruhe gebettet. Die Kinder kamen zu den Großeltern, und nichts war mehr da, was ihn fesselte. Der junge Adler war aus dem Nest heraus und hob seine Schwingen zum Flug. 6 DER SOLOFÄNGER NUMMER EINS Der Sachse Häberlein von der Schwadron des Majors von Planitzer nahm im ganzen Regiment der roten Husaren so etwas wie die Stellung eines Orakels ein. Er konnte lesen wie ein Schriftgelehrter, er schrieb und rechnete wie der geriebenste Kriegskommissar und gehörte auch nicht zu jenen Zaghaften, die ihr Licht unter den Scheffel stellen! Der Strom seiner Rede war wie ein brausender Wasserfall, seine Gier nach Neuigkeiten hörte nimmer auf – mit allem, was sich auf Erden zutrug oder zutragen konnte, wußte er besser Bescheid als ein Bataillon von Klatschbasen. Wo das Regiment auch biwakierte, spürte er sofort das Platzorakel oder wenigstens eine Zeitung auf und war sofort über die politische Konstellation des Tages unterrichtet. Hätte er die Fäden der hohen Diplomatie in Händen gehabt, Europa hätte anders ausgesehen, und das Königreich Sachsen erst recht. Nun hatte er leider Gottes nur die Gesamtdiplomatie seiner Schwadron zu führen, und er tat es mit einer Geduld und einem Opfersinn, der nur von seiner unersättlichen Neugier übertroffen werden konnte. Zu dieser Geheimdiplomatie gehörte vor allem die heikle Aufgabe, den des Schreibens Unkundigen – und sie waren in der Mehrzahl – die Briefschaften ihrer Familienangehörigen zu entziffern und sie, gegen ein geringes Entgelt für Tinte und Papier, nach den Wünschen der von solchem Ereignis Betroffenen zu beantworten. Insbesondere profitierte von diesen seinen unschätzbaren Eigenschaften sein Nebenmann rechts, der Wasserpole Gajewsky, der in jedem Nest, wo die Schwadron durchkam, eine Braut sitzen hatte, die auf das hehre Eheglück polnisches mit ihm wartete und entsprechend vertröstet werden mußte. Ohne Dolmetscher war aber auch er außerstande, diesen Trost zu spenden. Denn er war aus edelstem Schlachtschitzenblut, hatte Ahnen bis ins Blaue hinein und entstammte einem uralten polnischen Hause, das einst, in den Tagen des Glanzes, über Tausende von Seelen geherrscht hatte, jetzt aber kaum noch der eigenen Seele Herr war. Denn dessen Mitglieder, über sotane Künste erhaben, ließen sich nimmermehr herab, sich mit Lesen oder Schreiben oder irgendeiner Art von Buchgelehrsamkeit abzugeben – was ja in besseren Häusern stets zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Beichtvaters zu gehören pflegte. Als Edelmann hatte er ja alle Hände voll zu tun, die Herzen zu brechen; am Spieltische wurde nicht gerechnet; war die Tasche leer – und sie war es meistens –, so hatte er die glänzendsten Revenuen aus den im Monde gelegenen Stammgütern zu erwarten, pumpte darauflos, solange sich gläubige Seelen fanden, leerte den Becher, solange der Wein floß, ließ die Würfel rasseln, küßte die schönen polnischen Weiber und was ihm da noch von anderen Rassen mit unterlief, und balgte sich nach Herzenslust mit den Nebenbuhlern herum. Heute zwirbelte er melancholisch seinen blonden Schnurrbart und hörte kaum auf das, was der brave Sachse ihm vorschwefelte. Man hatte ihn gewaltsam aus den Armen der Liebe gerissen, die im letzten Kantonnement besonders weich und wohlig gewesen waren – hatte ihn in Marsch gesetzt, mit der gesamten Schwadron hierher in den Hinterhalt gelegt, wo sie in aller Herrgottsfrühe aufmarschieren und immer noch auf Befehl zur Attacke warten mußten. Noch brannte der letzte Kuß auf seinen Lippen, die nicht einmal Zeit gehabt hatten, mit dem üblichen Schwur ewiger Treue im Augenblick der Trennung zu quittieren. „Is sich nichts als purer Niddertracht, Panje Blücherr seiniges“, knurrte er verdrießlich. „Ruft sich aus Quarrthier der Hund, ech sich hat der Hahn gegackert!“ „Is ä Sauerei, der kanze Griech!“ pflichtete der Sachse bei. „Denk ich: Mordio, will sich gebben Monsieur Ohnehos Rendezvous zeitiges cheute! Werrd ich lerrnen ihm fallen Husar polnisches unter Küsse seinige! Hat sich gerufen: pascholl! In die Sattel! Tatarata! Und dann Nitschewo! Ahles nix! Nix Feind! Nix dreinhauen! Nix Küsse! Betrug hundsgemeines!“ „Eja, freilich!“ krähte der Sachse. „Nichts als ä unnütze Lauferei, der kanze Griech! Mir siechen und siechen und siechen! Mir nähmen dem Franzosen Ganohnen, Kefangene, Pakasche, – alles! Mir hauen ihm in die Pfanne! Gaum aber looft er, da loofen mir egal ooch! Aber nich hinterher, nee, zurücke loofen mir und gucken in den Rhein, wie sein Wasser ooch davonlooft, und freien uns dann gechenseitig, – der Vater Rhein und mir! Wie mir aber mit der Medode nach Baris gommen dhun, wees der Gugguk!“ „Bischt ebens a Subalterner!“ fiel ihm sein Nebenmann, der wortkarge Schlesier Landeck, in die Rede. „Host nischts zu wissen! Maul holten, dreinhauen, ist oalles, woas du nötig host!“ „Dreinhauen, jawohl! Aber ’s Maul halten, nee, nu äben nich! Und morgen ooch nich! Duht’s unser Pliecher etwa? Hält der ’s Maul? Reißt er’s nicht uff wie ’n Nilpferd, verdonnert die schockschwerenotverdammten Österreicher, die uns egal immer unsere Fikdorien versauen, daß es eine Schande ist?! Pakasche! Schweinebande, hundsmiserable! Egal räumen sie irgendwo eine Lienje, und mir müssen mit! Gaum hamm mir uns irgendwo recht scheene einkerichtet, da müssen mir wieder raus!“ Der Schlesier tat wieder sein Maul auf. „Host auf die Österreicher nich zu schimpfe! Bischt aus Sachsen; schimpf auf die Preußen, bei dena du dienscht!“ „Die Preußen, eja, freilich! Die gennen mir ooch was! Da hätten mir ooch die Nase dicke voll von!“ „Is sich blasiert derr Preuß!“ warf der Pole ein und zwirbelte seinen Schnurbart hoch. „Frißt sich zu vill – liebbt sich zu wennig! Wird sich faul und dumm!“ „Und pequem!“ eifert der Sachse. „Guck ä mal bloß die meerschten von den Offiziers an! Ih, du Kieticher, ist das een Fuhrwerken, eh so ’n oller dicker Major in den Sattel gommt! Und sitzt er endlich mal drinne, dann schreits: ‚Mei Güchenwaachen!‘ und das ist nun allemal das erschte. ‚Wo ist mein Güchenwaachen, Ginner? Wo steckt er bloß? Gönnt ihr ihn nicht sähn?‘ Da muß unserm Pliecher so ’ne Arche Noah von einem Güchenwaachen bloß in die Quere gommen! Der versteht’s! ‚Ausspannen! In den Graben werfen! Pferde vor die Ganohnen!‘ Der schafft’s! Mordselement!“ „Ja, der hot’s! Aso a Teiwelskerl is dos!“ stimmte der Schlesier bei. „Heut fiel er wieder vom Färd!“ flüsterte der Sachse. „Baßt ä mal uff, Ginner, des giebt wieder eene Sache! Wenn der vom Färd fällt und wieder hochgommt, da setzt’s allemal Schläge für den Feind und Fikdoria für uns! So ist’s immer kewäsen, da gönnt ihr Kift druff nähmen, und des stimmt, als wie zwee mal zwee is finfe!“ Der Pole machte runde Augen. „Fill sich vom Ferrd, der Panje Blüchherr, saggst du?“ „Kopfieper runterkesaust!“ „Habb ich nicht gesehhen!“ „Siehst äben bloß, wo die Weibsbilder fallen!“ Der Pole lächelte martialisch. „Hatt sich gebrochen Genick seiniges, der Panje Blüchherr?“ fragte er. „Wo wird er wohl?!“ „Nu, wo werrd ich denn sehhen? Weiß ich doch: hat sich ein Schweineglück, der Panje Obberst!“ „Ein Schweineglück“, wiederholte der Sachse. „Hättest ihn sähn sollen, wie sein Färd rücklings in den Kraben trat! Wie ’ne Stahlfeder schnellte er aus dem Sattel auf den Weech rauf! Wie ’ne Gerze stand er vor der Front ohne eene eenzige Schramme – wo er doch von Rechts wegen mit gaputte Gnochen unterm Färd liegen mußte!“ „Er is gefeit“, sagte der Schlesier kurz und bündig. „Oof ihn beeßt kee Stich, kee Hieb. Die Kugeln biegen vor ihm aus. Und wenn a fällt, fällt a imma hinoof. Fällt a as Oberscht, kommt a as General hoch! Fällt a as General, kommt a as Feldmarschall wieder in den Sattel!“ „Nu äben!“ lachte Häberlein. „Warum nicht ooch? Wenn der Schläsier sein Maul uffdhut, da nimmt er’s allemal dicke voll!“ Der Schlesier sagte nichts. Er saß nur da, wieder wie eine Statue, ohne eine Miene zu verziehen, und blickte geradeaus. „Unheimliches Kerl!“ dachte der Pole fröstelnd. Denn es war noch früh im Mai und das Gruseln leicht. Bum, schossen drüben die Franzosen. Bum, Bum! Ihr Feuer lag links auf Neustadt zu, wo die Hauptmasse der Blücherschen Truppen jetzt herauskam und auch zu kanonieren anfing. Aber eine Kugel fand auch den Weg nach rechts, über den Wald, wo die Planitzer lagen, warf Steine und Sand über die Reiter und dem Sachsen ins Maul, da er’s eben auftat. Er aber geschwind die Bescherung ausgespuckt. Und hinterher brauste seiner Rede Strom mit doppelter Gewalt. „Nu saacht ä mal bloß: Was hat wohl der Alte mit uns vor? Mir stampfen hier egal uff eenem Fleck und lassen uns mit Dreck schmeißen! Warum nähmen mir nich dem Kroppzeug drüben die Ganohnen wech? Die schiessen ja wie die Schweine! Am Ende treffen die ooch noch! Und dann ade reiten! Een, zwee!“ fing er an, die Schüsse zu zählen. „Des reene Salutschießen! Akrat wie in Billnitz, wo wir mit den Rekruten durchkamen und die Maschestäden ooch da waren! Eja, des war scheen! Der Geenich von Sachsen, der Geenich von Preißen und der Gaiser Leopold ooch noch, Gott hab ihn sälig! Und hinter ihnen her der ganze Schwanz von hohen Herren und Gonfusionsräden! Die machten nu fix een Gollech um den grünen Disch rum, zogen die Schlafmützen feste ieper die Ohren runter und taten damit dicke, wie sie den lieben Gott wieder in Frankreich einsetzen wollten und den Geenich Lurwich ooch! – Und des war nu nichts als wie ’n Schpadziergang, und des hamm sie nun verbrieft und besiegelt und begossen und waren noch lange nicht mit der Beschärung fertig – da hat der Franzos die Frechheit und erklärt uns den Griech und haut seinem Lurwig den Döskopp ab und ist ieper die Krenze, ehe die Gonfusionsräde wach wurden! Nich ä mal ä Griechserklärung hamm sie fertig gebracht – nicht mal im Traum! _Die_ gennen nu die Franzosen wieder alleen rausschmeißen – die Gonfusionsräde! Mir dhuns nimmer mehr, wenn mir so weiter siechen!“ „Is sich ein Schweinewirtschaft hundsmiserables!“ stimmte der Pole bei. „Mir Roten sind schon parat – daran fehlt’s nicht! Da ist schon unser Oberst hinterher wie der Deibel! Bei den Hufschmieden, in den Gammern, auf den Futterböden – ieperall hat er hineingerochen! Mundierung und Sattelzeug, Pulver und Blei – nach allem hat er gesähn, und daß die Glingen scharf geschliffen sind, war ihm allemal die Hauptsache! Mir sind parat! Aber die anderen! Die Räde und – nun, ich will nichts gesagt haben – _der Geenich ist ja een kuter Mann_ – een seelenkuter Herr! Wo er aber zu schpät Geenich wurde – nachher steht ooch alles andere im Lande zu schpät auf! Beim Gaiser Leopold ooch! Na, nu ist er ja tot, und dakechen ist nichts zu sagen! Aber sein Läben lang dachte der nicht daran, Gaiser zu werden – der steckte dicke drinne im fetten toskanschen Getreidegeschäft und war een kuter Mann! Da stirbt der Bruder, und er muß auf den Thron! Na, nu ist er das Älend ooch los, und sein Sohn kann seine Leute mit Mehlspeis und Backhändl füttern, bis ihnen die Bäuche platzen! Hättest drüben bei den Österreichern bleiben sollen, Schläsier, wo du schon warst!“ „Mei Atzung find’ ich ieberall!“ entgegnete der Schlesier. „Nun wenn schon – warum suchst du sie denn gerade hier bei den Preißen, bei den Hungerleidern?“ „Was suchen die Sachsen und die Polen dahier? Am Ende wollte ich nur sehen, wie mir der rote Dolman sitzt, wo ich doch dahier im selbichen Rechiment schonn den schwarzen trug!“ „Nun schlag einer lang hin! Wo _mir_ schwarz waren, bist du ooch mit kewäsen?“ Der Schlesier saß da wieder wie in Erz gegossen und antwortete nicht! Bum! schossen die Franzosen vor Kirrweiler. Bum! sekundierte eine andere Kolonne, die mehr rechts, durch Edenkoben herauszukommen begann. Die Kugeln kamen jetzt von rechts und von links. Die Leute wurden unruhig, die Pferde tanzten hin und her. „Is sich ein verdammtes Schissen!“ knurrte der Pole. „Wär’ ich Obberst, hätt’ ich gebben längst Siggnall!“ „Ihr Polen habt’s immer eilig mit dem Überlaufen!“ sagte der Sachse anzüglich. „Ihr liebt den Franzmann! Wenn ihr mit ihm Hiebe tauscht, denkt man, es sind Gomplimente!“ Der Pole wollte antworten. Da bliesen endlich die Trompeten zur Attacke, die Roten sausten aus ihrem Hinterhalt heraus und begriffen jetzt, warum ihr Oberst sie so lange hatte warten lassen. In die Flanke der Kolonne, die über Kirrweiler vorgedrungen war, ging es mit schwindelnder Fahrt. Hier riß eine Kanonenkugel eine breite Bahn durch die vorstürmende Masse – dort sank mancher Reiter, von einer wohlgezielten Flintenkugel getroffen, aus dem Sattel. Aber die Lücken klafften nur einen Augenblick, dann schlossen sich die Glieder, vorwärts fliegend, und die Roten waren drüben und droschen mit ihren Säbeln auf die Köpfe der „Ohnehosen“, daß es nur so eine Art hatte. Der Schlesier, der Sachse und der Pole wetteiferten mit den anderen im blutigen Handwerk und hieben und stachen und bekamen manche Schramme ab. Es war ein Gewühl, ein Gedränge, ein Stampfen, ein Wiehern, ein Röcheln der Sterbenden, ein Fluchen und Schreien, ein Schmettern der Trompeten. Lange währte es nicht, da war der Widerstand gebrochen, die Kanonen genommen, die Franzosen in voller Flucht und die Roten hinterher – wie die Apokalyptischen Reiter, Tod und Verderben in die Reihen der Fliehenden säend. Durch das Dorf Kirrweiler ging es auf Frischlingen zu, wohin alles in voller Auflösung floh. Die wilde Jagd folgte – allen voran Blücher selbst, alles anfeuernd und vorwärts drängend. Mit ihm noch mehrere Züge brauner Husaren, die jetzt ihren roten Kameraden halfen, den Sieg zu vollenden. Dann sauste Blücher mit ein paar Schwadronen noch rasch nach rechts gegen Edenkoben hin, um der darüber hinaus vorgestoßenen französischen Kolonne in die Flanke zu fallen und auch ihr die Kanonen abzunehmen. Es gelang nach heftigem Kampf mit der feindlichen Infanterie. Die Franzosen wurden auch da in das Dorf zurückgeworfen und in den engen Gassen, wo sich alles staute, kurz und klein gehauen. Das Schlachtfeld war weit und breit mit gefallenen und verwundeten Feinden besät. Blücher triumphierte. Am Morgen, als ihm das Anrücken der Franzosen gemeldet worden war und jene ihre Tirailleursketten ausschwärmen ließen und mit der Kanonade anfingen, da war sein General und Prinz Hohenlohe zu ihm geritten, hatte ihm geraten, sich lieber vor der Übermacht auf Neustadt zurückzuziehen, ihm aber freie Hand gegeben. Blücher, dem der rechte Flankenschutz der preußischen Armee oblag, dachte nicht einen Augenblick daran, zu retirieren, sondern nahm den Kampf mit der Übermacht auf. Und das Glück war ihm hold. Mit Kavallerie allein gewann er einen glänzenden Sieg über ein ganzes Armeekorps, schlug es entscheidend, nahm ihm Kanonen, Munition, Gefangene und Pferde ab, und verbesserte so nicht nur seine eigene Stellung, sondern auch die der ganzen preußischen Armee. Die Belohnung blieb nicht aus. Nach kurzer Zeit traf seine Beförderung zum Generalmajor ein. Und zugleich wurde er Chef des Roten Husarenregiments, des früheren Bellingschen, in dessen Reihen sein ganzer Aufstieg erfolgt war, und das von nun an nach ihm benannt werden sollte. Als frischgebackener General nahm er dann seinem Regiment die Parade ab. In langer Front standen seine Braven, Schwadron an Schwadron – die Pferde mit den Köpfen wie nach der Schnur aneinandergereiht, in steter Bewegung und ungeduldig auf die Trensen beißend, daß der schneeweiße Schaum im Winde flog. Prächtig leuchteten die roten Dolmans gegen das helle Vorsommergrün. Und als auf Kommando die Säbel aus den Scheiden flogen, um den Chef zu salutieren, züngelte ein tausendfacher Blitz über das Feld. Es war ein prächtiger Anblick, und wohl dazu angetan, das Herz eines rechten Soldaten zu erfreuen. Dann kam der neue Chef heran in vollem Galopp, schlank wie ein Jüngling, stolz wie ein Sieger. Spielend leicht lenkte er sein Pferd mit gewaltigem Sprung über die das Feld umschließende Hecke und hielt jäh an, gerade vor der Schwadron des Majors von Planitzer, wo auch der gute Sachse Häberlein seinen Kopf noch aufrecht hielt, aber von unzähligen Binden zu einem dicken weißen Knäuel verunstaltet, durch den sein sonst so rühriges Mundwerk zur Untätigkeit verdammt wurde. Die dunkelblauen Augen Blüchers blitzten vor Freude, als sie die Reihen seiner kriegserprobten Kämpfer überflogen. „Guten Morgen, Husaren!“ rief er mit weithin schallendem Baß. „Guten Morgen, Exzellenz!“ kam es aus den Reihen zurück, daß es nur so donnerte. „Ich freue mich, euch zu sehen!“ setzte er die Rede fort. „Ihr habt euch immer brav gehalten! Ich habe mich auch gefreut, Seiner Majestät melden zu können, daß ihr unter meiner Leitung schon elf Kanonen, sieben Munitionswagen und fünf Fahnen erobert und einen Generalleutnant, hundertsiebenunddreißig Offiziere, dreitausenddreihundertsiebenundzwanzig Mann, elfhundertvierunddreißig Pferde gefangen habt, sowie, daß kein Offizier des Regiments in Gefangenschaft geriet und kein Unteroffizier gefallen ist. Seine Majestät haben daraufhin geruht, mir selber zu schreiben, haben mir den Roten Adler verliehen, mich zum Generalmajor und zum Inhaber des Regiments gemacht, außerdem mich beauftragt, euch seine Allerhöchste Zufriedenheit auszusprechen. Eurer Tapferkeit und eurem unwiderstehlichen Mut verdanke ich diese Ehrungen, die euch allen in meiner Person zuteil werden. Kinder, ihr habt euch einen guten Namen gemacht! In der ganzen Armee achtet man die Roten Husaren, und der Feind fürchtet sie! Ich bin stolz auf euch und freue mich, daß das Regiment von jetzt ab meinen Namen führen soll! Das eine merkt euch aber: ein Blücherscher Husar _stirbt_, aber er _kapituliert nicht_! Seine Parole ist: _immer vorwärts_ und _nimmer zurück_! Sein höchster Stolz: Blut und Leben für König und Vaterland opfern zu dürfen! So wollen wir’s halten, und das geloben wir, indem wir rufen: Seine Majestät, unser allergnädigster König und Herr, er lebe hoch!“ Donnernd brausten die Hochrufe über das Feld, die Fahnen senkten sich, die Tambours schlugen den Generalmarsch. Der rangälteste Offizier schickte sich eben an, im Namen des Regiments zu danken und Glück zu wünschen. – Da löste sich aus dem ersten Gliede der Schwadron von Planitzer eine Gestalt und kam langsam und feierlich auf den General zugeritten. Er scherte sich nicht das geringste um das Entsetzen der Offiziere und Mannschaften, schreckte auch nicht vor dem zornigen Blick zurück, der ihm aus den Augen Blüchers entgegenblitzte, er zuckte mit keiner Miene, ritt bis dicht vor den General heran, salutierte mit dem Säbel und sprach ohne das geringste Zittern in seiner Stimme: „Holten zu Gnaden, Exzellenz, wenn ich vorwitzig bin und mich vor Dero Antlitz dervorwage! Wo aber Dero Exzellenz heut eene geworden sind, und ich an de Sache nich aso ganz unschuldich bin, mecht ich alleruntertänichst melden, daß ich ooch meine ganz besondere Freide an Dero Erhebung habe!“ „Wieso, mein Sohn? Was meinst du damit? Sprich aus, was du auf dem Herzen hast!“ antwortete Blücher, dessen Augen anfingen, schelmisch zu leuchten. Sonst von unerbittlicher Strenge beim geringsten Verstoß gegen die Disziplin, war er heute gern gesonnen, ein Auge zuzudrücken, wenn keine Böswilligkeit vorläge. Und der Bursche, der einen ernsten, soliden Eindruck machte, hatte wohl einen besonderen Grund zu seiner Dreistigkeit. „Wieso meinst du, daß du an der Sache nicht unschuldig bist?“ fragte der General nochmals. „Weil Dero Exzellenz ohne mei Derzwischenkumma nich General geworden wären!“ „Sieh nur! Sieh nur! Du hast denn wohl beim Könige eine Fürbitte für mich getan?“ „Zu Befehl nein, Exzellenz! Ich hob den Keenig aber daderzu derholfen, aus dem Oberschten Blücher oanen General zu mache!“ „Da soll der Donner dreimal dreinschlagen! Du bist dreist, Bursche!“ „Ich sage nur die Wahrheet: Und die Wahrheet is, daß der Keenig, ohne den Oberschten Blücher zu hoben, ooch nicht hätte aus ihm a General mache kenna!“ „Da hast du recht, mein Sohn! Nun hatte er mich aber –“ „Nun ja, das hatte er! Und das hat er ebens mir zu danke!“ Blücher blickte ihn groß an. Er fing an, zu begreifen. „Erinnern Dero Exzellenz noch das Gefecht am Kavelpaß? Exzellenz waren dazemal a schwedischer Junker, und ich wie itzt Reiter im Regiment. Den Junker _fing ich_! Ich hoab’s getan! Und aso bekam der Keenig von Preußen den Mann, den er heute zum General machte und wohl noch heeher steigen lassen wird, so Gott will!“ „So Gott will – das war ein gutes Wort!“ sagte Blücher. „Denn daran liegt’s, und so war’s auch am Kavelpaß, denk’ ich! Er wird’s gewollt haben und nicht du!“ Er rieb sich die Nase. „Dein Name?“ fragte er. „Landeck!“ „Landsmann?“ „Aus Esterreisch’-Schlasien!“ Blücher betrachtete ihn forschend. „An dein Gesicht kann ich mich nicht erinnern! Es ist ja auch lange her. Und bei der bewußten Gelegenheit wird mir wohl der Schädel von den vielen Hieben gehörig gebrummt haben! Aber das weiß ich, und darauf kann ich schwören: ein Husar war’s sicher, der mich fing! Und wo du ein Husar bist und wo du behauptest, derjenige zu sein, so bist du’s wohl auch gewesen, dem ich mein Glück zu verdanken habe! Nun erkläre mir aber eins, mein Sohn – denn ein wenig dämmert’s mir doch noch von der Begebenheit –, spricht man noch heute – in Schlesien – _so gut Schwäbisch_ wie damals?“ Der Husar blickte ihn an, ohne zu begreifen. „Der, der mich fing, mein Sohn, der schwäbelte nämlich ganz gehörig, das habe ich mir gemerkt! Nicht nur sein Säbel, auch sein Schwäbisch schlug mir bös um die Ohren!“ Landeck kratzte sich hinter dem Ohr. „Exzellenz,“ sagte er dann keck, „ob ich dazemal schwabbelte, ich weeß es nicht mehr! Das aber weeß ich: ooch in Schlasien gab’s dazemal Schwabben die Masse – nich bloßich in Preußen. Und es gibbt se halt noch, und aso leechte wird se halt nich los, wer se hoat!“ Blücher lachte. „Gut geantwortet, mein Sohn“, sagte er. „Sei’s drum! Du bist mir der Richtige! Du wirst heute mittag einen Löffel Suppe bei mir essen! Und nachher wollen wir miteinander auf den schwedischen Junker anstoßen, den du leben ließest! Den preußischen General können wir dann auch leben lassen! Und nun, mein Herr Solofänger, marsch auf deinen Platz! Und daß du mir nicht noch einmal ohne Befehl aus der Reihe heraus reitest! Sonst brummst du bei Wasser und Brot, und wenn du mich zehnmal gefangen hättest!“ Gesagt – – der Schlesier warf sein Pferd herum und saß im nächsten Augenblick wieder wie vorhin, unbeweglich wie eine Statue und salutierte mit den anderen, daß die Sonnenblitze von den Säbeln nur so übers Feld züngelten, als der neue Chef und Inhaber des Regiments, von seiner Suite gefolgt, die Front abritt. 7 VULKANS SCHMIEDE Es war in Emmerich am Rhein. Der General Blücher hatte, wie gewöhnlich, seinen Abendspaziergang gemacht, um bei seinem vertrauten Freunde, dem Obersten von Pletz, eine Pfeife zu rauchen. Sie saßen unter der Linde am Pfarrhofe, wo der Oberst in Quartier war, schmauchten ihren Knaster in aller Ruhe und Gemütlichkeit, labten sich dann und wann aus den großen Römern mit Rheinwein, lauschten bisweilen auf das Jauchzen der spielenden Dorfjugend und spannen dabei gemächlich ihre Unterhaltung weiter. „Dein Glück war’s“, sagte der Oberst schmunzelnd. „Du fingst schon an alt zu werden.“ „Da schlage der Donner drein!“ „Na, nun bist du ja wieder jung – nun sieht man dir wieder die siebzehn Jahre an, trotz der grauen Schläfen. Aber fast wär’s schief gegangen! Warst schon dicht dran, in die verkehrte Tonne zu springen!“ „Ins verkehrte Ehebett, sag’s nur gerade heraus!“ „Nun ja! Viel hat nicht gefehlt, da wäre es so verrückt gekommen! Weißt du noch, wie du brummtest und fluchtest, als du den Korb von deiner reichen Witwe heimtrugst?“ „Halt’s Maul!“ „Nun – der bist du ja glücklich entgangen! Aber geflucht hast du! Und gescheit hast du gesprochen – zum Kotzen gescheit – rein niederträchtig brav – von deinen armen Kindern, denen mit Gewalt eine Mutter besorgt werden müßte, obwohl sie schon erwachsen waren! ‚Opfern‘ wolltest du dich –“ Der Oberst schlug auf den Tisch; er ereiferte sich immer mehr zum Ergötzen Blüchers. „Man heiratet doch nicht wegen der Kinder, die man schon _hat_,“ schrie er, „sondern wegen denen, die man erst kriegen will! Man nimmt eine Frau, um selbst von ihr gepäppelt und verhätschelt zu werden, nicht aber damit sie anderer Frauen Kinder bemuttern soll! Man fragt nicht nach dem Geschäft, zum Donnerwetter! Man heiratet entweder gar nicht, oder man heiratet eine, in die man so verliebt ist, daß man es _doch_ tut!“ „Hab’ ich das etwa nicht getan?“ lachte Blücher. „Das ist es eben!“ rief Pletz zum großen Gaudium seines Gegenübers. „Das ist es gerade! Du hättest verdient, die alte Witwe heimzuführen, und jetzt hast du – ganz unverdienterweise hast du das große Los gezogen!“ „Trink, alter Brummbär! Nörgler du, hundsgemeiner! Auf die Frauen!“ Blücher erhob sein Glas. „Auf deine Frau!“ antwortete der Oberst, trank aus und machte die Nagelprobe. „Auf dein unverdientes Glück!“ „Glück wird eben nicht verdient!“ sagte Blücher und stellte sein Glas fort. „Man hat’s oder hat’s nicht, je nachdem ob man es zu packen versteht!“ „Nun ja – das konntest du meistens. Aber sonderbar ist es doch, daß du gerade _sie_ – –“ „Nun ja, es _ist_ sonderbar. Und ich kann auch heute noch nicht begreifen, wie so’n junges Ding, das meine Tochter sein könnte – wie sie mich so in ihre Gewalt bekam, wie sie mich im Handumdrehen umkrempeln und zum ordentlichen Menschen machen konnte!“ „Das wollen wir nicht hoffen! Das liegt dir nun gar nicht. Du bist und bleibst schon derselbe Windhund, als den ich dich immer kannte, und daran hat auch sie nichts ändern können. Aber sie gab ihre Jugend her, und das verjüngt. Das ist der einzige wahre Jugendbrunnen für uns alte Leute. Ich verstehe bloß nicht, wie du dazu kamst!“ „Ich auch nicht. Ich war eben zum Mittagessen in ihrem Vaterhause geladen. Und sie saß mir gegenüber am Tisch. Das war alles! Anfangs sah ich sie nicht und blickte kaum hin. Man hatte vorzügliche Speisen und Weine aufgetragen – ich hatte einen Mordshunger und hieb auf die Schüsseln ein, wie sich’s für einen rechten Husaren gehört. Eben war ich dabei, den Flügel eines Kapauns abzunagen, und genoß es so recht von Herzen, da blickte ich so aus Zufall auf und sah gerade in ein Paar große lachende Augen. Ich sah ein Paar Lippen von feinsten geschwungenen Korallen, um die es schelmisch zuckte, die aber verteufelt ernst wurden, als sie sich von meinen Blicken berührt fühlten. Mir wurde es auf einmal, als wäre ich in der Kirche, als wölbe sich ein himmelhoher gotischer Dom hoch über meinem Haupte – als blicke vom Altar die heilige Mutter Gottes liebreich auf mich Sünder nieder. Ich wurde auf einmal so klein, alles, was mich bisher erfüllt hatte, so nichtig! – Wie ein Verbrecher kam ich mir vor, der, von gieriger Lust getrieben, eben im Begriff war, ihren Altar zu berauben! – Vor bösem Gewissen vergingen mir Hunger und Durst – ich dachte an nichts als nur daran: wie ich alles wieder gutmachen sollte! – Ich betete sie an – nein, ich schwärmte, hol’ mich der Teufel, ich glaube, ich hab’s ihr sogar gleich ins Gesicht gesagt und ihr auf der Stelle einen Antrag gemacht! Was ich gesagt habe – wie ich’s sagte, das wußte ich im nächsten Augenblick nicht mehr, und heute noch weniger. Ich sah nur, wie man ihrer Verlegenheit zu Hilfe zu kommen suchte und sie scherzhaft sofort meine Braut nannte. Aber – wer aus dem Scherz schnell Ernst machte – das war ich. Denn ich war verliebt wie des Küsters Kater. Keine vier Wochen dauerte es, dann war sie mein und die Hochzeit gefeiert!“ „So war’s recht! Gleich die Festung stürmen! Nur keine lange Belagerung!“ „Ja, so hab’ ich’s immer gehalten: Immer gleich losschlagen, und nicht erst lange kalkulieren! Wo würden wir hinkommen, wenn wir immer erst auf Befehle warten sollten von Leuten, die sich’s erst zehnmal überlegen und dann noch nichts wagen! Wo alles auf dem Spiel steht – wo’s das Leben gilt, wo’s darauf ankommt, die Sekunde auszunützen, da – hol’ mich der Deibel – wenn ich da nicht zuschlage! Wenn ich aber die zaghaften Kerls sehe, die den Entschluß für das Ganze zu fassen haben, wie die sich erst ängstlich nach allen Seiten nach Sicherung umgucken und darüber das feste Ziel aus dem Auge verlieren, da wird mir bange um den nächsten Krieg. Die, die vierundneunzig alles so brav vertrödelten, sie sind seitdem nicht jünger geworden! – Und was an Jugend heranwuchs, kam meistens nicht auf den rechten Platz. Auch nicht da ganz oben! Unser junger Herr –“ „Der wird noch gehörig Lehrgeld zahlen müssen!“ „Und wir mit ihm. Es war ein Jammer, daß der zweite Friedrich Wilhelm so früh sterben mußte!“ „Na, du hast ihm ja vieles zu verdanken. Aber der war auch kein Draufgänger –“ „Sage man, was man will, unter ihm wurde Preußen immerhin verdoppelt. Wir könnten es auch jetzt gut haben, aber dazu gehört vor allem da oben mehr Wagemut, mehr jugendlicher Leichtsinn! Geradeheraus: dazu gehört ein ganz anderer Kerl!“ „Prinz Louis Ferdinand zum Beispiel?“ „Ja, das ist ein Kerl, der hat das rechte Zeug! Ein Held wie wenige, und Glück hat er auch! Wer so wie er die Kugeln verachtet, vor dem biegen sie auch aus. Wenn der nur auf den rechten Platz käme!“ „Das würde dann schon zu spät sein. Leute wie er verludern leicht, wenn sie daneben geraten und sich immer nur ducken müssen!“ „Sage einmal,“ sagte der Oberst und klopfte seine Pfeife am Stiefelabsatz aus, „ist das nicht deine Frau, die dort unten den Weg heraufkommt und dem jungen Offizier an ihrer Seite so schöne Augen macht?“ Blücher fuhr auf und blickte hin. „Ja, das ist sie, und – alle Wetter!“ – Er schnallte rasch den Säbelgurt um und stülpte die Mütze auf. „Wenn man den Teufel nennt, kommt er schon gerennt. Auf Wiedersehen, Pletz, ich muß eilen! Wir haben hohen Besuch!“ Damit eilte er den Weg hinunter und den Kommenden entgegen. Ein schöneres Paar als die mädchenhafte, liebreizende junge Frau und den stattlichen, schlanken, übermütigen jungen Offizier an ihrer Seite konnte man kaum sehen. Lachend und scherzend gingen die zwei ihres Weges und waren in ihre Unterhaltung so vertieft, daß sie Blücher erst bemerkten, als er vor ihnen stand. „Königliche Hoheit hier in Emmerich?“ fragte Blücher salutierend. „Wie Sie sehen“, antwortete Prinz Louis Ferdinand, denn er war es. „Ich benutze meine freie Zeit, um den Rhein hinunterzureisen, und habe nicht die gute Gelegenheit versäumen wollen, der Generalin Blücher meine Verehrung zu Füßen zu legen. So habe ich auch das Vergnügen, Sie zu sehen, lieber General!“ „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite!“ antwortete Blücher, gab seiner Frau den Arm und wandte sich wieder zum Prinzen. „Hoheit reisen doch nicht mutterseelenallein?“ „Leider nicht! Für ein paar Stunden bin ich aber frei. Mein Adjutant ist voraus, um Quartier zu bereiten und für morgen ein Schiff zu besorgen. Er wird mich abends bei Ihnen abholen, solange müssen Sie mich schon behalten.“ „Wenn Hoheit nur vorliebnehmen wollen mit dem, was mein Haus –“ „Machen wir keine Redensarten! Es wird alles gut sein! Übrigens, wenn Sie’s wissen wollen – nur zum Vergnügen reise ich nicht den Rhein entlang. Seitdem wir den dummen Lunéviller Frieden haben und der Kaiser es so schön eingerichtet hat, daß alles drüben, auf der linken Rheinseite, nun Frankreich sein soll, sehe ich mir überall am Fluß die Grenze daraufhin an, wo wir’s am besten anpacken können, wenn wir darangehen, sie wieder nach Westen hin zu verrücken. Denn das kommt früher oder später!“ „Sicher!“ sagte Blücher. „Und hoffentlich recht bald. Denn wir brennen alle darauf.“ „Die drüben im Rheinland auch, nach allem, was ich gesehen habe. Unsere ehemaligen Landsleute sind nicht zufrieden. Sie sind aber zu beneiden.“ „Wieso denn?“ „Statt hundert Herren haben sie jetzt _eine_ Regierung – statt hundert Landesgesetzen _eins_! Leibeigenschaft, Feudallasten, Kirchenzehnten, Zunft- und Bannrechte sind sie los, Handel, Verkehr und Gewerbe sind frei, die Gedanken auch! Kurz: die ganze neue Zeit, der wir uns so ängstlich verschließen, ist ihnen zuteil geworden.“ „Dafür müssen sie die Republik nach Belieben Rekruten ausheben lassen, und zahlen Steuern bis über den Kirchturm. Dafür müssen sie französisch denken und fühlen und sich ihre deutsche Seele verwelschen lassen!“ „Das ist eben gut!“ „Der Teufel auch!“ „Denn je mehr sie leiden müssen, je mehr Haß sie gegen die Gewalthaber aufbringen, die ihnen die neue Ordnung aufzwingen, um so eher haben wir sie wieder. Und die neue Ordnung auch. Die haben wir bitter nötig. – Aber leider können wir sie nur von draußen bekommen. Von selbst bringen wir nicht die Entschlußkraft auf, das Alte und Überlebte abzustreifen. Sehen Sie bloß auf die Armee hier und drüben. Was hat aus den lumpigen ‚Ohnehosen‘ im Handumdrehen eine Armee gemacht, von deren Ruhm die ganze Welt widerhallt? Was gab ihnen die Kraft? Sind sie etwa besser als wir? Haben _sie_ die größere Ausdauer, die besseren Knochen oder mehr Mut und Tapferkeit und Todesverachtung?“ „Nein, zum Kuckuck!“ rief Blücher. „Den möchte ich sehen, der das zu behaupten wagt!“ „Ich auch“, sagte der Prinz. „Und doch sind sie uns voran. Weil sie das Söldnertum abgestreift und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt haben. Wie sieht’s dagegen bei uns aus? Mannschaften, zum großen Teil aus der Hefe aller Welt aufgelesen, Gauner und lose Leute, die nur mit Gewalt und entehrenden Strafen zusammengehalten werden, immer dem Volk fremd bleiben und ihm feindlich gegenüberstehen müssen! Offiziere, die mehr Unternehmer als Diener des Staates sind – die aus ihren Bataillonen und Regimentern große Einnahmen herauswirtschaften wollen und das nur können, wenn ihre Leute beurlaubt sind und sie ihre Löhnung in die eigene Tasche stecken können. Die brauchen den Frieden wie das liebe Brot! Solchen Kriegern ist der Krieg das größte Unglück. Wir können heilfroh sein, wenn wir keinen ernsthaften Kampf zu bestehen haben werden, ehe diese Zustände mit Stumpf und Stiel ausgerottet sind. Und dazu können wir, Sie und ich, nichts tun, als immer wieder die Stimme erheben – um _nicht_ gehört zu werden. Die Widerstände sind zu groß. Wir haben, wenn nicht die Revolution, so doch zum mindesten ein großes Unglück nötig, um diese Leute und Zustände, die nicht mehr taugen, fortzufegen!“ „Nee, nee!“ rief Blücher eifrig. „Wir brauchen keine Revolution, die alles kaputt macht. Das Gute, was sich bewährt hat, muß bleiben – und viel Gutes steckt in unserer Armee! Das Schlechte muß zum Teufel! Dazu haben wir bloß ein paar richtige Kerls an richtiger Stelle nötig. – Ein paar Donnerkerls am Kommando, mit klaren Augen und derben Fäusten, die zupacken können. Und dann bloß ein bißchen mehr Entschlußkraft da oben! Das Weitere besorgt schon die preußische Armee. Die nimmt’s noch mit jedem auf. Noch hat sie ihren alten Ruhm. Der wiegt mehr, als mancher hier zu Hause denkt – weit mehr als der ganze welsche Kram. Sorgen Hoheit nur dafür, daß wir nicht immer mit Ketten am Fußgelenk marschieren müssen, dann ist auch kein weiterer Grund zur Schwarzseherei. Außer für den Franzmann!“ „Hätte ich die Entscheidung,“ sagte der Prinz, und es blitzte in seinen blauen Augen auf, „dann könnte es schon morgen losgehen. Darüber hatte ich mich übrigens schon mit Frau Gemahlin geeinigt“, fügte er hinzu, sie galant ins Gespräch hineinziehend. „Du willst doch nicht auch –?“ drohte ihr Blücher scherzhaft. „Die Frau Generalin ist ganz für die Kriegspartei gewonnen, lieber Blücher. Da hilft Ihnen kein Sträuben!“ „Aber Malchen! Da haben wir am Ende schon den häuslichen Krieg?“ „Hoffentlich!“ lachte der Prinz. „In mir werden Frau Generalin jedenfalls dabei einen stets kampfbereiten Bundesgenossen haben.“ „Sieh nur, sieh nur! Der Bund wäre denn wohl bereits geschlossen?“ fragte ihr Mann. „Ja, sieh dich nur vor!“ drohte sie. „Alle Tage schneien einem die Märchenprinzen nicht ins Haus!“ „Nun – ich nehme immer den Kampf auf!“ lachte Blücher. „Fahre du auf, was du in Küche und Keller an Munition hast – ein paar Batterien vom besten Rheinwein lassen wir spielen –, wollen sehen, Königliche Hoheit, wer von uns zuerst ins Gras beißt!“ „Topp!“ sagte der Prinz. Er küßte leicht ihre Hand und empfing als Gegengabe einen dankbaren Blick. Blücher lächelte. Aber ein schlauer, hinterlistiger Zug zuckte irgendwo hinter dem Schnauzbart, und seine Augen leuchteten hart auf wie beim Jäger, wenn er das Wild gestellt hat und das Gewehr anlegt. „Hoheit haben sich wohl bei der Rheinfahrt auch die Entschädigungen angesehen, die wir diesseits des Flusses für Preußen herausholen werden, für das, was uns der faule Friede drüben geraubt hat?“ fragte Blücher dann im Weitergehen. „Das war mit ein Hauptziel meiner Reise“, antwortete der Prinz. „Und nur um das zu verdecken, mache ich noch einen Abstecher ins Holländische hinein. Ich spiele ja am Hofe die Rolle des ungebetenen Mahners, den man nicht gern in der Nähe wissen möchte, wo große Entschlüsse zu fassen sind! Man hat mich gern ziehen sehen! Ich komme aber wieder. Und nachher sitze ich den königlichen Kabinettsräten, wie immer, feste im Nacken! Und mein Vetter, der König, wird auch keine Ruhe vor mir haben! Es steht aber auch viel auf dem Spiel – es gilt, rasch zuzugreifen!“ „Das meine ich auch! Das Bistum Münster ist wohl das wenigste, was wir verlangen können, und dann –“ „Hannover“, sagte der Prinz und senkte die Stimme. „Die Frucht ist längst reif. Wenn ich nur zu befehlen hätte! Aber es sieht wieder aus, als würde die gute Gelegenheit verpaßt werden, wie schon sooft bei uns.“ „Ein Wort nur,“ rief Blücher, „und ich nehm’s! Ich laure ja nur darauf! Hannover müssen wir haben. Die Engländer können’s nicht halten, und nehmen wir’s nicht, so nehmen’s die Franzosen. Und die können wir nicht ein paar Tagemärsche von Berlin gebrauchen!“ „Nein, das können wir nicht!“ rief der Prinz. „Wenn Sie und ich und noch ein paar solche Leute, die das und vieles andere einsehen, auch freie Hand hätten, dann wäre es im Handumdrehen besorgt! Aber bei uns geht alles nach der Schablone! Was alt und verknöchert ist, sitzt oben und gebietet, nur weil es von alters her Tradition war. Und Jugend und Wagemut müssen die Zähne zusammenbeißen und tatenlos beiseitestehen. Herrgottsakrament!“ platzte er mit einem Soldateneid heraus, ohne an die Anwesenheit der jungen Frau zu denken. „Ich liebe die Franzosen nicht. Aber auf die Kerls bin ich doch neidisch! Es war ja scheußlich, wie sie in den acht Jahren der Revolution das Oberste zu unterst kehrten, wieviel Wertvolles und Unersetzliches sie in Trümmer schlugen und im Sumpf und Blut erstickten. Aber das hat manche tüchtige Kraft zum Wohl der Gesamtheit auf den rechten Platz im Staate gestellt! Denken Sie nur an den Advokatensohn von Korsika, der heute als Erster Konsul gebietet. Was hat er nicht in den paar Jahren geleistet, seit wir zum erstenmal den Namen Bonaparte hörten! Glauben Sie aber nicht, _wir_, Blücher, Sie und ich, hätten das Zeug zu gleich Großem, hätten wir nur die Gelegenheit?“ „Die Gelegenheit ist da, zum Greifen nahe! Sie war immer da! Nur wagt man nicht, sie auszunützen! Man verwehrt uns das Losschlagen! Hier stehe ich schon, Gott weiß wie lange, auf demselben Fleck in Emmerich auf Vorposten und fluche und schmöke meinen Knaster und blicke über den Rhein, ob nicht der Franzmann mir bald den Gefallen tun wird, in Schußweite zu kommen! Statt übers Wasser zu setzen, in Frankreich hineinzumarschieren, den Parisern _bon jour_ zu sagen und dem Herrn Bonaparte zu zeigen, daß Preußen noch auf der Welt ist! Der hätte dann anderes zu tun gehabt, als über die Alpen zu kraxeln und sich bei Marengo billige österreichische Lorbeeren zu kaufen! Dafür hätte ich gesorgt! Das kommt aber noch, und das ist meine feste Überzeugung!“ Der Prinz antwortete nicht. Sie waren jetzt vor dem in einem Garten gelegenen Wohnhause des Generals angekommen. Der hohe Gast wurde durchs Haus geführt, alle Räume wurden ihm gezeigt – auch die Wohnräume der jungen Frau. Denn in einer Zeit, wo das schöne Geschlecht noch im Bett zu empfangen pflegte, weil es die Sitte so gebot, war ihr Allerheiligstes ein Raum, auf den jeder Gast, der nicht unwillkommen erscheinen wollte, ein Anrecht hatte. Und der Prinz ließ es sich auch nicht nehmen, ihrem wohlverhängten Bett seine Huldigung darzubringen. Die junge Frau am Arm, wanderte er so, von dem vorangehenden Hausherrn geleitet, leicht plaudernd, von Raum zu Raum. Im Zimmer des Generals bewunderte er mit Kennerblicken dessen reichhaltige Waffensammlung, ließ es zu, daß Blücher, bei Vorzeigung seiner Schätze, seine unvermeidliche kurze Pfeife ansteckte, scherzte nur über den Qualm, den er produzierte, und meinte, es käme ihm vor, als ob er in Vulkans Schmiede zu Gast wäre, um im Rauch und Qualm der unterirdischen Gewölbe Waffen, Rüstungen und andere kostbare Erzeugnisse seiner kunstfertigen Hand zu bewundern! „Um so eher,“ sagte er, galant der jungen Frau die Hand küssend, „da es mir wie dem Kriegsgotte Mars ergeht, als er in der gleichen Lage war.“ „Wie denn?“ fragte die Generalin lächelnd. „Ihm schwanden auf einmal die soeben angestaunten Schätze. Das Gold verlor seinen Glanz, die Edelsteine erloschen, die Blitze der blanken Waffen trafen nicht mehr, sondern verpufften ihre Funken umsonst!– Alles verblaßte, denn aus dem innersten Gewölbe trat ihm Vulkans hehrster Schatz entgegen: die Göttin Venus selbst, lebendigen Leibes – und er war geblendet.“ „Aber – wie’s scheint – doch nicht stumm!“ lachte Blücher und ließ sich’s gefallen, daß sein Malchen, ihre Verlegenheit durch einen plötzlichen Hustenanfall verbergend, ihm die Pfeife aus dem Munde riß. „Pfui, du verqualmst uns ja das ganze Haus! Kommen Sie, Hoheit – gehen wir aus diesem Raum hinaus, wo er allein zu gebieten hat! – Ich führe Sie in _mein_ Reich!“ Und sie zog ihn mit. Blücher folgte. Und der Prinz, jetzt schon wie zu Hause, forderte sie, draußen im Salon, auf, gleich den Tanzboden mit ihm zu probieren. Freudig willigte sie ein und ließ sich von ihm die neueste Tour der Gavotte zeigen, die man jetzt am Hofe der Königin Luise so gern zu tanzen pflegte, damit sie nicht unwissend sei, wenn sie einmal zu Hofe käme! Die Tour wurde durchgenommen – der Prinz sang die Melodie dazu. Und Blücher, der auch ein gewaltiger Tänzer war, wurde gleich Feuer und Flamme, revanchierte sich sofort mit einem polnischen Tanz, den er beim letzten Feldzug in Polen gelernt hatte, komplimentierte den Prinzen ans Spinett, trällerte ihm selbst die Melodie vor, bis er sie spielen konnte, und tanzte ihm dann mit seiner Frau einen feurigen Krakowiak vor, daß die Dielen dröhnten und die junge Frau nur so durch die Luft schwirrte. Im Tanzen stand er noch seinen Mann. Als der Prinz aber in voller Begeisterung ein wahres Feuerwerk von Komplimenten über die junge Frau losließ, machte Blücher dem rasch ein Ende, schickte sie fort, um nach den Anordnungen für die Mahlzeit zu sehen, und führte seinen Gast solange durch den Garten. „Zur Abkühlung!“ wie er nicht ohne einen Nebengeschmack von Ironie sagte. Statt der schönen Frau mußte der gute Prinz also die Pferde des Generals bewundern, die aber auch erstklassig waren und es gleichfalls verdienten, vor einer Königlichen Hoheit Gnade zu finden. Blücher versäumte es nicht, dabei in den Sattel zu steigen, um ihre Vorzüge recht anschaulich zu machen, aber auch um zu zeigen, wie gut sie, trotz ihrer Wildheit, ihm doch parierten, wenn auch sie, wie er nicht ohne Ironie beifügte, bisweilen mannstolle Sprünge versuchten. Dann ging’s durch den Garten, an den Fernblick über den Rhein, und zuletzt um das Haus herum, wobei der Prinz sich genau nach allem erkundigte und besonders von dem Efeu entzückt schien, dessen armdicke Stämme sich an der Wand emporschlängelten, um mit dunklem Grün die Fenster zu umrahmen. Er zeigte hinauf nach dem Fenster der jungen Frau – denn wo das war, hatte er gleich heraus – und fragte leicht, den Efeu mit der Hand prüfend umfassend: „Daran klettern Sie wohl manchmal hinauf, Blücher, wenn Sie’s eilig haben?“ „Das wohl nicht, Hoheit“, lachte der General. „Denn ich pflege nicht den Schlüssel zu vergessen, wenn ich abends aus bin. Aber – zu machen wäre es wohl!“ Und gewandt wie ein Jüngling, packte der hohe Fünfziger den Stamm des Efeus und kletterte halbwegs hinauf. Da kam die junge Frau eben auf die Treppe heraus, um zu sagen, daß alles zum Essen bereit sei, sah die lange Gestalt ihres Herrn und Gebieters zwischen Himmel und Erde schweben und schrie leicht auf. „Hat keine Gefahr, Malchen,“ rief Blücher herunter, „mach’ man ja kein Geschrei!“ „Ihr Herr Gemahl ist ein liebenswürdiger Hausherr!“ lachte der Prinz. „Er zeigt seinen Gästen den nächsten Weg ins Allerheiligste!“ „Ich zeige höchstens – wie sie herunterkommen, wenn sie den Kletterversuch unternehmen!“ bekam er zur Antwort, und Blücher sauste herunter und zeigte dann lachend seinem Gast den Weg in den Speisesaal. Man nahm um den runden Tisch am offenen Fenster Platz, durch das man über den Rhein hinausblicken konnte, ließ sich die Gerichte der Frau Gemahlin gut schmecken, begoß sie mit goldigem Rebensaft aus den Kellern des Generals und war bald froh und guter Dinge. Der General trank seinem hohen Gast zu und vergaß auch nicht, ihm einen Trinkspruch zu widmen, da er ja gern und ausgiebig zu reden pflegte und man das also wohl von ihm erwarten mochte. „Hoheit gestatten?“ sagte er, seinen Römer ergreifend. „Ich erhebe mein Glas auf den alten, guten, preußischen Offensivgeist, dessen glanzvollster jugendlicher Vertreter uns die Ehre antut, heute unser Gast zu sein. Selten habe ich jenen Geist des Drauflosgehens mit solcher Lust walten sehen, wie eines schönen Julitages vor sechs Jahren – bei Edesheim war es –, Hoheit wissen noch! Und selten wurde ich trotzdem so enttäuscht wie nach jenem Vorfall! Meine braven Leute hatten sich den ganzen Tag wacker geschlagen und in den Weinbergen einem an Menschen und Artillerie vielfach überlegenen Feind standgehalten. Sie fingen schon an, müde und marode zu werden, und ich mußte schon zweifeln, ob sie bis zur Dunkelheit noch aushalten würden. Da kam _soutien_! Ein paar frische Bataillone Infanterie, an ihrer Spitze ein junger Offizier, mit dem ich sofort einig wurde, dem Feind gleich auf die Pelle zu rücken. Entschluß und Tat waren bei ihm eins. Kaum gesprochen, war er sofort vom Pferd herunter und stürmte allein voran auf den Feind los, der sich schon Sieger glaubte. Es war eine Augenweide zu sehen. Und meine Roten säumten auch nicht, einzugreifen, den Erfolg auszunützen und alles zusammenzuhauen, was da kreuchte und fleuchte. Da – kaum daß wir gesiegt hatten – kam der Befehl, zurückzugehen, alles war umsonst gewesen! Denn anderswo lief nicht derselbe Feuergeist an der Spitze! Da hatten sich die Österreicher abdrängen lassen, und da half uns kein Fluchen. Heute aber, wo jener junge Held mein Gast ist, heute möchte ich mit ihm mein Glas darauf leeren, daß der Offensivgeist und die Entschlußfreudigkeit, die uns beide damals beseelten, immer mehr maßgebend werden und nimmermehr in so schmachvolle Abhängigkeit kommen mögen!“ Sie stießen an und tranken. Der Prinz dankte, schlug aber ab, für seine Person irgendeine Ehrung zu empfangen. Die gebühre der Vertreterin des schönen Geschlechts. Er brachte dann auch _a tempo_ einen Trinkspruch auf sie aus, so glutvoll und stürmisch, daß ihr das Blut in die Schläfen trat, und ihr Mann, um abzulenken, wieder das Wort nahm. „Es ist ja zu verstehen,“ sagte er, ruhig lächelnd, „daß ein junger Mann in seiner Huldigung der holden Weiblichkeit sich in Lobsprüchen ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge ergehen und den ganzen Wortschatz der Galanterie aufbieten muß, um ihres Liebreizes Herr zu werden. Es gibt aber Augenblicke, wo die Huldigung vor einer Frau _keine_ Worte findet – wo sie uns, durch ihr bloßes Dasein, derartig in den Staub vor ihrer Hoheit zwingt, daß wir verstummen müssen. Wer einmal sein eigenes Kind an der Brust der Mutter sah – wer erblicken durfte, wie es gesättigt, still daliegt, ihre Brust mit seiner kleinen Hand sanft streichelt und sie dankbar anlächelt, mit einem Blick voll tiefster Verehrung –, wer einmal diese Weihe empfinden durfte –“ „Der scheint doch auch Worte dafür zu finden“, sagte der Prinz rasch, dem General ins Wort fallend. Denn er wußte, daß dessen jetzige Ehe kinderlos war, und sah einen Schatten über das Gesicht der jungen Frau huschen. Ein dankbarer Blick aus ihren Augen lohnte es ihm. Der General sah es und verstand wohl, wie sehr er sich in Nachteil gesetzt hatte. Er ließ sich aber nichts merken, schenkte die Gläser voll, trank seinem Gast zu, und so allmählich fing man wieder an, alles rosenrot zu sehen, vergaß alle wirklichen und eingebildeten Sorgen, lachte, scherzte und freute sich wie ein Kind über jede Kleinigkeit. Und als die Sonne schon im Westen sank und man sich anschickte, auf die Terrasse zu gehen, um sie hinter den Hügeln drüben verschwinden zu sehen, da war’s dem Prinzen so gegangen, wie seinem Gastgeber selbst bei dem denkwürdigen Essen im Hause seiner nachmaligen Schwiegereltern – er hatte zu tief in die großen Augen der jungen Frau geblickt. Ihr Lächeln hatte es auch ihm schon angetan. Und – als die letzten Strahlen der Sonne die leichten Abendwolken zu vergolden anfingen und den Himmel in Brand setzten, da loderte sein leicht entzündbares Herz schon lichterloh. Er wurde blind und taub, sah nicht die finsteren Blicke seines Gastgebers, hörte nicht den verhaltenen Unmut, der, trotz allen schuldigen Respekts, in seiner Stimme zitterte. Er flüsterte ihr zärtliche Worte zu, verliebte Blicke flogen hin und her. – Denn die Märchenprinzen waren nicht allzu häufige Gäste, und die gute Erziehung gebietet Höflichkeit! Komplimente aus hohem Munde werden also selten anders als mit dankbarer Rührung empfangen. Kurz, der Prinz war auf dem besten Wege, seine kurz vorher so beredt dargelegte Absicht auch praktisch zu bestätigen, daß er’s schon verstehen würde eine Gelegenheit auszunützen – sobald er sie hätte! Schließlich merkte die junge Frau an den Blicken ihres Mannes, daß sie das Spiel zu weit hatte gehen lassen. Schnell suchte sie der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben und erbat sich vom Prinzen die Gnade, sich an seiner weit und breit gerühmten Fertigkeit im Klavierspiel ergötzen zu dürfen. Der Prinz, dem die Lebenslust schon weit erlesenere Freuden vorgaukelte, sagte leicht seufzend zu, und man ging in den Salon. Er setzte sich ans Spinett und ließ sein Ungestüm über die Saiten dahinbrausen. Die Spannung legte sich. Die fiebernde Unruhe wich aus den Gemütern. Langsam sanken die Menschenkinder aus den rosenroten Wolken, in denen sie soeben hoch über allem Erdgebundenen geweilt hatten, zurück zur Alltagserde. Der Prinz merkte es. Die Gelegenheit war nahe daran, ihm aus den Händen zu schlüpfen. Das durfte nicht sein. Er schloß mitten im Stück, sprang auf und setzte sich der Generalin zu Füßen. „Hier ist der einzige Platz, von dem aus man Ihnen Ritterdienste widmen darf!“ sagte er feurig. „Ihnen zu Füßen, Ihnen zu Ehren, Ihnen zuliebe singen und dichten, um aus Ihrer Hand den Sängerpreis zu empfangen.“ „Hoheit bringen mich in Verlegenheit!“ „Sie waren ebenso grausam, _mich_ in die größte Verlegenheit zu bringen! Denn so befangen war ich noch nie. Meine Hände spielten – mein Herz nicht! – Mein Herz lag hier vor Ihnen im Staube – und hat mir meinen Platz gezeigt! Hier habe ich wieder die Macht über mich gewonnen – hier singt wieder alles in mir. Und wenn Sie befehlen, flechte ich aus meinen Gefühlen für Sie einen Kranz, ziere ihn mit Reimen und biete ihn Ihnen auf den Knien als eine Gabe der Hochachtung dar. Genehmigen Sie’s gnädigst?“ „Sag’ du ruhig ja, Malchen, geniere dich nicht und danke für die Gnade“, fiel ihm Blücher in die Rede. „Dichtung ist Dichtung und hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun!“ „Sagen Sie das nicht, General“, antwortete der Prinz. „Die Dichtung führt manchmal die Wirklichkeit herbei – auch wenn sie ihr noch nicht entnommen werden könnte! Seien Sie nur nicht sicher!“ Er lächelte übermütig und trommelte dabei wie suchend einen Rhythmus auf der Erde vor sich hin. „Hören Sie erst, und dann entscheiden Sie! Darf ich anfangen?“ wandte er sich an die junge Frau. „Ich bitte darum, Hoheit!“ Der Prinz blickte verstohlen lächelnd zu Blücher hin, wandte sich dann an sie. „Hier in Vulkans Schmiede kann man ja nur von Mars und Venus singen“, sagte er und fing an: „Mars, von Siegen übersättigt, kehrt in Venus’ Liebesgarten ein, der Göttin aufzuwarten. Auf die Frage: Was berechtigt Ihn, hier einzudringen? gibt er die Antwort: weil er liebt – nach dem blutigen Entsetzen andrer Kämpfe – das Ergötzen! Liebt zu sehn, wie kleine Füße kunstvoll sich im Tanze winden, Netze knüpfend, die ihn binden, – Fessel, die mit ganzer Süße den Gefangenen bedrückt, wonneschauernd ihn beglückt, läßt in Liebesbanden schmachten ihn, den großen Herrn der Schlachten! Amorinen, schnell geschäftig, mühn sich um des Gottes Waffen, salben seine Glieder, schaffen Labung, deren er bedürftig, schnell herbei mit vielem Fleiß, bringen ihm den Siegespreis, winden um sein Haupt die Myrten, helfen alles loser gürten. So gerüstet tritt der Heros an der Göttin Lager, – findet sie in Tränen. Klagend windet sich der zarte Leib, und Eros, sonst ihr Helfer, abseits steht, blind und taub, wie sie auch fleht, ihre Fessel schnell zu brechen, eilt nicht, ihre Schmach zu rächen. Mars, behende, packt mit schnellen Griffen zu, die Fesseln fallen, sausen durch die weiten Hallen, an den Felsen sie zerschellen. Ihrem Retter sittig dankt, sich erhebend, Venus, wankt auf ihn zu, reicht, lieblich flötend, ihm die Hände, sanft errötend. Eros rasch nach seinen Pfeilen greift. Er zielt, und hinterrücklings trifft den Helden er – – –“ „Um Vergebung, Hoheit, wenn ich unterbreche“, fiel ihm Blücher hier plötzlich in die Rede. „Bitte!“ sagte der Prinz etwas nervös und hörte jäh mit der Improvisation auf. Auch die junge Frau schien nicht besonders erbaut von der Störung zu sein. Blücher aber fuhr unentwegt fort: „Ich würde mich schon sehr dafür interessieren, zu hören, welchen wunderbaren Reim Hoheit auf das häßliche Wort ‚hinterrücklings‘ finden würden –“, sagte er. „Warum häßlich?“ warf der Prinz gestochen ein. „Weil mir alles zuwider ist, was nicht offener Kampf Auge in Auge ist! Aber davon wollte ich nicht reden! Ich wollte nur, ehe wir – im Gedicht – so weit wie bis zur Untreue kommen, mir erlauben, an einen Umstand zu erinnern –“ „Welchen?“ „Die holde Dame, Venus, hatte doch bekanntlich einen Gatten.“ „Gewiß!“ „Daß er seinen Liebesgarten so schlecht bewachen würde, daß ihm der erste beste Buschklepper ins Gehege fallen konnte, erscheint mir doch sonderbar! Wo mag er wohl bei der Gelegenheit geweilt haben?“ „Was weiß ich? Nehmen wir an, er war damit beschäftigt, dem Kriegsgott Waffen zu schmieden!“ „Sehr wohl. Als alter Schmied seines Glückes hatte er aber sicher gelernt, sich nicht vom Lärm der Schmiede sein Gehör so betäuben zu lassen, daß er nicht merkte, wenn fremde Vögel in seinem Neste Liebeslieder sangen.“ „Ich denke auch nicht. Die Fabel belehrt uns ja darüber. Vulkan wartete, bis er die beiden Verliebten _in flagranti_ ertappen konnte, fesselte sie dann in einem kunstvoll geknüpften Netz und zeigte sie so aller Welt. Ob auf ihre oder seine Kosten gelacht wurde, meldet die Fabel nicht. Ich nehme aber das letztere an.“ „Wenn er es so weit gehen ließ, daß er überhaupt nötig hatte, seine Geschicklichkeit im Knüpfen von Netzen zu zeigen, so verdiente er allenfalls, ausgelacht zu werden“, sagte Blücher ruhig. „Ich hätte diesen Ehrgeiz nicht!“ „Von dir ist doch nicht die Rede“, fiel die junge Frau ein, der es bei dem Rededuell sonderbar zumute wurde. „Hoffentlich nicht!“ antwortete ihr Mann. „Von mir würde _in dem Sinne_ nicht die Rede sein können. Denn ich ziehe es für gewöhnlich vor, vorzubeugen – _ohne_ mit meiner Geschicklichkeit darin zu prahlen. Ich habe nur den Ehrgeiz, in der Sache selbst obzusiegen und lade nicht ein, darüber zu lachen oder zu schwatzen.“ „Sie sind eben sehr rücksichtsvoll, lieber Blücher“, sagte der Prinz und sprang von seinem Platz zu ihren Füßen auf. „Mir scheint aber, mein Wagen fährt jetzt vor. Es wird Zeit, an den Aufbruch zu denken!“ Die beiden Gatten erhoben sich. Die Tür öffnete sich für den Adjutanten des Prinzen, der sich zur Stelle meldete. Der Prinz küßte galant die Hand der Frau Generalin, nahm Säbel und Mütze von seinem Adjutanten entgegen und wandte sich seinem Gastgeber zu. „Fahren Sie ein Stück mit, General, so plaudern wir noch ein wenig und stechen bei mir eine Flasche aus?“ „Vielen Dank, Hoheit. Der Dienst ruft. Ich muß noch heute abend die Posten inspizieren!“ „Nun denn, auf Wiedersehen!“ Noch ein Gruß der gnädigen Frau, und er ging, von Blücher bis an den Wagen geleitet. „Ich bringe Ihrer Frau noch eine Rose für das unterbrochene Gedicht!“ sagte er, indem er sich in den Wagen setzte. „Das wird meine Rache Ihnen gegenüber sein, General! Es muß alles seine Ordnung und seinen gehörigen Abschluß haben!“ Lachend und gnädigst grüßend fuhr er ab. An einer Biegung des Weges, als sie schon außer Sicht vom Hause des Generals waren, ließ der Prinz halten, sprang aus dem Wagen, befahl dem Adjutanten, weiterzufahren und erklärte, allein durch die Felder nach Hause gehen zu wollen. Der Wagen fuhr weiter, der Prinz streckte sich hinter einem dichten Gebüsch aus und blickte hinaus in die blaue Sommernacht. Vom Wege tönte lauter Gesang einer Männerstimme zu ihm herauf und das Geräusch von sich nähernden Schritten. „Wir haben ihn aufs Haupt geschlagen und täten ihn aus dem Felde jagen, der Schimpf, der wird sich ma–achen. Mit Gottes Hilf’ und unserm Schwert ihm teuer gemacht sein La–achen, ja Lachen.“ Der Sänger war jetzt gerade vor ihm. Der Prinz erhob vorsichtig sein Haupt und blickte auf den Weg hinunter. Es war Blücher. Die kurze Pfeife im Mundwinkel blieb er, den Rücken zugekehrt, einen Augenblick stehen und blickte über den Fluß hinaus. Nahm dann die Pfeife in die Hand und setzte den Weg fort, weitersingend. „Es gab ein blutig Retirad, dabei auch noch gar mancher hat sein jung frisch Leben verloren, den nun sein Mütterlein beweint, die ihn mit Schmerzen geboren, ja geboren.“ „Inspiziere du ruhig deine Posten“, sagte der Prinz halblaut. „Inzwischen bringe ich mein unterbrochenes Gedicht zu Ende!“ Mit einem Sprung war er auf dem Weg, eilte schnell wie der Wind zurück nach dem im Halbdunkel liegenden Hause des Generals, riß eine der schönsten Rosen an sich und schlich um das Haus herum nach der Seite, wo er das Fenster der jungen Frau wußte. Das Fenster stand offen. Schnell entschlossen packte er den Stamm des Efeus und enterte hoch, die Rose im Mund. Eine Manneslänge trennte ihn noch vom Fenster, da hörte er unter sich ein Fluchen und Wettern. „Da schlage doch der Donner drein! Wer klettert mir da an der Wand. Schockschwerenot, herunter oder –“ Es war Blücher, der, von seltsamer Unruhe ergriffen, seine Inspektion hatte fahren lassen und umgekehrt war. Der Prinz fand sich sofort in die Situation, hielt sich mit einer Hand in seiner schwebenden Lage fest, nahm mit der anderen die Rose aus dem Mund und winkte. „Seien Sie still, Blücher, wecken Sie Ihre Frau nicht – ich will ihr nur die versprochene Rose durchs Fenster werfen! Gnädige Frau!“ sagte er entschuldigend zur Generalin, die jetzt am Fenster erschien. „Genehmigen Sie huldvollst diesen duftenden Gruß als angemessenen Abschluß unseres unterbrochenen Gedichtes!“ Noch ein paar Klimmzüge, und er war so weit oben, daß er die Rose überreichen konnte. Die junge Frau nahm sie. „Hierher die Rose!“ kam es scharf von unten. Die Blume flog gehorsamst Blücher zu Füßen. Fast ebenso schnell war auch der Prinz unten, stand aufrecht vor ihm und blickte ihn herausfordernd an. „So schnell geht’s abwärts, wenn ich dabei mitwirke!“ sagte Blücher, jetzt vollkommen ruhig. „Darf ich bitten, die Rose!“ Er reichte dem Prinzen die Blume. „Sie hat sich als Wegweiser vortrefflich bewährt!“ Der Prinz machte eine abwehrende Handbewegung. „Machen wir uns nicht lächerlich!“ „Ich sorge nur für mich“, sagte Blücher und steckte sich in aller Seelenruhe die Rose ins Knopfloch. „Guten Abend, General!“ sagte der Prinz kurz, machte kehrt und verschwand mit raschen Schritten in dem immer mehr zunehmenden Dunkel des Abends. Blücher wandte sich zu seiner Frau, die jetzt herauskam und ihre Hand auf seinen Arm legte. „Hier hast du die prinzliche Rose, Malchen“, sagte er launig und steckte sie ihr an den Busen. „Behalt’ sie nur. Ich nehm’s dir nicht krumm, wenn dir ihr Duft ein wenig zu Kopfe steigt. So muß es ja sein: alles muß dir zu Füßen liegen, alles in dich verrückt sein. Fürsten und Könige müssen um deine Gunst buhlen und ihre Knochen riskieren um einen Blick deiner Augen. Nimm du’s ruhig an. Daß sie dir nicht zu nahe kommen – _dafür sorge ich schon_, wie du siehst! In _dem_ Kriegshandwerk nehme ich’s auch mit jedem auf. Ich war selbst kein Kostverächter, als ich jung war!“ Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und blickte zu ihm auf. „Du hättest das von dem Kinde nicht vor ihm sagen müssen“, sagte sie leise vorwurfsvoll. „Werd’ nur nicht sentimental, Malchen“, sagte er und gab ihr einen herzhaften Kuß. „Das steht dir nicht, und ich mag’s nicht leiden. Meine Tochter nehme ich jetzt ins Haus, da bist du nicht allein. Viel jünger wie du ist sie nicht, ihr werdet euch gut anfreunden, denke ich! Und so kriege ich sie von ihren Großeltern fort. Die verziehen sie mir nur. Und ich kann für meinen Tod nicht all diese welsche Erziehung der jungen Weiber leiden, wie sie nur Französisch parlieren und sich mythologisch vorschwärmen lassen können. Die Rike mußt _du_ in Behandlung nehmen, Malchen, wenn sie kommt, und ihr das Welsche gehörig wieder austreiben! Versprich mir das! Und wenn sie auch französisch frisiert sein sollte, wofür sie der Deibel holen soll, so kämm’s ihr nur schleunigst aus! Kämm’s aus, Malchen, sonst lasse ich mich von dir scheiden!“ Damit nahm er sie unter den Arm und ging mit ihr ins Haus hinein. 8 „PRÜSKE DICKKÖPPE“ Franz Joseph Gall, Anatom und Phrenolog, war auf seiner Rundreise durch die größeren Städte Deutschlands auch nach Münster gekommen, wo Blücher, nach der Besetzung des Münsterlandes, als preußischer Gouverneur residierte. Er las dort Gläubigen und Ungläubigen ein Kolleg über Dickschädel, Hohlschädel und andere kraniologische Kuriosa vor. An der Hand eines menschlichen Kraniums entwickelte er seine ebenso neue wie aufsehenerregende Lehre, in der er es unternahm, nach der Gestaltung der Schädeldecke auf das Geistesvermögen eines Menschen zu schließen. Das war im „Staate der Heiligen“, wie Blücher sie nannte, nichts denn ein tollkühnes Beginnen und ein Greuel vor dem Herrn! Zum Entsetzen aller Strenggläubigen unternahm der Herr Physikus ja nichts mehr und nichts weniger als die Seele – die bis jetzt alleinige Domäne der heiligen Kirche – zum Objekt einer profanen Wissenschaft erniedrigen zu wollen! Man hatte sich wohl, durch die vor kurzem begonnenen Säkularisationen, an vieles gewöhnen müssen! Man hatte gesehen, wie der Kirche Ländereien und Viehherden entzogen worden waren! Man staunte über nichts mehr! Aber eine Lehre, die die Decke eines ehrsamen Bürgerschädels und bisherige bevorzugte Abladestelle kirchlichen Segens auf die Geheimnisse des darunter gehorsamst schlafenden Seelenlebens untersuchen wollte – die dessen Hügel und Talmulden zum Forschungsgebiet einer ganz gemeinen Neugier erniedrigte und den Geist sozusagen mit den Fingern betasten wollte, die ginge doch, und nicht nur figürlich, über die Hutschnur! Für Blücher war die Phrenologie ein gefundenes Fressen und eine Belustigung besonderer Art. Als alter Husar hatte er wohl stets seinen Kopf für sich gehabt und sich wenig darum gekümmert, ob oder inwiefern er ins System der anderen hineinpaßte. Als Gouverneur mußte er ihn aber von Amts wegen täglich mit so vielen andersgearteten Querköpfen karambolieren lassen, daß er freudig jeden Versuch begrüßte, eine Art Topographie des menschlichen Schädelgeländes zu schaffen. Es brachte immerhin ein bißchen Ordnung in die Sache hinein und würde am Ende doch noch dazu beitragen, den amtlichen Geschäftsgang zu vereinfachen! Wenn der Herr Gouverneur sich auch nicht verhehlen konnte, daß amtliche Konfusionen mit überflüssigen „Rückfragen“ und anderem verfänglichen Geschreibsel, als Ausfluß höchster Beschränktheit, durch nichts mehr zu beschränken seien! – Immerhin verdiente der Versuch behördliche Beachtung! Der Herr Gouverneur zählte also zu den eifrigsten und aufmerksamsten Besuchern der Gallschen Vorlesungen, was in der guten Stiftsstadt sehr bemerkt wurde und zu allerlei Vermutungen und Auslegungen Anlaß gab. Mit ehrfürchtigem Staunen blickten die guten Münsterianer scheu zu seiner hohen Gestalt hinüber, die, in der ersten Stuhlreihe sitzend, alle überragte, und mindestens ebensosehr die Aufmerksamkeit auf sich zog wie die ketzerischen Ausführungen des gelahrten Herrn Physikus. Weder das noch die wortlose Entrüstung eines ehrsamen Auditoriums entgingen seiner Aufmerksamkeit. Mit liebkosender Schärfe musterten seine Blicke die Sammlung erlesener Schädel, die sich hier ein Stelldichein gegeben hatten, wie um als unfreiwillige Demonstrationsobjekte zu dienen. Seine Augen leuchteten vor diebischer Freude auf, und es zuckte spitzbübisch schlau um die Mundwinkel hinter dem herabhängenden Schnauzbart, wenn er einen besonders leckeren „Ball“ entdeckte. Am häufigsten schielte er zum Nachbar links hin, dessen kurze stämmige Gestalt den geraden Gegensatz zu ihm selbst ausmachte. Wie Raubvögel umkreisten seine Adlerblicke den gewaltigen Kopf, aus dessen Gesicht, unter buschigen Brauen, eine mächtige Hakennase gebietend hervorsprang. Schmunzelnd wie ein Gourmet, dem sein Leibgericht aufgetragen wird, saß er mausestill da, stellte aus nächster Nähe seine Untersuchungen an und schien zu ganz merkwürdigen Schlüssen zu kommen. Indessen sein Opfer, in Gedanken versunken, den Vorlesungen kaum zuzuhören schien und noch weniger die Aufmerksamkeit beachtete, deren Gegenstand es war. Endlich war der Anatomus mit seinen Ausführungen zu Ende, nahm sein Kranium unter den Arm, rollte sein Manuskript zusammen, verneigte sich würdevoll, ging und ließ sein kopfschüttelndes Auditorium sitzen. Blücher stand auf, und sein Nachbar ebenso, den er jetzt, im Stehen, um Haupteslänge überragte. „Wissen Sie was, Baron?“ fragte er lächelnd und strich seinen langen Schnurrbart hoch. „Als der Physikus soeben den Totenschädel aufhob, da dachte ich: ‚Nun geht das Kegelschieben los! Nun schmeißt er ihn nach den anderen Köpfen!‘ Die wackelten auch schon bedenklich! Die wären durcheinandergekollert, daß es eine Lust wäre! An seiner Stelle hätte ich den Wurf getan! So ’ne Sammlung Dösköppe war noch nicht da! Sehen Sie sie nur an!“ flüsterte er. „Ausschaun tun sie wie ein Haufen ‚Marterln‘ von allen möglichen Stoppelfeldern hierherverpflanzt! Und statt der gewohnten Krähen und Dohlen schwirren ihnen lauter funkelnagelneue Gedanken um die Köpfe, daß sie nicht mehr wissen, woran sie sind, und der Herr Physikus noch weniger. Keine Ahnung hat er – keine Ahnung! Was er da schwefelt, mag vor die Franzosen gut genug sein, ihnen die Würmer aus der Nase und das Geld aus den Taschen zu ziehen – was ich übrigens den Geizhälsen gönne! Aber so’n richtiger preußischer Dickkopp, wie ich einer bin, und Sie erst recht, Baron, der wird nimmermehr zugeben, daß man den Schädel erst befühlen muß, um zu wissen, ob einer lange Finger hat oder nicht. Der wird nicht sein ‚Bekämpfungsvermögen‘, wie die Ochsen, mit dem Schädel dartun, sondern mit blanken Hieben und derben Maulschellen, wenn’s not tut. Und was das ‚Eigentumsvermögen‘ betrifft, das er auch vom Schädel ablesen will – –“ „Da“, lachte der Baron, „setzen Sie sich an den Spieltisch und verlieren Sie und weisen es so – negativ nach!“ „Ich gewinne auch, mein Verehrtester, und nicht zu knapp! Und das liegt bei den Karten und hat mit dem Schädel nichts zu tun!“ „Soweit ich ihn verstanden habe,“ sagte der Baron, „gingen seine Ausführungen auch nicht so weit auf das Gebiet des praktischen Lebens ein. Er wollte, meines Erachtens, nur rein theoretisch dartun, wie eine geistige Fähigkeit mit den Hirnpartien, in denen sie ihren Sitz hat, ab- oder zunimmt, und nachher durch die dadurch entstehenden Unebenheiten des Schädels nachzuweisen ist.“ „Das ist eben falsch“, sagte Blücher bestimmt. „Die Erhöhungen des Schädels besagen gar nichts – bei den meisten Menschen jedenfalls nicht mehr als: ‚Hier ist beim gewöhnlichen Rindvieh der Platz für die Hörner!‘ – Da können Sie sich auf _mich_, als alten Landwirt, verlassen! Sehen Sie sich nur in den Spiegel, Baron!“ Der Baron blickte ihn an. „Ich möchte doch sehr bitten!“ sagte er scharf. „Sehen Sie sich nur in den Spiegel!“ lachte Blücher. „Nach den Theorien Galls müßten Sie ein gutmütiger, braver Spießer sein – sanft, fromm und nachgiebig – das Muster eines Familienvaters! Nach _meinen_ dagegen – und ich verstehe etwas von Köppen – ich habe mein Lebtag so ville eingeseift – nach _meinen_ Theorien also, und wenn ich nicht wüßte, daß Sie der Reichsfreiherr vom Stein sind und Oberpräsident der Westfälischen Domänenkammer – da würde ich sagen: das ist ein Raufbold schlimmster Sorte!“ „Um Gottes willen!“ „Oder zum mindesten ein geheimer Raubmörder!“ „Das auch noch!“ „Gestehen Sie’s nur, Sie haben so etwas auf dem Kerbholz!“ „Nicht einmal im Traum!“ „Sie werden doch unter Ihren reichsritterlichen Ahnen wenigstens einen von der Sorte haben?“ „Kann schon sein!“ „Nun, sehen Sie! Da werden Sie von ihm ebensoviel geerbt haben, wie ich von dem meinigen, und mit mir eines Sinnes sein und eine Schädellehre haben, und die ist nun die nämliche: wenn all die Dickköppe und Strohköppe und Hohlköppe und Dösköppe und Schafsköppe und Quasselköppe, von denen der Schädelgelehrte da nichts wußte, obwohl wir hier im Lande einen Überfluß daran haben – wenn _die_ alle im Staate mitreden sollten, wie Sie es wollen, oder sich gar zu einem Parlament zusammentun dürften, um Geschrei und allerlei Konfusion zu machen – wie drüben in Paris –, das wäre weit schlimmer als eine allgemeine Kopflosigkeit! Da hilft nur _ein_ Mittel dagegen, und das ist nun das nämliche, was die Jakobiner so gut zu handhaben wußten, nämlich: die Guillotine! Aber auf die richtige Art angewandt – an den Jakobinern selbst. Runter mit dem Salat, das hilft! Nachher wird kein unnütz Stroh gedroschen!“ „Der Meinung bin ich nun nicht!“ antwortete der Baron energisch. „Es schadet nicht, daß die Leute ihr Stroh dreschen, wenn sie nur mittun und mitempfinden lernen. Nur wenn sie sich auch verantwortlich fühlen, nur dann wird das eingeschlafene Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Vaterland wieder wachgerüttelt. Und kein Fremder darf dann wagen, an deutsche Gaue Hand legen zu wollen, wie er es jetzt wieder versucht!“ Sie waren inzwischen aus der Akademie herausgekommen und gingen langsam durch die Straßen der alten Stadt nach Hause. Auf dem Domhof kam ihnen eine goldstrotzende Prozession entgegen mit wehenden Fahnen, Blumen und Weihrauch und der gesamten Geistlichkeit in prachtvollen Gewändern. „Was nützt uns das Wachrütteln,“ sagte Blücher, „wenn die da die Macht haben, die Geister wieder einzuschläfern?“ Der Freiherr zog seinen Hut, und Blücher salutierte, bis die Prozession vorbei war. „Haben Sie gesehen, wie bös die Kerle mich anschielten?“ fragte er dann den Baron. „Die giften sich gewaltig, weil ich hier die Freimaurerloge wieder aufgemacht habe. Een ‚prüsken Windbüdel‘ – een ‚lutherschen Dickkopp‘ haben sie mich genannt. Der Windbüdel setzt ihnen aber noch ganz was anderes als die Loge auf die Nase!“ „Da drüben hält eine andere Prozession“, sagte der Freiherr und zeigte auf drei Soldaten, die einen gefangenen Deserteur transportierten und ebenfalls von der Prozession aufgehalten worden waren. Sie blieben noch stehen, um den General zu salutieren. „Antreten! Melden!“ rief Blücher sogleich, als er sie sah. Und die Leute kamen über die Straße, grüßten ihn nochmals und gaben ihren Rapport ab. Blücher blickte den Gefangenen unwillig an. Er war ein junger, kräftiger Bursche. Die Hände waren ihm auf dem Rücken gefesselt. „Schämst du dich nicht, Bursche?“ rief Blücher ihm zu. „Siehst, wie der Franzos überall in der Welt haust und wie er seine langen Finger nach immer mehr deutscher Erde ausstreckt – hast zwei kräftige Arme zum Dreschen und willst dich drücken, willst nicht helfen, deine Heimat von den Schuften zu säubern?! Abführen!“ rief er, und die Leute salutierten und zogen mit ihrem Gefangenen ab. „Vaterlandsloser Gesell!“ kam es noch verdrießlich aus dem Gehege seiner Zähne hervor. „Das ist er wohl. Aber nicht durch eigene Schuld!“ sagte Stein energisch. „Und das dürfen Sie ihm darum auch nicht vorwerfen!“ „Das wäre wohl auch!“ „Der, wie die meisten seinesgleichen, hat kein Vaterland! Der hat nur einen Herrn, der von ihm möglichst viel Steuern herauspreßt und ihn womöglich noch zum Kriegsdienst aushebt. Und hat er nicht den einen Herrn, so hat er den andern. _Wer_’s ist, ist ihm gleich – ob Preuße, ob Franzose, was schert das ihn, wenn er ihn nur möglichst wenig bedrückt! Das vaterländische Gefühl ist eben überall bei uns im Aussterben. Ich sagte es ja schon, und auch, wie es zu bessern wäre, wenn nicht zu spät damit angefangen wird!“ „Ein Glück, daß die Fahnenflüchtigen unter _meine_ Gerichtsbarkeit fallen! Denn wenn Sie, Herr Präsident, ihn abzuurteilen hätten –“ „Ich würde in dem Falle versucht sein, Milde walten zu lassen – ich gestehe es! Übrigens werde ich bald hier nichts mehr zu richten haben!“ „Sie sind schon amtsmüde? Nach kaum zwei Jahren?“ „Das nicht! Man hat mich nach Berlin in die Regierung berufen. Ich soll Minister werden.“ „Und Sie? Haben Sie angenommen?“ „Ich habe – _bedingt_ angenommen. Ich möchte mir wohl die Gelegenheit nicht entgehen lassen, zum Besten meines Vaterlandes tätig zu sein. Aber – ich möchte sie auch gehörig ausnutzen können!“ „Das traue ich Ihnen schon zu. Der König liebt es aber nicht, wenn man ihm Bedingungen stellt!“ „Ist mir gleich!“ „Was hat er denn geantwortet?“ „Er hat – _bedingt_ zugestimmt!“ „Das ist bei ihm schon viel! Mehr erreichen Sie sicher nicht!“ „Das genügt mir aber nicht. Entweder ich bekomme die Befugnisse, die ich brauche, um etwas leisten zu können, oder ich gebe mich mit dem ganzen Kram nicht ab!“ „Was haben Sie denn verlangt?“ Der Freiherr blieb stehen, faßte Blücher an einem Rockknopf und zwang ihn so, auch stehenzubleiben. Ohne sich um die Blicke der Vorübergehenden zu kümmern, fing er dann an, seine Pläne zu entwickeln, durch die er dem alten Schlendrian den Garaus zu machen gedachte und das alte Preußen von Grund aus umgestalten wollte. Erst den Beamtenkörper neuordnen, die ganze Verwaltung vereinfachen, die eigene Jurisdiktion und Finanzverwaltung der Provinzen aufheben und einschlägige Fachminister für das ganze Land einsetzen, so dem Reich den fast föderativen Charakter nehmen und seine Teile zu einem Ganzen verschmelzen – die Regierung vereinfachen; statt Generaldirektion und Justizministerium und dem allein mit der Person des Königs verkehrenden „Kabinettsministerium“ ein Konseil einführen, dessen Mitglieder sämtlich direkt mit dem König verkehren könnten – dann durch Städte- und Landgemeindeordnungen Rechte und Pflichten der Bürger und der Landbevölkerung festlegen, ihnen Selbstverwaltung geben, das Gewerbe frei machen, den Besitz ebenso, die Fessel des Handels beseitigen, die Armee neuordnen auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, so daß das Werbesystem abgeschafft würde und ein jeder es als eine Ehre statt als einen Zwang empfände, das Vaterland zu verteidigen. Zuletzt eine Volksvertretung einsetzen, mit gesetzgebender Gewalt, die die Haushaltung des ganzen Staates zu regeln haben würde – –“ „Das ist schlau von Ihnen, Baron, die Volksvertretung zuletzt zu nennen“, sagte Blücher. „Ich hatte schon Angst, Sie würden damit den Anfang machen wollen! Die Jakobiner und ihr Gequassel hätten wir sowieso früh genug! Wenn die bei Ihren Reformplänen mitreden sollten – Sie würden sich wundern, was dabei alles herauskäme! – Sie würden Ihr eigenes Kind nicht mehr wiedererkennen und all Ihre schönen Pläne ins Wasser fallen sehen! Am besten lassen Sie die Redebude ganz fahren. Die vertrödelt bloß die Zeit, weiter nichts! Wozu denn! Machen Sie’s lieber ganz allein! Machen Sie’s mit der königlichen Verordnung – die schafft’s, wenn der richtige Mann sie handhabt. Das sah man beim Alten Fritzen! Beschließen – befehlen, und die Sache ist da! Und ist sie gut und ist sie richtig gemacht, _dann erst_ lassen Sie die Leute reden, wenn’s durchaus sein muß! Da ändert an einer rechten Sache auch ein ganzes Parlament von Hohlköpfen nichts!“ „Das Volk muß,“ sagte der Freiherr energisch, „und das ist das allerwichtigste und davon gehe ich nicht ab – das Volk muß wissen, daß es in seinen eigenen Lebensangelegenheiten mitzureden hat! – Es muß fühlen, daß es nicht nur dazu da ist, um ausgebeutet zu werden. So wie jetzt, ist es ganz teilnahmlos. Wenn heute alles zugrunde ginge – es würde sich nicht im geringsten dafür interessieren. Denn der Staat ist sein Feind – oder er ist ihm zum mindesten gleichgültig! Das Volk empfindet nicht, daß es selbst der Staat ist! Gelingt es nicht, ihm das zum Bewußtsein zu Dingen, so sind wir als Staat verloren und als Volk erst recht.“ „Verehrter Freund,“ antwortete Blücher, „es kann sein, daß Sie recht haben! Wir haben aber keine Zeit, kostspielige Versuche zu machen. Die Welt brennt jetzt an allen Ecken und Enden – sollen wir da Kinder und unerfahrene Leute mit dem Feuer spielen und unser eigenes Dach in Brand setzen lassen? Was sagte ich vorhin – den reinen Verbrecherkopf, den reinen Verbrecherkopf haben Sie!“ Stein lachte. Aber Blücher faßte ihn beim Arm und zeigte auf den Turm der Lambertikirche. „Sehen Sie da hinauf“, sagte er. „Da oben baumelten vor etlichen Jahrhunderten – wie viele ist mir Wurst – zwischen Himmel und Erde, in den drei eisernen Käfigen, je ein solcher Neuerer wie Sie! Sie wissen: der Schneidermeister und König vom ‚Neuen Zion‘, Johann von Leiden, Knipperdolling, sein Kanzler und Henker, und Krechting – denn so hieß wohl der Dritte im Bunde! Die hingen da, bis die Vögel des Himmels ihnen das Fleisch von den Knochen gerissen hatten. Und das waren Leute, die auch – in ihrer Weise – das Volk ‚frei‘ machten, das Alte, Bewährte in Trümmer schlugen, mit Feuer und Schwert vertilgten und ‚das Neue Reich‘ auf dem Schutthaufen aufrichteten. Vergessen Sie nicht: wir stehen hier auf dem klassischen Boden solcher Revolutionen, mitten im ehemaligen Reiche der Wiedertäufer.“ „Für blutige Revolutionen,“ sagte der Baron ruhig, „wie damals die der Wiedertäufer und heute die Französische, ist hier bei uns kein dauernder Boden. Die Methode führt bei uns zu weiter nichts, als zu stärkster Gegenwirkung. _Wir_ müssen das anders machen, wenn wir uns verbessern wollen – und das möchte ich eben versuchen.“ „Das tun Sie nur, Baron. Gehen Sie nach Berlin! Ich behielte Sie wohl am liebsten hier, aber da sind Sie uns viel nötiger! Gehen Sie nach Berlin – – seien Sie frech –!“ „Frech nicht, aber entschieden!“ lächelte der Baron. „Das ist bei mir ein und dieselbe Chose!“ sagte Blücher, nahm ihn beim Arm und zog ihn weiter mit. „Eins bitte ich nur aber aus“, sagte er dann im Gehen. „Wenn Sie dabei sind, alles neu zu machen – von der Armee lassen Sie die Finger! Die besorgen wir vom Bau besser!“ „Ihr vom Bau hängt zu sehr am Althergebrachten, um Neuerungen die rechte Unbefangenheit entgegenzubringen!“ „Man muß wohl, wie Sie, unabhängiger Reichsritter gewesen sein, keine Armee zu kommandieren und kein Land zu regieren gehabt haben, um beides besser zu verstehen – nicht wahr?“ lachte Blücher. „Ganz gewiß. Da behält man eben den Kopf frei, hat keine Scheuklappen vor den Augen und ist an nichts gebunden als an sein gesundes, natürliches Urteil!“ „Sehen Sie – das gefällt mir bei Ihnen, Baron! Aber trotzdem mag ich nicht, daß die Zivilisten an der preußischen Armee herummäkeln! Es ist ja viel daran zu bessern, das stimmt. Aber es steckt ein guter Kern darin, der erhalten zu werden verdient –“ „Eben weil der Kern in der preußischen Volkskraft ruht“, sagte der Freiherr. „Aber nur _wir_ Eingeweihte empfinden das. Das Volk müßte sich dessen auch bewußt werden, damit es an unserer Wehr mitschafft und so seine Kraft verdoppelt!“ „Wer würde das nicht wünschen? Sie wollen aber alles wegwerfen und von Grund aus neu aufbauen.“ „Auf _altem_ Grund neu – –“ „Das geht zu weit. Was gut und wertvoll ist vom alten Gemäuer, das müssen wir mit hinübernehmen – wie unsere Vorfahren bei ihren Kirchenbauten. Die fingen oft romanisch an – sehen Sie nur die alten Kirchen im Lande an – und bauten ruhig gotisch weiter, sobald die Zeit es verlangte, und schlugen so in _einem_ Bau Brücken von Zeitalter zu Zeitalter. So eine Brücke ist unsere Armee. Werft sie ab – und drüben bleibt der Geist der Ordnung, der Tapferkeit und des unbeugsamen Mutes, der sie immer auszeichnete, und kann nicht zu uns herüber.“ „Der braucht nicht herüberzukommen, denn er ist da, wie er immer in unserem Volke da war. Er wird uns täglich neu geboren!“ „Aber auch täglich wieder totgeschlagen“, erwiderte Blücher ernst. „Und das eben möchte ich vermieden wissen! Solch einen Totschlag am Geist der Ordnung und Tapferkeit wollt ihr Herren vom Zivil eben begehen, wenn ihr die Hände nach dem preußischen Heere ausstreckt! Ihr sollt mir aber die preußische Armee nicht kaputt machen wollen. Ich habe mit in ihren Reihen gekämpft im Siebenjährigen Kriege – ich war mit ihr in Polen, in den Niederlanden, am Rhein Anno dreiundneunzig und vierundneunzig –, ich habe gesehen, was der preußische Soldat kann, wenn die Führung taugt. Ich verstehe etwas von der Sache und weiß, solch eine Waffe wirft man nicht ohne weiteres fort! Schwerenot! Wenn ich einen guten, scharfgeschliffenen Säbel habe, der mir gut in der Hand liegt und mir vertraut ist, den werf’ ich nicht zum alten Eisen und hole mir einen neuen, der mir am Ende weniger zusagt, sondern ich hau’ feste zu! Aufs Dreinhauen kommt’s heute noch an wie immer! Der richtige Kerl muß nur da sein, der die Waffe der Väter zu führen versteht, dann taugt sie auch!“ „Das weiß ich ebensogut wie Sie!“ versetzte der Freiherr ein wenig gereizt. „Nun, was wollen Sie denn!“ rief Blücher nicht weniger heftig. „Wenn Sie das wissen, da müßten Sie sich auch sagen, daß unsere Waffe nicht verrosten kann! Da müßten Sie doch sehen, daß heute, wie immer, Leute genug dabei sind, sie frisch zu polieren, den Geist und die Bildung beim Offizier zu heben, das Untaugliche hinauszuwerfen und mit dem Schlendrian reinen Tisch zu machen! Und auch, daß uns nichts fehlt als der Befehl zu rascher Tat!“ „Das alles sehe ich wohl!“ sagte der Baron. „Aber auch das viele Überlebte, das leider Gottes die Macht hat, jede Entwicklung zum Besten aufzuhalten. Da hilft nicht allein der Mann, der befehlen kann – denn was nützen mir Befehle, wo der Gehorsam fehlt?! Der Geist, der sich bereitwillig dem Ganzen unterordnet, der fehlt oben wie unten! Erst muß da Wandel geschaffen – erst muß von Grund aus alles neu geordnet werden. Und der Grund kann nur die allgemeine Wehrpflicht sein, die jedem Staatsbürger das Recht, aber auch die Ehrenpflicht gibt, das Land zu verteidigen, und jede Anwerbung von ausländischem Gesindel ausschließt! _Da_ müßten die Leute den Hebel ansetzen, die, wie Sie sagen, auch in der Armee dabei sind, mit dem alten Schlendrian aufzuräumen –“ „Am Ende haben sie’s längst getan!“ rief Blücher und blickte den Freiherrn schalkhaft an. „Passen Sie nur auf, Baron! Sie werden noch von denen überholt!“ „Das würde mich der Sache wegen freuen“, antwortete Stein ruhig. „Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe und nach dem, was ich zu meinem Erstaunen soeben auch von Ihnen hören mußte, glaube ich aber nicht recht daran.“ Blücher lächelte. „Sehen Sie sich nur die jungen Leute an, wenn Sie nach Berlin kommen! Da werden Sie gleich am Hofe einen finden, der nach Ihrem Sinne ist – ein junger Kerl, der beim Prinzen August Adjutant ist –, Clausewitz heißt er – kein Windhund, leider, aber sonst ganz mein Fall! Ein Gesicht hat er, das nach sehr gutem Rotspon aussieht – geht nicht aus sich heraus, außer wenn’s eine Sache gilt, dann aber auch gehörig! Den nehmen Sie sich vor! Sagen Sie ihm weiter nichts als das eine Wort: ‚Scharnhorst‘, da sollen Sie sehen, wie er wie eine Pulvermine auffliegt und gleich Feuer und Flamme ist. Auf den Scharnhorst schwören sie, all die jungen Leute, die er bei der Kriegsschule ausgebildet hat. Und recht haben sie. Denn er taugt was, er kann was, und er weiß, was er will. Aber ehe es so weit ist, daß man allerhöchsten Ortes auf ihn hört, da wird er wohl auch steinalt sein und nichts mehr wollen können! Es ist leider Gottes nicht allen gegeben, ihr Leben lang siebzehn Jahre alt zu bleiben.“ „Deshalb sollen die, denen es gegeben wird,“ sagte der Baron mit Betonung, „sich nicht dagegen sträuben, vorzugehen, wo es not tut!“ „Sträube ich mich etwa?“ rief Blücher lebhaft. „Wissen Sie, ob ich nicht schon eine Denkschrift in der Sache fertig habe?“ „Bei Ihrer Aversion gegen alles Geschreibsel?“ lächelte der Baron. „Nun – wenn die Armee so heruntergekommen ist, wie Sie sagen, warum sollten die Generäle dann nicht auch zur Feder greifen und Tinte verspritzen statt Blut? Taugen wir weiter nichts – dazu taugen wir sicher! Da stehen wir auch unseren Mann, besser als die meisten von den Herren Diplomatikern!“ Und ohne die Entgegnung des Barons abzuwarten, zeigte er auf das Rathaus, an dem sie jetzt vorbeigingen, und fragte plötzlich: „Waren Sie drin?“ „Wiederholt!“ „Haben Sie den Friedenssaal gesehen, wo der Westfälische Friede gemacht wurde?“ „Ich war drin!“ „Haben Sie sich die Bilder von all den Gesandten genau angesehen, die jenen sauberen Frieden gemacht haben, deren Namen längst vergessen sind? Die hängen da mit Recht zur ewigen Schande der Zunft. Weil sie unser armes, verwüstetes, entvölkertes und ausgeplündertes Deutschland beim Friedensschluß noch mehr zerstückelten und dem Fremden verschacherten, damit er es auf Jahrhunderte hinaus als Tummelplatz für seine Kriegsvölker gebrauchen konnte. Haben Sie sie gesehen?“ „Man zeigte sie mir!“ „Nun – haben Sie jemals so ’ne Sammlung Schafsköpfe beisammen gesehen? Diplomatiker, wie nur wir sie noch heute haben – Schlauberger ihrer eigenen Meinung nach, die so gut wissen, wie alles verkehrt gemacht werden muß, nachdem die Welt sich verblutet hat! Und nachher müssen wir wiederum bluten – weil die so überschlau waren, so saudumm zu sein! Sehen Sie sich die noch einmal an! Und nachher gehen Sie nach Berlin, und lassen Sie sich zum Minister machen! – Räumen Sie mit dem Gesindel auf, rotten Sie’s mit Stumpf und Stiel aus! Da rennen Sie mit Ihrem harten Verbrecherschädel das ein, was zuerst herunter soll! Da haben Sie morsches Gemäuer genug für Ihren Bedarf! Kreuzelement, was die Leute bloß alles anrichten! Was die an guten Gelegenheiten vorübergehen lassen – wie die uns allmählich von allen Freunden trennen und die ganze Welt gegen uns aufbringen! – Weil das Schlappschwänze sind, müssen wir auch dafür gelten! Ihretwegen wagt man sich an uns heran! Da müßte schleunigst einer an die Spitze – ein ganzer Kerl, der nichts versteht als nur das eine: die Wut loszulassen, die in uns allen kocht, daß wir endlich einmal wie das heilige Donnerwetter dreinsausen können und reinen Tisch machen! Wie würden wir dann in der Welt dastehen! Ich müßte da vierundzwanzig Stunden zu befehlen haben! Vierundzwanzig Stunden nur!“ „Ja, wenn Sie nur nicht zu jung wären“, sagte der Baron, über den Eifer Blüchers schmunzelnd. „Zu jung?! Sechzig durch!“ „Werden Sie erst siebzig – toben Sie sich erst aus! Sonst werden Sie uns mit Ihrem jugendlichen Ungestüm alles kaputt machen, wenn Sie das Heft in die Hand bekommen!“ „Davor brauchen Sie keine Angst zu haben. Man ist allerhöchsten Ortes nicht so schlau, mich als Berater zu nehmen! Sonst würden wir nicht alle Tage Sachen erleben, bei denen einem Dutzende von Läusen über die Leber kriechen! Schwerenot, wenn ich bloß an das Letzte denke, wie wir nun glücklich nach vielem Hin und Her die Franzosen doch in Hannover stehen haben – alles, weil unsere klugen Herren da oben wieder so schlau waren und so gerne möchten und doch nicht zuzugreifen wagten! Himmeldonnerwetter, wie war’s mir, als ich davon Wind bekam! Ich bin kopfüber nach Berlin gereist, ich habe gefleht, ich habe geflucht – nichts hat geholfen! ‚Gehen Sie nach Münster, General‘, war alles, was man mir antwortete. ‚Dort haben Sie Ihr Kommando!‘ Und ich ging – und – an der hannoverschen Grenze in Diepholz, da empfingen mich schon französische Gendarmen und scharwenzelten und parlierten und machten die Honneurs, als wären sie dort zu Hause! Und Herr Mortier troff von Freundlichkeit und falschem gallischen Gemüt über! Hol’ ihn der Teufel! Wenn ich den nur wieder herausschmeißen darf! Jetzt sieht’s der König schon ein! Jetzt möchte er auch gern die Parlezvous wieder heraus haben! Aber statt mir den Befehl zu geben, sie zum Teufel zu jagen, betraut er seine Diplomatiker damit, und da wird’s noch gute Weile haben. Die Leute müßte man dem Physikus Gall in Behandlung geben. Der müßte ihnen die Schädel ordentlich befingern!“ „Ich möchte gern,“ sagte Stein und lachte in sich hinein, „ich möchte gern wissen, was Sie sagen würden, wenn Sie, als ganz Unbeteiligter, Ihren eigenen Kopf in die Finger bekämen, um ihn auf seine Fähigkeiten zu untersuchen! Ob Sie wohl wie ich denken würden?“ „Wie denn?“ „Lauter Gegensätze! Schlau und gerissen – und ein Dickkopf erster Güte! Feuer und Flamme für alles lebensfähige Neue – und doch zäh am Althergebrachten festhaltend! Allen voranstürmend, wenn es eine Sache gilt, aber mit einem Ungestüm, das Sie oft aus dem Sattel wirft! Pech im Kleinen, Glück im Großen – nicht wahr, so würde die Rechnung lauten?“ „Wie sie lauten würde, weiß ich nicht. Das weiß ich aber: ich gäbe gern meinen Kopf darum, daß da oben, auf der entscheidenden Stelle, der richtige Kopf zwischen den richtigen Schultern säße!“ Der Baron schwieg. Er blickte zum Residenzschloß auf, vor dem sie jetzt standen und in dessen einem Flügel er residierte, in dem anderen Blücher. „Hier trennen sich unsere Wege, General“, sagte er. „Sie sind die militäre Macht – ich die zivile. Wir wollen voneinander nichts wissen – wir wohnen jeder in seinem eigenen Flügel des gemeinsamen Baues. In der Mitte sind die Räume der Krone!“ „Und da,“ sagte Blücher gallig, „da drin können Sie vor leeren Wänden reden! Denn da wohnt für gewöhnlich – niemand! Statt einem, der einigend über uns beiden steht und uns manchmal zu gemeinsamer Beratung zu sich einlädt – ein leerer Raum, der uns trennt!“ „Das stimmt“, sagte der Baron. „Dafür einigen wir uns aber – im Küchengarten! Den haben wir gemeinsam, trotz der getrennten Magen!“ „Die Jagd habe ich allein“, nickte Blücher. „Und geben mir doch manchen Braten ab!“ „Nun, in der Magenfrage begegnen sich eben verständige Leute!“ Stein antwortete nicht. Er bückte sich nur, nahm ein paar Falläpfel auf und reichte Blücher einen. „Da – beißen Sie in den sauren Apfel, General!“ „Det ist von Ihren Appelbäumen, Baron! Drüben stehen meine – dort gibt’s saure Äpfel genug.“ „Ich seh’s! Ich werde mich auch nicht von Ihnen nötigen lassen – wenn wir drüben bei Ihnen sind. Sie aber machen ein Gesicht, als wäre ich die Schlange im Paradiese!“ „Die stelle ich mir, aufrichtig gesagt, anders vor! Zum Sündenfall gehört übrigens auch eine Eva. Ohne sie hat die Schlange im Paradiese keine Bedeutung. Immerhin – geben Sie den Appel her! Ich bin keen Kostverächter!“ „Essen Sie ruhig – wenn er auch sauer sein sollte. Der Baum ist gut!“ sagte der Baron und biß selbst gierig in seinen Apfel hinein. Den Mund voll, nickten sie einander zu und gingen so ein jeder in seinen Flügel des gemeinsamen Baues hinein – Blücher lang, schlank und rüstig ausschreitend –, Stein vierschrötig, breit und behäbig segelnd wie ein weitbauchiger, vollbeladener Koff, dem keine Sturzwelle das Gleichgewicht nehmen kann, der nicht stampft und schlingert oder zickzack kreuzt, sondern, ohne auch nur einen Zoll auszubiegen, gerade auf das Ziel zusteuert und wenn er darum auf Grund setzen müßte. „Ein verfluchter Querkopf“, brummte Blücher, an dem freiherrlichen Apfel kauend. „Ein kreuzverdammter, eigensinniger Dickschädel! Hol’ ihn der Teufel! Aber ein ganzer Kerl! Der täte uns bitter not, da oben, in der Konfusionsbude! Aber von der Armee soll er mir die Finger gefälligst lassen! Ja, _wenn der Kerl nur nicht recht hätte_! Aber so! Und so’n Zivilist! Das geht nicht! Das geht im Leben nicht! Da müssen wir sehen, ihm beizeiten das Wasser abzugraben!“ Und schmunzelnd, als plante er wieder einen rechten Husarenstreich, riß er die Tür seines Dienstzimmers auf und stürmte hinein. „Schumann!“ rief er sein Faktotum mit Donnerstimme. „Schumann, alte Schreiberseele, bring’ mir Tinte und Papier! Heute sollst du deine Freude an mir haben! Heute sollst du etwas erleben! Nee – keene Briefbogen – Kanzleipapier! Jawoll! Oogen machste?! Schneid’ mir den Gänsekiel zurecht und glotz’ nicht! Weh, wenn er kratzt oder gar spritzt! So! Her mit dem Mordinstrument! Kehrt! Marsch! Himmeldonnerwetter, Kerl! Feixt der auch noch?! Raus!“ Und der alte Wachtmeister Schumann, der sonst die ganze verpönte Schreibarbeit allein besorgen mußte, eilte still in sich hineinlachend hinaus, nachdem er dem General alles Verlangte zurechtgelegt hatte. Blücher nahm den Federkiel, kratzte sich bedächtig damit hinters Ohr, stieß ihn ins Tintenfaß, rückte einen Bogen Papier zurecht, setzte an und ritzte in seiner scharfen, eckigen Handschrift Zeile um Zeile nieder. Zuerst, wie sich’s gebührt, den Titel: „Gedanken über Formulierung einer deutschen Nationalarmee.“ „_Die_ Gedanken habe ich zu haben und die anderen Offiziers auch!“ brummte er im Schreiben. „Aber so’n Quasselkopp von einem Diplomatiker! So’n Satanskerl! Wie kann er nur auf den rebellischen Gedanken kommen, da mitplärren zu wollen? So’n Kerl, der nicht einmal in sein eigenes System hineinpaßt! – So’n Reichsfreiherr, der keinem untertan war und keinen Herrn hatte! Der und Rebellion! Und gar eine unblutige! Ich werde ihm schon zeigen, wie das gemacht wird!“ In kurzen, knappen Sätzen und in der merkwürdigsten Orthographie von der Welt legte er dann seine Anschauung nieder, wie er sich die allgemeine Wehrpflicht dachte, verlangte eine kürzere Dienstzeit, größere Löhnung, bessere Behandlung der Soldaten – – „Mir wird ganz fade im Hals von all dem ekelhaften Geschleime!“ brummte er dabei, als er bei der „besseren Behandlung“ anlangte, rauchte dabei wie ein Schornstein, spuckte, fluchte, kratzte sich den Kopf und stampfte auf den Boden. „Wie ’ne Fastnachtspredigt schaut’s aus! Verdamm’ mich, sobald einer mit Tinte schreibt, statt mit Blut, wie’s sein soll – da ist’s aus – da – hol’ mich der Teufel – ich glaube, da wächst mir schon der Heiligenschein zum Kopfe ’raus!“ Er flog auf und packte seinen Kopf mit beiden Händen. „Ich reiße dich noch los und fange mit dir das Kegelschieben an! Ich werfe noch ‚alle neune‘ mit dir, schmeiße dich dem König mitten in die Visage, daß er umfällt und det ganze Bataillon mit – det ganze Bataillon! Aber Schreiben – dazu bringst du mich nicht nochmals, oller Döskopp!“ Er lachte laut auf – rief schleunigst seinen getreuen Wachtmeister Schumann wieder herbei, drückte ihn auf den Stuhl und steckte ihm den Gänsekiel in die Hand. „So,“ sagte er, „mach’ du das Gekritzel fertig, mein Sohn! Aber aufgepaßt, daß du mir kein X für ein U machst! Det besorge ick alleene! Vorwärts!“ Und mit großen Schritten ging er auf und ab und diktierte, und Schumann bemühte sich nach Kräften, gleichen Schritt mit ihm zu halten beim Sturm auf den alten Schlendrian. 9 JENA Es war bei der Aufführung von Wallensteins Lager im Königlichen Theater zu Berlin. Auf der Bühne stimmte der Kürassier sein Lied an: „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Felde, da ist der Mann noch was wert, da wird das Herz noch gewogen! Da tritt kein anderer für ihn ein! Auf sich selber steht er da ganz allein!“ So sang er, und die umstehenden Kameraden stimmten mit vorschriftsmäßiger Begeisterung ein! Gegen Sitte und Brauch ließen sich aber auch aus dem hintersten Parkett etliche rüstige Männerstimmen hören, die mit Nachdruck und Überzeugung den Kehrreim über die Köpfe der ahnungslosen Zuschauer herausbrüllten. Es waren Leute vom Unterbefehl des Kürassierregiments Gensd’armes, dessen Offiziere heute außergewöhnlich zahlreich anwesend waren und Logen und Ränge füllten. Sie wurden Feuer und Flamme bei den frischen Soldatenszenen des beliebten Schillerschen Stückes, beneideten die Musketiere, Jäger und Kürassiere auf der Bühne und lebten in Gedanken das lustige Lagerleben mit, das so grell vom heutigen Kasernengetriebe abstach. Sie sangen mit und machten ihrem Herzen Luft. Das Publikum horchte auf. Kein Ton des Mißfallens wurde laut, und das gab den noch Zaghaften unter den Marssöhnen Mut. Beim nächsten Vers stimmte schon das ganze hintere Parkett in den Kehrreim ein: „Der dem Tod ins Angesicht schauen kann, der Soldat allein ist der freie Mann!“ So sangen sie mit, daß es im Hause dröhnte. Und die eleganten Damen in den Logen und Rängen blickten zu den jungen Offizieren hinüber, ihre Augen glühten, ihr Atem ging schneller; hin und her wogte es warm von Sinn zu Sinn! Und als der dritte Vers stieg, da schlossen sie die Augen und sogen begierig durch halboffene Lippen den Odem ein, der heiß über sie hinbrauste, als überall im Theater die jungen Krieger einstimmten und das Lied laut in den Saal hinausschmetterten: „Der Reiter und sein geschwindes Roß, sie sind gefürchtete Gäste. Es flimmern die Lampen im Hochzeitsschloß, ungeladen kommt er zum Feste. Er wirbt nicht lange, er zeigt nicht Gold, im Sturm erringt er den Minnesold!“ Als aber auf der Bühne die Soldaten sich die Hände gaben, einen großen Kreis bildeten und gemeinsam die Schlußstrophe anstimmten, in die das Lied wie in einem großen erhebenden Aufschrei ausklingt, da hielt nichts mehr das angefeuerte Publikum zurück. Die Aufregung, in der man gelebt hatte, seit der letzte Übergriff der Franzosen bekannt geworden war – die Entrüstung über sein freches Unterfangen, preußische Gebiete zu besetzen und seine eigenen, vertraglich festgelegten Zugeständnisse an Preußen zu ignorieren –, der ganze beleidigte Nationalstolz, der auf einmal erwacht war, mußte Luft haben, mußte sich ausschreien und austoben, irgendwo und irgendwie! Und da war das Schillersche Soldatenstück mit seinem frisch pulsierenden Blut und seinem heißen, vorwärtsstürmenden Atem wie geschaffen dazu, die Kinder des kühlen Nordens in rauschende Begeisterung zu versetzen. Im Taumel der Gefühle erhob sich das ganze Haus von den Plätzen, die jungen Offiziere eilten an die Brüstung, zückten die Schwerter, ließen die Klingen im Takt mit dem Gesang aufeinanderschlagen und sangen mit, von dem übrigen Publikum durch Zurufe und Winke mit den Tüchern angefeuert. „Drum frisch, Kameraden, den Rappen gezäunt, die Brust im Gefechte gelüftet! Die Jugend brauset, das Leben schäumt! Frisch auf! Eh der Geist noch verdüftet. Und setzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ „Und setzt ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein!“ So sang das ganze Haus mit, und der Vorhang fiel und erhob sich immer wieder vor nie enden wollenden Beifallsstürmen. Das Tücherschwenken und Winken galt aber den Soldaten draußen im Theater noch mehr, als denen auf der Bühne. Und als ein junger Offizier an die Brüstung trat und den König hochleben ließ, da stimmte alles begeistert ein, und es dauerte geraume Zeit, ehe sich das Haus leerte. Vor dem Theater aber staute sich die Masse der draußen Wartenden mit dem durch die vielen Ausgänge herausströmenden Publikum zu einem undurchdringlichen Knäuel, in dessen Mitte sich allmählich die Offiziere als fester Kern zusammenfanden. Ein junger Brausekopf sprang auf die Freitreppe hinauf und hielt eine feurige Rede, in der er in derber Soldatenweise dartat, wie sehr es an der Zeit wäre, daß die Jugend jetzt das Heft in die Hand nähme und gutmachte, was das Alter aus Bequemlichkeit und Zaghaftigkeit gesündigt hätte! Endlich wollte man den Franzosen zeigen, daß Preußen noch da sei und in der Welt mitzureden habe! Mit dem feigen Zurückweichen vor welscher Anmaßung habe es jetzt sein Bewenden! Das Schwert müsse jetzt gutmachen, was die Feder unfähiger Staatsmänner gesündigt! Die Tage der Schmach hätten jetzt ein Ende, und ein Hundsfott wäre, wer sich da noch feige um die Pflicht herumdrücke, Leben und Blut für die beleidigte Nationalehre einzusetzen, oder wer gar noch daran dächte, den Franzosen die Hand zur Versöhnung zu bieten! – „Nieder mit den Franzosen!“ schrien sie alle. „Nach der Botschaft! Nach der französischen Botschaft!“ Wie von einem Gedanken getrieben, stürzten sie vorwärts, lehnten sich mit unwiderstehlicher Gewalt eine Gasse durch die angesammelte Menschenmenge und eilten, die gezückten Waffen über den Köpfen schwingend, auf das Haus der französischen Botschaft zu. Und hinter ihnen her wälzte sich eine tausendköpfige Masse, schreiend, tobend, jauchzend, johlend und alles was lebte und ihr in den Weg kam, vor sich herfegend. Das Haus der Botschaft lag in tiefem Dunkel. Als die schreiende Menge, die jungen Offiziere mit den blitzenden Waffen voran, auf das Haus zustürmte und den ganzen Platz davor füllte – da huschten rasch ein paar Schatten auf den Balkon hinaus und bogen sich über das Geländer, blickten herab und zogen sich dann schnell zurück. Kein Schlag gegen das Haustor dröhnte, kein Zeichen von Gewalt war zu bemerken. Einzig ein schneidendes, kreischendes Geräusch, wie wenn Hunderte von Schleifsteinen gleichzeitig gegen harten Stahl gestrichen werden, war alles, was die oben atemlos Lauschenden von unten vernahmen, und dann die Stille, in die das wüste Lärmen allmählich überging. Wieder huschten sie vor und blickten hinunter. Da an der Treppe knieten die jungen Offiziere Mann an Mann und wetzten ihre Säbel an den steinernen Stufen vom Hause Frankreichs. Als sie fertig waren, sprangen sie auf, schwangen wieder einmal drohend ihre Waffen gegen die französische Fahne da oben am Mast und riefen wie aus einem Munde: „Hie Preußen allewege! Tod den Franzosen!“ Und jubelnd stimmte die tausendköpfige Menge in den Ruf ein: „Tod den Franzosen!“ Niemand antwortete von den oben Harrenden! Aber die dreifarbige Fahne flatterte stolz und breitete und blähte sich im Winde. * König Friedrich Wilhelm III., lang, robust und soldatisch steif, ging mit ungelenken Bewegungen in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Er schien ärgerlich über irgendeine Begebenheit, von der er überrascht worden war, und die ihn jäh vor die Notwendigkeit stellte, einen Entschluß zu fassen. Am liebsten überließ er das seinen Ministern, weniger aus Bequemlichkeit, als aus übergroßer Bescheidenheit und einer jugendlichen Befangenheit, die ihn, trotz seiner siebenunddreißig Jahre, noch beherrschte. Jetzt aber galt es, durch einen persönlichen Akt die Würde seiner Stellung zu wahren und mit einer Kundgebung seines Willens dem Geist der Beunruhigung entgegenzutreten, den die jungen Offiziere durch ihre disziplinwidrige Kundgebung entfesselt hatten! Die Revolte gegen die königliche Autorität – denn nur so faßte sie der König auf – mußte schnell im Keime erstickt werden, ehe sie von Berlin auf das übrige Land übergreifen konnte! Den Kopf steifnackig in den hohen, goldgestickten Kragen zurückgedrückt – das reiche blonde Haar aus der Stirn nach der Seite gestrichen – die vollen Lippen vom kurzen Schnurrbart mäßig beschattet – die Wangen vom Backenbart eng umrahmt – die Augen trüb melancholisch blickend, so schritt er bedächtig einmal durchs Zimmer und dann noch einmal – blieb vor dem Arbeitstisch stehen und blickte zum Kabinettsrat Beyme hinüber, der mit devoter Haltung, in gemessener Entfernung vom allerhöchsten Schreibtisch, das Resultat der königlichen Erwägungen abwartete. Ein Zucken durchfuhr die kleine dicke Gestalt, als er die Augen des Königs auf sich gerichtet fand. Beflissen streckte er den Kopf vor, nahm die Hacken zusammen, daß seine krummen Beine ein erstauntes O bildeten; seine kohlschwarzen Augen quollen achtunggebend aus ihren Höhlen hervor, bereit, dem gnädigen Herrn und Gebieter jeden Wunsch vom Gesichte abzulesen und ihn so der Mühe zu überheben, ihm Worte zu verleihen. Der König sah es, ließ die Finger seiner Rechten einen zaghaften Appell auf der Tischdecke trommeln, blickte dann steif vor sich hin, ohne Beyme anzusehen, und sagte mit sichtbarer Mühe: „Junge Offiziers maßregeln! Beispiel statuieren! Widersetzlichkeit ausrotten! Haben Befehle gegeben! Er, Beyme, hat für strikte Durchführung und für Beruhigung der Stadt zu sorgen!“ Der Kabinettsrat verbeugte sich schweigend. Der König wartete, um irgendein Wort der Entgegnung von seinem Getreuen zu hören, nahm dann ein bereitliegendes Dokument vom Tisch und reichte es ihm, sichtlich dadurch belästigt, allein reden zu müssen. „Lesen!“ befahl er. Schnell wie ein Wiesel eilte der Kabinettsrat auf seinen krummen Beinen vor, nahm mit tiefer Verbeugung das Papier entgegen, hielt es dicht ans Gesicht und rollte mit seinen Blicken geschwind die Tintenspuren bis zu den Unterschriften ab. Dort blieben sie hängen, unter emporgezogenen Brauen, während die Lippen sich mühten, den erstaunten Kreis der Beine nachzubilden. „Nun?“ fragte der König ungeduldig, endlich eine andere Stimme zu hören. Beyme ließ das Dokument bis zur Höhe seines Bauches sinken, zuckte fast unmerklich mit den Schultern, wiegte den Kopf einmal nach rechts, dann einmal nach links, tat die Lippen auf – schloß sie aber wieder, senkte die Blicke und blieb stumm stehen, mit der Miene der verkannten Unschuld. „Man verlangt von Uns seine Entlassung, Beyme!“ sagte der König ungeduldig, da er immer noch keine Antwort bekam. Beyme blickte auf mit einem rührenden Augenaufschlag, seufzte aus der Tiefe eines gekränkten Herzens und senkte die Blicke wieder, so alleruntertänigst andeutend, daß er sich in das Unabwendbare finden würde, wenn’s sein müßte. Aber er erwiderte keine Silbe. „Den Kabinettsrat Lombard sollen Wir auch fortschicken – Unseren Minister Haugwitz auch! Sage Er doch seine Meinung!“ „Majestät!“ sagte der Angeredete mit einem gequälten Seufzer. „Dero alleruntertänigstem Knecht würde es wenig ziemen, irgendeine Meinung über ein Dokument zu verlautbaren, unter dem die erlauchten Namen fünfer Prinzen des königlichen Hauses stehen – der beiden Prinzen Brüder, des Prinzen Oranien Hoheit sowie der Prinzen Louis Ferdinand und August!“ „Da stehen auch andere Namen!“ „Namen von Männern, die sich des allerhöchsten Vertrauens erfreuen dürfen, als welche die Generäle Rüchel und Pfuhl wohl zu bezeichnen sind, und auch seine Exzellenz der Finanzminister Freiherr vom Stein –“ „Seine Unterschrift ist Uns allein hier maßgebend“, sagte der König langsam. „Die Prinzen und die Generäle sind nichts als Mitläufer. So meint Er doch auch?“ Beyme hob das Dokument wieder zur Höhe seiner Augen und rollte es noch einmal rasch mit den Blicken ab. „Wenn ich meine Ansicht alleruntertänigst vorbringen darf, so zeigt das Schriftstück allerdings den Minister von Stein als Urheber an. Ganz seine Art, gerade und ohne Umschweife auf die Sache loszusteuern, ganz seine Verachtung einer jeglichen höfischen Form! – Auch Seine Königliche Hoheit, der Prinz Louis Ferdinand, würde wohl nicht ermangeln, seine Geringschätzung für das Althergebrachte darzutun – jedoch mit mehr Eleganz und nicht ganz so unverhohlen und schroff.“ „Daß der Freiherr vom Stein das Schriftstück abgefaßt hat, daran zweifeln Wir nicht und halten es auch für sehr wahrscheinlich, daß er es geradezu veranlaßt hat“, sagte der König langsam. „Das ist aber nichts denn Meuterei!“ rief er dann plötzlich mit erhobener Stimme und schlug so heftig auf den Tisch, daß der kleine Kabinettsrat zitternd zurückwich. In gemessener Ferne blieb er stehen und starrte erschreckt, aber mit unverhohlener Neugier, seinen Herrn und Gebieter an, der unbeweglich vor dem Schreibtisch stand und wieder trübe ins Leere blickte. „Haben den Baron hierherbefohlen, um Uns Rede zu stehen!“ sagte der König schließlich und zeigte auf die Tür. Der Kabinettsrat eilte zur Tür und winkte hinaus. Ein Adjutant erschien und machte die Meldung. Seine Exzellenz, der Minister Freiherr vom Stein wäre zur befohlenen Audienz erschienen. „Vorlassen!“ beschied ihn der König und wandte sich zum Kabinettsrat, der inzwischen das Dokument auf den Schreibtisch zurückgelegt hatte. „In der Nähe bleiben!“ befahl er diesem kurz und reichte ihm einen Brief. „Brief des Generalleutnants von Blücher! Lesen! Antwort entwerfen!“ Beyme nahm den Brief, verbeugte sich ehrerbietigst und zog sich mit seinem Portefeuille in ein Nebenzimmer zurück. Der König ging langsam durchs Zimmer, stellte sich mit dem Rücken gegen den Kamin, blieb dort in soldatischer Haltung stehen, die Hände gerade an den Seiten hängend, den Blick auf die Tür des Audienzzimmers gerichtet. Die Tür öffnete sich und die breite, gedrungene Gestalt Steins erschien auf der Schwelle. Mit einer kaum merkbaren Bewegung des Kopfes beantwortete der König den ehrerbietigen Gruß des Freiherrn. Eine kurze Handbewegung deutete auf das auf dem Schreibtisch liegende Dokument. „Haben gelesen!“ sagte er mürrisch. „Er hat sich Freiheiten genommen. Er ist Unser Minister für Zoll-, Manufaktur- und Kommerzwesen, Unser Präzeptor aber nicht. Wer Uns zu dienen hat, entscheiden Wir. Unsere Brüder und Vettern haben da nicht mitzureden. Unsere Minister und Generäle noch weniger! Es sei denn, daß Wir sie um ihre Ansicht gebeten haben!“ „Majestät wollen gnädigst gestatten –“, fing der Freiherr an. „Aufrührerische Gesinnung und meuterisches Gebaren dulden Wir nicht. Er ist an der ganzen Sache schuld. Er hat das geschrieben! – Er hat die Prinzen und Generäle veranlaßt, ihre Namen darunterzusetzen. Gestehe Er!“ „Das Memorandum habe ich nicht geschrieben. Ich komme aber für jedes Wort darin auf, als hätte ich es getan!“ sagte Stein bestimmt. „Es enthält nichts, was nicht durch vorherige Besprechung mit den Unterzeichnern vereinbart wurde. Die darin zum Ausdruck gelangten Ansichten geben nur die Befürchtungen wieder, die jeden vaterländisch gesinnten Mann heute bewegen: daß die Politik der Kabinettsräte und vor allem des Grafen Haugwitz uns an den Rand des Abgrunds bringt, wenn nicht schleunigst Abstand davon genommen wird.“ „Die Kabinettsräte führen nur Unseren Willen aus! Haugwitz hat große Verdienste um die Krone und hat überdies viele Geschicklichkeit bewiesen. Daß er Neider hat, wissen Wir. Es wird denen nicht gelingen, Unser Vertrauen zu ihm wankend zu machen. Was hat Er gegen den Grafen? Sage Er offen seine Meinung!“ „In der Tat“, sagte Stein und richtete sich auf, so weit es seine kurze Gestalt erlaubte. „Ich würde schlecht mein Amt als Berater der Krone versehen, wenn ich die Frage nicht offen beantwortete! Der Graf Haugwitz verdient in keinem Falle das große in ihn gesetzte allerhöchste Vertrauen. Er treibt hinter dem Rücken Eurer Majestät seine eigene Politik, für die die Krone nachher die Verantwortung tragen muß. Eurer Majestät bestimmten Befehl an ihn, sofort dem Kaiser der Franzosen Allerhöchstdero Kriegserklärung zu überbringen, führte er nicht aus, zögerte erst drei Wochen, ehe er ins französische Hauptquartier fuhr, und brachte uns dann statt des Krieges den Bündnisvertrag mit Napoleon zurück!“ „Zwischen seine Ausreise und seine Heimreise fiel die Niederlage unserer Verbündeten bei Austerlitz!“ „Österreich und Rußland hatten sich wohl eben nichts Ersprießliches vom Bündnis mit uns erwarten können. Sonst hätten sie lieber auf uns gewartet, als zu früh loszuschlagen und sich die Niederlage zu holen! Haugwitzens feige, unentschlossene Neutralitätspolitik hat die Krone Preußens so allmählich um alles Ansehen bei den anderen Mächten gebracht und hat das Land nach allen Seiten isoliert. Man traut uns nicht, weder Freund noch Feind. Und so müssen wir jetzt, wo wir um unserer Ehre willen das Schwert ziehen, allein und ohne Freunde und Bundesgenossen dastehen. Wir werden einer sicheren Niederlage entgegengehen, wenn nicht Eure Majestät schleunigst Leute wie Haugwitz, deren Saumseligkeit und Ungeschicklichkeit alles Unheil verschuldet hat, von der Leitung entfernen.“ „Meine Armee wird ihm die gebührende Antwort darauf geben!“ „Ich befürchte nein. Denn wie sind wir für den Kampf gerüstet? Ohne Geld, mit veralteten Gewehren und mit Waffenfabriken, die nicht den zehnten Teil vom Bedarf leisten. Wir haben es versäumt, uns beizeiten aus England und Österreich neue Gewehre zu kaufen. Unser Heer mit allen seinen Vorzügen besteht zum größten Teil aus Veteranen, die durch lange Beurlaubung dem Kriegsdienst entfremdet wurden. Es wird von Greisen geführt, die bei aller Rüstigkeit doch nicht über die Erfordernisse des Paradeplatzes hinaus etwas verstehen. Wie wir damit den kriegsgewohnten Truppen Frankreichs standhalten wollen, ist unerfindlich. Was geschehen muß, muß also schnell geschehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, Eure Majestät um eine Entscheidung zu bitten, die Allerhöchstdieselbe doch früher oder später treffen müssen. Wir bitten also um Entlassung des Grafen Haugwitz, wir verlangen die Entfernung der Kabinettsräte Lombard und Beyme, die sich zwischen die Krone und ihre Berater gedrängt haben und die nur verhindern, daß Eure Majestät von der wahren Sachlage der Geschäfte gebührend unterrichtet werden!“ „Wenn Er, mein Herr Minister, die Unentbehrlichkeit der Kabinettsräte dartun wollte, Er hätte es nicht besser tun können als durch das, was Er soeben vorbrachte. Fürwahr, es wird Uns schwer, ein ruhiges Urteil zu gewinnen, wenn Uns in solch ungebührlicher Weise, wie jetzt von Ihm, Wünsche, Bitten und Vorschläge vorgebracht werden. Allein zu dem Zweck tut es not, treue Diener zu haben, die es verstehen, Uns in geziemender Weise zu nahen. So müssen Wir es ablehnen, Ihm irgendwie auf seine Vorstellungen etwas zu erwidern. Wir verweisen Ihn auf seinen Platz, Wir verbitten Uns jede unaufgeforderte Einmischung seinerseits in die Rechte der Krone, die Wir allein wahrzunehmen haben und auch wahrnehmen werden, ob es unseren Untertanen in den Kram paßt oder nicht. Er hat sich zu fügen und Uns zu vertrauen. Weder Unsere Minister noch Unsere Offiziere haben sich um Unsere Entschließungen zu kümmern. Und wagen sie’s, offen dagegen zu revoltieren und gar, wie es zu Unserer Betrübnis vorgekommen ist, auf offener Straße dagegen zu demonstrieren, so werden Wir es verstehen, Unsere Autorität zu wahren!“ „Wollen Eure Majestät in Gnaden verstatten? Das, was die jungen Offiziere sich erlaubt haben, das mag ungewöhnlich sein, eine Revolte ist es aber nie und nimmer gewesen, auch in keiner Weise ein Versuch, gegen des Königs Majestät irgendwie aufzubegehren. Dem Feind allein galt jene Kundgebung. Sie erfolgte spontan und aus dem unwiderstehlichen Bedürfnis, die Ehre des Landes zu wahren!“ „Die Ehre des Landes wahrt der König!“ „Der König _und das Volk_. So muß es sein. So wird es kommen. Und daß _die_ Erkenntnis zuerst hier in Eurer Majestät Hauptstadt zum erhebenden Ausdruck kam, dazu ist Eure Majestät zu beglückwünschen. Ich flehe zum Himmel, daß sich dieses Erwachen des Volkes nicht nur auf Berlin beschränken möchte. An jene Kundgebung müssen Eure Majestät anknüpfen, von da aus alles umgestalten, dann sind wir unwiderstehlich, dann kann uns nichts mehr etwas anhaben. Wie war es aber bis jetzt. Ich habe mich geschämt, als die Franzosen Hannover überfielen und das hannoversche Volk den Aufruf zur Rettung des Vaterlandes sich um die Fahnen zu scharen damit beantwortete, daß es alle waffenfähige Jugend außer Landes schickte. Und überdies der eigenen Armee den Unterhalt verweigerte, wenn sie nicht schleunigst Kanonen und Ausrüstung dem Feind überlieferte, damit der Krieg nur aufhöre. Waren das Deutsche, die so handelten? Ich habe mir immer wieder die Frage vorgelegt – und immer wieder antworten müssen – _ja, es waren Deutsche_ – aber _deutsche Knechte_, denen jedes Gefühl der Teilnahme für das Geschick des Vaterlandes abhanden gekommen ist, und die ihre Knechtschaft verdienen, wenn sie nicht lernen, sich selbst zu befreien! Deshalb habe ich gestern, im Theater, laut mitgejubelt und mitgesungen, als das große, heilige Gefühl, für die Ehre des Landes das Letzte herzugeben, so hell und klar aufloderte. Denn ich war dabei, und werde immer dabei sein, wo es gilt! Keinesfalls aber gebe ich mich dazu her, eine Politik der Knechtung des Volkes und der Kriecherei vor den Franzosen, wie sie Haugwitz und Lombard wollen, mitzumachen. Noch weniger lasse ich mir den Mund verbieten, wenn ich Mängel und Schäden im Staate sehe und die Pflicht und das Amt habe, nach bestem Gewissen zur Besserung beizutragen. Wird das ungnädig aufgenommen und gar als Ungebühr gerügt, so bleibt mir nichts, als entweder volles Vertrauen zu verlangen oder um meinen Abschied zu bitten!“ Der König hatte schweigend, ohne sich vom Kamin zu bewegen und ohne eine Miene zu verziehen, der Rede Steins zugehört. Er mochte nicht zeigen, wie sehr die eindringliche Art des Freiherrn auf ihn gewirkt hatte, mochte auch nicht das, was er als Ungebühr bezeichnen mußte, dadurch sanktionieren, daß er irgendwie auf dessen Ausführungen einging. Er ging langsam und steif einmal durchs Zimmer, kehrte dann zum Kamin zurück und sagte, ohne Stein anzusehen und ohne die Stimme irgendwie zu erhöhen oder im geringsten von seiner gemessenen Art zu sprechen abzuweichen: „Werden Ihm Unsere Entscheidung bezüglich seines Abschiedsgesuchs zukommen lassen!“ Eine kurze Handbewegung, und die Audienz war beendet. Der Freiherr verbeugte sich steif und nicht mehr als nötig, machte kehrt und ging. „Beyme!“ rief der König, und der kleine Kabinettsrat kugelte aus dem Nebenzimmer herein, den Brief Blüchers und das Antwortschreiben in der Hand. „Hergeben!“ sagte der König und setzte sich an den Schreibtisch. Er ließ sich den Antwortsentwurf von Beyme vortragen, nahm dann, ohne ein Wort des Beifalls oder Mißfallens zu äußern, Blüchers Brief vom Schreibtisch und las ihn, noch einmal prüfend, durch. Der General schrieb unter anderem: „aufgefordert durch die täglich immer bedenklichere Lage und gefährlicher werdenden Schritte, welche Frankreich sich in militärischer Rücksicht hier gegen Eurer Königl. Majestät Grenzen erlaubt, muß ich endlich mein Herz zu Füßen des Königs, meines Herrn, ausschütten; muß ich als treuer und grau gewordener Diener von Höchstdero erhabenem Hause meine Ansichten unserer Lage Frankreich gegenüber zum ersten und zum letzten Male Euer Majestät zu Füßen legen. – – – – – Frankreich meint es mit keiner Puissance redlich und gut, am allerwenigsten mit Euer Königl. Majestät, als der einzigen Macht, die seinem Eroberungs- und Unterjochungssystem in Deutschland noch allein im Wege steht. Es verbirgt sogar seine Ansicht nicht; denn wenngleich es mitunter süße Vorspiegelungen macht, so widersprechen alle seine Handlungen gegen Eure Majestät diesen geradezu. Die Invasion von Hannover, der letzte gewaltsame Durchmarsch durchs Ansbachsche, und die räuberische Besetzung von Essen und Werden, sowie der ganze arrogante Ton, den der französische Monarch sich erlaubt, beweisen Euer Königl. Majestät mehr als genug, was ich zuvor gesagt habe. Alle treuen Untertanen Eurer Königl. Majestät, alle echten Preußen, und die Armee besonders, haben das Herabwürdigende dieser französischen Demarchen tief empfunden, und fühlen es noch, und alles wünscht die gekränkte Nationalehre bald – recht bald – blutig zu rächen. Wer das Betragen Euer Königlichen Majestät aus einem anderen Gesichtspunkt darstellt – –“ Der König sah bei diesem Passus vom Briefe auf und blickte Beyme lange an. Dann las er weiter: „– – wer Eurer Königlichen Majestät zu fortwährendem Nachgeben, zum Frieden mit dieser Nation rät, der ist entweder sehr, sehr gutmütig, sehr kurzsichtig, oder er ist mit französischem Golde gekauft –“ Hier unterbrach der König das Lesen und warf den Brief auf den Tisch. Er nahm dann das Antwortschreiben Beymes aus dessen Händen entgegen, zerriß es, ohne es zu lesen, langsam und bedächtig, zum Entsetzen des Kabinettsrats und ließ die Fetzen in den Papierkorb fallen. „Wollen dem verdienten General nicht seine soldatische Offenheit strafen! Wollen aber auch ihm keine unerbetene Einmischung verstatten – ziehen es vor, ihn ohne Antwort zu lassen.“ Beyme verbeugte sich schweigend. „Hörte Er vorhin, was der Freiherr vom Stein Uns zu erzählen wußte?“ „Der Baron war sehr laut – –“ „Er hat Uns seinen Abschied nahegelegt!“ Der König blickte Beyme fragend an. Und dieser glaubte aus der veränderten Absicht des Königs dem General Blücher gegenüber schließen zu dürfen, daß er doch nicht mehr so unempfindlich gegen die Vorstellungen Steins war, wie vorhin. Er fand es also klüger, einzulenken und demnach zu raten. „Der Freiherr verdient zweifelsohne eine Maßregelung ob seines dreisten Tones“, sagte er zögernd. „Er hat aber im Amte viel Eifer und Tüchtigkeit bewiesen. Will er jetzt zurücktreten, so tut er es nur, um sich der Verantwortung zu entziehen – wenn das Unglück, das er prophezeit, wirklich eintreten sollte! Und da verdient er eben seinen Abschied _nicht_ zu bekommen!“ Der König merkte wohl, worauf sein lieber Beyme hinauswollte, sagte aber nichts, sondern blieb sitzen wie vorhin und blickte geradeaus. Ein Minister, der mit seinem Rücktritt drohte – das war ihm neu! Sonst pflegten diese Herren an ihren Ämtern zu kleben. Neun Zehntel ihres Strebens ging darauf aus, sich die Gunst zu erhalten. Sie waren fleißig, enthielten sich eines jeden Widerspruchs, machten ihre Dummheiten mit größter Diskretion, glatt, delikat unter Wahrung der Form, blieben trotz etwaiger Fußtritte auf ihrem Platz, maßten sich keine Verantwortung zu, die ihnen nicht zukam, und belästigten niemals mit Ansichten und unerbetenen Ratschlägen! Und nun dieser Stein! Ein ausgezeichneter Verwaltungsbeamter, ein fleißiger Arbeiter, aber schroff, steifnackig, eigenwillig, geradeheraus und herrisch! Er stellte gar Bedingungen! Entweder du tust meinen Willen oder ich gehe! Das ginge nicht! Das dürfte nicht sein! Er sollte bleiben! Er müsse sich aber ducken, müsse sich an die Trense gewöhnen. Nachher ließe sich schon gut mit ihm fahren! Der König blickte Beyme an, der noch in gespannter Aufmerksamkeit wartete. „Wollen Uns die Sache noch überlegen!“ sagte er kurz. „Seinen Verweis hat der Freiherr! Die anderen werden ihrem Teil auch nicht entgehen! Er aber sorge dafür, daß uns der Straßenpöbel mit aufrührerischen Kundgebungen nicht noch einmal inkommodiere! Dulden Wir das, so steht das ganze Volk auf und will mitregieren!“ „Gestatten, Majestät – auf der Straße gibt es immer Leute, die mitschreien, wo es zu schreien gibt. Sie sind nicht das Volk. Das Volk ist froh und zufrieden, eine weise Regierung zu haben, die ihm den Frieden sichert, damit es in Ruhe seinem Erwerb nachgehen kann. Die Neutralitätspolitik von Euer Majestät Regierung hat das bewirkt und einen noch nicht dagewesenen Wohlstand erzeugt. Man ist überglücklich und zittert nur vor dem einen: in den allgemeinen Kriegsstrudel hineingezogen zu werden. Man will den Krieg nicht –“ „Aber man schreit auf den Straßen und sucht ihn zu provozieren. Ob Krieg oder Friede, haben Wir nach Unserem Ermessen zu entscheiden. Wir wollen den Krieg nicht. Das merke Er sich, Beyme. Er kann gehen!“ Der Kabinettsrat verbeugte sich, so tief es seine kugelrunde Statur erlaubte, und ging. Der König rief seinen Generaladjutanten und Kabinettsrat für militärische Angelegenheiten, den Oberst von Kleist, und verfügte kurz: „Den königlichen Prinzen ist zu befehlen, sich sofort zur Armee, zu ihren respektiven Truppenteilen zu verfügen. Haben zuviel Freiheit gehabt, müssen sich wieder an Disziplin gewöhnen!“ * Der korsische wilde Jäger ließ seine Meute los. In der Urheimat der alten Germanen, im Thüringer Wald, fing die Hetze an. Anfangs lauerte die Meute weit auseinander zerstreut in Süddeutschland, von Passau und Memmingen, südlich der Donau, über Ansbach und Würzburg bis Frankfurt am Main. Dann nahmen sie die Fährte auf und stöberten vorwärts aus allen den verschiedenen Richtungen gegen den einen Punkt, wo Erzgebirge und Fichtelgebirge einerseits mit dem Thüringer Wald, andererseits in stumpfem Winkel zusammenstoßen, sich wie eine schützende Barriere vor Norddeutschland legen und nur durch einige Pässe im Quellengebiet der Saale bequemen Durchlaß gewähren. Dort wollte der wilde Jäger seine Meute vorbrechen lassen, sie auf dem rechten Saaleufer vorwärts treiben und so die preußische Armee, die sich nördlich vom Thüringer Wald aufgestellt hatte, überflügeln und von ihren rückwärtigen Verbindungen abschneiden. – Inzwischen tastete die preußische Armee zaghaft bald rechts, bald links um den Thüringer Wald herum, unsicher, ob sie den Feind abschneiden, ihm frontal entgegentreten oder, in der Defensive verharrend, ihn mit verwandter Front, in der Flankenstellung hinter der schützenden Saale erwarten sollte. Ihr Hauptquartier hatte sie in Erfurt. Erfurt, bis vor zwei Jahren eine stille Stadt in den Landen des Kurfürsten von Mainz und Großkanzlers des jetzt zertrümmerten Heiligen Römisch-Deutschen Reiches, bekam somit nachdrücklich zu wissen, daß es zum Range einer Hauptfestung des großmächtigen Königreichs Preußen erhoben worden war. Die Stadt schien in ein wahres Feldlager verwandelt zu sein. Tag und Nacht herrschte in den Straßen ein reges Treiben. Kanonen, Munitionswagen und Fahrzeuge aller Art rollten dröhnend über das Pflaster, daß die Hauswände zitterten und die Scheiben klirrten. Taktfeste Tritte von marschierenden Truppen, Pferdegetrampel, Trompetengeschmetter, Trommelschlag, Pfeifenklang, Schreien, Lachen, Schelten, Kommandoworte, Geräusche aller Art schwirrten durch die Luft. In den Straßen und auf den Plätzen drängten sich Neugierige jeden Standes und Alters, rannten sich die Rippen ein und zertraten sich fluchend die Hühneraugen. Stafetten und Kuriere aller Waffengattungen durcheilten mit Windesschnelle die Stadt in allen Richtungen. Uniformen der berühmtesten preußischen Regimenter zeigten sich überall, auf dem Anger, im Karthäusergarten und in den Läden auf der „Krämerbrücke“. Zopf und Schnauzbart dominierten und wurden allseitig angestaunt. In den engen Straßen der Altstadt war ein Gedränge und Getriebe wie seit Menschengedenken nicht. Und wackere Kriegerburschen pirschten die Gäßchen ums Augustinerkloster nach holder Weiblichkeit ab und blickten wohl auch nebenbei staunend zu den Klostermauern hinauf, hinter denen vor dreihundert Jahren der hochgelahrte Herr Dr. Martinus Lutherus selbst das Keuschheitsgelübde abgelegt hatte, als er dorten als Mönch eintrat. Sächsisch, Schlesisch, Rheinisch, Platt und unverfälschtes „Balinsch“ kämpften in babylonischer Verbiesterung um den Vorrang im Konzert. Bis endlich die Kanonen der Zitadelle Petersburg mit dem königlichen Salut einsetzten und die Glocken all der vielen Kirchen, vor allem die altberühmte „Maria gloriosa“ des Domes mit ehernen Stimmen die Majestät des Königs von Preußen begrüßten und so Preußen über alles zur Losung machten und als Sturmzentrum alles Geschehens proklamierten, von dem aus es deutsch nach allen deutschen Gauen, Widerhall heischend, schallen konnte. Am fünften Oktober sollte beim König Kriegsrat abgehalten werden. Kriegsrat, das heißt für gewöhnlich Bestätigung und Vermehrung der Ratlosigkeit bei der Führung. So war es auch hier in Erfurt. Da sollten ein Dutzend oder mehr Köpfe das Unmögliche vollbringen, sich um einen Entschluß zu einigen, den der Oberbefehlshaber trotz seiner Machtvollkommenheit nicht allein zu fassen wagte, sei’s aus Alters- oder Charakterschwäche, aus höfischen Rücksichten oder um sich einer ihm lästigen Verantwortlichkeit zu entziehen. Tüchtigkeit und besondere Befähigung allein sind leider nicht immer bei Besetzung eines Amtes an dieser Stelle maßgebend. Es gibt höfische Rücksichten, die da mitreden, Rücksichten auf Familie, Verwandtschaft, Dienstalter, Rang und Namen, die oft den weniger Geeigneten, zum Schaden der Sache, an führende Stelle verhelfen und verhindern, daß die rechte Person auf den rechten Platz kommt. So kam es, daß der Herzog von Braunschweig, als ältester Feldmarschall und berühmtester Heerführer Preußens, mit dem Oberbefehl betraut wurde. Seine siebzig Jahre waren kein Hindernis. Aber – auch der General Fürst Hohenlohe-Ingelfingen hatte Ansprüche auf ein selbständiges Kommando, und man hatte geglaubt, ihm mindestens die Führung einer Armee geben zu müssen. Man schuf also, statt einer einheitlichen, zwei Hauptarmeen, nominell mit dem Herzog von Braunschweig als gemeinsamen Oberbefehlshaber, aber doch voneinander ziemlich unabhängig. Denn der Herzog, voll weltmännischer Courtoisie, nahm jede Rücksicht und ließ dem Fürsten Hohenlohe seinen Kopf für sich. Dieser Kopf Hohenlohes hieß von Massenbach, Oberst und Generalquartiermeister-Leutnant bei seinem Armeekommando. Der Fürst selbst war mehr zum Gehorchen als zum Befehlen veranlagt. Er gehorchte also dem, der ihm in geeignetster Weise befehlen konnte. Und da das nicht der Herzog war – gehorchte er also, wenn auch unbewußt, seinem Generalstabschef Massenbach. Dieser war ein Genie. Aber eins von jener Sorte, die besser als alle anderen wissen wollen, wie man reiten soll, aber selbst nicht reiten können. Er hatte Ideen – strahlende Ideen – tiefe Ideen – unfaßbar geniale Ideen, die alles bisher Dagewesene in Schatten stellten. Er war von seiner Vollkommenheit ebenso fest überzeugt, wie von der gänzlichen Bedeutungslosigkeit aller anderen Generalstäbler. Er war aus Schwaben, war apoplektisch, kahlköpfig, hatte rosige, blühende Wangen und redete wie ein Wasserfall. Wenn er seine kleinen, runden, braunen Augen aufsperrte, sein Auditorium fest anblickte und dabei ein Brillantfeuerwerk von gut gespitzten Argumenten und Widerlegungen in endlosen Wortschlangen über die nimmermüden Lippen herausließ, dann betäubte er sein Auditorium – aber auch sich selbst, so daß er jeden auch noch so begründeten Einwand überhörte. Denn er überzeugte weder, noch ließ er sich überzeugen. Er konnte nur sich selbst reden hören und behielt, seiner Meinung nach, deshalb stets das letzte Wort. Er hatte also recht, war maßlos erstaunt und ungehalten, wenn man doch gegen seine Meinung zu handeln wagte, und tat alles, um es zu hintertreiben. Also ein unbequemer Untergebener, der an keine Stelle hinpaßt wo es große Entschließungen zu fassen galt, dem aber trotzdem ein viel zu weitgehender Einfluß eingeräumt worden war. Beim Kriegsrat wurde das merkbar. Man zankte sich dort um die verschiedenen Offensivpläne der verschiedenen Armeeleitungen – obwohl der Herzog von Braunschweig, als Oberbefehlshaber, aus eigener Machtvollkommenheit den Angriffsplan entwerfen und, ohne Befragung anderer, ins Werk setzen konnte und mußte. Seine Idee war von Anfang an: sofort mit zehn Divisionen in sechs Kolonnen den Thüringer Wald zu überschreiten, sich bei Meiningen und Hildburghausen zu vereinigen und von dort aus anzugreifen, eine Division im Bayreuthischen zu postieren, um die Pässe zu besetzen und zu verteidigen, und drei Divisionen rechts vom Thüringer Wald auf der Straße nach Frankfurt vorgehen zu lassen, um dort das Korps Angereau festzuhalten. Wäre dieser Plan sofort ohne Zaghaftigkeit als Überfall ausgeführt worden, dann hätte man auch sicherlich mit ihm Erfolg gehabt. Auch wenn die Überrumpelung nicht gelang – wenn der Feind schneller sein würde und der Bewegung der preußischen Armee zuvorkäme, dann vereinfachte dieser Plan doch die Verteidigung. Denn durch die konzentrierte Aufstellung bei Erfurt und Weimar war man imstande, dem Feind frontal entgegenzutreten, wenn er über den Thüringer Wald oder von der Frankfurter Straße käme, und wäre durch die Saale geschützt, wenn er durchs Bayreuthische gegen die deutsche linke Flanke vorginge. So hätte man die Rückzugslinie auf Magdeburg und Wittenberg gewahrt und unter allen Umständen die Elblinie und Berlin gedeckt. Der Befehlshaber der zweiten Hauptarmee, Fürst Hohenlohe, hatte sich aber von seinem übergenialen Generalstabschef Massenbach einen ganz anderen Plan ausklügeln lassen, überwältigend, versteht sich, aber verwirklicht, unklar und unpraktisch. In der Hauptsache ging der Plan darauf aus, eine Offensive auf dem rechten Saaleufer vorzunehmen unter gleichzeitiger Entsendung kleiner Detachements auf der Eisenacher Straße und Patrouillen durch den Thüringer Wald. Unter gänzlicher Umgehung des Oberbefehlshabers und hinter dessen Rücken unterbreiteten Hohenlohe und Massenbach dem König diesen Plan. Es gelang ihnen wohl nicht, dessen förmliche Annahme durchzusetzen. Aber sie stifteten durch ihre Vorstellungen und Mahnungen immerhin allerhand Verwirrung an, verursachten Zeitverlust, machten den ohnehin durch Alter geschwächten Oberbefehlshaber unsicher – und verschafften so dem Gegner noch mehr Zeit, die er gut zu benutzen verstand. Als der König dann bei der Armee ankam, griff der Herzog begierig die Gelegenheit auf, ihm die Verantwortung aufzubürden, zog sich selbst auf die zweite Stelle zurück und veranlaßte Zusammenberufung eines Kriegsrates, der also den endgültigen Entschluß fassen sollte, zu dem er allein nicht mehr die nötige Entschlossenheit hatte. Zum Kriegsrat waren erschienen, außer dem alten, immer noch weltmännisch eleganten Herzog von Braunschweig und dem Fürsten Hohenlohe, der achtzigjährige, stattliche und ungemein berühmte Feldmarschall von Möllendorf, in jeder Beziehung dekorativ und eine Zierde jeder Versammlung, und der Kommandierende der dritten Armeegruppe, der kleine feurige Draufgänger General von Rüchel, mit blitzenden Augen unter krausem weißen Haar, entschieden, polternd, herrisch und ein wenig martialisch sich brüstend. In seinen eigenen und anderer Augen war er der gegebene Oberbefehlshaber, wenn nicht höfische und andere Rücksichten die Prinzen ihm vorgezogen hätten. Jedenfalls sah er in sich den berufenen Hüter der friderizianischen taktischen Tradition, wie sie noch auf den Paradeplätzen mit Eifer und Gewissenhaftigkeit geübt wurde. Ferner waren anwesend die drei Generalquartiermeister-Leutnants Phull, Massenbach und Scharnhorst, die berufen waren, unter Führung des Generalquartiermeisters und Kriegsministers Gensau, gemeinsam den Generalstab zu leiten. Verschiedenartigere Leute als diese drei zogen noch nie an einem Strang. Phull war unberechenbar, eigenwillig, schrullenhaft, Scharnhorst ruhig, sicher und methodisch und Massenbach übersprudelnd von gelehrten Schlagwörtern und von Gründen, gegen die nicht aufzukommen war. Phulls Strategie ging von der Lage der Magazine aus, hatte sich eins von diesen Magenzentren ausstrahlendes „Radialsystem“ zurechtgelegt und kam darüber nicht hinaus. Massenbach wiederum klebte am Terrain und vergaß darüber die Truppe. Wogegen Scharnhorst, mit sicherer Intuition für die Bedeutung der Individualität und deren Schulung, alles darauf legte, offene Augen, einen klaren Kopf und schnelle Entschlußfähigkeit zu schaffen, diese durch kriegsgeschichtliche Studien zu fördern und so einen Stab um sich zu scharen, der, von keiner vorgefaßten Theorie behindert, jeder der tausend wechselnden Situationen im Kriege gerecht werden konnte. Diese drei Systeme führten miteinander Krieg und führten ihn so mit dem Feind. Der kleine, oberflächliche und verbindliche Minister des Äußeren, Graf Haugwitz, chevaleresk, hinterhältig, glatt, poliert und leichtfertig wie immer, war auch dabei. Ihm zur Seite sein Adlatus, der frühere Botschafter in Paris, Marquis Luchesini. Der Diplomatie dieses Braven verdankte Preußen den Pariser Vertrag, durch den es zum Vasallenstaat Napoleons degradiert werden sollte. Anwesend war ferner, wenn auch ohne Sitz und Stimme im Kriegsrat, die rechte Hand des Königs, der Kabinettsrat Lombard, der einflußreichste Mann am Hofe und im Lande verhaßt wie kein zweiter. In einer Zeit, in der die Friseure als Anekdotenerzähler und Neuigkeitskrämer ebenso geschätzt waren wie als Künstler, und ihre vornehmste Obliegenheit _die_ war: der feinen Welt die letzte Tournure zu geben – da waren es nur Leute von Esprit, Witz und tadellosen Manieren, die es auf dieser Laufbahn zu etwas bringen konnten. Sie waren gewissermaßen Hüter und Träger des guten Geschmacks und dessen berufenste Vertreter und waren in Reinkultur, was der hohe Adel erst durch die Kunst ihrer Hände wurde. Sie fertigten die mondäne Attrappe an, die den Inhalt, das übliche sündige Fleisch und Blut, mit Anstand verdeckte. Als Sohn eines Perückenmachers hatte Lombard also in dieser Beziehung Ahnen erster Güte, auf die er sich berufen konnte. – Er war auch wohlgebildet, gefällig, weltmännisch geschliffen, aalglatt und falsch, von der Überlegenheit der französischen Kultur vollkommen überzeugt, und also auch der eifrigste Verfechter einer franzosenfreundlichen Politik. – Er war Träger der Tradition von der Unumstößlichkeit und Machtvollkommenheit einer Kabinettsregierung, wie sie am preußischen Hofe noch in Reinkultur bestand. – Er war ohne Ministerportefeuille mächtiger als sämtliche Minister der drei Könige, denen er gedient hatte, und war ohne Sitz und Stimme in der Regierung doch maßgebend, weil stets in persönlicher Berührung mit dem König. Des weiteren nahmen an der Beratung teil: der würdige General von Köckritz, der Generaladjutant Oberst von Kleist, und eine Unzahl Räte und Schreibersleute! Prinz Louis Ferdinand war nicht einmal als Zuhörer geladen und wartete mit Blücher im Quartier des Generals von Rüchel auf Nachricht vom Verlauf der Konferenz. Das große Wort bei der Beratung führte natürlich Oberst von Massenbach, der in langen und wortreichen Ausführungen zu beweisen versuchte, daß alles Heil nur darin zu suchen wäre, mit beiden Hauptarmeen links über die Saale abzumarschieren, die feindliche Armee auf dem Marsche anzugreifen, die Rückzugslinie auf Dresden zu nehmen und so auch Schlesien, das ohnehin durch Böhmen gedeckt war, noch mehr zu schützen. Rüchel würde inzwischen mit seiner Armee irgendwo auf der rechten Flanke rekognoszieren. Oberst von Scharnhorst dagegen, ruhig klar und überlegt wie immer, bestand auf dem hauptsächlich von ihm entworfenen Offensiv- und Defensivplan des Herzogs von Braunschweig, freilich ohne den wortreichen Massenbach dadurch niederkämpfen zu können, und im Bewußtsein, daß man durch das Zögern wohl schon den rechten Zeitpunkt verpaßt hatte. Man entschied sich endlich weder für das eine noch für das andere, beließ die Hauptarmee als Zentrum bei Erfurt, stellte die Armee Hohenlohe, unter gleichzeitiger Besetzung der Saalepässe, als linken Flügel bei Blankenhain auf und den rechten Flügel unter Rüchel bei Craula. Nebenbei sollte rekognosziert werden. Der wankelmütige Oberbefehlshaber hoffte noch im geheimen auf Napoleon. Wenn nur nicht zur Offensive geschritten wurde, würde dieser wohl auch vermeiden wollen, als Angreifer zu scheinen, wodurch womöglich noch in letzter Stunde der ganze Krieg vermieden werden könnte. In dieser Utopie wurde er allerdings bestärkt durch einen soeben beim König eingegangenen versöhnlich gehaltenen Brief Napoleons! Prinz Louis Ferdinand lachte laut auf, als ihm General Rüchel nachher den Verlauf der Konferenz schilderte. „Unser Oberbefehl erinnert mich täuschend an ein russisches Dreigespann, eine richtige Troika“, sagte er. „Das mittlere Pferd läuft da, wie Sie wissen, in stetem, ruhigem Trab – die beiden Seitenpferde in Galopp! Alle ziehen aber in einer Richtung vorwärts. Wogegen beim Oberkommando die drei Pferde – unsere drei Generalquartiermeister-Leutnants – alle woanders hin wollen! Scharnhorst in der Mitte hält den beiden andern, Phull und Massenbach, die Stange, so gut er kann! Aber der Fahrer auf dem Bock, der Herzog, gibt ihm nicht den nötigen Rückhalt! Er fährt unsicher, ist zu liebenswürdig und zuvorkommend, läßt jeden, der behauptet, ein Anrecht darauf zu haben, zu sich auf den Bock, duldet, daß diese unerbetenen Mitfahrer ihm noch in die Zügel fallen und läßt das Fahrzeug bald nach links, bald nach rechts schwenken, je nachdem sie ihm zurufen: ‚Achtung Stein! Aufgepaßt eine Grube!‘ Im Wagen aber, unter der Krone, sitzt mein Vetter, der König, behauptet die Würde und läßt sich von den auf dem Steg mitschaukelnden beamteten Ohrenbläsern Lombard und Haugwitz schöne Vorträge halten über die herrliche Aussicht, die man haben könnte, wenn’s nicht so neblig wäre, und übersieht darüber das schlechte Fahren des Kutschers! Hinten aber, auf dem aufgestapelten Gepäck, sitzt der Kriegsminister Gensau, klein, dick und dumm, hält seine Akten zusammen und schreibt und rechnet und rechnet und schreibt und ordnet immer wieder die Gepäckstücke, deren überflüssigstes er selbst ist, je nachdem wie sie, bei der Fahrt auf dem holprigen Weg, durcheinandergeworfen werden.“ „Gensau,“ sagte Rüchel, „von dem hörte ich eben ein entzückendes Geschichtchen, als ich vorgestern meine Armee verließ, um zum Kriegsrat hierherzukommen. Die Geschichte ist charakteristisch für das System und büßt nichts dadurch ein, daß sie wahr ist. Ich stieß nämlich plötzlich mit dem alten ‚Isegrim‘, Yorck, zusammen. Hoheit kennen ihn? – Nein?! – Klein, dürr, knarrig, Querkopf erster Güte, sieht überdies aus wie eine schlechte Karikatur vom Alten Fritzen! – Er stand also da und schimpfte und fluchte und wetterte über die Schweinewirtschaft im Generalstabe, über die Kopflosigkeit und die Unordnung und die Liederlichkeit bei der Quartiermachung, kurz über Gott und alle Welt! ‚Da steh’ ich,‘ sagte er, ‚und glaube nach beendigtem Tagesmarsch meine wohlverdiente Ruhe haben zu können, und plötzlich meldet sich zu nachtschlafender Zeit einer meiner Offiziere bei mir. ‚Was will Er?‘ hab’ ich gefragt. ‚Meldung vom feindlichen Anrücken?‘ ‚Zu Befehl, nichts vom Feind zu sehen!‘ ‚Was treibt Er sich denn herum? Hat Er nicht seine Befehle?‘ frage ich. ‚Zu Befehl, die hab’ ich!‘ sagte er. ‚Ich habe Order Quartiere zu beziehen. – Wir finden aber die Quartiere nicht!‘ ‚Soll ich Ihm helfen?‘ frage ich. ‚Hat ein Oberst und Regimentskommandeur nichts Wichtigeres zu tun, als Kinderfrauendienst bei den Majors und Leutnants zu versehen? Wo ist Sein Quartierzettel? Zeige Er her!‘ Und ich nehme den Zettel und lese ihn vor, denn da stand deutlich und klar der Name des Dorfes, wo er Quartier nehmen sollte. Und ich wasche ihm noch gründlich den Kopf und werfe ihm den Wisch wieder hin. Da sagt er ganz ruhig: ‚Lesen kann ich auch! Und was drauf auf dem Zettel steht, weiß ich ebensogut zu deuten, wie der Herr Oberst selbst. Aber mit Erlaubnis zu sagen – ich möchte das Dorf nicht nur angewiesen haben, ich möchte es auch tatsächlich haben!‘ Das ging denn doch zu weit. – ‚Soll ich Ihm den Weg zeigen? Schere Er sich! Was zum Kuckuck behelligt Er mich mit dergleichen?‘ schreie ich ihn an und kriege einen roten Kopf und gebe ihm noch einmal einen Denkzettel, der sich gewaschen hat. Der Kerl rührt sich aber nicht vom Flecke! Er geht nicht! Er steht nur da und hört in aller Ruhe zu, wie ich ihm mit Schweinerei und saumäßigem Dienst und dergleichen um die Ohren werfe, und feixt auch noch und sagt dann endlich: ‚Wenn das Dorf zu finden wäre – ich hätte es schon gefunden! Wir haben die ganze Gegend abgesucht! Aber nichts zu sehen! Die Nachbardörfer, ja, _die_ waren da, aber unser Dorf nicht! Kein Mensch wußte etwas vom ganzen Dorf! Endlich haben wir einen uralten Küster vor der Tür seines Hauses gefunden – der sagte uns Bescheid. ‚Das Dorf,‘ sagte er, ‚war einst das größte und reichste hier in der Gegend – bis der Dreißigjährige Krieg kam! Der ließ aber keinen Stein auf dem anderen, der vertilgte das Dorf mitsamt den Bewohnern spurlos vom Erdboden!‘ – So sagte der Küster. Aber auf der Karte des Generalstabes steht das Dorf immer noch verzeichnet – in den Quartierlisten der Armee auch! Und da drinnen, in dem Dorfe sollen wir nun wohnen!‘ So eine Sauwirtschaft ist nur unter dem alten Gensau möglich‘, sagte Yorck und fluchte und trug mir in drei Teufels Namen auf, die Sache gelegentlich des Kriegsrats vorzubringen, was ich auch mit Wonne besorgt habe! Das war meine Zutat zur heutigen Beratung! Mehr praktische Arbeit wurde von mir weder geleistet noch verlangt, und von den meisten anderen ‚Beratern‘ auch nicht!“ Der Prinz lachte noch toller. Blücher aber, ärgerlich über die lange Dauer der Beratung, schimpfte gleich los. Rüchel hätte von Rechts wegen das Oberkommando haben müssen – der Prinz hier mindestens ein Armeekorps statt einer Division, und er, Blücher selbst, müßte die ganze Kavallerie unter sich haben, dann stünde man jetzt nicht noch hier! Dann hätte man längst die Franzosen auseinandergejagt, den Rheinbund gesprengt und den sauberen Königen von Napoleons Gnaden, den von Bayern und den von Württemberg mitsamt ihrem badischen Bundesbruder gezeigt, wo man im deutschen Vaterlande von Gottes Gnaden zu Fürsten ausersehen wäre! Eine Schmach war’s, daß sie, obwohl Deutsche, gegen Deutsche kämpfen wollten! Ein Blödsinn aber von der preußischen Regierung, zu glauben, diese Abtrünnigen nur dadurch vom Kampf abhalten zu können, daß Napoleon sie nicht angriffe! Denn, ob er als Angreifer oder Angegriffener dastünde, gleichviel! Die dreiundsechzigtausend Mann Bayerns, Schwabens und Hessen-Darmstadts würden doch gegen Preußen marschieren und helfen es einzuengen! Dagegen wäre nur eins am Platze gewesen: schnell wie der Wind dazwischenfahren! Und wenn ein paar von den Zaunkönigen Napoleons dabei vom Ast gefallen wären – schaden täte das der deutschen Sache nicht! Solche Fürsten könnte man entbehren! Die Armeeleitung wußte aber nicht mehr, was sie wollte. Sie ließ jede gute Gelegenheit, dem Feind einen Streich zu spielen, vorübergehen und schien nur zu dem einen entschlossen zu sein: stets zu spät zu kommen. So hatte man erst jetzt, wo man sicher sein konnte, daß die französischen Korps ihren Standort längst verlassen hatten, den großen Entschluß gefaßt, ihnen mit einem kühnen Husarenstreich in die Quartiere, wo sie nicht mehr lagen, zu fallen, um ihren natürlich längst stattgefundenen Aufmarsch zu stören! Und statt sich damit zu begnügen, sich mit ein paar Schwadronen bei diesem nachträglich mutigen Unternehmen zu blamieren, wollte man die ganze Vorhut unter dem Herzog von Weimar quer durch den Thüringer Wald, zu ebendiesem Zweck schicken! – Ganze zwölftausend Mann, die bei der Hauptarmee viel nötiger waren, aber jetzt todsicher dort fehlen würden, wenn’s zur Entscheidung käme! Und das waren von den besten Truppen Preußens! Da waren darunter das berühmte Regiment Kuhnheim, das älteste der Armee – das Regiment Braunschweig-Oels, das seinerzeit den Sieg bei Turin entschied – das Regiment von Borck, das unter Blüchers eigenen Augen bei Kaiserslautern in Schritt und Richtung wie auf dem Paradeplatz marschierend die französischen Linien durchbrach – da waren das seit Zorndorf, Kollin und Prag berühmte Pommernregiment Owstien, das Grenadierbataillon Graf Wedel, die Yorckschen Jäger, die Husarenregimenter von Pletz und von Zieten – nächst seinen eigenen „Roten“, auf die er nichts kommen ließe, die besten der Armee! – Lauter Kerntruppen, auf die ein Verlaß sei! Und die ließ man ziehen! Man war doch ohnehin viel zu schwach! Durch Stockung der Anwerbung, durch Desertionen und durch die vielen Invaliden, die beim Ausmarsch zurückbleiben mußten, waren die Truppenteile sowieso weit unter den Bestand gesunken, den sie haben sollten! Viele Tausende waren so verlorengegangen! Und die ostpreußischen Truppen waren überhaupt nicht ausgerückt! – Das waren über zwanzigtausend Mann. Fast fünfzehntausend hatte man aus Angst vor den lieben Polen im Herzogtum Warschau und zur Verstärkung der Garnisonen in den nicht bedrohten schlesischen Festungen gelassen! In Westfalen fühlte man sich auch der Bevölkerung nicht sicher und ließ dort fast ebensoviel stehen! – Von den westpreußischen Truppen hatte man, dämlicherweise, eine „strategische Reserve“ gebildet, die irgendwo in der Luft hing und sicherlich erst zum Vorschein kommen würde, wenn’s zu spät wäre und die anderen Truppen abgekämpft waren – sicherlich aber nicht, wenn sie benötigt würde! Von der ganzen berühmten preußischen Armee, von zweihundertundzwanzigtausend Mann, war nur die Hälfte zur Stelle, außer den achtzehntausend Sachsen, die nicht zählten! Überhaupt die Bundesgenossen! Die hätten ganz anders angepackt werden müssen! Kurz und gut erklären: Entweder du marschierst mit und schlägst dich, wo es eine deutsche Sache gilt, oder ich verschlucke dich! Sonderinteressen gibt’s nicht! Was war das nun wieder für eine Schlappschwänzigkeit der preußischen Diplomatiker gewesen, all den kleinen Fürsten Neutralität zuzugestehen?! Mecklenburg, Anhalt, die Schwarzburg, die Lippe, die sächsischen Herzöge, den Herzog von Braunschweig, alle ließ man neutral bleiben – und Kurhessen durfte gar abwarten, bis es sähe, auf welcher Seite es zum Sieg käme, ehe es sich entschlösse einzugreifen! Kursachsen schickte bloß seine halbe Armee, Weimar ein – sage und schreibe – ein Bataillon Jäger! „Das sind alles in allem fünfzigtausend Mann, die wir hätten _mehr_ haben können, wenn wir nur den Mut gehabt hätten, einmal gegen diese Herrschaften bestimmt aufzutreten! Aber das wagten wir nimmermehr! Was heißt das, von Kurhessen eine derartige Niedertracht zu dulden! Das liebäugelt mit dem Korsen und will sich seinem Rheinbund anschließen und ihm die Stiefelsohlen lecken, wenn er ihm bloß gestattet, Darmhessen zu schlucken! Und rutscht auf dem Bauch vor Preußen und macht auch den Norddeutschen Bund mit, wenn wir ihm zugestehen, die angrenzenden kleinen Standesherrschaften zu annektieren! Und schmeißt uns den ganzen Bund um, weil wir dazu nur ‚nein‘ sagten statt den Kurfürsten fest am Genick zu packen und ihn auf die Knie zu zwingen! Himmeldonnerwetter, hätte man mir nur freie Hand gelassen, als ich auf dem Weg hierher durch Kassel kam. Ich hätte den guten Kurfürsten schon beim Schlafittchen genommen! Ich hätte uns die hessische Armee, mir nichts dir nichts, angegliedert! Und mitgegangen wäre sie! Aber da kamen wieder die berühmten Kontraorders vom Kabinett, und nun können wir sehen, wie wir’s machen! Ich würde kein Wort darüber verlieren, wenn es nur sonst ein Ende nähme mit dieser bodenlosen Unentschlossenheit und diesem Hin und Her ohne Reim und Räson! So geht’s ja nie und nimmer mit zwei kommandierenden Generalen und drei Quatiermeistern, die alle woanders stehen und alle was anderes wollen, und kreuz und quer kommandieren und nachher, jeder für sich, die Entscheidung vom König holen, der selbst nicht weiß, ob er alles oder gar nichts will! Dabei ist die Armee noch in der Umbildung, hat die Einteilung in Divisionen kaum durchgeführt, geschweige denn jemals im Ernstfall ausprobiert! Wenn die Leute, die uns heute kommandieren, uns da nicht eine große Schweinerei bescheren, will ich gehängt sein! Ich bin gespannt, was schließlich bei dem Kriegsrat herauskommt!“ „Ich nicht!“ sagte der Prinz, dem das Schimpfen des alten Haudegen sichtbar großes Vergnügen bereitete. „Wenn mein Vetter gescheit wäre, würde er tun wie unser gemeinsamer Ahnherr, der große Friedrich, und rundweg jeden Kriegsrat verbieten. Er würde die ratlosen Herrschaften nach Hause schicken und Rüchel und Sie, Blücher, und mich zu sich rufen und sagen: ‚Jetzt macht die Sache, ihr drei! Macht sie schnell, macht sie gut, sucht den Feind auf und schlagt ihn!‘ Das tut er aber nicht, er ruft Herrn Beyme, er ruft Herrn Lombard! Und Lombard, der ergraute, parfümierte Friseurjüngling – der Allerweltscharmeur, der blasierte, lebensmüde Genußmensch – Lombard kommt tänzelnd herbei und lispelt deliziös: ‚_Sire, vous voulez la guerre? Quelle horreur!_ Woßu _la guerre_? Man verständigt sich – schließt einen Kompromiß – beseitigt die Differenzen – reicht sich die Hände! Unter Leuten von Welt das Leichteste, das Einfachste was sich denken läßt! Jener Parvenu – jener Kaiser von Pöbels Gnaden – er ist noch zu neu in seiner Würde, er hat noch keine Manieren! Gehen wir ihm mit gutem Beispiel voran!‘ Und dann setzt sich der Herr Lombard an den Schreibtisch, streift die Spitzenmanschette zurück, taucht mit Grazie seinen Federkiel in französisch parfümierte Tinte und schreibt soigniert, formvollendet, ohne den geringsten Verstoß gegen die längst abgestorbene Etikette, in tadellosem Französisch, aber im Namen des Königs von Preußen – ein Manifest, als einzige Antwort auf die Unverschämtheit Napoleons, unser Ansbach zu besetzen! Und der König läßt gehorsamst das Elaborat seinen Weg in den Papierkorb des Korsen, statt in den seinigen nehmen! Er befiehlt uns nicht, sofort wie der Blitz dreinzusausen und mit blanken Hieben im eigenem Blute des Unverschämten die einzige ihm gebührende Antwort zu schreiben! Das hätte unverzüglich und unverzagt schon vor Wochen getan werden müssen! Da hätten wir die Franzosen zum Teufel gejagt! Aber jetzt – –“ „Eine Schmach ist es!“ rief Blücher, „eine Schmach und Schande, wenn man bedenkt, welcher Sprache sich jener kleine Kerl unseren Fürsten gegenüber erfrecht! Schockschwerenot! Setzt der uns unten am Rhein seinen Schwager auf die Nase, jenen Bäckerjungen aus Cahors, den Seiltänzer Murat! Den macht er zum Herzog von Berg, läßt ihn unsere Abteien Essen, Eltern und Werden nehmen und dehnt so seinen Rheinbund immer weiter nordwärts aus, engt uns immer dichter ein – sucht Sachsen und Hessen auch heranzulocken und läßt uns dann gnädigst wissen, wenn wir uns darüber beschweren, daß er so den Norddeutschen Bund hintertreibt: _Er_, Napoleon, hätte die Unabhängigkeit aller deutschen Fürsten garantiert, _er_ werde keinen Oberherrn unter ihnen dulden! _Das_ muß sich ein König von Preußen ins Gesicht sagen lassen! Und zieht nicht gleich vom Leder, ruft nicht alles, was deutsch spricht, unter die Fahnen zum Kampf gegen den Frechling, sondern überlegt’s noch, macht einen Schritt vorwärts, zwei Schritte rückwärts und bloß halb mobil, zaudert und überlegt und fragt: ‚Soll ich, soll ich nicht? – Liebt er mich? Liebt er mich nicht?‘ Wo es doch sonnenklar ist, daß er uns absichtlich auf die Hühneraugen treten wollte!“ „Der König hofft noch den Frieden zu bewahren – er hofft im letzten Augenblick den Krieg abzuwenden“, sagte der Prinz. „Und leider ist das ganze Oberkommando ebenso vertrauensselig und tut nichts, um seine Zweifel zu entkräftigen! Ein Glück ist es, daß ich die Vorhut der zweiten Armee habe, und daß Sie, Blücher, die von der Hauptarmee jetzt übernehmen! Wir werden uns da nichts entgehen lassen, nicht wahr?“ „Nein, hol’ mich der Teufel, da soll mich nichts zurückhalten!“ „Die erste Gelegenheit, mit den Franzosen handgemein zu werden, nutze ich aus! – Sie sollen’s sehen, ich mach’s, und das wird eine Sache, von der man reden wird! Und dann _gibt’s kein Zurück_! Für die Ehre Preußens, Blücher, für den Ruhm der preußischen Armee, dafür setze ich mein Leben ein! Das schwöre ich!“ „Ich auch, bis zum letzten Blutstropfen!“ Sie gaben sich die Hände, und Rüchel, als Dritter im Bunde, legte auch den feierlichen Schwur ab, gab dann Blücher die Befehle, auf die er wartete, und hieß ihn sich auf seinen Posten begeben. Prinz Louis Ferdinand holte sich noch vom Prinzen Hohenlohe Instruktionen und saß kurz darauf im Sattel, um seine Division in Rudolstadt aufzusuchen. * Im Schlosse zu Jena dampften die Schüsseln auf der Tafel des kommandierenden Generals. Man hatte im Oberkommando der Hohenloheschen Armee einen Mordshunger. Seit drei Tagen war man zu keinem rechten Mittagsmahl gekommen, immer trafen gerade zur Tischzeit Hiobsposten ein, die getroffene Dispositionen über den Haufen warfen und ohne Verzug neue verlangten. Im Salon warteten die Mittagsgäste des Fürsten, der General Sanitz, der für den erkrankten General von Prittwitz die in Jena stehenden Reserven kommandierte, die beiden Adjutanten, Major von der Marwitz und Major Loucey, und einige Stabsoffiziere. Die Stimmung war gedrückt. Ein Teil der Avantgarde unter Tauentzien war von Bernadotte besiegt – der Rest unter Louis Ferdinand bei Saalfeld geschlagen, der Prinz selbst gefallen! Man war zur Unterhaltung wenig geneigt. Jeder der Anwesenden hatte seinen guten Teil Zweifel und Ungewißheit zu tragen und zögerte, ihm Worte zu verleihen. Und schließlich war man, wie gesagt, hungrig und entschlossen, sich wenigstens heute nicht stören zu lassen, sondern erst auf die Schüsseln einzuhauen und dann auf den Feind. Der Fürst ließ auf sich warten. Er beriet noch im Arbeitszimmer mit seinem getreuen Massenbach und diktierte verschiedene sofort zu erledigende Dispositionen. Der Hunger setzte ihm wohl ebensosehr zu wie seinen Gästen, die draußen warteten. Aber erst kommt der Dienst, und der verlangte heute schnellen Entschluß! Dann würde die Suppe um so besser munden, und man hätte, nach dem Essen, auch ein Viertelstündchen Zeit zum Ausruhen – was bei einem Sechziger, dem die Strapazen des Hoflebens geläufiger waren als die im Lager, nicht ganz ohne Bedeutung zu sein pflegt. Die ersten Donnerschläge des Korsen waren gefallen, der Nebel, der seine Absichten bis jetzt verhüllte, hatte sich für einen Augenblick verzogen; man erkannte, aus welcher Richtung das Gewitter nahte, sah, was man versäumt oder falsch gemacht hatte, und traf Maßnahmen, der ersten Verwirrung zu begegnen und die Dinge der neuen Sachlage gemäß zu ordnen. Massenbach, sonst nicht gewohnt bei seinem für gewöhnlich gutmütigen und gefügigen Herrn Widerspruch zu finden, hatte heute einen schweren Stand. Der Fürst hatte schließlich auch seine eigene Haut zu Markte zu tragen. Er war nervös und ungehalten, die Verantwortung für Fehlschläge auf sich nehmen zu müssen, die der übereifrige Eigensinn seines Generalquartiermeisters verschuldet hatte. Er warf ihm vor, absichtlich unklare und zweideutige Instruktionen an die Unterbefehlshaber gegeben zu haben, wodurch jeder von ihnen sozusagen einen Freibrief auf eigenmächtiges Vorgehen erhalten und auch, zum Schaden des Ganzen, davon Gebrauch gemacht hatte. „Es geht nicht,“ sagte der Fürst, „wenn man einen Befehl erteilt, gleichzeitig anzudeuten, daß man die Sache vielleicht doch lieber anders gemacht haben möchte! Ich habe mir unsere an den Prinzen Louis Ferdinand ergangenen Befehle vorlegen lassen. Der Prinz mußte nach ihnen glauben, das Wohl der ganzen Armee hinge davon ab, uns den Flußübergang bei Saalfeld zu sichern. Deshalb warf er sich mit seiner einen Division dem ganzen Korps Lannes entgegen und nahm einen aussichtslosen Kampf mit dem Feind auf, statt sich, wie befohlen, in Ordnung zurückzuziehen und nur in Fühlung mit ihm zu bleiben! Und da haben wir die Niederlage! Seine Division in alle Winde zersprengt, die Stimmung bei der übrigen Armee verdorben und die Siegeszuversicht der Soldaten aufs schwerste erschüttert!“ Das wäre keineswegs der Fall, meinte Massenbach, zog schleunigst alle Schleusen seiner Beredsamkeit auf und überschwemmte den Fürsten mit einer Schwallwoge von guten Gründen. – Kleine Fehlschläge – und nur um einen solchen handelte es sich in diesem Fall –, kleine Fehlschläge kämen stets im Kriege vor; damit müsse man rechnen, wie schmerzlich sie auch seien! – Die Schlappe bei Saalfeld würde keinesfalls die Stimmung bei den Truppen verderben! Was Prinz Louis Ferdinand in der Beziehung gefährdet hätte, hatte er durch seinen Heldentod wieder gutgemacht! Hier nahm Massenbach den Mund recht voll, gab im breitesten Schwäbisch eine begeisterte Lobeshymne altpreußischen Heldengeistes zum besten, ließ die kriegerische Tugend des echten Hohenzollernsprossen in den hehrsten Farben schillern, beschrieb, wie der Prinz, als er seine fliehenden Reiter zum Stehen bringen wollte, im Strudel mitgerissen wurde und vergebens dagegen ankämpfte – wie er, als sein Pferd beim Übersetzen eines Gartenzaunes hängenblieb, von den Franzosen eingeholt wurde –, wie er sich dann mit Löwenmut gewehrt, Pardon weder gegeben noch genommen hatte, vielmehr den Stern des Schwarzen Adlers auf seiner Brust mit dem Hut bedeckt, um nicht als Prinz erkannt und geschont zu werden, und wie er so lieber mit dem Tod als mit der Schmach der Gefangenschaft seine Niederlage besiegelte! Sonst war Massenbach des Eindrucks seiner Beredsamkeit auf den Fürsten sicher. Heute aber versagte sie total! Keine Rührung, kein Seufzer, keine Träne! Auch kein einziges Zeichen des Beifalls, als er die Nachricht hinzufügte, die Trümmer der Division Louis Ferdinand seien von General Grawert, der ihnen von Orlamünde aus nach Rudolstadt entgegenrückte, aufgenommen und neu geordnet worden! „Die Schlappe bei Saalfeld war schon der zweite Donnerschlag, der uns traf! Tauentzien bescherte uns den ersten bei Schleiz!“ sagte der Fürst ärgerlich. „Und Sie haben alles mit verschuldet, Massenbach! Hätten Sie nur Ihren Plan: mit Gewalt das Hauptgewicht der Operationen auf das rechte Saaleufer zu verlegen, zurückgesteckt und strikte die Order des Hauptquartiers befolgt! Nun wissen die Generäle nicht aus noch ein! Ein jeder handelt für sich – meine Armee steht überall zerstreut! – Keine Sammlung, keine Einheit! Wenn’s _jetzt_ zum Schlagen käme, sind wir beim ersten Anstoß in alle Winde zerstreut!“ – Auch gegen _die_ Besorgnis hatte Massenbach ein beruhigendes Pflaster bereit. – Er hätte, wie der Fürst ihm schon vorher in weiser Voraussicht bedeutet hatte, Stafetten mit Marschorders überallhin ausgesandt, und aus allen Richtungen strebten schon die zerstreuten Teile der Armee zum linken Saaleufer hin! Verschiedene Truppen wären schon angelangt! Die sächsischen Regimenter zögen sogar in dieser Minute durch die Stadt! Nachmittags wolle er, Massenbach, selbst hinauf nach dem Landgrafenberg und dahinter, an der Schnecke und am Kapellendorf, wie befohlen, das Lager ausstecken. Es wäre sogar höchste Eile damit, um fertig zu werden, ehe die Truppen einrückten! – Ob nicht in Anbetracht dessen Seine Durchlaucht die Gnade haben möchten, zu befehlen, daß aufgetragen werde? Die Suppe würde sonst kalt werden! – Da kam ihm der Fürst mit dem dritten Donnerschlag von dem mit Windeseile über den Thüringer Wald hinaufziehenden napoleonischen Gewitter und teilte ihm die soeben eingegangene Nachricht mit, Naumburg mit seinen reichen Vorräten und Magazinen wäre gefallen! „Naumburg?“ flüsterte Massenbach und wurde ganz still. „Ja,“ sagte der Fürst, „und das haben wir auch durch unsere unklare Befehlsgebung, an der Sie nicht so ganz unbeteiligt sind, verschuldet! Derlei unliebsame Überraschungen, wie jetzt mit Naumburg, setzt man sich nicht aus! Ich hatte bestimmte Befehle gegeben, die dem vorgebeugt hätten, wenn sie befolgt worden wären. Ich hatte, wie Sie wohl wissen, unseren am weitesten nach Osten stehenden vorgeschobenen Postierungen befohlen, gegebenenfalls sich _ohne Kampf_, aber in steter Fühlung mit dem Feind, von Hof über Schleiz nach Naumburg zurückzuziehen und uns stets _à jour_ mit allem zu halten! Der Graf Tauentzien aber verwechselte, von Ihnen angesteckt, seinen Posten als Kommandant der Avantgarde mit der Stellung eines Oberkommandierenden! Er disponierte selbst, schlug sich gegen Befehl und wurde, wie sie wissen, von Bernadotte aufs Haupt geschlagen! Damit fing’s an! Das war das _Horsd’œuvre_! Weil Tauentzien sich statt auf Naumburg nun so allmählich hierher, nach Jena, mit dem Rest seiner Truppen zurückziehen mußte, fehlte mir seit Tagen jede Nachricht über die Fortschritte der Franzosen auf dem Wege nach Leipzig! Die hätten wir längst haben müssen und unsere Gegenmaßnahmen beizeiten treffen können, stände Graf Tauentzien heute wie befohlen in Naumburg, statt bei uns zu dinieren!“ „Der Graf hat abgesagt! Dienstlich verhindert!“ beeilte sich Massenbach einzuwerfen, wagte dann noch eine schüchterne Erinnerung an die wohl längst erkaltete Suppe vorzubringen und fand diesmal bei seinem Herrn ein geneigteres Ohr. Denn der durchlauchtige Magen fing immer gebieterischer an, sich Geltung zu verschaffen. Man verfügte sich also in den Speisesaal, trat an den reichgedeckten Tisch, die Diener schoben die Stühle zurück, die Tafeldecker hoben die Deckel von den Schüsseln, appetitlich duftende Dämpfe reizten die Gaumen, das Vorgefühl kulinarischer Genüsse erheiterte die Stimmung – man wurde gesprächig, fing an, alles in Rosenrot zu sehen, ließ Vergangenes Vergangenes sein, löffelte vergnügt die delikate Suppe aus und sah schon den Madeira in den Gläsern funkeln. Da stürzte atemlos, unter gänzlicher Mißachtung einer jeglichen Etikette, der Kammerdiener des Fürsten herein. „Die Franzosen sind in der Stadt!“ schrie er leichenblaß, und all die erhobenen Suppenlöffel blieben auf halbem Wege zu den aufgesperrten Mäulern stehen, um sich dann langsam wieder auf die Teller zu senken. „Die Franzosen?“ sagte der Fürst ungläubig. „Unsinn! Sie können nicht fliegen!“ Und er löffelte wieder seine Suppe, kaltblütig, wie’s sich einem erprobten Kriegshelden geziemt. Aber einige von den Stabsoffizieren meinten, es wäre doch wohl möglich! Sie hätten den Feind am Tage zuvor gesehen, als sie den Vorposten Befehl überbrachten, und es wäre schon anzunehmen, daß er heute seine Streifzüge bis nach Jena ausgedehnt hätte! Die Adjutanten eilten hinaus, um sichere Nachricht zu verschaffen. Massenbach aber aß für drei, in beschleunigtem Tempo, und der Fürst, der sich auch nicht gern beim Essen stören ließ, befahl den Fisch zu servieren. Er schnalzte vor Wohlbehagen beim Anblick der leckeren Forellen, die sich graublau und mattsilbern unter hellgelben Zitronenscheiben auf den glänzenden Schüsseln behaglich rekelten. Er ließ sich ein paar auf den Teller geben, nahm reichlich Butter dazu und fing schon an, die größte zu zerlegen. Da ging draußen ein Geschrei und ein Getöse los, als wäre das Jüngste Gericht plötzlich über das Land Thüringen hereingebrochen – ein Laufen war’s, ein Fahren, ein Fluchen, ein Poltern! Der Fürst ließ Messer und Gabel sinken, ließ Forelle Forelle sein, erhob sich vom Tisch, befahl, die Pferde vorzuführen, ließ sich Hut und Degen geben und ging aus dem Speisesaal hinaus, von allen Anwesenden gefolgt, mit Ausnahme von Massenbach. Der hatte sich fest vorgenommen, sich heute durch nichts von der Stillung seines Appetits stören zu lassen, weder vom Kaiser Napoleon noch von irgendeinem anderen Engel des Gerichts! Er nahm also ruhig seinen Platz wieder ein und gab dem Hofmeister einen Wink – die Lakaien traten mit gefüllten Schüsseln an, und der Herr Generalquartiermeister nahm ihnen die Parade ab, revidierte aufs gründlichste, was sie an Proviant noch vorrätig hatten, und verschonte auch nicht die Batterie von Flaschen, die aufgefahren war! Indessen auf den Straßen der Lärm wuchs und den Ohren des schmausenden Helden das geeignete kriegerische Tafelkonzert lieferte. Draußen sah es wüst aus. Der Markt war übersät mit fortgeworfenen Gewehren und Patronentaschen, deren sich die durchmarschierenden sächsischen Regimenter, von wilder Panik ergriffen, entledigt hatten. Auf der Saalebrücke war ein wirrer Knäuel von festgefahrener Artillerie und Munitionswagen, ein Schreien und Fluchen, um loszukommen, und schließlich ein rasches Davongaloppieren der Gespannpferde, nachdem die Fahrer die Stränge durchschnitten und sich in die Sättel geschwungen hatten. Durch alle Tore strömten Soldaten in die Stadt hinein, um durchs nächste wieder hinauszufluten; die Jenenser, von der allgemeinen Angst ergriffen, sperrten sich in ihre Häuser ein und gaben auch manchen von den wackeren Vaterlandsverteidigern einen Unterschlupf – ließen aber dafür die bei ihnen in Quartier liegenden Offiziere nicht hinein, um ihr Gepäck und ihre Pferde zu holen. Alles schien den Kopf total verloren zu haben. Einzig ein paar Regimenter der unter Tauentzien stehenden geschlagenen Avantgarde, die von Hof über Roda nach Jena gekommen waren, nachdem sie mit dem Feind handgemein gewesen waren und also wußten, wo er war und was sie an ihm hatten – einzig sie behielten die Fassung. An ihrer Spitze umritt denn Hohenlohe die Stadt, um die Friedensstörer, falls sie wirklich noch da waren, zu stellen und zu schlagen. Da, wo er hinkam, war aber nichts zu sehen. Einige Leute wollten Franzosen auf den Bergen um die Stadt herum bemerkt haben. Und da der Fürst, bei näherem Nachsehen, ein paar Uniformen zwischen den Büschen dort oben bemerkte, so schickte er Patrouillen hinauf, um nach dem Rechten zu sehen. Sie kamen zurück und brachten als Gefangene – einige Verwundete von der bei Saalfeld versprengten Division des Prinzen Louis Ferdinand mit, die weder in Lazaretten noch in Bürgerhäusern Unterkunft gefunden hatten, die auch, wie fast die ganze durch Gewaltmärsche gehetzte Hohenlohesche Armee, in den letzten drei Tagen nichts gegessen hatten und nun, um ihren Hunger zu stillen, dort oben in den Feldern nach Kartoffeln gruben. Für ihre Entbehrungen hatte ja auch die bekanntlich pünktlich waltende Nemesis der Weltgeschichte den Fürsten durch ebenso häufige Störungen seiner Mahlzeiten gestraft, da ja _er_ die Verantwortung zu tragen hatte und sein Generalquartiermeister nur zu sündigen brauchte! Diese armen Leute waren es, die den Schrecken über Stadt und Land losgelassen und so vielen tapferen Leuten eine schmähliche Niederlage bereitet hatten. Ein paar Hasenfüße von der Straße hatten sie gesehen und „die Franzosen kommen!“ geschrien. Und gleich war der Teufel los, Lärm wurde geschlagen, Besinnung, Mut und Ordnung waren hin, und eine Schlacht ging verloren, in der es nur Besiegte, aber keinen Angreifer und also auch keinen Sieger gab! Der Fürst kehrte an der Spitze seiner Tapferen in die Stadt zurück, befahl die ineinandergefahrene Artillerie auseinanderzubringen und die Fahrer, die die Stränge durchgeschnitten hatten und geflohen waren, festzunehmen und mit aller Strenge der Kriegsgesetze zu bestrafen – eine Aufgabe, die die sächsische Generalität gütigst übernahm und auch pünktlich – – bis auf die Bestrafung – durchführte! So konnte sich der Fürst endlich wieder zu Tisch setzen und in den inzwischen bei der Verwirrung gründlich geleerten Schüsseln Nachschau halten. Viel fand er nicht mehr vor, die Forellen waren längst in andere Gewässer hineingeschwommen, die Lakaien hatten vor Schrecken in ihren Verstecken weder sehen noch hören können, und der Herr Generalquartiermeister war auf die Berge geklettert, um das Lager auszustecken, das noch vor Sonnenaufgang bezogen werden sollte. So endete der erste Tag der für die Franzosen so glorreichen Schlacht bei Jena. Aber mancher tapfere Bursche knirschte vor Wut mit den Zähnen, als er von der Panik hörte, und schwur hoch und heilig, wenn es wirklich zum Kampf käme, die Schmach mit dem Blute der Franzosen abzuwaschen oder selbst dabei ins Gras zu beißen! Am nächsten Tag kamen der König und der Herzog von Braunschweig von Weimar herübergeritten. Sie wollten mit Hohenlohe die auf Grund der erlittenen Niederlage Tauentziens und Louis Ferdinands veränderte Sachlage beraten und beschließen, was nun zu tun wäre, um sich der nach dem Fall Naumburgs drohenden Überflügelung zu entziehen und aus der Falle hinter der Saale wieder herauszukommen. Das Resultat der Beratung wurde, daß das Hauptheer von Weimar über Auerstedt auf die Unstrut zu in Marsch gesetzt werden sollte. Rüchel, der mit seiner Armee in Erfurt stand, sollte folgen, zunächst nach Weimar – der Herzog von Weimar sollte von seinem „Husarenstreich“ nach Franken zurückberufen werden, Hohenlohe die Saaleübergänge bei Jena, Dornburg und Camburg besetzen, um den Flankenmarsch der Armee zu schützen und dann nachkommen. In Sachsen wollte man sich mit der Reservearmee unter dem Herzog von Württemberg treffen und so vereint dem Feind entgegentreten. Der Rand des Saaleplateaus, vorzüglich der Landgrafenberg, sollte besetzt, aber kein Angriff unternommen werden. Man trennte sich wieder. Der Fürst, der sich bestimmt vorgenommen hatte, wenigstens heute zu Mittag zu essen, wollte sich eben zu Tisch setzen, als ihm wieder zwischen Lipp’ und Bechersrand eine Probe gegeben wurde, wie sehr die Disziplin in seiner Armee gelockert war und wie wenig er sich auf sie verlassen konnte. Zunächst wurde er durch die Nachricht gestört, daß der Feind die dicht bei Jena stehende Feldwache angegriffen hatte – was ja an sich keine Katastrophe bedeutet hätte, wenn jene Nachricht ihm nicht durch den Chef jener Feldwache selbst überbracht worden wäre, der auch gleich, vorsichtshalber, sein ganzes Wachkommando nach der Stadt mitgenommen und also dem Feind offene Bahn gelassen hatte. Das mußte schleunigst in Ordnung gebracht werden und wurde auch durch den Adjutanten des Fürsten, Major Loucey, mit einem Bataillon eines der in Jena stehenden Regimenter Tauentziens besorgt. Außerdem bekam der sächsische General Senft, der zwischen Jena und Dornburg stand, Befehl, mit seinen Dragonern die neue Feldwache zu unterstützen, die Saaleufer zwischen Dornburg und Jena zu beobachten, Dornburg zu besetzen und auch mit einigen Eskadrons nach Camburg zu gehen, um die dort befindliche Brücke, die in die Hände der Franzosen gefallen war, zu nehmen. Der General tat das alles äußerst saumselig, wofern er es überhaupt tat, dirigierte eine Eskadron halbwegs nach Camburg und setzte sich mit dem Rest seiner Dragoner irgendwo zur Ruhe. Der Fürst wußte aber davon nichts. Es stand jedoch in den Sternen geschrieben, daß der gute Fürst, der sosehr die Freuden der Tafel liebte, gerade in dieser Beziehung seines Lebens nicht froh werden sollte! Mit Entbehrungen seines durchlauchtigen Bauches mußte er die Sünden seines Kommissariats vergelten, das so schlecht für das leibliche Wohl seiner Soldaten sorgte. _Nolens volens_ mußte er die Qualen des Hungers selbst leiden für alles, was die braven Soldaten entbehren mußten! Und gar noch für die Sachsen, obwohl diese ein eigenes Oberkommando, eigene Verpflegung und eigenen Generalstab hatten und ihn in dieser Hinsicht gar nichts angingen! Das hinderte sie aber nicht, einen Kriegsrat ihres Verpflegungsdepartements, mitsamt dem Adjutanten der kommandierenden sächsischen Exzellenz, zum Fürsten zu schicken, mit der kategorischen Mitteilung: Wenn die Preußen ihnen nicht sofort zu essen gäben, würden sie, die Sachsen, sogleich abmarschieren und den Krieg Krieg sein lassen! Der Fürst verzog keine Miene bei der wenig erfreulichen Tatsache, daß seine halbe Armee angesichts des Feindes mit Rebellion drohte. Er versprach alles und schickte sofort seinen braven Massenbach spornstreichs nach Weimar zum König, um Brot für die Sachsen zu erbitten. Denn er war davon überzeugt, wo kein anderer etwas Eßbares verschaffen könnte, da würde Massenbach bewirken, daß die Steine zu Brot werden würden. Aber leer käme er nicht zurück! – Nachdem der Fürst diese Anordnungen getroffen hatte, setzte er sich nicht noch einmal zu Tisch, denn das hatte er sich schon abgewöhnt und als aussichtslos aufgegeben! Sondern er bestieg sein Pferd und begab sich ins Lager, ließ die Truppen aus den Zelten hervortreten und ritt die Front ab. Es wurde eine lange Inspektion. Er ritt die preußischen und schlesischen Bataillone ab, beim rechten Flügel der Aufstellung anfangend, fragte sie nach allem – ob und wie und mit was sie versorgt waren –, was sie bekommen und was sie nicht bekommen hatten? Er redete mit ihnen von den alten Feldzügen, die sie gemeinsam mit ihm durchgemacht hatten, sprach wie ein Kamerad, sprach auch wie ein Vorgesetzter, schön und markig, von altpreußischem Geist, von ruhmgekrönten Fahnen und altbewährter Waffentüchtigkeit, von Treue und Pflicht, von König und Vaterland – entflammte so den Mut und den nimmermüden guten Willen der Braven und bekam gleich Gelegenheit, ihn auf die Probe zu stellen. Denn noch hatte er den linken Flügel nicht abgeritten, da knatterte und ratterte es links herum am Rande des Saaletales los, und die Nachricht wurde ihm gebracht: Jena wäre geräumt und auch evakuiert – die Franzosen wären drin, und Tauentzien, der die Avantgarde befehligte, wäre auf den Landgrafenberg heraufgekommen! Leider aber fast gleichzeitig mit ihm die an Zahl weit überlegenen Franzosen, so daß er sich vom Talrand kämpfend zurückziehen mußte! Da war kein Zweifel mehr, was zu tun war! Als alter erprobter Kriegsmann ließ der Fürst sofort Füsiliere und Jäger tiraillierend vorgehen und den Feind aus dem nächsten Forst, wo er sich festgesetzt hatte, wieder hinauswerfen. Er setzte dann preußische Grenadiere und reitende Artillerie in Marsch, um die Franzosen, die noch nicht in allzu großer Stärke auf dem Plateau sein konnten, wieder in das Saaletal hinunterzuwerfen, von dem sie, bei weniger Schlamperei und besserem Aufpassen der Vorposten, niemals hätten heraufkommen dürfen! Alles jubelte ihm zu und war des Sieges gewiß. Der Fürst wollte auch seine Tapferen in höchsteigener Person anführen und war schon im Begriff, den Befehl zum Angriff zu geben. Da kam Massenbach, den ein ungnädiger Himmel nicht unterwegs das Genick hatte brechen lassen – da kam dieser Unglücksmensch spornstracks aus Weimar zurückgesprengt, wohin ihn ein mißgünstiges Geschick in überflüssiger Sorge um den Magen der guten Sachsen entsendet hatte! Da kam er atemlos an und brachte als erstes den strikten Befehl des Königs: unter keinen Umständen irgendeinen Angriff zu unternehmen. Der Fürst wütete und schlug sich zornig mit der Reitgerte auf den Stiefel, als wäre der Stiefel Massenbach. Er fluchte und wetterte und beteuerte: Wenn der König hier wäre, würde er selbst zum Angriff blasen lassen! Die Gelegenheit wäre günstig, es galt die Sicherheit, ja die Existenz der ganzen Armee. Man müsse den Franzosen schnell wieder vom Plateau hinunterwerfen! Nach einigen Stunden wäre er zu stark, da wäre es zu spät! Also keine Zeit, erst aus Weimar Befehle einzuholen! – Massenbach zuckte mit den Schultern, sperrte seine runden braunen Gucklöcher auf, blickte dem Fürsten unverzagt ins Gesicht und wiederholte, mit vor Ehrfurcht zitternder Stimme, den königlichen Befehl, hier keinen Angriff zu wagen, aber sofort nach Dornburg zu gehen, um die dort verlorengegangene Brücke zurückzunehmen, damit der Abmarsch der Hauptarmee ungestört vor sich gehen konnte. Befehl ist Befehl. Zähneknirschend fügte sich der Fürst, befahl seinen Braven, statt vorwärts auf den Feind zu gehen, links abzuschwenken und nach Dornburg zu ziehen, setzte sich selbst an die Spitze, da er nun schon das Kommando übernommen hatte, ließ die Franzosen auf dem Plateaurand bleiben und überließ es dem General Tauentzien, mit der Avantgarde die Hauptstellung zu bewachen. Diese Stellung, vom Lager bei Kapellendorf bestimmt, war von dem übergenialen Massenbach fast mit dem Rücken gegen den Feind gewählt. Ob er es tat, um wieder einmal etwas anders und origineller als gewöhnliche Leute zu sein – um dem Feind recht nachdrücklich seine Verachtung zu zeigen –, oder aus übergroßer Höflichkeit, um es ihm recht bequem zu machen, der preußischen Armee in den Rücken zu fallen, das mag dahingestellt bleiben! Massenbachs Genie reichte aber nicht so weit, anzunehmen, daß der Feind sich gewiß nicht um des Königs von Preußen Verbot, zu kämpfen, kümmern würde! Da man aber den Gehorsam so weit trieb, sich auch kopflos aller Vorteile einer starken Stellung zu begeben – da man also die Saale nicht einmal so lange verteidigte, daß man die Absichten des Feindes erriet – da die Brücke über den Fluß nicht abgebrochen, die Stadt Jena geräumt wurde – da der Talrand ohne Widerstand dem Feind überlassen und ihm gar Zeit und Raum gegeben wurde, dort, auf den beherrschenden Höhen festen Fuß zu fassen, so wäre wohl vorauszusehen gewesen, daß man, ungeachtet aller Verbote, doch gezwungen werden würde, eine Schlacht anzunehmen. Man hätte sich also ebenso gern gleich, ohne jene Fehler zu begehen, unter unverhältnismäßig günstigeren Bedingungen schlagen können und müssen. Statt später eine Schlacht in offenem Gelände gegen vielfache Übermacht liefern zu müssen, hätte man sich auf ein aussichtsreiches Nachhutgefecht in vorzüglichen Stellungen beschränken und mit dem Gros der Hauptarmee nachziehen können. Durch den Kadavergehorsam seines Generalquartiermeisters Befehlen gegenüber, die der Befehlende selbst, nach Kenntnisnahme der veränderten Sachlage, sicherlich sofort zurückgenommen hätte, und durch seine eigene Machtlosigkeit gegen diesen seinen bösen Geist, verlor Hohenlohe so die Schlacht, schon ehe sie geschlagen war. * Am Nachmittag desselben Tages kletterte ein kleiner Mann in grauem Rock, den dreieckigen Hut auf dem Kopfe, den Abhang des Landgrafenberges hinauf, stellte sich da oben auf den höchsten Auslug, die Arme über der Brust verschränkt, und blickte über die Gegend aus. Ein paar kurz hingeworfene Worte von ihm genügten, und gleich flogen Kuriere nach allen Richtungen hinaus mit Befehlen für die kaiserlichen Marschälle, schleunigst, wo sie auch waren, auf Jena zu marschieren, wo man allem Anschein nach die preußische Hauptarmee gestellt hatte. Inzwischen zog aber die preußische Hauptarmee ganz woanders in aller Gemütsruhe weiter an der schützenden Saale entlang. Auf dem Landgrafenberge bei Jena bereitete sich das Gewitter vor. Aus allen Schluchten, die rundherum zur Kuppe hinaufführten – aus dem Rauhtal, dem Mühltal, aus der Eule und dem Steiger, fluteten in endlosem Strom nach und nach an die hunderttausend Mann hinauf mit Roß und Wagen, mit Rohren und Protzkästen! Wie ein Gewimmel geschäftiger Ameisen, so kribbelte und krabbelte es von kleinen nervigen, schnellfüßigen Kerls gegen den einen Punkt hin, wo der kleine Mann im grauen Rock stand. Bäume wurden gefällt, Wege mit Geistergeschwindigkeit hervorgezaubert, und längs der so gewonnenen Bahnen glitten immer neue Reihen von Kanonen, Protzkästen und Pulverkarren hinauf. Und von oben keine Störung, kein einziger Schuß, kein überraschender Angriff der preußisch-sächsischen Armee, die, teils im Lager bei Kapellendorf, teils um Dornburg herum in weitläufige Quartiere gelegt, an alles andere eher dachte als daran, den unerbetenen Gast wieder in die Schluchten hinabzuwerfen. Der kleine Mann stand da unbeweglich als ruhender Punkt und Richtzeichen in all dem Getriebe, das auf ihn zustrebte, um nachher, von seiner Hand zusammengefaßt, sich wieder strahlenförmig, wie aus einem Fächer heraus, über die Gegend zu ergießen und die preußische Armee zu umfassen, sobald der Augenblick dazu da wäre. Der Wind spielte mit den Schößen seines langen grauen Mantels. In der zunehmenden Dämmerung verwob sich ihr Flattern mit den aus den Schluchten der Saale aufsteigenden Dünsten, die immerfort zunahmen, als ginge der Nebel von den grauen Rockschößen aus. Immer dichter wurden die Dünste, schon füllten sie die Täler und die Schluchten und ließen einzelne Kuppen nur noch als übriggebliebene Inseln aus der Überschwemmung herausragen, bis auch sie versanken und das Wolkenmeer sich vom Thüringer Wald, über die Unstrut, bis weit nach der Elbe hin ausbreitete, Städte und Gehöfte verschlang und alles Leben vom Erdboden vertilgte. Im Schutz dieses Nebels fing der kleine graue Mann an, seine Netze zu legen und seine Fallen zu stellen, schnell, behende, sicher und leise schleichend wie das Unheil selbst. Sorglos ruhte das Wild. Nur weit in der Ferne und außer Bereich des Waltens jenes unheilschwangeren Geistes wachte ein Wille, von bösen Ahnungen getrieben – ein Wille, der die Macht des Zauberers brechen wollte. Aber er war noch unfrei, noch von den Fesseln blinden Gehorsams gebunden. Blücher – denn er war es – ging da, von quälender Unruhe getrieben, rauchte sein kurzes Pfeifchen, schnupperte nach allen Windrichtungen hin, räusperte sich, hustete die sauverfluchten Nebeldämpfe aus, spuckte und fluchte über den drückenden Dunst, der das Atmen behinderte und den Ausblick versperrte! Er dachte daran, wie er einst im Traum den Wolken des Himmels Blitze entriß und die Nebel verscheuchte. Ja, das wäre so etwas, frei zu fliegen, die Augen offen, alles sehen, im Fluge das Notwendige gleich erfassen und blitzschnell zur Tat werden lassen, statt wie jetzt, am Gängelbande eines anderen, Befehle auszuführen, die der erste beste Stabsoffizier ebensogut bewältigen könnte! Als ihn heute unterwegs der Befehl des Königs erreichte, sofort seine Truppen zu verlassen, um zu ihm ins Hauptquartier zu kommen, da dachte er: jetzt ist deine Zeit da, jetzt braucht man dich zu etwas, was nur du leisten kannst! Er ritt schnell wie der Wind hin und kam abgehetzt an – nur um die Nachricht zu empfangen, der König schliefe und wünsche ihn erst am nächsten Morgen zu sehen. Eiliger war’s also nicht! Ärgerlich suchte er sich Nachtquartier in einer Scheune und ging nun davor auf und ab und lauschte auf die tausend verschiedenen Laute, die, wie Hilferufe Ertrinkender, von allen Seiten aus dem Nebel herausdrangen. Alles Leben schien von dem feuchten, klebrigen Dunst verschlungen. Fort war die stolze preußische Armee, fort die strammen Grenadiere mit ihren steif gedrehten Zöpfen und stolzen Schnauzbärten, fort die bunten Röcke der Husaren, die Harnische der Kürassiere, die wehenden Helmbüsche und blitzenden Seitengewehre! Alles war fort, alles versunken in den wogenden Nebelschwaden, aus denen das Rollen der Räder, das Wiehern der Pferde, das Rufen und Pfeifen und Trommeln immer gedämpfter herausdrang, um schließlich zu verstummen, je nachdem wie die marschierenden Gruppen ihre Biwake einnahmen. Keine Müdigkeit vermochte aber den einsamen Mann dazu zu bringen, sich auch zur Ruhe zu begeben. Am liebsten hätte er sich an die Spitze seiner „Roten“ gesetzt, wäre, auch ohne Befehl, aufs Geratewohl in den Nebel hineingaloppiert, hätte die Gegend bis zur Saale nach Franzosen abgepirscht, hätte das Kroppzeug gestellt, und, wie schon sooft, mit dem preußischen Husarensäbel traktiert. Aber, es wollte hier alles befohlen sein! Und die Kunst des Befehlens war den wenigsten gegeben! Der Teufel mochte auch wissen, wo seine „Roten“ biwakierten und wie weit sie zurückgeblieben waren! Ohne sie gelänge kein Streich! Die anderen von der Kavallerie, das waren eben die anderen! Stunde um Stunde verging; die Dünste begannen allmählich eine hellere Färbung anzunehmen; irgendwo im Osten wühlte etwas Gelbliches sich mühsam Weg durch die Nebel. Hoch und höher stieg es, ohne mehr zu erreichen, als die Dichtigkeit der Dunstschleier noch anschaulicher zu machen. Ein fahles Licht war alles, was bis zur Erde durchsickern konnte, so daß man zur Not noch die Hand vor den Augen sah! Rundherum fing es aber an zu heulen und zu rufen, als zögen die alten Recken der Urzeit wiederum zur Jagd auf den Thüringer Wald, während die Räder ihrer Streitwagen ratterten, die Pferde wieherten und die Sippen folgten, unter Geschrei und Gejohle, um die erlegte Beute zu zerteilen und fortzubringen. Das Getöse nahm zu und schwoll, vom Nebel zusammengefaßt, immer unheimlicher an. Jetzt zogen die alten Heidengötter zum Ragnarök aus; die Midgardsschlange ringelte ihren Leib um die Welt; der Fenriswolf sperrte seinen Rachen auf; alles eilte dem Endkampf entgegen – die Götterdämmerung war da! Und er mußte hier auf Befehle warten, statt sie selbst wie zündende Funken in den Tumult hineinzuschmettern! Er hielt’s nicht länger aus. Er befahl, das Pferd vorzuführen, ließ seine Adjutanten wecken – seinen Sohn, den Rittmeister von Blücher und den Rittmeister Graf von der Goltz – und ritt, von ihnen gefolgt, um sich beim Könige zu melden. Der König war schon zu Pferd. Er ließ Blücher wissen, daß bei Kösen Franzosen über die Saale gegangen waren, und daß er gegen sie vorgehen müsse. Befehle möge er sich beim Oberkommandierenden, dem Herzog von Braunschweig, holen. Der Herzog gab Blücher, da die „Roten“ noch nicht angelangt waren, von der Division Schmettau mit, was von den Heisingschen Kürassieren und vom Dragonerregiment Königin da war. General Schmettau, der seine Kavallerie selbst gut gebrauchen konnte, nahm das gewaltig krumm, ohne es indessen ändern zu können. Blücher selbst, nicht gerade froh, seine eigenen Leute nicht um sich zu wissen, ließ aber fünf gerade sein, ließ zum Sammeln blasen, setzte sich an die Spitze der Regimenter und galoppierte in den Nebel hinein! Auf dem Landgrafenberg bei Jena aber war sein Widersacher, der kleine Mann im grauen Rock, nicht müßig gewesen. Ihm hatte keiner etwas zu befehlen. Und das Glück war mit ihm. Kein Feind störte sein waghalsiges Unterfangen, seine ganze Armee die Schluchten nach dem Berg hinaufklimmen zu lassen – kein überraschender Angriff beim Aufmarsch –, kein plötzliches Hineinkartätschen in die marschierenden Massen. Alles ging wie am Schnürchen. Und er selbst biwakierte inmitten seiner Garden auf der höchsten Kuppe so ruhig, als schliefe er in seinem Bett in den Tuilerien. Nichts konnte seinen Schlaf stören, weder trübe Ahnungen noch der aus allen Schluchten des Saaletales hervordrängende Lärm, der die ganze Nacht anhielt, bis seine stolze Armee oben und nach allen Seiten hin in die vorbezeichneten Stellungen aufmarschiert war! Selbst hatte er schon die Stellungen der preußischen Armee rekognosziert und war bisweilen so nahe an sie herangekommen, daß er Feuer bekam und sich schnell niederwerfen mußte. Dann fing er, vom Nebel begünstigt, an, seine Truppen wie Schachfiguren hin und her zu schieben, schob Davoust mit seinem Korps weit über Naumburg hinaus, um die preußische Armee von ihren Verbindungen abzuschneiden, zog selbst alles Erreichbare von dem anderen Korps an sich heran und stand zum Losschlagen bereit. Gegen Morgen fing es dann an im Nebel zu rattern und zu knattern. Das zeitweilige Aufblitzen des Mündungsfeuers aus den Gewehren und Geschützen gab zu erkennen, wo Freund und Feind waren, ließ aber keinen Schluß auf die Menge oder die Art der kämpfenden Truppen zu. Die Preußen griffen an. Graf Tauentzien hatte die Bataillone Erichsen, Pelet und Rosen bei Closewitz-Lützeroda und im Issenstedter Forst aufgestellt und ging selbst von Dornburg aus mit mehreren sächsischen Bataillonen vor. Gegen sich aber hatte er die drei Divisionen des Marschalls Lannes mit vielem Geschütz. Ganze Regimenter löste dieser als Tirailleurs auf, die Tauentziens kleine Schar so heftig bedrängten, daß er sie auf Vierzehnheiligen und Altengönne zurücknehmen und hinter den Divisionen des Generals Grawert in Aufnahmestellung führen mußte. Dieser hatte den Nachteil von Massenbachs dumm gewähltem Lager nach Möglichkeit wieder gutzumachen gesucht. Er hatte seinen linken Flügel linksherum auf Klein-Romstedt geworfen, bekam so die Front auf Vierzehnheiligen und kehrte, wie sich’s gehörte, dem Feinde das Gesicht zu, statt den Rücken, was ihm nachträglich gar das Lob eines großen Feldherrn eingebracht hat. Gegen Grawert schwärmten nun die französischen Tirailleurs wie die Grasmücken aus und füllten die ganze Gegend. Ihnen war auch Artillerie beigegeben, so daß der Aufmarsch der Division Grawert im heftigsten Feuer stattfinden mußte. Trotzdem avancierten die Grenadiere so ruhig, als wären sie auf dem Exerzierplatz. Mit klingendem Spiel ging’s im Geschwindschritt vorwärts, so daß die Infanterie dicht hinter der auf Linien auseinandergezogenen Kavallerie blieb. Fast bis zu Vierzehnheiligen heran kamen sie. Dann ließ Hohenlohe haltmachen, um das Fallen des Nebels abzuwarten. Der Feind indessen wartete nicht, sondern schoß wacker hinein in die wie Schießscheiben dastehenden Reihen und lichtete sie nach Kräften. Er selbst war nicht zu sehen. Hinter jeder Unebenheit des Bodens nahm er Deckung und hatte seine Kanonen so gut eingegraben, daß vom Rohre nichts zu sehen war. Da sowohl Infanterie wie Kavallerie durch diese ununterbrochene Belästigung unruhig wurden, war ja nichts natürlicher, als die letztere gleich zur Attacke anzusetzen, sie zwischen die tiraillierenden Monsieurs hineinsausen zu lassen und diese auf die preußische Infanterie zuzutreiben. Aber der Gedanke fand bei der Führung keine Gegenliebe, die Kavallerie blieb weiter auf dem Flecke als Zielscheibe und durfte ihre Säbel nicht gebrauchen. Endlich fiel der Nebel, und vor den Augen der Tapferen tauchten die französischen Linien auf, wie sie mit klingendem Spiel zum Angriff vorgingen und weit über die beiden Flügel der Preußen hinauslangten. Hinter ihnen standen ganze Kolonnen, von denen immer mehr Leute in die Linien einschwenkten, je nachdem, wie sie sich dehnten und Lücken entstanden. Vor der drohenden Überflügelung wankte und wich bei den Preußen alles zurück. Und wo’s zurückgeht, ist’s vorbei mit Vertrauen und Zuversicht. Hier und dort riß Unordnung ein, die Unordnung artete zur Flucht aus. Und der Franzose, nicht faul, ließ seine Kavallerie los, wo er die geringste Verwirrung witterte. Wie die Affen sausten die kleinen betrunkenen Kerls drein, fuchtelnd und schreiend, und ritten alles nieder, schon weil sie ihre eigenen Pferde nicht halten konnten. Manch preußischer Kavallerist biß vor Wut die Zähne zusammen oder fluchte laut über die unfähige Leitung, die es gar nicht zum Dreinhauen kommen ließ! Sie raubte so den Preußen ihre beste Waffe, setzte sie falsch ein, zog sie in Linien aus, ließ sie im Kartätschenfeuer stehen oder nur schleichend vorrücken – etwas, was weder Leute noch Pferde aushielten. Voll Neid schielten sie zu den Sachsen hinüber deren Kavallerie, obwohl nicht besser, weit mehr leistete, weil sie besser geführt war. Immer mehr rückte die Front der Franzosen vor, unter Trommelschlag und schmetternden Fanfaren, drückte die Mitte gegen das Dorf Vierzehnheiligen, bog den rechten Flügel um die preußische Linie herum – schob seinen linken Flügel weit über die nach Weimar führende Chaussee hinaus und umfaßte den preußischen rechten. Der Rückzug artete in Flucht aus. Die sächsischen Bataillone Maximilian, Rechten und Winkel nahmen dabei mechanisch die Fährte auf die nächste Chaussee auf, gleichviel wohin sie führte, und kamen so gen Weimar, was ganz verkehrt war. Und die Nächststehenden folgten in gleicher Richtung. Auf dem linken Flügel dagegen gingen Tauentzien und Holtzendorf auf Apolda zurück. Die Armee wurde dadurch in zwei Teile gerissen, und der Feind, nicht saumselig, schob nach, was er konnte, und förderte so nach Kräften die Trennung. Die Ankunft des Generals Rüchel mit seinen fünfzehn Bataillonen änderte an der Niederlage nichts. Gegen die Übermacht konnte seine Armee ebensowenig an wie die Hohenlohes, der seine Soldaten keinesfalls an Tapferkeit nachstanden. Er ließ sie in Treffen geordnet, staffelweise – „_en échelons_“ – vorrücken. Sie schlugen sich brav, solange es ging, wankten dann, wichen und flohen. Er selbst wurde auch, wie alle anderen Befehlshaber, verwundet und vom Strudel der Fliehenden mitgerissen. Sein ganzes Vorgehen hielt den doppelt überlegenen Feind nicht von der Verfolgung ab – es war bloß eine Einzelhandlung mehr in dieser aus lauter Teilkämpfen bestehenden Schlacht, in der großzügige Führung nur auf seiten Napoleons zu finden war. Während dies alles sich bei Jena zutrug, war weiter nördlich auf dem Plateau hinter der Saale, bei Kösen, Blücher mit der Avantgarde in den Nebel hineingaloppiert. Er stieß dann plötzlich auf etwas, das er für eine Hecke ansah, bald aber als feindliche Infanterie erkennen mußte. Er segnete den Nebel, der es ihm so ermöglicht hatte, in den Rücken der feindlichen Aufstellung zu kommen, fluchte aber, weil er nicht daran gedacht hatte, den Oberbefehlshaber gleich um mehr Truppen zu bitten, und schickte den Grafen von der Goltz spornstracks zurück, um Infanterie und reitende Artillerie zu holen. Dann würde er versuchen, die feindliche Aufstellung aufzurollen, und es wäre ihm auch gelungen. Aber sein Adjutant kam nicht zurück, sein Sohn, den er nachschickte, kam wohl wieder, aber ohne Bescheid. Weder Infanterie noch Artillerie wurden ihm geschickt, dafür fuhr eine Batterie die Chaussee nach Hassenhausen in Karriere hinauf und wurde vom Feind in der Fahrt genommen. Blücher gab dann seinen Eskadrons Befehl zur Attacke, um auch so die feindliche Infanterie zu durchbrechen. Sie erhielten zwar von links starkes Kartätschenfeuer, gingen aber trotzdem erfolgreich vor, bis auf einmal, durch irgendeine Schlamperei, bei irgendeiner Schwadron „Kehrt“ geblasen wurde, und infolgedessen alles stockte und zurückwich. Blücher stellte die Ordnung wieder her und erneute den Angriff. Um das Maß der Unordnung vollzumachen, wurde er aber dabei im Rücken von der eigenen Artillerie beschossen, und da war es aus! Die Kavallerie, die sich umzingelt glaubte, wich, und als Blüchers Pferd erschossen wurde und man den General selbst fallen sah, wandte sich alles zur Flucht, und er selbst, auf dem Pferd eines Trompeters nacheilend, wurde vom Strom der Fliehenden mitgerissen. Vergebens stellte er sich mit einer Standarte in der Hand den Leuten entgegen, und bat und beschwor sie, stehenzubleiben, – sie waren nicht zu halten. Inzwischen waren die Divisionen von Schmettau und Wartensleben rechts und links von der von Auerstedt nach Hassenhausen führenden Chaussee aufmarschiert und zum Angriff vorgegangen, um dem Feind diesen seinen einzigen Stützpunkt diesseits der Saale zu entreißen. Ihre altgewohnte Taktik aus der friderizianischen Zeit – das Avancieren _en échelons_ –, Bataillonssalven abzugeben und mit dem Bajonett den Rest zu erledigen, kam trotz aller Tapferkeit nicht gegen die neue Kampfart des Gegners auf. Sie litten entsetzlich im Tirailleurfeuer der behenden Franzosen, deren Kartätschen große Gassen in ihre wie Zielscheiben dastehenden Glieder rissen. Gleich zu Anfang der Schlacht wurde General Schmettau erschossen. Der Herzog schickte darauf seinen Generalquartiermeister Scharnhorst nach dem linken Flügel, um die Ordnung wiederherzustellen und dort zu befehlen. Als er aber selbst kurz darauf durch die Augen geschossen wurde, da fehlte Scharnhorst, der ja die Befehlsausgabe für das Ganze zu ordnen hatte, an der entscheidenden Stelle, und die Preußen waren ohne Führung. Feldmarschall Möllendorf war da, war aber schon zu alt und versagte völlig. Der König war zu unerfahren und auch zu unentschlossen. Die Schlacht war, wenn sie weiterging, trotz aller anfänglichen Mißerfolge gewonnen. Allein man ahnte es nicht. Man hätte wohl wissen können und müssen, daß man höchstens ein einziges französisches Korps sich gegenüber hatte –, daß man also über eine erdrückende Übermacht verfügte! Davoust hatte mehr gelitten als die Preußen und hatte keine Reserven mehr. Aber die preußischen Reserven unter Kalckreuth waren noch intakt. Blücher ahnte, wie die Sache stand. Er bat den König um Kavallerie, um noch einmal den Versuch zu machen, eine Entscheidung herbeizuführen. Er erhielt sie auch, aber, gerade als er zur Attacke blasen lassen wollte, auch den unausbleiblichen Gegenbefehl. Er solle es lieber bleibenlassen. Es nütze doch nichts mehr. Die Kavallerie hatte es ja heute schon einmal schlecht gemacht. Und die Reserven, die bei Eckartsberga standen und untätig zusahen, wie sich ihre Kameraden verbluteten –, die wollte der König nicht auch noch opfern! Er glaubte nicht an den Sieg und siegte infolgedessen nicht. Er begnügte sich damit, zu befehlen, die Schlacht abzubrechen und einen allgemeinen Rückzug auf Weimar zu nehmen, um sich dort mit Hohenlohe zu vereinigen. * Blücher war tobend und fluchend fortgeritten, als der König ihm seine Zustimmung versagte, noch einmal mit der Kavallerie die Schlacht wiederherzustellen. Der König, der seinen alten Haudegen kannte und ihm nicht recht traute, schickte ihm gleich einen Adjutanten nach mit dem Befehl, zurückzukehren und bei seiner Person zu bleiben. Sonst wäre es nicht sicher, daß nicht Blücher auf eigene Faust hin doch noch etwas unternähme! Der Alte kam, meldete sich steif und korrekt zur Stelle, nahm seinen Platz im Gefolge ein, wurde vom König ins Gespräch gezogen, ritt gehorsamst heran, salutierte, antwortete kurz: „Zu Befehl, ja – zu Befehl, nein!“ auf alle Fragen, die der König an ihn richtete, und kam aus der Einsilbigkeit gar nicht heraus. Der König ließ sich aber nichts merken. Er tat, als wäre alles in bester Ordnung, und sprach weiter auf Blücher ein, ohne seine schlechte Laune zu beachten. Und das paßte Blücher nun ganz und gar nicht in den Kram. Als der König ihm seine Ansichten über die Ereignisse des Tages mit einer für ihn sehr ungewöhnlichen Gesprächigkeit auseinandergesetzt hatte und eine Pause machte, in der Erwartung, nun Blüchers Meinung zu hören zu bekommen, da schwieg Blücher steifnackig weiter. Der König konnte dann nicht umhin, ein wenig die Majestät herauszukehren. Er hielt sein Pferd an, was eine Stockung in der Vorwärtsbewegung des ganzen Gefolges bewirkte, blickte auf Blücher, dessen Pferd auch gehorsamst und alleruntertänigst stehenblieb und sagte ein wenig ungeduldig: „Nun? – Endlich Meinung hören lassen!“ „Zu Befehl, Majestät, meine Meinung ist _die_, wir reiten in verkehrter Richtung!“ „Was heißt das?“ „Wir kehren dem Feind den Rücken –, das ist immer verkehrt! Die Richtung vorwärts ist mir lieber!“ „Uns auch! Wenn aber unsere Leute zurückgehen!“ „Hasenfüße gibt’s in jeder Armee. Es sind aber genug tapfere Männer dabei gewesen!“ „Wir waren überflügelt!“ „Die Überflügelung hätte ich abgestoßen, so Eure Majestät mich hätte gewähren lassen!“ „Es wäre Ihm ebenso schlecht gegangen wie bei Seiner ersten Attacke!“ „Die erste Attacke wäre auch gut gegangen, hätte uns die eigene Artillerie nicht mit Kartätschen beworfen! Der Feind war schon erschüttert! Er hatte keine Reserven! Unsere Reserven waren nicht zum Kampf gekommen. Die Schlacht stand schon. Ein kleiner Stoß noch, und sie wandte sich zu unseren Gunsten! Wir hätten Davoust vernichtet und uns freie Bahn in der alten Marschrichtung erkämpft! Majestät wollen’s mir zu Gnaden halten, aber für so etwas habe ich Nase!“ „Und wenn’s doch anders gekommen wäre, als Er denkt, und das wäre gewiß der Fall gewesen – wir hätten nur unnütz das Blut unserer Leute verspritzt!“ „Majestät halten zu Gnaden, aber dazu sind wir alle da! Wenn’s gilt, König und Volk zu retten, ist kein Leben zu teuer!“ Der König schwieg. Eine Weile ritten sie in Gedanken heiter. Er fing schon an zu dunkeln. Plötzlich hielt der König wieder sein Pferd an und richtete sich straff auf; seine hohe Gestalt zeichnete sich kräftig gegen den Oktoberhimmel ab. „Nun haben wir ihn!“ dachte Blücher. „Jetzt gibt er klein bei. Jetzt gibt er den Befehl zur Umkehr und läßt uns die Schlacht erneuern!“ Er hatte sich getäuscht. Der König seufzte nur, blickte ihn dann an und sagte trocken: „Er hätte das Spiel nicht gewonnen, Blücher!“ „Ich habe wohl dann und wann ein Spiel verloren, Majestät – aber noch öfter eins gewonnen! Und das nur, weil ich das Spiel _gewagt_ habe!“ Der König hatte schon eine derbe Antwort bereit. Da knatterte es plötzlich irgendwo auf der rechten Seite los, Blücher gab seinem Pferd die Sporen, sprengte hin, um zu sehen, was los war, und kam zurück mit der Meldung, man hätte ein paar naseweise Chasseurs zum Teufel gejagt. „Werden uns noch durchschlagen müssen!“ sagte der König eintönig und setzte den Weg fort. Blücher ritt voraus und untersuchte das Terrain, war bald hier, bald dort und kehrte bisweilen zum König zurück mit der Meldung über seine Wahrnehmungen, wurde für seine Fürsorge bedankt, aber sonst nicht weiter ins Gespräch gezogen. Auf einmal, dicht vor Buttstedt, erhob sich an der Spitze der zurückgehenden Kolonnen ein großes Geschrei. Herannahen von Truppen wurde gemeldet. „Die Franzosen sind da!“ schrie alles. „Wir sind abgeschnitten!“ Und gleichzeitig knallte es rechts und links im Gebüsch los. Alles stockte. Patrouillen gingen vor und kamen zurück mit der Nachricht, Teile der Armee Hohenlohe zögen aus entgegengesetzter Richtung heran. Man hätte heute bei Jena gekämpft, der Fürst wäre geschlagen und geflüchtet – man wisse nicht wohin – Grawert und Rüchel wären vernichtet, die Sachsen gefangen – die Franzosen verfolgten gegen Weimar die dorthin Geflohenen, man hätte auch hier bald mit ihrem Erscheinen zu rechnen! Alles stürzte vor, um selbst zu sehen und zu hören und von den Anrückenden nähere Kunde zu bekommen. Jede Ordnung hörte auf. Die Verbände wurden zerrissen, alles eilte in wirren Haufen durcheinander, schreiend, fluchend, tobend, ohne zu wissen wohin, ohne auf das Kommando zu hören, nur vorwärts auf dem nächsten Weg. Und ging’s nicht schnell genug auf den von der Bagage verstopften Chausseen, dann wurde einfach geplündert, die Regimentskassen verteilt, die Proviantwagen geleert und in die Gräben geworfen. Und wo es etwas Trinkbares zu fassen gab, wurde sofort ein allgemeines Gelage veranstaltet. Die Trunkenheit nahm bei den durch langen Hunger entkräfteten Soldaten reißend zu. Wüste Schmähreden auf die Offiziere, die das ganze Unglück verschuldet hatten, wurden laut, die unflätigsten Schimpfwörter schwirrten durch die Luft, vermischt mit dem kreischenden Gesang der betrunkenen Polen, die mit Sack und Pack abzogen und sich laut damit brüsteten, daß sie nun zu den Franzosen übergingen. Die Offiziere, die Ordnung zu schaffen suchten, wurden gröblichst insultiert. Die Quälgeister unter ihnen ernteten jetzt die Frucht lange keimenden Mißvergnügens, wurden geschlagen, geschmäht und ihnen ins Gesicht gespuckt. – Die Mannschaften rissen ihre Abzeichen ab, warfen Knöpfe, Achselklappen, Packung und Gewehre in den Kot, daß die Landstraße weithin mit den fortgeworfenen Gegenständen besät wurde. „Mit Preußen ist’s jetzt aus!“ schrien sie, „Preußen ist hin! Unseres Diensteides sind wir ledig!“ Der König war gleich nach Empfang der Unglücksbotschaft von Jena mit seinem Gefolge weitergeritten. Er nahm den Weg, statt nach Weimar, nordwestlich gen Sömmerda, um von dort nach Sondershausen zu kommen, welchen Ort er als neuen Treffpunkt und Sammelstelle für die Armee angab. Sein Befehl an die Truppen, ihm dorthin zu folgen, wurde nur von einem Teil befolgt. Ein großer Teil unter Möllendorf und Oranien war schon dicht vor Weimar angelangt und zog von dort weiter nach Erfurt. Der König nahm in Sömmerda Quartier und begab sich gleich zur Ruhe. Am folgenden Tag setzten ihm die Generäle zu, er möchte schnellstens vorreisen, um im Hinterlande den Widerstand zu organisieren. Er wäre jetzt da viel nötiger als hier. Er weigerte sich aber standhaft, die Armee zu verlassen. Blücher schwieg sich anfangs zu der Sache aus. Er überlegte es sich so: Als Heerführer ist der König ebenso unerprobt und unfertig, wie die hohen Generäle untauglich. Ist der Vorteil, die Autorität des Königs im Bedarfsfalle zur Stelle zu haben, größer als der Nachteil, selbst möglicherweise vor ihr zurückweichen zu müssen? Die Sache schien ihm unsicher. Allein würde er am Ende mit den Generälen am besten fertig. Da brauchte er kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Entschlossen setzte auch er dem König zu und brach dessen Widerstand. In liebenswürdigster Weise bedankte sich der König bei Blücher für dessen umsichtige Führung bei dem gefahrvollen Nachtritt und entband ihn von der Pflicht, ihn weiter zu begleiten, da die Armee seine Kraft anderswo besser benötige. Aber von den roten Husaren nähme er gern die Eskorte für die Weiterfahrt nach Sondershausen an. Blüchers Augen leuchteten vor Freude, als er das hörte. Die nötigen Befehle waren schnell gegeben. Aus den Reihen seines stark zusammengeschmolzenen Regiments suchte er selbst die sichersten und erprobtesten Leute aus, und bald zog da eine kleine Schar von fünfzig Husaren vor dem Quartier des Königs auf, unter dem Befehl des Rittmeisters von Wolky, dem des Generals zweiter Sohn, der Leutnant von Blücher, beigegeben war. Die „Roten“ waren sehr ungehalten über den Rückzug, gerade wo sie die Hoffnung gehabt hatten, gegen den Feind geführt zu werden, und zwar von ihrem Alten selbst, den sie in der Schlacht schmerzlich vermißt hatten. „Der Feind brauchte nicht viele Schläge mehr,“ meinte einer, „warum wurde nicht die Reserve eingesetzt?“ „Der alte Kalckreuth ist schon schlapp!“ antwortete ein anderer. „Er hatte schon längst einen Knacks, und nun geht ihm wohl vollends die Puste aus!“ „Wir hätten bei unserem Alten sein müssen, als er zur Attacke blasen ließ!“ sagte noch einer. „Da wär’s ein anderer Tanz geworden! Wir hätten ihn nicht aufsitzen lassen! Dunnerslag – so davonzulaufen vor den paar Chasseurs! Eine Schmach war’s und eine Schande! Aber die Königindragoner – – und die Reitzensteinkürassiere – und gar die von Heising! Die denken nur an ihren Magen! Ihre besten Leute fouragierten, als es zur Schlacht gehen sollte, und die anderen, nun, die sind eben nur bei den Paraden zu gebrauchen! Na, nun werden wir ja – – – Kinder – das Regiment kommt zu Ehren!“ „Man gut, daß wir zusammenblieben und hierherkamen. Ich war schon entschlossen, mich in den Busch zu schlagen und zu sehen, wie ich durchkäme, als der Kuddelmuddel unterwegs losging und alles davon redete, sich dem Franzmann zu ergeben! Und hätte ich unseren Alten nicht gesehen – ich wäre längst über alle Berge!“ Da kommandierte der Rittmeister: „Achtung!“ Die Glieder richteten sich; die Leute saßen wie angegossen in den Sätteln; auf Kommando flogen die Säbel aus den Scheiden und salutierten. Denn Blücher erschien jetzt auf der Freitreppe, von zwei Lakaien mit brennenden Armleuchtern begleitet. Wie er so dastand in der Oktobernacht, hoch, schlank und elastisch wie eine Stahlfeder, das Gesicht mit dem grauen Schnurrbart frisch gerötet, die dunkelblauen Augen vor innerer Glut funkelnd, da war’s jedem der unten Harrenden, als träte er ihnen heute zum erstenmal vor Augen als der Herr und Gebieter, dessen Wort ein jeder sich zu fügen hatte, und wenn’s geradeswegs in den Tod ginge! Ein Gefühl von Sicherheit und Zutrauen kam sofort über sie; die Haltung straffte sich, die Faust krampfte sich stählern um den Säbelgriff, die Schenkel griffen fester um den Sattel, so daß Reiter und Pferd miteinander verwachsen schienen. Und als Blücher vortrat, und mit seiner sonoren, weithin schallenden Baßstimme ihnen zurief: der König habe dem Regiment die Gnade erwiesen und von ihm eine Eskorte angenommen, und er, Blücher, erwarte von jedem einzelnen unter ihnen, daß er sich der hohen Ehre würdig zeige und sein Äußerstes hergebe, um die geheiligte Person des Monarchen glücklich durch alle Fährnisse hindurchzubringen, da bedurfte es nicht noch der Drohung, mit der er glaubte seinen Worten weiteren Nachdruck geben zu müssen, als er die Worte hinzusetzte: „Und das sage ich euch, Kinder, wer von euch nach einem etwaigen Unglück mir noch lebendig unter die Augen zu treten wagen sollte, den würde ich mit eigenem Händen in Stücke hauen!“ Eisenhart klang das, und eisenhart stand der Alte da, wie ein Engel des Gerichts, die Hand auf dem Säbel. Nicht seinen lieben Roten galten diese drohenden Worte, das wußten sie alle! Sie wußten, daß er sie wohl kannte und keinen Zweifel an ihnen hatte. Er war ihr Vater und sie seine Kinder, Fleisch seines Fleisches, Blut seines Blutes! Wie er für sie und mit ihnen, so würden sie alle freudig auf seinen geringsten Wink in den Tod reiten – dazu bedurfte es weiter keiner Mahnung und beileibe keiner Drohung! Die Worte soeben, die hatten den anderen gegolten, die gestern so schlecht geritten waren und ihren Alten im Stich gelassen hatten, statt ihm zum Sieg zu folgen! _Denen_ waren sie ein gerechter Vorwurf, und die trafen sie auch – an den Roten vorbei, die dabei stolz blickten und mit begeisterten Zurufen seine Ansprache beantworteten. Dann rief Blücher den Rittmeister von Wolky und seinen Sohn zu sich, sagte ihnen, er hätte befohlen, daß das Husarenregiment von Schimmelpfennig und das Dragonerregiment von Kraft rechts und links von der Chaussee marschieren sollten, um die Reise des Königs zu sichern – befahl ihnen äußerste Wachsamkeit und ging dann hinein, um dem König zu melden, daß alles bereit sei. Der König wartete schon. Er bat die Generäle, sich vorläufig auf keine Kampfhandlungen einzulassen, da er dem Kaiser Napoleon geschrieben hätte und Waffenstillstandsverhandlungen in Aussicht ständen. Dann verabschiedete er sich vom General von Kalckreuth, dem er den Oberbefehl über sämtliche in Sömmerda stehenden Truppen übertrug, verbat sich das Geleit des alten, todmüden Herrn, ließ sich von Blücher hinausbegleiten, stieg mit seinem Gefolge zu Pferde und trabte davon. Blücher, von stolzer Genugtuung erfüllt, blieb stehen, solange er noch die wogenden Reihen seiner roten „Kinder“ sehen konnte. Dann machte er kehrt und ging zum General Kalckreuth hinein, um die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Er fand den alten Herrn gänzlich gebrochen vor. Im Lehnstuhl zusammengesunken, kaum noch atmend, saß er da und starrte wie entgeistert ins Leere hinaus. An der Tür wartete ein eben angekommener Kurier. Mit einer schwachen Handbewegung zeigte Kalckreuth auf den Boten und sagte tonlos: „Erfurt kapituliert! Möllendorf und Oranien mit zehntausend Mann unserer besten Truppen haben sich kampflos Murat ergeben! Die Zitadelle Petersberg auch!“ „Die Zitadelle auch?!“ Blücher schlug auf den Tisch, daß der alte Kalckreuth vor Schrecken fast vom Stuhle gefallen wäre. Er schrie, daß alles zusammenlief und bestürzt ins Zimmer drängte, denkend, die Generäle wären vom Feind überfallen worden – obwohl der Feind doch nicht, wie der leibhaftige Gottseibeiuns, durch den Schornstein zu kommen pflegte! „Himmeldonnerwetter!“ schrie Blücher, „schlag diese Schufte tausend Millionen Klafter in die Erde hinein, die König und Land verraten – diese Memmen, die nicht den Mut finden, lieber zu sterben, als ewige Schande auf sich zu laden – diese hundsmiserablen Mummelgreise, die zu weiter nichts taugen, als alt und überflüssig zu werden und im Wege zu stehen! Ich hab’s kommen sehen! Ich hab’s gewußt! Da soll aber nur noch einer versuchen das Maul aufzutun, um von Kapitulation zu reden! Wer’s wagt, den erwürge ich mit diesen Händen. Und wenn mich darob der Teufel lebendigen Leibes dreimal holen würde – ich tu’s!“ Der alte Kalckreuth erhob sich auf zitternden Beinen bei der fürchterlichen Drohung. Bleich, abgehetzt, todmüde von dem Nachtmarsch und der vorhergehenden Schlacht, stand er da, die lebendige Illustration zu dem Worte Kapitulation, und sah schon halb erwürgt aus. Er öffnete die Lippen – aber ehe er noch etwas entgegnen konnte, meldete sich ein eben eingetroffener Kurier Hohenlohes, rapportierte, der Fürst sei wohlbehalten in Vippach und erbäte sich vom König Befehle. „In Vippach!“ rief Blücher. „Geb Gott, er wäre ganz woanders, wo’s recht heiß ist! Geb Gott, er wäre in der Hölle mitsamt seinem Massenbach, und käme nie wieder auf deutscher Erde zum Vorschein! Sonst erleben wir womöglich noch größere Schweinereien als die, die er uns in Jena bescherte! Was will der Fürst noch Befehle, wo er ihnen doch nicht gehorcht?!“ Kalckreuth stand mit offenem Munde und unausgesprochener Antwort und blickte ihn entsetzt an. Schließlich winkte er den Boten näher heran und gab ihm mit tonloser Stimme den Bescheid: er möge seinem Herrn bestellen, der König wäre in Sondershausen, und der Fürst würde gut tun, sich auch dorthin zu begeben und sich dort Befehle zu holen. Dann schrumpfte er in dem Stuhl zu einem leblosen Haufen müder Menschlichkeit zusammen und schlief auf der Stelle ein. Blücher aber ließ sich ein kräftiges Frühstück kommen und war bald wieder bereit, es mit jedem Schicksal aufzunehmen. * Die von Blücher befehligte Arrieregarde war auf dem Rückzug bis in die Gegend von Weißensee gekommen, als plötzlich Prinz August, der ein Bataillon im Regiment König befehligte, in voller Karriere an Blücher heransprengte und ihm schon aus der Ferne laut zurief: „Die Hundsfötter! Die Hundsfötter! Kommen Sie rasch mit, General, wenn Sie das Unglück noch verhindern wollen, sonst haben wir im nächsten Augenblick die Kapitulation!“ „Da soll doch der Donner dreinschlagen!“ rief Blücher, hochrot im Gesicht. „Sind die Leute denn alle alte Weiber geworden?“ Er gab seinem Pferd die Sporen und sprengte nach dem Standort des Kalckreuthschen Oberkommandos, wo der alte General eben im Begriff war, sich zur Unterredung mit dem Marschall Soult zu begeben. „Wer redet hier von Kapitulation?“ schrie Blücher ihn an. „Da kann doch keine Rede davon sein, daß wir kapitulieren müssen! Wir schlagen uns durch, wenn’s sein muß – aber uns ergeben? Nee! Das geschieht nie und nimmer!“ Kalckreuth setzte ihm lang und breit die Verhältnisse auseinander, die ihn zwangen, besondere Rücksichten zu nehmen: die königlichen Prinzen, die in seiner Armee standen – die Garden, die er dem König unversehrt erhalten müsse, und schließlich, aber nicht zuletzt, des Königs Verbot, sich in einen Kampf einzulassen. – „Was die Prinzen betrifft,“ antwortete Blücher, „so sind sie selbst sicherlich die letzten zu verlangen, daß hier kapitulieret wird, damit ihre Haut heil bleibt. Sie werden sich für die Ehre bedanken. Und der Kopf eines Gardisten ist nicht einen roten Heller mehr wert als der eines gemeinen Soldaten. Der König hat Kampfhandlungen verboten, sehr wohl! Aber er hat uns nicht befohlen, seine Truppen dem Feind auszuliefern. Noch weniger hat er uns untersagt, uns zu wehren, wenn wir angegriffen werden, oder den Franzmann zu werfen, wenn er sich uns in den Weg legt. Pulver und Blei haben wir genug, scharfe Säbel auch; sowie Leute, die dem Franzmann damit dienen können. Wer wird so dämlich sein, dem Franzmann da etwas anderes als blanke Hiebe zu geben?!“ Kalckreuth wollte noch etwas entgegnen. Ehe er aber dazu kam, erhob zum maßlosen Staunen Blüchers der Oberst von Massenbach seine Stimme – Massenbach, der bei Jena von seinem Opfer, Hohenlohe, getrennt worden war und jetzt plötzlich im Hauptquartier Kalckreuths zum Vorschein kam. Dieser Unglücksmensch tat also sein wortreiches Maul auf und übersprudelte gleich von Gründen und Gegengründen und großzügigen Projekten, die gänzlich in den Wolken hingen. Die Nutzlosigkeit jedes weiteren Kampfes stände ohne weiteres fest, die brauche er nicht noch darzutun nach den Niederlagen, von denen die preußische Armee betroffen worden war. „Wozu noch mehr vergebliche Blutopfer! Wenn man unter den obwaltenden Umständen kapituliert, dann nimmt man nicht dem König eine Armee, sondern erhält sie ihm!“ sagte er dann und beantwortete die entrüsteten und erstaunten Ausrufe, die diese verblüffende Bemerkung begleiteten, mit einem selbstgefälligen und überlegenen Lächeln. „Kapitulieren wir – ich wiederhole es –, dann erhalten wir dem König seine Armee! Denn der Kaiser Napoleon ist groß; er ist erhaben und edeldenkend; er ist nicht nur ein großer Feldherr und ein wahrhaft großer Mensch, sondern vor allem ein politisches Genie. Er will uns nicht vernichten, er will ein starkes, mit ihm verbündetes Preußen. Er wird, nach meiner festen Überzeugung, dem König seine Armee völlig intakt wiedergeben, wenn er nur weiß, daß sie nachher gemeinsam mit ihm gegen Rußland kämpft. Freilich wäre es dazu notwendig, daß wir uns jetzt erst politisch anders einrichten!“ „Herr, was redet Er da für einen Kohl?“ fiel ihm Blücher in die Rede. Aber Massenbach reckte seine kleine Gestalt auf, setzte die Stumpfnase hoch und versuchte auf den viel längeren Blücher verächtlich herabzusehen. „Ich _deklariere_,“ sagte er mit Nachdruck, „die Allianz mit Rußland ist unser sicheres Verderben. Wer dem Staat redlich dienen will, muß den König daran zu hindern suchen. Rettung für den Staat ist nur noch in einer Allianz mit den Franzosen zu finden!“ Damit kam er aber bei Blücher schlecht an. „So’n Sauverfluchter – so’n Schwerenotverdammter! Das müssen _wir_ uns sagen lassen! So’n Gewäsch wagt er uns zu bieten!? Wo _wir_ allezeit bereit waren und bereit sind, den letzten Hauch herzugeben, um den Franzmann aus dem Lande herauszujagen, da wollen _Sie_ ihm Tür und Tor öffnen und ihn gar noch in die Arme schließen! Das ist Verrat – das ist – –“ Er kam in solche Aufregung, daß er nicht weitersprechen konnte, und es wäre Massenbach sicherlich sehr übel ergangen, wäre nicht im selben Augenblick ein Parlamentär vom Marschall Soult angekommen, der den Oberbefehlshaber zu einer weiteren Besprechung einlud. Das nahm sofort seine ganze Aufmerksamkeit gefangen, und Massenbach wurde vergessen. Als man aber nachher zum Verhandlungsort ritt, da ritt Massenbach mit. Denn er mußte ja überall dabei sein und sein dickes Fell zu Markte tragen. Soult und die begleitenden Offiziere waren nicht besonders liebenswürdig. Sie kehrten recht deutlich den Sieger heraus und führten die Unterhandlung in so hochfahrender Weise, als sei es eine Gnade von ihnen, überhaupt darauf zu verzichten, die Preußen kurz und klein zu schlagen und zu Brei zu treten. Blücher sprach kein Französisch. Er glaubte aber trotzdem aus der langen Unterhaltung Kalckreuths mit den Franzosen ein paarmal das Wort „Kapitulation“ heraushören zu können. Und als das im Anschluß daran einsetzende Geflüster nicht aufhörte, riß ihm schließlich die Geduld. Er ging zum Marschall Soult hin und rief ihm laut und ohne Umschweife zu: „Kapitulation hin, Kapitulation her! Als Soldat bin ich in Ehren grau geworden. Als ehrlicher Soldat lasse ich mich jederzeit zusammenhauen, wenn’s nicht anders ist! Aber kapitulieren, nein! Die Feigheit dürfen Sie nimmermehr von mir verlangen!“ Dabei schlug er auf die Säbelscheide, daß es klirrte. Bei den Franzosen ging dann ein Geschnatter los. Wer jener Monsieur sei, der so aufgeregt tat! – Ob er oder _le comte_ Kalckreuth das Kommando hätte? Man ließe sich einen derartigen Affront nicht bieten, man wäre schockiert, konsterniert und wer weiß was noch! – Man stampfte auf den Boden, ließ die Äuglein zornig blitzen und wetterte und zeterte, daß die Stimmen sich überschlugen. Blücher fand das höchst ergötzlich und lachte ihnen aus vollem Halse ins Gesicht. „Wenn die Herren einen Wettkampf im Krähen veranstalten wollen, ich habe nichts dagegen!“ sagte er. „Aber dazu bedarf es meiner Gegenwart nicht!“ Worauf er ihnen den Rücken kehrte, in den Sattel sprang und davongaloppierte. Die Franzosen taten das gleiche. Und die Herren Kalckreuth und Massenbach kehrten betrübt zu den Truppen zurück. In bester Ordnung wurde denn, trotz dem Feuer der Franzosen, weiter marschiert bis nach Sondershausen. Dort legte Kalckreuth sein Kommando nieder, nahm Urlaub und reiste von der Armee fort, was Blücher aufs höchste erfreut hätte – wenn der König nicht dem Fürsten Hohenlohe das Oberkommando über die ganze Armee gegeben hätte. „Nun geht die Unordnung erst recht los!“ fluchte er. „Für einen lahmen Gaul tauschen wir einen blinden ein. Himmelsakrament, wo findet sich ein Kerl, der alles in Ordnung bringt und mir hilft, diese Bangbüxen und Stümper zu Paaren zu treiben?! Wo find’ ich den?“ Da öffnete sich die Tür, und auf der Schwelle stand ein unscheinbarer Mann in etwas gebückter Haltung, die Augen müde und trübe blickend, als wären sie von Arbeit überanstrengt; das Gesicht von tiefen Furchen durchwühlt. Mit nachlässigen Bewegungen kam er herein, grüßte, strich sich die wirren Haare aus der Stirn und blieb vor Blücher stehen. „Scharnhorst!“ schrie dieser. „Sie kommen wie gerufen! _Sie_ fehlten mir gerade! Ich bin nichts als Gift und Galle, nach all der Feigheit und Miesepeterei hier. Erzählen _Sie_ mir wenigstens eine gute Neuigkeit!“ Scharnhorst schüttelte müde den Kopf. „General,“ sagte er, „das geht nimmermehr, wenn Fürst Hohenlohe jetzt den Oberbefehl haben soll und Massenbach alles wieder verfahren darf!“ „Ob das geht!“ rief Blücher, gallig auflachend. „Geradeswegs zum Teufel geht’s, darauf können Sie Gift nehmen.“ „Dann tun _wir_ beide wenigstens, was wir können, um den Schaden zu vermindern! Retten wir die schwere Artillerie! Die läßt sich nun und nimmer über den Harz bringen, wo der Fürst sich jetzt mit der Armee durchschleichen will. Sie bleibt auf den schweren Wegen stecken. Wenn Sie, General, den Befehl über die Kolonne nehmen und mich alles anordnen lassen, dann bringen wir die Artillerie viel sicherer und ebenso schnell auf dem Umweg um den Harz herum ans Ziel. Wir ziehen über Osterode, Braunschweig und bei Sandau über die Elbe. Ich lasse überall im voraus Gespanne requirieren und bei den Haltepunkten bereitstellen, damit die Artilleriepferde, die total abgetrieben sind, geschont werden können. Ich sorge auch dafür, daß wir sofort bei Sandau Fährgelegenheit haben. Das ist alles zu machen, wenn nur ein Mann wie Sie das Kommando nimmt, damit gut aufgepaßt, schnell und energisch im Falle der Gefahr durchgegriffen und ohne Zaudern vorwärtsgegangen wird! Wollen Sie?“ „Sofort!“ sagte Blücher. „Das schaffen wir zusammen! Wir wollen den anderen zeigen, Oberst, was zwei aufrechte Kerle vermögen, wo andere die Köpfe hängen lassen. Wie viele Rohre sind das?“ „Einunddreißig. Und ein Bataillon Infanterie als Bedeckung.“ „Das genügt! Wir nehmen noch an die sechshundert Pferde von meinem Regiment! Kommen Sie, gehen wir gleich zum Fürsten und bringen es ins reine, und dann los!“ Sie schüttelten sich die Hände. Beide hatten gefunden, was sie suchten. Der Generalquartiermeister das starke aktive Temperament Blüchers, das keine Hindernisse kannte und Autorität genug hatte, alles mit sich fortzureißen – Blücher den klugen, sicher und kühl berechnenden Kopf Scharnhorsts, den trefflichen Organisator, den unermüdlichen Arbeiter, den vorausschauenden Blick, der schnell die Grenzen des Möglichen erfaßte und nicht die geringste Kleinigkeit dem Zufall überließ, der die Notwendigkeit des wagehalsigen Temperaments eines Spielers für die Durchführung einer Sache vollauf einsah, ihm aber auch im Bedarfsfalle einen Dämpfer aufzusetzen verstand. Sie taten sich zusammen, um ein paar Kanonen zu retten, und daraus wurde ein Bund zur Rettung des ganzen Vaterlandes. Ein Bund ohne feierlichen Schwur, ohne Verbrieftes und Gesiegeltes – „vom Zufall herbeigeführt“, würde der Skeptiker sagen – „mit Notwendigkeit – aus Schicksal“, wie der Fatalist es deuten würde. Kurz und gut, es _wurde_. Und der Bund hielt. Sie schritten also zur Ausführung ihrer ersten gemeinsamen Tat und zogen mit dem Artilleriepark ab. Inzwischen führte Hohenlohe die Armee auf den vielfach verschlungenen Wegen durch den Harz und machte in Quedlinburg halt. Dort wurde zur Abwechslung wieder einmal Kriegsrat gehalten. Hohenlohe, der seine Niederlage bei Jena so schnell mit dem Oberbefehl über die ganze Armee belohnt sah, hatte nämlich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seinen lieben Massenbach wieder hoch in Ehren einzusetzen, und da war guter Rat teuer. Bei der Beratung erhoben sich Stimmen dagegen, daß von allen Seiten die Truppen nach Magdeburg hinstrebten und so die Festung verstopften. Der Hauptmann von dem Knesebeck schlug entschlossen vor, davon gänzlich abzusehen. Es wäre, so meinte er, zweckmäßiger, nur die Versprengten nach Magdeburg laufen zu lassen, um sie dort neuzuordnen. Die armierten und formierten Truppen dagegen könnte man weit vorteilhafter nach Hameln werfen, sich dort mit dem noch intakten Korps des Herzogs von Weimar vereinigen lassen. Dann mit diesem, mit den westfälischen Truppen Lecoqs, und mit Blüchers Artillerie zusammen, Hessen und Westfalen insurgieren, den Feind von Berlin und von der weiteren Verfolgung der aufgelösten Truppen abhalten, und dem König Zeit geben, eine neue Armee zu bilden und, vereinigt mit den Russen, heranzuführen. Der Plan, der das Gute an sich hatte, wieder die Aktivität der Truppen zu beleben und ihre Unternehmungslust neu zu entfachen, fand allseitigen Beifall. Er hatte aber den einen und unverzeihlichen Fehler, nicht von Massenbach zu stammen. Und damit war er erledigt. Oberst Massenbachs Geist durfte sich nie und nimmer in den Bahnen eines anderen bewegen. Und ihn gar der Unbequemlichkeit unterwerfen, sich mit der Prüfung von Gedanken anderer Leute abzugeben, das ging ihm wieder die Natur! Er entschied also kurz: Die Idee des Hauptmanns von dem Knesebeck wäre gut, sie wäre sogar ausgezeichnet, aber sie ließe sich leider nicht verwirklichen. Unter den obwaltenden Umständen müsse an dem Plan, hinter die Oder zu gehen, festgehalten und die Richtung auf Magdeburg eingehalten werden. Das wäre seine unverfängliche Meinung. Gründe gab er nicht an. Soweit durfte er seine Autorität nicht aufs Spiel setzen. Er hatte es auch nicht nötig. Denn der Fürst, müde, gelassen und kurzsichtig wie immer, sagte zu seinen Ausführungen ja und amen, ohne nach Gründen zu fragen. Und so bewegte sich alles im alten Trott. In und um Magdeburg sammelte sich denn so allmählich der Rest der stolzen preußischen Armee – alles in allem fünfundvierzigtausend Mann –, um von den kunsterfahrenen Händen Massenbachs in neue Unordnung geordnet zu werden. In der Stadt hielt der jetzt allmächtige Herr Hof, ließ Offiziere und Adjutanten, die nunmehr von ihm allein ihre Befehle erhielten, antichambrieren und war nicht zu sprechen, kränkelte an allen Ecken und Enden, hatte seelische Depressionszustände, bedurfte sehr der Schonung, schrie und tobte über den Fürsten und alle Welt, die ihn mit allerlei Drecksachen plagten, _ihn_, dessen Kopf von gigantischen, weltbeglückenden Problemen brannte! Man solle ihn in des Teufels Namen in Ruhe lassen! Er bedürfe keines Rates; er wüßte schon am besten, was zu tun wäre! Und übrigens wäre er müde und müsse erst ausschlafen, um überhaupt denken zu können! So ungefähr lauteten die „Befehle“, die der Herr Generalquartiermeister zu erteilen geruhte. Und so geschah es, daß das ganze Festungsglacis von Packwagen und allerlei Troß derartig vollgefahren wurde, daß die Artillerie der Bastionen im Ernstfalle nie und nimmer hätte feuern können, ohne erst die eigene Bagage zusammenzuschießen – die Straßen waren von festgefahrenen Fahrzeugen verstopft, die Soldaten langten an, kamen und gingen planlos, statt sofort gefaßt und auf ihre Truppenteile gebracht zu werden. Und, als man schließlich mit der Hälfte der Armee aufbrach, wurden die verkehrtesten Maßnahmen für den Weitermarsch getroffen. In großem Bogen strebte man auf Umwegen dem Ziele, Stettin, zu, ließ dem Feind den kürzeren und bequemeren, geraden Weg nach Berlin offen, überließ ihm also kampflos die dortigen reichen Vorräte, bis auf die Kassen, die der Minister von Stein heimtückischerweise vor der allerseits einreißenden Schlamperei zu retten wußte. Dafür sorgte Massenbach in noch nicht dagewesener Weise für das leibliche Wohl der marschierenden Truppen, so daß sie niemals zur Ruhe kamen und stets hungrig blieben. Der Weg nach dem jeweiligen Marschziel wurde mit größter Sorgfalt so gewählt, daß man sich selbst auf dem Bogen und der Feind sich auf der Sehne bewegen konnte, damit man ja nicht vor den charmanten Franzosen ans Ziel käme. Die Marschordnung wurde so eingerichtet, daß nicht zuviel Kavallerie die dem Feinde zugekehrte Flanke der marschierenden Kolonne schützte, dagegen die linke ungefährdete Flanke von der Masse der Kavallerie bedeckt war – wohl zu merken, in Tagesmarschabstand, damit ihr Chef, der alte Blücher, nicht zu unbequem oder vorlaut werden konnte. Für Nachtquartier, für Brot und Branntwein und anderes Essen wurde getreulich gesorgt. Aber auch dafür, daß man todsicher anderswohin marschierte, wo nichts bereitstand und auch nichts aufgetrieben werden konnte. Der Umwege gab es noch lange nicht genug! Es mußten immer neue, immer andere gefunden werden! Den Anlaß zum Suchen gab das ewige Schießen der eigenen Marodeure, überall, wohin man kam. Da witterte Massenbach Franzosen die Masse! – Im Geiste sah er seine Lieben von ihnen abgeschnitten oder umzingelt, erlaubte sich auch keinesfalls auf den ketzerischen Gedanken zu kommen, zu kämpfen oder sich durchzuschlagen, und teilte seine Mutlosigkeit und seine Überzeugung von der Nutzlosigkeit eines jeden ferneren Widerstandes den Truppen mit. So brachte er die Armee, bis auf die Hälfte zusammengeschmolzen, ausgehungert und durch unnütze Nachtmärsche bis auf den Tod ermüdet, _aber kampflos_, bis in die Gegend von Prenzlau, wo sie fast gleichzeitig mit den Spitzen von Murats Kavallerie, am 21. Oktober, ankam, nachdem bei Wichmannsdorf, an dem Boitzenburger See, der Rest des berühmten Regiments Gens’darmes abgeschnitten, gefangen und zur Verherrlichung des Einzugs Napoleons nach Berlin abgeschoben worden war. Die von Blücher und Scharnhorst vollständig gerettete und der Armee wieder zugeführte Artillerie ging selbstverständlich fast gleichzeitig ebenso vollzählig wieder verloren, sobald sie in andere, weniger geschickte Hände gekommen war. * Tram – tararam, tram, tram. Tram – tararam, tram, tram – Die Trommler schlugen drein, die Trompeten schallten, im Lustgarten schoß man kaiserlichen Salut, die Glocken bimmelten aus sämtlichen Kirchen, französische Fahnen flatterten überall leicht, graziös und kokett bestrickend von allen Schlössern und Staatsgebäuden und besonders reich vom Brandenburger Tor, durch das der Einzug genommen werden sollte. Der sterbende Oktober gab noch seinen schönsten Altweibersommertag her, um dem Fest die richtige Weihe zu geben. Französische Grenadiere säumten die Straßen ein. Bis weit hinaus auf die Charlottenburger Chaussee sah man die schnauzbärtigen Kerle mit ihren doppelten Bandelieren, in schnurgeraden Linien über der Brust gekreuzt, Gewehr präsentieren und sich martialisch brüsten. Und dahinter drängte sich alles, was in einer Stadt wie Berlin kreucht und fleucht, reckte sich die Hälse lang, stieß sich die Rippen ein, zertrat sich die Füße, fluchte, lachte, johlte und schrie vor Aufregung, jenes apokalyptische Ungeheuer, das die ganze alte Welt in Trümmer geworfen hatte, endlich einmal mit Augen zu sehen. Tram – tararam, tram, tram! Tram – tararam, tram, tram! – Die Tambours schlugen ihre Wirbel mit Macht, die Bläser bliesen aus vollen Backen, immer näher kam’s, immer lauter schmetterten Posaunen und Trompeten, die Pikkoloflöten wieherten, der Wind wehte die Klänge immer näher, man vernahm schon die Melodie. „_Allons enfants de la patri–i–e_“, sang gleich ein blasser Ästhetenjüngling mit interessanten dunklen Stirnlocken laut irgendwo hinter dem Rücken der anderen mit – mit einer Vehemenz daß sich seine dünne Fistelstimme noch vor Rührung überschlug. „Das Lied – _das_ Lied ist’s, das die Welt erobert! Überall entflammt es die Herzen, überall entfacht es die Begeisterung! Und wenn sie’s hören, empfangen die geknechteten Völker dankbar ihre Freiheit aus der Hand des Befreiers!“ „Halt’s Maul, Aff’ verfluchter!“ rief ihm ein dicker Fleischerbursche zu, und versetzte ihm einen Bauchstoß, daß ihm das Singen verging. „Au, meine Hiehneroogen!“ kreischte schrill eine Stimme. Eine andere gab zur Antwort: „Wennde schon Oogen in de Stiebeln hast, denn guck dir doch unten besser vor, Rindvieh!“ „Bei ihm guckt bloß de jroße Zeeh raus, und die hat keene Oogen nich! Die is blind!“ lachte ein dritter. „Wat der uns woll noch an Steuern abknöppen wird!“ knurrte ein dicker Budiker, stieß seinen Nachbar in die Seite und zeigte auf „seinen“ Gerichtsvollzieher, der sich eben an ihm vorbeidrängelte. „Nu wat denn?“ antwortete der Angeredete. „Der wird dir schon janz eklig kommen und nich zu knapp! Denn wat dem sein neuer Herr und Jebieter is – det Napolibum – det soll jerissener sind wie ville Jerichtsvollzieher! Det jehört woll ooch zum Jeschlecht derer von Nimm!“ Immer lauter wurde das Geschrei der Leute. Die Einzelgespräche versanken in dem allgemeinen Trubel, die Marseillaise, von dröhnenden Trommelwirbeln rhythmisch gehoben und vorwärts getragen, schwoll immer machtvoller an und erfüllte mit ihren Klängen die Luft, die Posaunen spien ganze Massen von Fanfaren aus, als gälte es die Mauern Jerichos umzublasen. – Immer näher und näher schob sich das Ereignis; ein Wald von silber- und goldgestickten Fahnen schaukelte langsam und feierlich vorwärts auf das Tor zu, durch dessen mittleren Bogen hindurch und auf die „Linden“ hinein. Wo aber der Zug der Fahnen vorbeikam, verstummte der Lärm, die Köpfe senkten sich, die Gesichter wurden ernst, zornige Worte preßten sich über zusammengekniffene Lippen, die Fäuste ballten sich, die Augen wurden feucht. Es waren – _preußische Fahnen_, vor allem die Feldzeichen der preußischen Garderegimenter, von Siegen schwer, von Ehren bekränzt, die in den Schlachten des Großen Friedrich einst ihre Bluttaufe erhalten hatten und jetzt, von achtzig französischen Grenadieren getragen, auf der altgewohnten Straße ihrer einstigen Triumphe dem Besieger Preußens in seiner Hauptstadt voranflattern mußten. „Hol’ der Teufel die Schufte, die sie so schlecht verteidigt haben!“ fluchte ein alter Veteran zwischen den Zähnen. „Nie wieder!“ schrie ein anderer und vergaß sich so weit, daß er die Faust drohend gegen die französischen Soldaten schüttelte. „Nie wieder wird euch das hier im Lande vergessen werden, solange die Welt noch steht!“ „_Silence messieurs! Silence donc ici!_“ wetterte es prompt aus der Reihe der spalierbildenden Soldaten, und ein paar derbe Kolbenstöße unterstützten die Mahnung. Indessen verstummte die Marseillaise plötzlich, und der Zug hielt an. Der Kaiser Napoleon, hoch zu Pferd und umgeben von den Marschällen Berthier, Davoust, Angereau, Bessières und Lefebvre, hielt jetzt am Tor an, um die programmgemäße offizielle Begrüßung entgegenzunehmen. Eine Gruppe der angesehensten Bürger Berlins, an ihrer Spitze der Zivilgouverneur Fürst von Hatzfeld selbst, trat vor, um dem Kaiser die Schlüssel der Stadt feierlichst zu überreichen. Der Fürst hielt seine Ansprache; der Sieger von Marengo, Austerlitz und Jena dankte mit seiner melodischen Stimme in leicht singendem Tonfall, die Worte mit absichtlicher Feierlichkeit dehnend und fast skandierend. Er ließ dann die Schlüssel der Stadt vom neuernannten Gouverneur in Empfang nehmen, blickte auf das Tor hinauf zur bronzenen Viktoria, die ihm mit ihrem Viergespann leichtgeschürzt entgegengesaust kam, lächelte bedeutsam und sagte dann, ohne seine Worte an irgendeinen zu richten: „Die Dame fährt in verkehrter Richtung. Der Sieg kommt heute aus Westen, Messieurs, die Siegesgöttin also auch! Wir wollen ihr auf den rechten Weg helfen!“ Ein Zeichen seiner Hand – die Musik fiel ein, die Trommeln schlugen, die Bläser prusteten, und durchs Siegestor der Hohenzollern zog die glänzende kaiserliche Kavalkade ein, strotzend von Orden und goldenem Schmuck, mit wehenden Federbüschen, prachtvollen Gewändern, von fürstlich aufgeschirrten Pferden getragen. Allen voran Napoleon selbst im grauen Mantel, den schwarzen dreieckigen Hut auf dem Haupte. „_Vive l’empereur!_“ riefen vorschriftsmäßig die Garden. Vereinzelte Hurrarufe aus der Menge wurden laut. „’t is ja een janz kleener Mann!“ quiekte plötzlich eine Stimme. „’n janz kleener!“ brummte eine Baßstimme Antwort. „Det meen ick ooch! Und det will nu janz wat Jroßet sind?! So’n Quatsch!“ „Fif Langperöhr!“ johlten ein paar strebsame Gassenjungen. Und dann brach ein Sturm los, wie er selten auf der Feststraße Berlins getobt hatte. Der Clou des Festzuges kam, die Überraschung, die Napoleon den Berlinern als Angebinde bot, indem er gleichzeitig seine eigene verletzte Eitelkeit in der raffiniertesten Weise rächte. Hinter dem Festzug her wurde der Stolz der Berliner, ihr feinstes Regiment, das Regiment Gens’darmes, wie eine Viehherde über die Linden getrieben, durcheinandergeworfen, mit abgerissenen Uniformen, ohne Waffen, ausgehungert und zu Tode gehetzt, um nicht beim Triumphe seines Besiegers zu fehlen. Eben _die_ Offiziere, die einst so mutvoll an den Stufen der französischen Gesandtschaft ihre Säbel gewetzt hatten, eben die mußten jetzt, dieser Säbel beraubt, an dem Ort ihrer Tat gefangen vorüberziehen, um so ihren einstigen Übermut zu sühnen. Und derselbe Pöbel, der ihnen damals zujauchzte und noch lauter als sie Frankreich verwünschte – derselbe Pöbel pfiff sie jetzt aus, beschimpfte sie, verlachte sie, bewarf sie mit Kot aus dem Rinnstein und mit unflätigen Zurufen, und gab ihnen die Schuld an dem Krieg und an der Niederlage und an der ganzen Schmach, die über das Vaterland hereingebrochen war. Er hätte sie in Stücke gerissen, hätten nicht die französischen Grenadiere in der Aufrechterhaltung der Ordnung eine geübte Hand gehabt. Man erhob sich zum Richter, vergaß darüber, wie sooft, die eigene Schuld, und machte sich dadurch erst recht mitschuldig! – Der Sieger aber, der die Geschmacklosigkeit gehabt hatte, die in ehrlichem Kampfe überwundenen Feinde wie eine Herde gefangener Barbaren im Triumphzuge der Cäsaren mitzuschleppen, er zog weiter nach dem Schloß, empfing dort die sogenannte „Intelligenz“, charmierte, poussierte, kokettierte mit dem Allerweltsbürgertum, das auch hier in Berlin seine üppigsten Blüten trieb, alles bewitzelte, alles verspottete, und vor allem jedes patriotische Gebaren ins Lächerliche zog. Er teilte Auszeichnungen aus, er ordnete die Verwaltung der Stadt, ernannte Gouverneure, Kommandanten, Richter und Polizeichef, empfing Deputationen und hervorragende Persönlichkeiten der Literatur, der Kunst und der Geldaristokratie, lauter französelnde Weltbürger und hypergebildete Kulturfexe, amüsierte sich über ihre plumpen Schmeicheleien, ließ sich ruhig anhimmeln und quittierte für die Kriecherei, indem er dem besiegten Vaterland jener Vaterlandslosen eine sofort zu entrichtende Kriegskontribution von hundertneunundfünfzig Millionen Mark auferlegte und rücksichtslos einzutreiben befahl. Er verstand den Spaß und wußte eben, was Siegen heißt! * „Sagen Sie mal, Herr Kamerad,“ sagte der Major von der Marwitz, der Adjutant Hohenlohes, zum Kapitän von Tippelskirch vom Generalstab, gerade als dieser den Fuß in den Steigbügel setzen wollte, „sagen Sie mal, ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß die kleinsten Ursachen oft die größten Wirkungen haben, und daß, insbesondere in der Weltgeschichte, Begebenheiten von den weittragendsten Folgen, von denen das Schicksal von Nationen abhängt, meistens durch ganz nebensächliche und sonst gleichgültige Umstände herbeigeführt werden?“ „Ich gebe zu, ich habe schon manchmal darüber nachgedacht!“ „Dann werden Sie sich nicht wundern, daß ich jetzt behaupte: wenn wir hier kapitulieren müssen, und ich sehe es schon kommen – –“ „_Ich_ kapituliere nicht – ich reite dann eher davon!“ rief der Kapitän lebhaft. „Recht tun Sie, Herr Kamerad! Und wäre ich nicht als Adjutant an die Person des Fürsten gebunden, so würde ich es auch so halten. Ich wollte auch nur dartun, daß wir, wenn wir hier kapitulieren müssen, in diese Zwangslage durch den Umstand versetzt worden sind, daß Herr Oberst von Massenbach eine so überaus empfindliche Milz hat.“ Der Kapitän von Tippelskirch lachte. „Es ist mein Ernst, Kamerad“, sagte der Major. „Mit der Milz ist nicht zu spaßen – mit Massenbachs am allerwenigsten! Wozu das Ding eigentlich da ist, darüber stritten sich von jeher die Gelehrten und streiten sich immer noch. Bei Massenbach ist sie aber ganz bestimmt dazu da, um den guten Oberst zu quälen!“ „Da geschieht ihm nur sein Recht!“ „Sie können überzeugt sein, Herr Kamerad, daß ich ihm noch größere Qualen gönnen würde, wenn wir nur nicht so sehr davon in Mitleidenschaft gezogen würden.“ „Wieso denn?“ „Nun eben weil jenes merkwürdige Klümpchen Fleisch, das man Milz nennt, dem Herrn Massenbach total das Reiten verleidet.“ „Ach so!“ „Kaum sitzt er im Sattel und schlägt ein rascheres Tempo ein, sofort versetzt ihm seine Milz einen Stich, daß er den Atem verliert und nicht weiter kann. Da hilft ihm nichts als der gewöhnliche langsame Trott, oder, am liebsten, daß er im Wagen weiterfahren kann. Galopp oder Trab ist ihm unmöglich auszuhalten. Und dabei soll der Mann rekognoszieren.“ „Wie das ausfällt, läßt sich denken!“ „Ja, aber nur denken! Denn er nimmt die letzte Zeit auf seine Patrouillenritte niemand mit! Er rekognosziert immer allein. Und wissen Sie warum?“ „Nun?“ „Um ohne Zeugen zu sein! Ich habe die Überzeugung gewonnen – und ich möchte beinahe darauf schwören, daß es sich so verhält –, ich habe also die Überzeugung: er unterschlägt wegen der Schmerzen in der Milz den ganzen Ritt, setzt sich irgendwo im Gebüsch hin und kommt dann nach einer Weile wieder mit den wahnsinnigsten Rapporten! Nur so habe ich mir all die merkwürdigen Beobachtungen erklären können, die er gemacht haben will. _Er hat sie eben nicht_ gemacht. Er hat sich gesagt: ‚Es _könnte_ so sein, es könnte aber _auch so_ sein! Nehmen wir also das ‚_auch so_‘ für sicher! Warum sollte ich mit meinem Scharfblick nicht eine Entfernung ohne Vermessen einschätzen können? Brauche ich eine Brücke, ein Defilee, einen Paß zu sehen, um zu wissen, daß sie da sind? Und was den Feind betrifft, daß der hinter uns her und vor uns und überall ist – wer würde wagen, _das_ von den Franzosen zu bezweifeln? Um _das_ festzustellen, dazu brauche ich keinen Ritt zu machen! Das weiß man auch so! Wer kontrolliert’s mir übrigens? Keiner! Und wenn schon – der Fürst glaubt mir aufs Wort! Die anderen Kerls können mir was! Wozu sich schinden?‘ So wird er räsoniert haben!“ „Das hat allerdings etwas für sich“, sagte der Kapitän von Tippelskirch und schlug sich mit der Reitgerte auf den Stiefel. „Mir war es auch merkwürdig, wie er so gar nicht mehr die Entfernungen einschätzen konnte! Denn der Kerl ist nicht dumm! Und kann er auf einmal nicht mehr rechts von links unterscheiden, so liegt’s nicht am Sehvermögen, auch wird er nicht so ganz auf den Kopf gefallen sein. Schließlich muß er doch auch als Generalquartiermeister die Karten kennen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich sehe da so etwas wie bösen Willen walten! Der Kerl hat etwas vor!“ „Wissen Sie, Herr Kamerad,“ sagte von der Marwitz zögernd, „ich mag ihn auch ganz und gar nicht. Aber Gerechtigkeit muß sein. An bewußten Verrat glaube ich nicht. Dazu wäre er meines Erachtens auch dann nicht imstande, wenn er die Neigung hätte, denn er ist zu feige. Er ist ein unbedeutender Kopf, der zu Einfluß gelangt und übergeschnappt ist, so daß er sich nur noch mit großen weltbewegenden Plänen abgibt, die er weder fassen noch bewältigen kann. Da passiert es ihm eben, so in Gedanken zu sein, daß er rechts und links verwechselt, falsche Rapporte bringt und verkehrt disponiert. Wir haben’s dann auszufressen, sitzen in der Klemme und müssen verhandeln.“ „Das müssen wir eben nicht! Und wenn ich sehe, daß das losgeht, dann reite ich davon. Wenn Sie mitkommen, soll es mir lieb sein.“ „Ich überlege es mir noch!“ Der Kapitän sprang in den Sattel und legte die Zügel in der Hand zurecht. „Er ist aber doch ein ausgemachter Franzosenfreund“, sagte er ärgerlich. „Sie haben doch selbst gehört, wie er gegen das Bündnis mit Rußland wetterte. Sie waren doch dabei, als er erklärte: In dem Augenblick, wo wir uns mit Rußland alliieren, verläßt er die preußischen Dienste und geht ins Französische!“ „Ich weiß. Ich habe ja selbst im ersten Ärger dem Fürsten gesagt, er müsse wegen dieser Äußerung erschossen werden. Aber der Fürst hat mich ausgelacht. Massenbach wäre nicht ernst zu nehmen, sagte er. Und dabei nimmt er ihn selbst verteufelt ernst und läßt sich von ihm total beherrschen.“ Der Kapitän beugte sich vom Pferde herunter. „Wissen Sie was, Kamerad, der eine von den beiden ist ein Schuft, der andere ein Schwachkopf! Das meine Meinung! Wenn es ihre Privatangelegenheit wäre, würde ich keinen Ton sagen. Aber wenn Tausende von Leben von ihren Schrullen abhängen, wenn das ganze Land darunter zu leiden haben wird, daß solche Leute zu befehlen haben – – Na –, wie gesagt, ich reite meines Weges! Wenn’s soweit ist, pfeife ich Ihnen!“ Er grüßte, gab seinem Pferd die Sporen und ritt davon. Major von der Marwitz stieg auch in den Sattel und schloß sich dem Fürsten Hohenlohe und Massenbach an, die sich jetzt zu einer Unterredung mit den Franzosen begaben. Auf einer niedrigen Wiese kamen sie ihnen entgegengaloppiert, versteht sich, auf guten, erbeuteten preußischen Kavalleriepferden, um recht niederschmetternd zu wirken. Murat selbst ritt das bei Saalfeld erbeutete Pferd Louis Ferdinands; sein Gefolge hatte sich beim Regiment Gens’darmes beritten gemacht. „Dieser freche Gaskogner – dieser Naseweis von einem Bäckerjungen!“ sagte von der Marwitz laut, als er den blaurotgolden herausgeputzten napoleonischen Reitergeneral sah, wie er sich unter der reichen Verschnürung brüstete und blähte, die gelockten Haare schüttelte und gleich anfing in einer Weise zu schwadronieren, gegen die Massenbachs Zungengeläufigkeit das reine Kinderspiel war. Der war auch stumm wie ein Fisch und tat das Maul nicht einmal auf. Er starrte nur, wie der Fürst, entsetzt auf Murat, als dieser anfing, nach rechts und links, nach Nord und Süd in die leere Landschaft hineinzuzeigen, und plötzlich vor seiner erstaunten Phantasie die ganze französische Armee aus dem Ärmel schüttelte. „_Voilà le corps du maréchal Lannes! Voilà le corps du maréchal Bernadotte! Voilà le corps du maréchal Soult!_“ Soult, der hinter der Elbe stand! – „_Je vous donne ma parole d’honneur, que vous êtes cernés par cent mille hommes! Je me trouve ici avec cent mille hommes, messieurs!_“ Und dabei hatte der Gauner nicht mehr als tausend Mann und sechs Kanonen! Es wäre ein leichtes gewesen, sie zum Teufel zu jagen, wenn man auch nur den Gedanken eines Widerstandes zu hegen gewagt, und wenn nicht Massenbach so liederlich rekognosziert hätte. Wen der Himmel aber verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Und so sah der Fürst Hohenlohe im Geiste nichts als diese fürchterlichen Truppenmassen von allen Seiten dräuen, sah desgleichen das Herz seines geliebten Massenbach immer tiefer in die Hosen sinken und hörte kaum noch hin, als von der Marwitz ihn bat, doch von dieser tiefgelegenen Wiese auf die Chaussee heraufreiten und selbst Umschau halten zu wollen, oder noch besser, ihn mit einer Patrouille auszusenden, ehe er seinen Entschluß fasse. Massenbach hatte rapportiert! Massenbach hatte all das auch gesehen! – Das genügte! Das war der Kehrreim vom Lied – das Gesetz, gegen das es keinen Einspruch gab! Und vollends, damit nichts am Grotesken fehlte: als in der Ferne, auf dem Wege von Stettin, einer von den eignen Pulverwagen aufflog und eine kugelförmige Wolke hochging, die in der Luft eine Weile hängenblieb, als dann alles verblüfft hinschaute, und man sich gegenseitig fragte, was das wohl sein könne, da fiel man zum Überfluß noch auf den Bluff eines der lächelnden Herren Franzosen herein, der mit frecher Stirn ganz ruhig erklärte: „Das ist das Signal von Marschall Soult, daß er Sie von Stettin abgeschnitten hat! Sie sind umzingelt, Messieurs!“ Der Chef der Artillerie, Oberst Hüser, kam dann noch mit der wenig erfreulichen Nachricht hinzu: es fehle den Soldaten an Taschenmunition, und er selbst hätte nur noch fünf Schuß pro Kanone übrig. Und da war es aus. Da willigte Fürst Hohenlohe ein und kapitulierte mit zehntausend Mann und dreißig Kanonen vor Murats tausend Leuten und vor seinen sechs fürchterlichen Rohren! Alles, weil der Herr Generalquartiermeister Oberst von Massenbach eine Milz hatte und diese ihn am getreulichen Rekognoszieren behinderte! Und auch, weil der Artilleriechef nichts davon wußte oder wissen wollte, daß einzelne seiner Batterien noch über mehr als tausend Schuß verfügten! Inzwischen balgten sich Blücher und seine Leute sechs Meilen davon nach Herzenslust mit Bernadotte herum. Bei Lychen wurden sie handgemein. Blüchers „Rote“ hieben brav drein, die anderen Truppen taten auch ihr Bestes, schlugen den Franzmann gehörig aufs Haupt, bekamen wieder Mut und Selbstbewußtsein und _sangen_ wieder zum ersten Male, seitdem der Rückzug angefangen hatte. Da brachte man ein paar Deserteure von der Hohenloheschen Armee ein, die der Kapitulation entflohen waren, weil sie keine Lust hatten, unnütz eine Reise nach Frankreich zu machen. Und von ihnen erhielt man Kunde von dem Ereignisse. Das wirkte wie ein Donnerschlag. Laute Rufe des höchsten Zorns wurden bei den Offizieren hörbar, und Blücher fluchte und tobte, wie nur er es konnte! In der Siegesstimmung, in der er war, wollte er gleich dreinhauen, zum Angriff vorgehen, sich nach Stettin durchschlagen und, wenn’s sein mußte, bis zum letzten Mann kämpfen, um wenigstens so die von Hohenlohe und Massenbach geschändete preußische Waffenehre wiederherzustellen! Er ließ Scharnhorst rufen und beratschlagte die Lage mit ihm. Scharnhorst, auch jetzt ruhig und besonnen wie immer, verstand es gut, die Draufgängernatur Blüchers zu bändigen, und fand auch gleich heraus, was zu tun wäre, um dem Ganzen am besten zu nützen. Und da sein Plan immerhin einiges von einem Husarenstücklein an sich hatte, so war Blücher nicht schwer zu überzeugen und willigte sofort ein. Was Knesebeck beim Kriegsrat in Quedlinburg mit der ganzen Armee tun wollte und nicht durfte, das unternahm jetzt Scharnhorst mit dem Blücherschen Korps. Statt also nach der Oder durchzubrechen, wollte er lieber umkehren, auf die Elbe zurückgehen, Magdeburg gewinnen oder Hamburg, wenn’s nicht anders ging. – Die Hauptsache dabei war, die Franzosen von der Oder abzuziehen, damit der König Zeit bekäme, sein Heer zu sammeln und die Festungen zu verproviantieren. Während der Beratung hatte sich aber die Kunde von der Kapitulation unter den Regimentern verbreitet. Und da es überall einige unsichere Kantonisten gibt, so gab’s auch hier verschiedentlich Aufregung, und Rufe wurden laut, es sei am besten, wenn hier gleichfalls kapituliert würde, damit die ewige Hetze endlich einmal ein Ende nähme! Als aber die Leute das muntere, hoffnungsvolle Gesicht Blüchers sahen, wie er mit Scharnhorst herauskam, und schmunzelnd versicherte: er wolle ihnen bald wieder Gelegenheit zu manch gutem Husarenstücklein geben, da faßten sie sich wieder ein Herz. „Wo ich etwas zu sagen habe, da soll kein preußischer Soldat Schande haben! Das glauben Sie _mich_!“ So schloß er seine Ansprache. Die kleine Neigung zur Meuterei war sofort verflogen. Man zog in westlicher Richtung ab, vereinigte sich bald mit dem jetzt von Winning befehligten Korps des Herzogs von Weimar und hatte die Genugtuung, die drei französischen Korps Lannes, Bernadotte und Soult von der Oder ab und auf sich zu ziehen. Aber auch die Mühseligkeit, von ihnen scharf verfolgt zu werden. * Massige Kirchen mit erzgrünen Dächern – ragende Türme mit Zinnen und Zacken – ringsum in leuchtendem Rot ein Meer von Ziegeldächern und Treppengiebeln, von breiten Strömen sanft umschlungen und tiefen Gräben mit stillen Gewässern. – Kein dräuender Schlund auf Wällen und Mauern, kein Wächter im Turm, kein wehrhafter Streiter. – Auf hohen Wällen rauschen die Bäume, geheimnisvoll raunt es von alten Stürmen, von Streit und Orlog in fernen Zeiten, ehe alles im Dornröschenschlaf versank, die Tat verträumte und weltfremd wurde. Da naht ein Ritter – mit rauher Faust er reißt im Gestrüpp eine Gasse. Krachend saust aufs verschlossene Tor der Knauf seines Schwertes, bricht Schloß und Riegel, die Schläge dröhnen, die Bohlen bersten, das Tor springt auf; – – – schrill schmettert sein Streitruf hinein in die Stadt, verscheucht den Schlaf; aus rosigem, sonnigem Traum erwachend, blickt alles froh dem Leben entgegen. Da stürmt der Tod durchs Tor hinein, durch alle Gassen in alle Häuser, mit Mord und Notzucht, plündernd, sengend; in Rauch und Flammen und Strömen von Blut sinkt alles hin. Sitte, Brauch und Gesetze der Väter und heimische Wahrzeichen weichen den Welschen. Statt Ordnung und Recht Erpressung, Gewalt, Guillotine! ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Im Rathause zu Lübeck, im Audienzsaal des Senats zu ebener Erde, hinter den in Hufeisenform gestellten grüngedeckten Tischen, saßen vollzählig versammelt, auf langen Sofas, die Mitglieder eines Hohen Senats, in altspanischer schwarzsamtener Hoftracht mit breiten Halskrausen, die die markigen Köpfe wie auf Präsentiertellern darboten. Hinter der Balustrade, mitten im Saal, die ragende Gestalt Blüchers, den langen Reitermantel über die Schulter zurückgeschlagen, das graue Haar sich wirr türmend über der hohen Stirn. Wie ein alter, von stürmischem Flug zerzauster Adler, wie ein Recke der Vorzeit, so mutete er an. Hoheit strahlte seine ungebeugte Gestalt aus. Ehrfurcht flößte sie jedem ein, auch den gestrengen Herren auf den Ratsbänken, die versammelt waren, um wider ihn die Rechte einer Freien Reichs- und Hansestadt zu wahren. „Lübeck hoch in Ehren!“ sagte Blücher und erhob grüßend die Hand. „Dem Haupt der Hansa – der altberühmten Reichsstadt meinen ehrerbietigsten Gruß! Es tut mir leid, als ungebetener Gast vor einem Hohen Senat erscheinen zu müssen, und ich bedauere sehr, daß das Stadttor von uns mit Gewalt geöffnet werden mußte. Aber herein mußten wir. – Not kennt kein Gebot. Wir wurden von der Elbe ab- und hierhergedrängt. So gezwungen, einige Tage hier zu bleiben, um meine Truppen ruhen zu lassen und mit dem Nötigsten zu versehen, sichere ich einem Hohen Senat und der Bürgerschaft Lübecks die strengste Manneszucht zu und Schutz für Leben und Eigentum jedes einzelnen. Einen Hohen Senat aber bitte ich um Gottes willen zur Verpflegung und Ausrüstung meiner Truppen, um Lieferung von fünftausend Dukaten, achtzigtausend Broten, viertausend Pfund Fleisch, dreißigtausend Flaschen Wein und Branntwein und Schuhe und Futter für fünftausend Pferde!“ Die Senatoren blickten sich ernst an. Der präsidierende Bürgermeister, Dr. Plessing, nahm dann das Wort und erinnerte in gemessener und wohlgesetzter Rede an die allseits anerkannte Neutralität Lübecks, die durch seine Besetzung von der preußischen Armee jetzt auf das gröblichste verletzt worden war, wogegen er, _in optima forma_, den entschiedensten Protest hiermit einlegen wollte. Er bedaure aufs tiefste die tapfere preußische Armee und gäbe die Notlage zu, wolle sich auch nicht der Darstellung derselben durch ihren berühmten General verschließen, könne aber dessenungeachtet keinesfalls eine Verpflichtung zur Lieferung seitens der Freien Reichsstadt Lübeck anerkennen und erklärte, indem er sie doch nach Möglichkeit in Aussicht stellte, daß man nur der Gewalt weiche. Blücher erhob bei den Worten sein Haupt. „In welcher Form die Labung gegeben wird, ist mir gleich, wenn ich nur die Gewißheit habe, ohne zum Äußersten schreiten zu müssen, meine Leute hier erquicken zu können. Eins möchte ich aber doch Eurer Magnifizenz zu Gemüte führen: wenn das Nachbarhaus brennt, da hilft’s mir nicht, mich vor _mein_ Haus hinzustellen und dem Feuer zuzurufen: ‚Dies Haus ist neutral! Da hast du nichts zu suchen, da darfst du beileibe nicht zünden!‘ – Das Feuer brennt, wo der Wind es hintreibt, und den fliegenden Funken kümmert kein Menschengebot. Ist der Krieg entfesselt, so zieht er seine Bahn. Wenn Fieber den Körper schüttelt, da nützt es nicht, der Krankheit zu sagen: ‚Die rechte Hand laß mir in Ruhe, den Kopf auch – sie sind neutral –, da darfst du nicht toben!’ Nein – _da fiebert eben alles mit_, ob’s will oder nicht! Das ist _höhere Gewalt_, meine Herren! _Die Gewalt_ war’s, die mich zwang, Ihre Neutralität zu verletzen, und allein _die_ Gewalt wird es wohl sein, der Sie, meine Herren, hier weichen müssen. So möchte ich es jedenfalls verstanden haben! Denn ich tue hier nichts denn meine Pflicht gegen König und Vaterland, wenn ich versuche, seine Armee zu retten und seinen Feinden möglichst lange unbequem zu werden! Und nun mit Gott!“ Er grüßte und ging. Im Gasthaus Zum Goldenen Engel, dem Rathause gegenüber, war das Hauptquartier aufgeschlagen. Dort saßen Scharnhorst und der Hauptmann von Müffling mit Gehilfen in emsigster Arbeit, die Verteidigung der Stadt zu ordnen. Die Mauern standen ja noch, waren jedoch verfallen, die Wälle mit hohen Bäumen bestanden, Artillerie war nicht vorhanden. Lübeck war also eine offene Stadt, aber leicht zu verteidigen, weil von zwei Seiten von Wasser umgeben, über das nur durch die vier Tore Zugang war. Gegen drei von ihnen, gegen das Burgtor, das Hüxtertor und das Mühlentor, zog jetzt der Feind heran. Durch das Holstentor ging Blüchers Rückzugsstraße, auf der er schon Kavallerie und Troß nach Ratkau vorangeschickt hatte, während die Trave, bis in die Gegend von Israelsdorf, durch hinter dem Fluß aufgestellte Regimenter gesichert war, und die Armee so hier vor Überflügelung geschützt wurde. Am Burgtor kommandierte der Herzog von Braunschweig-Oels. Sowohl Blücher wie Scharnhorst hatten bei ihrer Besichtigung dort viel zu erinnern gefunden. Die Truppen vor dem Tor und auch die Artillerie waren unzweckmäßig aufgestellt. Sie suchten, so gut es ging, die schlimmsten Mißstände abzustellen, ermahnten den Herzog, sein Fußvolk beizeiten zurückzuziehen, damit der Feind nicht gleichzeitig mit ihm durchs Tor eindrängen könnte, und kehrten ins Hauptquartier zurück. Dort fanden sie den Leutnant von Eisenhart, der soeben aus Münster mit der geretteten westfälischen Landeskasse eingetroffen war, um sie über See weiter in Sicherheit zu bringen. Bei der Geldknappheit Blüchers war er höchst willkommen, da er ihm so über die schlimmste Not hinweghalf. Nach Abgabe einiger Fässer mit harten Talern wurde Eisenhart sogleich mit seiner Geldfuhre nach dem Holstentor vorausgeschickt, um für alle Fälle rasch damit entschlüpfen zu können, falls der Feind doch unerwartet in die Stadt eindringen sollte. Scharnhorst fing an verschiedene eilige Angelegenheiten mit Blücher zu besprechen. Da trat plötzlich ein untersetzter, dürrer Offizier mit grämlichem Gesicht, den Arm in der Binde, auf krummen Beinen durch die Tür herein – ging auf Blücher zu und fing zu dessen Verblüffung an, ihn in kurzem, knarrigem Ton zu schurigeln. „Ich hätte mir von Ihnen eine bessere Führung erwartet, General!“ sagte er. „Allerdings, Ihre Attacke bei Auerstedt war nicht berühmt! Und ich war vom Großherzog von Weimar, meinem vorigen Chef, nicht gerade verwöhnt, obwohl er für einen Prinzen ganz annehmbar funktionierte. Aber _Sie_ lassen uns laufen und laufen ohne Ende! Unsere Leute werden marode; Tausende über Tausende sind uns bei den Gewaltmärschen der letzten drei Tage verlorengegangen. – Von meinen Jägern allein, von denen jeder Mann unersetzlich ist, vermisse ich über vierhundert!“ „Alle Wetter!“ sagte Blücher, bei Erwähnung der Jäger aufhorchend, „da sind Sie wohl der Oberst Yorck?“ und kam auf ihn zu, und betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier, aber auch mit Wohlgefallen. Den Obersten hatte er, bei seiner Vereinigung mit dem Korps Weimar, unter seinen Befehl bekommen. Er schätzte ihn ungemein wegen seiner Tapferkeit und der geschickten Führung seiner Jäger, hatte ihm gleich den Befehl über die Nachhut überlassen und war deshalb bis jetzt nicht in persönliche Berührung mit ihm gekommen. „Ich freue mich, Sie endlich einmal zu sehen, Herr Oberst!“ sagte Blücher und reichte ihm die Hand. „Nun, wenn Sie nicht immer so schnell weitergezogen wären, General, so hätte das früher sein können!“ antwortete Yorck, ohne die ausgestreckte Hand zu bemerken. „Der Oberst von Yorck meldet sich zur Stelle“, sagte Blücher belustigt und blickte Scharnhorst augenzwinkernd an. „Ich merke es!“ antwortete dieser. „Ich hätte das früher besorgt,“ sagte Yorck noch kratzbürstiger, „hätten Sie es nur nicht so eilig gehabt. So kann ich also erst heute meine Meinung vorbringen. Und die ist die: eine verlorene Schlacht wäre weniger mörderisch gewesen als diese Lauferei vor dem Feind. Sie hätten die Schlacht in unserer Position bei Gadebusch ruhig annehmen sollen. Da hatte ich meine Jäger noch alle beisammen, und Sie Ihre Leute auch, General. Munition hatten wir genug, und die Leute waren frischer. Da brauchten wir uns nicht von unserem Wege abdrängen lassen wie jetzt. Der Marsch auf Lübeck war ein Fehler. Hier müssen wir uns doch schlagen, aber lange nicht in so günstiger Verfassung wie dort. Sie haben sich eben von Ihren vielen gelehrten Offizieren“ – er zeigte verächtlich auf Scharnhorst und Müffling – „gründlich nasführen lassen! Das meine Meinung!“ – Gesagt, die Hand an die Krempe seines Huts gelegt, kehrtgemacht und abmarschiert. Blücher lachte. „Zum Küssen ist er! So’n bissiger alter Dachs! Und recht hat er auch! Hundertmal juckte es mich auch unterwegs danach, gehörig dreinzuhauen! Und wären Sie Massenbach gewesen und nicht Scharnhorst, ich hätte mich den Teufel um Ihren Einspruch gekümmert! Sie haben aber immer so gute Gründe, Sie verfluchter Kerl, Sie! Und die schlechte Gewohnheit, immer recht zu kriegen! Da haben Sie nun den Salat!“ Weiter kam er nicht, da wurde er durch heftiges Schießen unterbrochen. „Man schießt am Burgtor! Kommen Sie, Müffling, schauen wir nach.“ Der Hauptmann von Müffling stand auf, bereit, Blücher gleich zu folgen. Scharnhorst aber erhob energisch Einspruch. An allen Toren würde heute gleichmäßig geschossen, das hätte nichts zu sagen! Wichtiger wäre jetzt die Befehlsausgabe! Blücher würde unbedingt im Hauptquartier benötigt! Da kam das Schießen immer näher; man ritt im Galopp draußen auf der Straße. Französische Kommandorufe wurden laut. Blücher blickte hinaus – „Französische Dragoner mitten in der Stadt! Ich werde mich wohl hier wie in einem Sack fangen lassen! Der Teufel auch!“ Er lief die Treppe hinunter, von Müffling und seinem Sohn gefolgt. Auf dem Hof standen die Pferde bereit. In den Sattel gesprungen, die Plempe gezogen, dem Pferde die Sporen gegeben, durchs Haustor hinaus, und dann los, wie toll um sich hauend, so kam der Alte auf den Markt hinaus, wo die Reserve stand. Yorck, der ein paar Häuser weiter wohnte, kam auch heraus, steckte seine Jäger in die Häuser und auf die Böden, von wo aus sie die Straßen bestreichen konnten. Die anderen Truppen, von Blücher angefeuert, gingen in der Breiten Straße vor. Wiederholt trieb man die Franzosen zurück. Da gelang es diesen, Artillerie auf dem Koberg in Stellung zu bringen. Von dort aus konnten sie in die Königsstraße und in die Breite Straße hineinschießen. Ihre Kugeln schlugen weite Gassen in die Reihen der Verteidiger. Als einer der ersten sank, schwer getroffen, Yorck um. Blücher trieb die Seinen an, den Oberst zu retten und die französischen Kanonen zu nehmen. Man kämpfte erbittert auf beiden Seiten. Da traf die Meldung ein, die Franzosen gingen längs der Trave auf das Holstentor zu und wären im Begriff, die einzige Rückzugsstraße abzuschneiden. Wollte er sich nicht gefangennehmen lassen, so war es jetzt höchste Zeit, seine Truppen aus der Stadt zu führen. Mit allem, was in der Nähe war, zog er rasch ab und brachte sie noch glücklich durch das Tor hinaus. Nach vergeblichen Versuchen, noch mehr von seinen Tapferen herauszuhauen, zog er dann weiter nach Schwartau, legte das Fußvolk dort in Quartier und nahm selbst Wohnung in Ratkau, wo die Überbleibsel seiner Kavallerie standen. In Lübeck aber hausten die Franzosen in der barbarischsten Weise mit Mord und Brand, Plünderung und Notzucht und respektierten so die Neutralität in der ihnen eigenen Art. In ihren eigenen Chroniken, wo sie sich ihrer sonstigen Kulturtaten rühmen, steht nichts davon. In den Rechenschaftsbüchern eines Hohen Senats zu Lübeck aber stehen noch verzeichnet die Unsummen an Kriegskontributionen und erpreßten „Geschenken“, die Bernadotte, Soult und Murat nebst Gehilfen zu ergattern wußten. Wogegen dort, auf der Schuldseite, der Name jenes Mannes längst gelöscht wurde, der in einer Zeit, als alles den Kopf verlor und starke Festungen ohne Widerstand kapitulierten, wenigstens den Versuch machte, sich mannhaft zu wehren, und zwar in einer offenen Stadt. Er brachte der Stadt wohl Leid dadurch. Aber das kittete sie nur um so fester an das Ganze. * Auf seinem Lager im Pfarrhofe zu Ratkau lag der General Blücher hingestreckt. Er fieberte. Es war Mitternacht. Der Herzog von Braunschweig-Oels hatte ihn soeben mit einem Unterhändler des Marschalls Bernadotte verlassen, der ihm Kapitulation zu ehrenhaften Bedingungen angeboten hatte. Kapitulation – dieses in den Annalen der preußischen Armee nur in bezug auf den Feind gebräuchliche Wort, hatte ihn unablässig verfolgt seit dem Unglückstage bei Auerstedt! Hätte vorher im Ernst jemand gewagt, ihm Preußen und Kapitulation in einem Atemzuge zu nennen, er hätte ihn ausgelacht, ihm den Rücken gekehrt und ihn keiner Antwort gewürdigt! Seitdem er aber bei Auerstedt und anderswo die Unfähigkeit der Armeeführer gesehen hatte – seitdem klang ihm immer jenes fatale Wort in den Ohren, Tag und Nacht! Wo er konnte, hatte er alles getan, um zu verhindern, daß der preußischen Armee diese Schmach angetan würde! Und wo er noch in letzter Stunde hinzukam, war es ihm auch gelungen. Freilich – überall hatte er nicht anwesend sein können! Die Schmach bei Prenzlau, wo Hohenlohe mit der Hauptarmee die Waffen streckte – diese unerhörte Schandtat wäre nie und nimmer geschehen, wäre er nur dabei gewesen! Hätte er nur eine Ahnung davon gehabt, er wäre hingeritten wie der Blitz, hätte den Fürsten und jeden, der nur ein Wort von Kapitulation zu sprechen wagte, vor den Kopf geschossen! Aber geschehen wäre es nicht! Denn das gab das Signal zu all den anderen Kapitulationen! Wenn der Oberbefehlshaber selbst mit der Hauptarmee sich ergab – was Wunder denn, daß die anderen folgten? Die Kavallerie bei Pasewalk, Bila bei Anklam, und dann: Stettin, Küstrin, Spandau! Wie reife Früchte beim ersten Windstoß vom Baume fallen, so fielen sie, die eine Festung nach der anderen, die eine Armee nach der anderen! Und jetzt war er selbst in der schmachvollen Lage, jenes Wort – jenes verhaßte Wort für immer und ewig seinem eigenen Namen anhängen zu müssen! Es war ja noch nicht soweit! Er hatte es ja abgelehnt, vor Tagesanbruch in irgendwelche Verhandlungen zu treten! Bis dahin könnte noch manches passieren! Freilich war nicht viel Hoffnung da! Travemünde, wohin er mit dem Rest seiner Truppen ziehen wollte, war bereits gefallen; Geschütz und Gepäck auf dem Wege dorthin verloren, keine Munition mehr, seine Leute ohne Nahrung, frierend und hungernd! Da bliebe ihm nur – – Er zwang seine Gedanken davon fort. Der Braunschweiger hatte ihm auch ausführlich vom Einzug Napoleons in Berlin erzählt. Man hatte ja schon in Lübeck verschiedenes davon zu munkeln gewußt – und der Unterhändler Bernadottes hatte es sich jetzt noch angelegen sein lassen, die Begebenheit in möglichst grellen Farben zu malen, um ihn gefügig zu stimmen! Er schloß die Augen, und sah es so deutlich vor sich, als hätte er es miterlebt, hörte die dröhnenden Trommelwirbel und das Schmettern der Trompeten, die das Nahen des Siegers verkündeten. Und dann ritt der kleine Kerl an der Spitze seiner Garden durchs Brandenburger Tor hinein, vor ihm die erbeuteten preußischen Fahnen, und dann hinterher – wie eine Viehherde, die zur Schlachtbank getrieben wird – die gefangenen preußischen Offiziere. Auch das hatte nicht an seinem Triumph fehlen dürfen! Und der Pöbel auch nicht, der dem Triumphator huldigte und seine Opfer auspfiff! – – Er stöhnte laut auf, als er an die Szene dachte. Die Hände krallten sich vor Wut zusammen beim Gedanken an all den Raub, den der Sieger in Berlin gemacht hatte, und all die Schmach und Schande, die er dafür aufs Haupt der Besiegten häufte! Er lachte laut auf. „So ist’s recht!“ rief er gallig, sich im Bett aufsetzend, und schlug mit der Faust auf den Bettrand. „So ist’s recht! Nur zu, nur zu! Tritt sie mit Füßen – tritt nach Herzenslust! Die Deutschen trittst du nimmer tot! Aber du trittst sie zu _einer_ Masse zusammen! Nur so werden sie’s, nur die äußerste Gewalt kann das bewirken! Tritt sie – ihnen zum Heil und dir zum Schaden, wenn sie sich dann endlich gemeinsam gegen dich erheben!“ Er sank wieder zurück und lag da lange mit geschlossenen Augen, heftig atmend, die Wangen von Fieberglut gerötet. Gestalten tauchten vor seinem inneren Gesicht auf, Gefährten der letzten Kämpfe, der Flucht und des kläglichen Rückzugs! Zunächst Massenbach! Den hatte er auf dem Strich, seit Greußen, wo dieser Schuft sich unterfangen hatte, _sein_, Blüchers, Ehrenwort aufs Spiel zu setzen durch falsche Verdolmetschung seiner Weigerung, es abzugeben! Den hatte er seitdem nicht aus den Augen gelassen! Bei Jena war die Memme nicht zum Vorschein gekommen, wie überhaupt nirgends, wo es Ernst wurde! Da verduftete er gleich, um erst, wenn alles glücklich oder unglücklich vorbei war, wieder aufzutauchen und neues Unheil anzustiften! Jetzt hatte er sich aber für immer und ewig unmöglich gemacht! Und das war das Gute bei diesem unerhörten Unglück, daß es die Spreu von dem Weizen sonderte, Schädlingen wie Massenbach die Larve vom Gesicht riß und unfähige Leute von den Führerposten entfernte, um die, die sich bewährt hatten, zum Heil des Ganzen an die Spitze zu bringen! So wurden dem Wiederaufbau wenigstens von Haus aus keine Hindernisse mehr in den Weg gestellt! – Er fuhr auf. „Er sagte doch –“, fing er laut an, und die Stimme bebte vor Zorn – „er sagte doch – –“ Er lachte laut auf. „_Kapitulieren_, um dem König eine Armee zu erhalten! So’n Wahnsinn! Und darauf fallen gescheite Leute herein! So’n Wahnsinn! So’n gottverfluchter Wahnsinn!“ Er sank wieder hin, wickelte sich in die Decke und lag wieder still da. Im Kopfe brauste und brummte es von tausend Gedanken. Erlebtes und Erlauschtes trat da wieder in Erscheinung und schoß in bunten Bildern durchs Gehirn. Aus dem brodelnden Chaos tauchte bald dieses, bald jenes wohlbekannte Gesicht auf, als hätten sich die Geister zur Heerschau um das Lager des alten Helden versammelt, um zu raten, zu tadeln und ihm über das Bitterste hinwegzuhelfen. Er sann und sann nach einem Ausweg aus seiner Lage. Könnte er dem König wenigstens _seinen_ Arm und Kopf retten! Nur nicht kapitulieren müssen, jetzt, wo jeder, der etwas taugte, benötigt wurde! Und doch, es war nicht zu vermeiden! – Was sonst aber taugte, das sollte wenigstens dem Könige erhalten werden! Scharnhorst! Da ließe er nicht nach – der mußte sofort ausgewechselt werden – das wäre Bedingung! Der gehörte an führenderer Stelle! – Das wollte er dem König gehörig unter die Nase reiben! – Da wäre kein Wort des Lobes zuviel! Dieser Kerl – Donnerwetter, was für ein Glück, daß er den gefunden hatte! Er hatte einen Mann in dieser Welt, auf den zu bauen war, hatte ihn ausprobieren können und das reine lautere Gold an ihm gefunden! Wie hatte er sich nicht bei der Kunde von Hohenlohes Kapitulation benommen! Wo sonst alles den Kopf verlor, blieb er ruhig, bestimmt, zielbewußt, und war sofort und ohne viel Gerede im klaren damit, was getan werden mußte! Ohne viel Gerede, das war die Hauptsache. Und _den_ hatten die Franzosen nun gefangengenommen! Und Yorck auch, den Braven, der sich wie ein Löwe schlug! Ob der wohl mit dem Leben davongekommen war? Das mußte er wissen! Dann sollte auch der auf die Liste der sofort auszuwechselnden Offiziere. Der alte Isegrim, der mit seinen Jägern während des Rückzuges so viele glänzende Proben von Heldenmut und außergewöhnlichen Führereigenschaften gegeben hatte – bei Altenzaun, wo er dem Korps Weimar den Elbübergang deckte – auf der Nossentiner Heide, wo er stundenlang mit der Nachhut dem Feind den Weg verlegte und ihm derartig an die Kehle sprang, daß er von der Verfolgung an dem Tag genug hatte – auch der Yorck mußte dem König erhalten werden, wäre er nur noch am Leben! Der König, der würde wohl endlich gelernt haben, solche Leute zu schätzen! Er hatte wohl jetzt gesehen, was an denen war, die bis jetzt sein Vertrauen genossen hatten! Es war eine harte Schule für ihn gewesen! Er hatte sich aber brav gehalten! Zum erstenmal im Feuer! Gar nicht schlecht! Freilich, er hätte nicht die Schlacht abzubrechen brauchen! Aber er war noch jung, unerfahren, und hatte nicht den rechten wagemutigen Leichtsinn, wenn’s galt, das unbedingt Nötige aufs Spiel zu setzen! Das war aber die Hauptsache, zum Donnerwetter! Auf die Waghalsigkeit des Spielers kommt es eben an! Von ihr hängt oft das Schicksal von Tausenden ab! Es kann _so_ gehen – es kann auch so gehen! Man weiß es nicht im voraus! Und doch muß es gewagt werden! „Wagemut, Wagemut, sengt mir das Blut!“ trällerte er plötzlich laut vor sich hin. Und mit dem Gedanken, daß _er_ als Prinzenerzieher zuallererst ihnen die Lust beibringen würde, die Karte zu biegen, damit sie nicht in den Ernstfällen zauderten, sondern nach rechter Mannesart fest zupackten – mit dem Gedanken schlief er ein und schnarchte bald, daß die Balken sich bogen. Kaum war der Tag angebrochen, so wurde er mit der Kunde geweckt, zwei französische Generäle hätten sich als Abgesandte Bernadottes eingefunden, um die Kapitulation abzuschließen. „Hol’ der Teufel die Kapitulation!“ schrie er heiser den Hauptmann von Müffling an, der, nach der Gefangennahme Scharnhorsts, das Amt des Quartiermeisters versehen mußte. „Haben die Kerls keine Nachricht von Yorck gebracht? Lebt er noch?“ Der Jubel, als die Frage bejaht wurde! „Der Isegrim lebt! Der alte Dachs hat nicht ins Gras gebissen! Das dachte ich! Das wußte ich! So was Garstiges, so was Widerborstiges kriegen nicht einmal wir selbst klein! Geschweige denn die Ohnehosen mit ihren Käsemessern! Papier her – Papier und Tinte her!“ Das Fieber war fort, der Alte wie verwandelt! Das Glück im Unglück wirkte besser als alle Medikamente. Er riß Feder und Papier an sich und kratzte in dem unmöglichsten, aber von innigstem, burschikosem Humor durchtränkten Deutsch rasch ein paar Zeilen zusammen und reichte dem Hauptmann das Papier. „Da nimm’s, mein Sohn, gibt’s den Franzosen! Das sollen sie für Yorck mitnehmen! Der alte Kerl soll wissen, daß ich ihn liebe, obwohl er mir so grob kam! – Er soll fühlen, daß noch einer da ist, der gute derbe Hiebe einschätzen kann, und der den Teufel nach Höflichkeit in solchen Dingen fragt, wenn der Hieb nur sitzt! – Und auch, daß ich an ihn denke, für ihn sorge und von seinen Taten dem König genau berichten und sie ins beste Licht rücken werde!“ Müffling verbeugte sich, versprach alles getreulich zu besorgen und wagte dann an den eigentlichen Zweck seines Kommens zu erinnern – an die Kapitulation – – Blücher blickte ihn giftig an. Es galt also doch in den sauren Apfel zu beißen. Er spuckte dreimal verflucht aus und schrie, so gut es ging – denn er war ganz heiser von dem vielen Kommandieren der vorhergehenden Kampftage –, schrie seinen guten Hauptmann Müffling an und sagte ihm, er möge in des Teufels Namen denn das Dokument mit den Parlezvous’ abfassen! Aber deutsch, das bäte er sich aus! Denn er unterschreibe nur, was er lesen könne, und die gaskognischen Gauner und welschen Windhunde könnten ihm die Schuhsohlen lecken – er sagte etwas Schlimmeres –, sie könnten ihn dreiteilen, wenn sie wollten, und in kleine Stücke backen, aber er unterschreibe nichts, wenn nicht hoch und heilig und ehrenwörtlich drin vom französischen Marschall verbrieft und gesiegelt würde, daß der Oberst von Scharnhorst und der Oberst von Yorck – denn er lebte noch –, daß also die zwei sofort ausgewechselt werden würden und gehen könnten, wohin sie wollten! Und wohin _die_ wollten, das wüßte er schon – aber das ginge den Franzmann nichts an! Ohne das unterschriebe er also nicht! Und unterschriebe _auch_ so nicht, wenn er nicht auch die Gründe angeben könne, warum in drei Millionen Teufels Namen er kapitulieren mußte! Denn daß er das nicht gutwillig täte – daß er kein solcher Schweinehund wäre, das zu tun, solange er noch ein Körnchen Pulver auf der Pfanne hätte, das brauche er ihm wohl nicht erst zu sagen?! Und freies Geleit bedinge er sich für sein Gepäck aus. Denn da wäre die westfälische Landeskasse mit drin. Die wäre keine Kriegskasse und würde nicht von der Kapitulation betroffen. Die Franzosen könnten sich den Mund danach lecken. Und eine Eskorte für sie sollten sie auch noch stellen. Und nun solle er sich scheren, Musje Müffling, und ihm seine Ruhe lassen! Und er bäte sich aus, durch keinerlei Rückfragen behelligt zu werden! Er hätte jetzt seine Orders – er wüßte Bescheid, er solle es gut machen – basta! – Damit wickelte er sich in seine Decke, drehte dem Quartiermeister den Rücken und schnarchte weiter. Nach stundenlangem Hin und Her hatten die Unterhändler endlich das schicksalsschwere Aktenstück fertig, durch das der letzte Rest des Blücherschen Korps die Waffen streckte. Von sechzehn Bataillonen hatte Blücher nur vier aus Lübeck retten können, als die Stadt fiel, und zwei Kanonen von zweiundfünfzig! Diese vier Bataillone sollten nun die Waffen strecken – aber mit allen Kriegsehren. Mit Seitenwaffen und Kanonen, mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel sollten sie vor dem französischen Heere vorüberziehen, und die Offiziere sollten ihre Degen behalten dürfen. Auf die weiteren Bedingungen Blüchers waren die französischen Unterhändler auch eingegangen. Nur – die Angabe der Gründe zur Kapitulation wollten sie ihm nicht zugestehen. Das wäre gegen allen Brauch – das dürfe er nicht beanspruchen, und was sie da noch an Gegengründen vorzubringen wußten! – „Was bei so’ner niederträchtigen Sache Brauch ist oder nicht, ist mir schnuppe!“ sagte Blücher, als ihm Müffling das verdolmetschte. „Das Kapitulieren ist überhaupt nicht bei mir Brauch und soll, hol’ mich der Teufel, nie wieder bei mir vorkommen! Und was ich beanspruchen darf, weiß ich selbst am besten und brauche mir das von so’n paar hergelaufenen Grünschnäbeln von Franzosen nicht weismachen zu lassen! Die sollen mich den Buckel herunterrutschen, aber unterschreiben tue ich nach _meinem_, nicht nach ihrem Kopf! Und wollen sie das nicht, sollen sie sich zum Teufel scheren!“ Die Franzosen guckten den alten kratzbürstigen Herrn erstaunt an, der sie so von seinem Lager aus mit heiserer Stimme anschrie. Sie blickten sich an, zuckten die Schultern, blickten Müffling an, steckten mit diesem dann die Köpfe zusammen und flüsterten in bedauerndem Tone ein paar freundliche Phrasen, von denen Blücher nur die Worte auffing: „_monsieur le général – – encore très malade!_“ Dann nickten sie endlich wohlwollend zustimmend. Müffling nahm das Dokument, tauchte den Federkiel ein, legte ein dickes Buch unter und gab das Ganze an Blücher, der, auf den linken Ellbogen gestützt, nach der Wand gedreht, und ohne den Siegern sein Gesicht zu zeigen, rasch ein paar Worte hinkritzelte. Dann reichte er Müffling, ohne sich umzudrehen, Dokument und Federkiel, legte sich wieder hin, nach der Wand gekehrt, und ließ die Franzosen Franzosen sein. Sie blickten sich wieder an, blickten Müffling an, schüttelten die Köpfe, blickten in das Dokument hinein und buchstabierten laut: „Ik kapitüliär nür, wei’ ik känn Brott ün kann Münissiong mehr ’abe – Bluchêre –“ Sie falteten das Dokument zusammen, legten die Finger an ihre Käppis und salutierten mit ausgesuchter Höflichkeit die ihnen reichlich gezeigte Hinterfassade des alten Haudegens, lächelten sich an, schüttelten die Köpfe, rollten ihre kleinen Rattenaugen, daß sie lustig funkelten, drehten die Schnurrbärte spitz in die Höhe, und verließen dann mit Grazie die Höhle des Löwen, ohne von ihm eines Blickes gewürdigt zu werden. * Blücher begab sich zunächst als Kriegsgefangener nach Hamburg und hatte die Genugtuung, nach einigen Tagen Scharnhorst dem König senden zu können. Er versäumte nicht, ihn dem Monarchen angelegentlichst zu empfehlen und die Verdienste seines Generalquartiermeisters während des Rückzuges im hellsten Lichte strahlen zu lassen. Der Einfluß Scharnhorsts zeigte sich bald. Der König hatte im Zeitraum von kaum drei Monaten so viele Schläge auf sein Land niedersausen sehen wie kein anderer preußischer König vor ihm. Außer den Kapitulationen im freien Felde hatten die Festungen Erfurt, Spandau, Stettin, Küstrin, Magdeburg, Czenstochau, Hameln, Fort Plessenburg bei Kulmbach sich ergeben, und Glogau und Breslau würden, nach allem zu schließen, bald folgen. Trotzdem war der König noch ungebeugt. Er hatte gesehen, was morsch und baufällig in seinem Staate war, aber auch, daß noch frische und unverbrauchte Kräfte vorhanden waren. Das hatte ihm den Mut gegeben, ungesäumt an den Aufbau seines in Trümmer sinkenden Staates zu gehen. Zunächst fing er da an, wo der Schaden am offenkundigsten zutage getreten war, bei der Armee. Die Armee hatte es beim Volke verspielt! Preußischer Offizier zu sein, war eine Schande geworden! Alle Welt fand sich befugt und berechtigt, die Offiziere zu verhöhnen und zu beschimpfen! Der lang verhaltene Neid über ihre bevorzugte Stellung kam jetzt elementar zum Ausbruch und machte sich in der gehässigsten Form Luft, durch Pamphlete, in den Zeitungen, durch öffentliche Insulten! Es galt also, der Armee die Stellung in der allgemeinen Achtung wiederzugeben, die sie als erste und unentbehrlichste Dienerin des Staates haben mußte, um ihres Amtes mit Erfolg walten zu können. Es galt, ihr vor allem das Vertrauen zu sich selbst wiederzugeben! Es galt, sie zu reinigen! Und das konnte wiederum nur der Offizier selbst tun. Der Offizier sollte selbst den Offizier richten! Jedes Regiment sollte ein Tribunal einsetzen, vor dem ein jeder Offizier, der sich im Felde irgend etwas hatte zuschulden kommen lassen, sich zu verantworten haben würde! Die Gutachten dieser Tribunale sollten alle an eine Immediatkommission gehen, die schließlich die Urteile nebst Begründung und genauem Bericht dem König unterbreiten müßte. Am 1. Dezember 1806 erließ der König von Ortelsburg aus, während alles um ihn wankte, sein ewig denkwürdiges „_Publikandum wegen Abstellung verschiedener Mißbräuche bei der Armee_“. Von dem Tage der Veröffentlichung dieses Aktenstückes an datiert die Neuschöpfung der preußischen Armee, die sie zu der ersten der Welt gemacht hat. Das Publikandum Friedrich Wilhelms des Dritten war der erste Baustein in der Grundmauer, auf der sich sein Reich zum Heile Deutschlands wieder neu aufbauen sollte. Und Blücher hatte da geholfen, die richtigen Mitarbeiter zu finden. Wie der Magnet das Eisen, so zog der alte Haudegen alles Tüchtige an sich, sonderte es so von allem Untauglichen und brachte es an den Tag. Und das war schließlich nicht das am wenigsten Wichtige in seiner Lebensleistung! 10 ZWEI WELTEN „Nun, Monsieur Roustan, wenn man Ihnen von der Redaktion des _Courrier français_ wieder einen Interviewer schickt, um Ihre Ansichten über das Stück Langeweile zu erforschen, das wir hier in den polnischen Sümpfen aufführen, was würden Sie antworten?“ Roustan, der Leibmameluck des Kaisers, pflanzte sich breitbeinig mitten im Zimmer auf, steckte die Hände in die Taschen seiner weiten Pumphosen, warf sein turbanverziertes Haupt zurück, gähnte, als wollte er den Kronleuchter verschlucken, drückte dann sein glattrasiertes Kinn in das Halstuch hinein und bohrte seine Blicke verächtlich in sein Gegenüber. „Ich würde,“ sagte er, „dem Herrn vom _Courrier français_ genau das gleiche antworten wie Ihnen, Monsieur Constant, daß man hier in diesem verfluchten Nest überhaupt keine vernünftigen Ansichten haben kann!“ „Sie sind eben verwöhnt, Monsieur Roustan!“ sagte Constant und drehte seine schlanke Figur vor dem Spiegel, schlug ein paar Staubkörner vom Ärmel seines grünen, goldgestickten Rockes, zupfte das Spitzenjabot über der weißen Weste zurecht, nahm aus der Tasche seiner schwarzen Atlashose eine Handvoll Goldstücke, ließ sie von einer Hand in die andere rieseln und steckte sie wieder ein. „Sie verlangen Opern, Schauspiele, Hoffeste, Sie wollen Ihre tägliche Suite von Bittstellern, die durch Sie an den Kaiser heranzukommen hoffen, Sie wollen Ihre goldene Ernte, Ihre Geschenke – –! Sie können aber nicht verlangen, in jedem polnischen Nest ein Paris zu finden! Sie können nicht erwarten, täglich hier von Malern um Sitzungen bestürmt – oder von Frauen um Rendezvous – oder von Fremden als größte Sehenswürdigkeit der Residenz angestaunt zu werden! Das strengt schließlich auch an, wenn es auch ein hübsches Stück Geld einbringt! Sie müßten froh sein, ein paar Monate mit dem Betrieb aussetzen zu können! – Oder gehört es zu Ihren unumgänglichen täglichen Lebensbedürfnissen, jeden Morgen im _Courrier français_ ‚Roustans Eindrücke‘ von den Tagesereignissen zu lesen? Glauben Sie, wir können Europa nicht erobern, ohne daß Sie Ihren journalistischen Senf dazugeben?“ „Sie sind neidisch, Constant“, erwiderte Roustan. „Sie wissen, daß ich für Journalisten nicht zu sprechen bin. Einmal nur habe ich mich dazu hergegeben, nach der Premiere der Oper La Caravane mich ausfragen zu lassen. Das war Pflicht. Denn die Wüste, die man auf der Bühne hingestellt hatte – – ich sage Ihnen hahnebüchen, direkt hahnebüchen! – Das verstehen aber die Pariser nicht! Da habe ich, als einzige Wüstenautorität – nun, die Würde werden Sie wohl uns Mamelucken nicht abstreiten können –, da habe ich der feinen Welt von Paris die Wüste klargemacht. Denn man applaudiert nicht bei einem derartigen Schwindel! – Aber wozu davon reden? Das alles ist Kinderei. Wenn ich mich von hier fortsehne, hat das ganz andere Gründe!“ „Sie sind eben undankbar, Roustan! Sie dürfen täglich um den größten Mann der Welt sein. Sie dürfen dabei sein, wo Weltgeschichte gemacht wird, dürfen aus nächster Nähe zusehen, wie die Welt gelenkt wird! Sie werden von Tausenden um diesen Vorzug beneidet, und Sie interessieren sich so wenig, daß Sie keine Ansichten haben.“ „Nehmen Sie ruhig an, Monsieur Constant, daß es nichts als Diskretion ist“, brummte Roustan gleichgültig, nahm seinen blauroten Turban ab und strich dessen Reiherfeder zurecht. „Sie fühlen sich doch auch nicht wohl in diesem Polennest, wo’s nichts als Morast, Regen, Nebel und Kälte gibt, wo keine Menschen, die man Menschen nennen kann, zu sehen sind, außer unseren Soldaten, wo’s überhaupt kein Leben gibt, kein Treiben, kein Theater, keine Feste!“ „Keine Pariserinnen!“ lachte Constant. „Nun, dort hat man eben seine Freundinnen! Aber hier – nun – für sich selbst sorgt der Kaiser schon! Aber für uns –! Wenn ich wenigstens meine Nachtruhe hätte! Aber seitdem er die Liaison mit der schönen Polin hat, seitdem er so kindisch verliebt ist, seitdem schläft er überhaupt nicht mehr, seitdem ruft er mich jede Nacht immer wieder! Wenn Sie ein Mensch wären, Constant, würden Sie mich einmal ablösen und statt meiner vor seiner Tür schlafen, damit ich einmal ausruhen kann.“ „Ich denke nicht daran“, sagte Constant lächelnd. „Ich habe tagsüber ohnehin so viel mit ihm zu schaffen, daß ich meine Nachtruhe vollauf verdiene. Aber – in anderer Weise komme ich Ihnen gern zu Hilfe.“ „Wie denn?“ „So, daß ich für die Ruhe seines Gemüts sorge. Der Kaiser muß eben anders werden. So wie jetzt, geht es nicht weiter, sonst verlieren wir den Feldzug! – Wir regieren ja nicht mehr, wir führen den Krieg nicht, alles schläft ein, und keine Andeutung hilft. Er ist in Gedanken, er hört nicht, er lächelt manchmal still in sich hinein, oder er seufzt und spricht vor sich hin! Verstehen Sie das? Er, der Mensch aus Stahl, dem man noch niemals eine Leidenschaft ansah, außer der einen: tätig zu sein, Tag und Nacht Anordnungen zu treffen, die ins Getriebe der ganzen Welt eingreifen – er benimmt sich jetzt wie ein ganz gewöhnlicher junger Mensch, der zum erstenmal zu tief in die Augen eines jungen Mädchens geblickt hat! Das ist entschieden ungesund. Er ist krank. Und da habe ich eben auf eigene Faust eingegriffen und ihm einen Helfer hierherbestellt, der sein Ohr hat.“ „Wen denn?“ Ehe Constant antworten konnte, öffnete sich die Tür, und eine seltsame Gestalt trat über die Schwelle. Roustan lachte laut auf. „Der soll ein Helfer sein?“ rief er und deutete auf den kleinen, buckligen, gebeugten Herrn, dessen gestickte Hoftracht nur dazu vorhanden zu sein schien, die Gebrechen seiner äußeren Erscheinung recht deutlich hervorzuheben. Zwischen seinen hochgeschobenen Schultern lag ein mächtiger Kopf mit kräftiger Hakennase und glühenden, von buschigen Brauen beschatteten Augen, wie in ein Vogelnest versunken. – Sein Degen schlug ihm gegen die schiefen Waden und verwickelte sich bei jedem Schritt in ihnen. Er blieb an der Tür stehen und kaute an seinen krallenartigen Fingern. „Seit wann,“ lachte Roustan, „seit wann ist es Brauch geworden, in Liebessachen den Hühneraugenoperateur zu konsultieren?“ Constant antwortete nicht, sondern wandte sich mit strenger Miene dem Neuangekommenen zu. „Sie haben uns lange warten lassen, Herr König!“ sagte er kurz in gebieterischem Tone. „Sie hätten bei einigem Diensteifer schon vorige Woche hier auf Finkenstein sein können. Wo sind Sie solange geblieben? Haben Sie die Gelegenheit benutzt, sich erst in Ihrer deutschen Heimat umzusehen?“ „Was Heimat“, kreischte der sonderbare Mann in verdrießlich schnarrendem Ton. „Ich habe keine Heimat, ich pfeife auf derartige Sentimentalitäten! Paris ist mir auch keine Heimat. Paris ist der Platz, wo ich mein Geschäft betreibe. Und was das betrifft, daß ich hier zu spät komme, so läßt mich das kalt. Wo in aller Welt käme wohl ein Hühneraugenoperateur früh genug? Erkundigen Sie sich übrigens bei den Postillionen, die mich gefahren haben, wenn Sie neugierig sind. – Fragen Sie die Soldaten, die meinen Wagen zwei Tage lang in dem Loch stecken ließen, in das wir hineingeraten waren, und die sich auch dann noch nicht beeilt haben würden, meinen Wagen aus dem Dreck zu ziehen, wenn nicht der Wagen des Marschalls Lefebvre sonst nicht hätte vorbeikommen können. Nichts hat bei den Lausekerls geholfen, keine Bitte, kein Trinkgeld –“ „Nun, wenn der Herr Doktor Tobias König ein Trinkgeld verspricht, dann rühre ich mich auch nicht!“ sagte Roustan, der seine Erfahrungen in diesen Dingen bei hoch und niedrig zu machen pflegte. „Da bleibt’s für gewöhnlich beim Versprechen.“ „Auf Ehre!“ rief der kleine Kerl. „Ich habe die Börse gezogen – ich habe ihnen Geld gezeigt – schönes rundes Geld –, vollwichtiges Goldgeld!“ „Goldgeld! Ha, ha!“ lachte Roustan! „Die haben gelacht wie Sie“, fuhr der andere fort. „Sie haben gesungen, sie sind weitergezogen und haben mich sitzenlassen. Da habe ich ihnen nachgerufen: ‚Auf Befehl des Kaisers –‘, aber sie haben auch dann nicht Hand angelegt, sie haben bloß gefragt: ‚Wer bist du denn?‘ Und da werde ich nicht so dumm sein, zu sagen, ich bin Tobias König, der kaiserliche Oberhoffußarzt – ich habe mich schön gehütet! Einen Juden würden die nur tiefer in den Morast gestoßen haben! Ich habe mich damit begnügt, mich in meinen Mantel zu hüllen, ich habe eine gestrenge Miene aufgesetzt, mich in die Wagenecke gedrückt und mit aller Würde gefragt: ‚Wißt ihr nicht, wer ich bin? – Ich bin der Fürst Talleyrand, der Minister des Auswärtigen.‘ Da haben sie noch mehr gelacht. ‚Nun, wenn du so ’ne miserable Politik machst, daß wir in diesen polnischen Morästen monatelang steckenbleiben, dann schadet’s dir nichts, wenn du auch selbst drin sitzenbleibst!‘ Und sie haben gelacht und sind weitergegangen!“ „Nun,“ sagte Constant, „die Wege sind allerdings nicht berühmt. Wir wollen Ihre Entschuldigung für diesmal gelten lassen. Aber ein anderes Mal werden wir nicht so gutmütig sein. Jetzt werde ich den Kaiser wecken. Warten Sie hier, Monsieur König! Wenn wir Sie heute benötigen, werden wir Sie rufen!“ Er ließ sich von einem Lakaien einen brennenden Armleuchter geben und sah nach der Uhr auf dem Kamin; als der Zeiger auf Punkt halb sieben stand, ging er auf die Tür des Schlafgemachs zu, öffnete sie behutsam und trat leise hinein. Roustan beeilte sich, die Tür hinter ihm zu schließen, und stellte sich davor. Napoleon war schon wach. Er lag behaglich ausgestreckt in seinem breiten Bett, von mächtigen Plumeaus zugedeckt, den Kopf mit einem roten, weiß und blau punktierten Seidentuch umbunden, das über der Stirn zusammengeknotet war. Constant stellte den Armleuchter auf den Kaminsims, trat an das Bett heran und grüßte. Gegen seine Gewohnheit antwortete Napoleon nicht, hatte auch kein Scherzwort wie sonst bereit, dankte nur mit einem Blick und starrte wieder auf die Decke. Constant ließ einen Lakaien herein, der schnell im Kamin einheizte, öffnete die Fenster, nachdem er sich erst vergewissert hatte, daß der Kaiser gut zugedeckt war, und schloß sie wieder, als der Ofenheizer fortging. Er trat wieder an das Bett heran, bereit, Befehle zu empfangen. Als Napoleon ihn gar nicht beachtete, wagte er eine Frage, ob Majestät seinen Tee befehlen. Eine abweisende Handbewegung war die Antwort. Ob Seine Majestät heute lieber einen Aufguß von Orangenblüten zu nehmen geruhten? Die gleiche Antwort. Constant zog sich vom Bett zurück, machte sich mit dem Feuer zu schaffen, wartete einen Augenblick und machte dann wieder einen schüchternen Versuch. Der Kurier aus Paris sei angekommen – die Portefeuilles der Minister wären zur Stelle. Er, Constant, hatte auch vertrauliche Mitteilungen vom Polizeioberinspektor Beyrat erhalten über den im Portefeuille des Innern befindlichen Bericht des Polizeipräfekten von Paris, die ein eigentümliches Licht auf die Pflichttreue dieses hohen Beamten warfen. – – Napoleon winkte wieder ab. „Später“, sagte er kurz, und Constant zog sich wieder etwas zurück. Nach einer Weile trat er wieder vor und fing, trotz der abweisenden Gebärde Napoleons, an, wie üblich, den Tagesklatsch vorzubringen. Da war insbesondere der gefangene preußische General Blücher – oder Bluquaire, wie er ihn nannte, der sich wieder hatte Respektlosigkeiten zuschulden kommen lassen. Der General war ein Grobian. Das Hauptquartier in Rosenberg hatte ihn bestens empfangen, sein Zimmer mit Lorbeeren bestreut, ihm eine Ehrenwache vor der Tür postiert, der General Le Camus hatte ihn in Person empfangen, der Generaladjutant General Dänzel ebenso. Er aber hatte die Aufmerksamkeit kaum beachtet; er hatte verlangt, sofort zum Kaiser geführt zu werden; er hatte geschimpft und getobt, weil er nicht gleich ausgewechselt wurde; mit seinen ebenso ungeschlachten Gesellen spielte er von früh bis spät Karten, trank, rauchte, kurz, er sei ein rechter Barbar! – Und jetzt käme das Unerhörte: – als Majestät neulich an seiner Behausung vorbeigeritten waren und man ihn darauf aufmerksam machte, da spielte er ruhig seine Partie Whist weiter und sagte nur: „Ich will ihn gar nicht sehen, ehe ich ihn nicht sprechen kann.“ Diese Unehrerbietigkeit – diese – Er hörte plötzlich auf und zog sich etwas zurück, denn der Kaiser saß plötzlich aufrecht im Bett und blickte ihn zornig an. „Jetzt höre ich Sie bald eine halbe Stunde schwatzen, Monsieur Constant!“ sagte er streng, „Sie haben mir aber mit keinem Wort mitzuteilen geruht, wie Frau Gräfin Walewska die Nacht verbracht hat.“ „Zu Befehl!“ sagte Constant eilig. „Die Frau Gräfin schläft noch; ihre Kammerfrauen warten noch an ihrer Tür. Sobald sie aber eintreten dürfen, bekomme ich Nachricht!“ Napoleon legte sich wieder hin. „Du wirst nicht versäumen, es mir sofort zu sagen, wenn sie wach ist, mein Sohn!“ sagte er kurz. „Ehe du das nicht besorgt hast, brauchst du mir weiter nichts zu berichten!“ Constant wollte trotzdem ein paar Worte über irgendeine dringende Sache wagen, da öffnete sich die Tür, und ein freundlich lächelnder, schon ergrauter, aber ungemein jovial und heiter blickender Herr in reicher goldgestickter Hoftracht, einen kostbaren Stock in der Hand, kam herein und trat ohne Zeremonie an das Bett heran. Er schien etwas erstaunt, vom Kaiser weder bemerkt, noch eines Grußes gewürdigt zu werden, fand sich aber rasch damit ab, stellte seinen Stock an den Bettpfosten, ergriff die Hand des Kaisers, blickte nach seiner Uhr und zählte aufmerksam die Pulsschläge. „Zehn Schläge mehr als gewöhnlich“, sagte er kopfschüttelnd und steckte die Uhr ein. „Sonderbar!“ Napoleon blickte ihn groß an. Er hatte etwas Abwesendes im Blick, was bei ihm sonst niemals zu bemerken war. Die Pupille, sonst groß, so daß das Auge fast schwarz erschien, war jetzt zusammengezogen, daß die Augen in einem satten, sanften Dunkelblau schimmerten. Es schien ihm Anstrengung zu machen, sich zu zwingen, etwas mit Bewußtsein anzublicken. Irgendwelche Träume, irgendwelche Visionen hielten noch die Sehkraft in ihrem Bann. Endlich war er mit dem Vorgang im reinen. „Corvisart?“ sagte er leise, mit einem Tonfall, den der Arzt noch niemals gehört, und der gar nichts von der sarkastischen, übermütig neckenden Art hatte, die dem Kaiser sonst beliebte. „Heute ist weder Mittwoch noch Sonnabend! – Wieso kommen Sie zu mir, und wo kommen Sie her? Sie sind doch in Paris. Haben Sie denn dort schon alle Ihre Patienten unter die Erde gebracht? Haben Sie vor den Dankbezeigungen der glücklichen Erben fliehen müssen? Gestehen Sie’s gleich und ohne Umschweife, wie viele Leben haben Sie heute auf dem Gewissen?“ „Lange nicht so viele wie Eure Majestät!“ antwortete Corvisart, rasch den üblichen Gesprächston zwischen ihnen aufgreifend. Aber Napoleon war wieder mit den Gedanken anderswo. Weder hörte er die Antwort, noch warf er ihm ein rasches Scherzwort an den Kopf, auch kniff er ihn nicht ins Ohr – und das war entschieden ein äußerst ernstes Symptom! Und die paar Worte der Begrüßung! Wie matt, wie abwesend, fast automatisch und mehr aus alter Gewohnheit hatte er seine alten Scherze wieder abgeleiert! Der Leibarzt schüttelte den Kopf. Dann, rasch entschlossen, strich er die Bettdecke zurück, legte sein Ohr an des Kaisers Brust, horchte, sah erstaunt auf, horchte nochmals, richtete sich dann auf und blickte den Kaiser ernst an. „Wahrhaftig – _man hört es schlagen_! Man hört das Herz Napoleons! Solange ich die Ehre habe, für die Gesundheit Eurer Majestät verantwortlich zu sein, ist es das erstemal, daß ich das erlebe! Das ist ein ernstes – ein sehr ernstes Symptom!“ Napoleon lächelte, hörte nicht und schien immer noch an etwas sehr Angenehmes zu denken. Corvisart nahm wieder das Wort. „Majestät“, sagte er in ernstem, vorwurfsvollem Ton. „_Zehn_ Pulsschläge mehr als üblich und ein hörbarer Herzschlag! Bedenklich, sehr bedenklich! Das zeugt von einem noch nie dagewesenen Nachlassen der Energie und der Willenskraft! Wir regieren nicht mehr. Seit Monaten machen wir nicht mehr Weltgeschichte! Sonst vergeht kein Tag, ohne daß Throne wanken, Dynastien in Nichts versinken, neue erstehen und Völker befreit werden. Und jetzt diese plötzliche Stille, diese Untätigkeit! Wir verstecken uns hier in diesem unwirtlichen, östlichen Nest. Wir leben solide, brav, untätig wie ein spießbürgerlicher Rentenempfänger – wir sind taub und blind, verschließen uns der Welt, träumen, lächeln still in uns hinein! Das kann doch unmöglich die Reaktion auf den fabelhaft schnellen Sieg über Preußen sein? Wenn ich nicht wüßte, wie leger – wie _en canaille_ Eure Majestät stets das schöne Geschlecht zu nehmen pflegen, ich würde fragen: _où est la femme?_“ Napoleon hörte auch jetzt nicht zu. Er lag da wie vorhin, immer noch dieselben angenehmen Gedanken hin und her wälzend. Corvisart schüttelte immer ernster sein graues Haupt, streckte die Hand nach seinem Stock aus und wollte gehen, um Constant über die bedenklichen Symptome näher auszufragen. Als hätte sein Denken an Constant Napoleon angesteckt, setzte er sich gleich im Bett auf und rief: „Constant!“ und nahm, da dieser nicht gleich erschien, die Glocke vom Tisch und klingelte ungeduldig. Constant erschien, ein mit Briefen und Depeschen vollbeladenes Tablett in der Hand. „Ist sie noch nicht wach?“ fragte Napoleon ungeduldig. „Die Frau Gräfin schläft noch!“ antwortete Constant und stellte sein Tablett auf den Kaminsims. „Meinen Schlafrock!“ rief der Kaiser, warf die Decke zurück und schlüpfte rasch in die ihm gereichten weißen Pantalons und den Morgenrock aus weißer Wolle, ließ sich ein Paar ausgetretene rote Pantoffeln anziehen und setzte sich in einen rasch herbeigeschobenen Sessel ans Feuer. Er nippte einmal an der ihm gereichten silbernen Tasse, schob sie dann von sich, streckte die Hand aus, nahm von dem ihm durch Constant dargebotenen Tablett einen Brief, machte ihn auf, warf ihn auf den Teppich, machte noch einen auf, las ihn flüchtig durch und legte ihn auf einen neben dem Kamin stehenden Tisch. – Er schob dann das Tablett zurück, was einen Austausch erstaunter Blicke zwischen Kammerdiener und Leibarzt zur Folge hatte, streckte die Füße so nahe wie möglich an den Ofen heran und starrte eine Weile ins Feuer. Constant machte noch einen schüchternen Versuch, seine Teilnahme zu erwecken. Er reichte ihm die soeben eingegangenen Zeitungen, nach denen er sonst begierig zu greifen pflegte, aber vergebens! Auch die Liste der im Vorraum auf Audienz wartenden Personen wurde keines Blickes gewürdigt. „Corvisart,“ sagte Napoleon endlich, ohne vom Feuer fortzusehen, „Sie alter Schürzenjäger müssen doch mit den Frauen Bescheid wissen! Wenn sie der Schuh drückt, ohne daß sie einen anhaben – wenn sie unendliche Schmerzen leiden, ohne daß die Ärzte den geringsten Grund entdecken können – wenn die geschicktesten Scharlatane der medizinischen Wissenschaft mit all ihrem Hokuspokus nicht imstande sind, herauszufinden, was ihnen fehlt – und meine sämtlichen Leibärzte und Chirurgen, die im Felde stehen, haben sich schon vergebens bemüht, das Rätsel zu lösen –, was halten Sie denn von dieser merkwürdigen Äußerung der weiblichen Natur?“ „Sire –“, fing Corvisart an. Aber Napoleon war es mehr darum, zu fragen, als Antworten zu hören, die er sich selbst viel besser als irgendein anderer geben konnte. Er faßte Corvisart bei der Hand und sprach weiter, immer noch ins Feuer starrend. „Corvisart,“ fragte er, „haben Sie jemals geträumt? Heute nacht träumte ich, sonderbar, ganz merkwürdig! Die Gräfin Walewska war bei mir, hier im Zimmer. Sie hielt die Hände in den Taschen ihrer Jacke und stand mit dem Rücken gegen den Kamin. Sie war aber nicht so sanft, auch nicht so lustig und ausgelassen, wie sie es zuweilen sein kann! Sie hatte vielmehr etwas Hinterhältiges an sich, das ich gar nicht bei ihr kenne, und blickte mich ganz merkwürdig an, indessen ihre Rechte immer weiter in der Tasche grub und drinnen mit einem Gegenstand hantierte. Das machte mich mißtrauisch. Blitzschnell packte ich ihre Hand und fühlte durch den Stoff _eine Pistole_ – die sie vom Stoff gedeckt auf mich richtete und abzudrücken versuchte. Ich, nicht saumselig, wandte die Mündung der Waffe gegen sie und drückte ab. Aber der Schuß versagte. Dann nahm sie mir die Pistole aus der Hand. ‚Soll ich dich lehren, mit ihr umzugehen?!‘ sagte sie lachend, eilte ans Fenster, schlug es auf, zielte auf meine Armee, die hier draußen Parade stand, und drückte ab. Wie ein Feuerstrom ging es von der Mündung der kleinen, kinderspielzeugähnlichen Waffe aus und sprudelte gegen die Truppen hin. Und wo die Feuergarben trafen, sanken sie hin. Meine schönen Grenadiere, meine Jäger und Dragoner schmolzen vor meinen Augen wie Bleisoldaten im Feuer und waren im selben Augenblick wie von der Erde vertilgt. Ich riß ihr die Waffe aus der Hand; sie lachte aber nur! Ich zog sie mit mir, zwang sie auf die Causeuse da nieder, setzte mich neben sie und nahm ihre Hand. Wie ich sie dann anblickte, verwandelte sich ihr Gesicht, wurde katzenähnlich, mit langen Haaren um den Mund – ich entsetzte mich vor ihr. Ich zankte sie aus, weil sie mich hatte ermorden wollen und sagte ihr, sie sei das niederträchtigste Weib, was ich jemals auf Erden kennengelernt habe. Da nahm sie schnell ihr wirkliches Gesicht wieder an; ihre Augen standen voll Tränen, und schluchzend gestand sie mir, sie hätte sich rächen wollen, weil ihr Fuß sie schmerzte und weil ich, der ich schuld daran wäre, ihr keine Linderung ihres Schmerzes gebracht habe. – Ich dachte an dich, Corvisart, ich wollte dich rufen. – Da weckte mich Constant, und auf einmal warst du da! Nun sollst du mir die Sache ins reine bringen und mir sagen, was ihr fehlt.“ „Ihr fehlt sicherlich gar nichts! Die ganze Sache ist weiter nichts als eine Äußerung der ganz gewöhnlichen weiblichen Niedertracht, die im Gemüt einer jeden Frau lauert und nach Gelegenheit sucht, sich zu entfalten. Das macht mir keine Sorge. Aber mit Euer Majestät sieht es bedenklich aus. Erst der Puls – dann das hörbare Klopfen eines sonst in seiner Ruhe einzigartigen Herzens – dann der Traum, wo sonst der Schlaf ganz traumlos in den wachen Zustand überzugehen pflegt! Alles Symptome der Verliebtheit, und sehr auffallend bei einem sechsunddreißigjährigen Manne, der stets, auch in den Jahren der ersten Jugendschwärmerei, zu neunundneunzig Prozent mit dem Verstand allein zu lieben pflegte! Denn dies allgewaltige Überwiegen des Gefühls, dies fast vollständige Zurückdrängen eines Verstandes, der in seinem Tätigkeitsdrang auf Erden seinesgleichen nicht hat, das sah noch keiner bei Eurer Majestät! Fürwahr – ich bin sehr neugierig, jene Schöne, die diese fast unglaubliche Handlung bewirkt hat, kennenzulernen! Denn ich glaube fast – Eure Majestät werden mehr von ihrem Schuh gedrückt als die holde Schöne selbst!“ Napoleon lachte und wollte eben etwas Lustiges antworten. Da kam wieder Constant herein und meldete gehorsamst, die Frau Gräfin hätte soeben nach ihrer Schokolade verlangt. Er fügte hinzu, daß der Oberfußarzt Seiner Majestät, der lange und sehnlichst erwartete Tobias König, endlich aus Paris in Finkenstein eingetroffen wäre. „Es ist gut,“ antwortete der Kaiser, „Roustan soll ihn sofort zur Gräfin Walewska führen. Sie, Corvisart, gehen mit und überwachen die Operation, wenn eine nötig wird. Sie haben die Verantwortung für alles, was geschieht! – Ist mein Bad bereit?“ Constant meldete ehrerbietig, das Bad warte schon lange auf Seine Majestät, und richtete schnell den Befehl an Roustan aus. Corvisart verbeugte sich und ging. Der Kaiser ging ins Badezimmer, entledigte sich mit Constants Hilfe der Kleidung und wollte eben ins Wasser steigen, als Roustan herbeigestürzt kam und meldete, die Frau Gräfin wäre außer sich und verlange, den Kaiser sofort zu sehen; sie ließ sagen, sie wäre dem Sterben nahe und müsse ihn gleich sprechen! „Fünf Chirurgen habe ich mit im Felde“, sagte der Kaiser verdrießlich und zog das Bein, das er schon über die Badewanne ausgestreckt hielt, zurück. „Fünf Chirurgen und vier Leibärzte! Ich zahle ihnen Unsummen, und sie taugen alle nichts! Wir müssen auch noch selbst die Hühneraugenoperation der holden Dame leiten, als gälte es, eine Schlacht zu lenken, müssen die Truppen kommandieren, womöglich selbst noch dreinhauen! _A la bonne heure!_ Gehen wir! Meine Pantalons, Constant, schnell den Morgenrock! – Nackt ziehen wir auch in _den_ Kampf nicht! Laß Roustan Vorzimmer und Korridore leeren! Keiner darf mich sehen! – So – nun noch die Pantoffeln! Und nun leuchte mir!“ Von Roustan geleitet, ging der Kaiser dann, den Kopf immer noch von dem bunten Tuch umschlungen, zu den in derselben Etage des Schlosses gelegenen Zimmern der Gräfin. Er fand die Dame auf einer Causeuse ausgestreckt, den einen Fuß in einem goldgestickten, orientalischen Pantoffel steckend, den anderen nackt. Vor ihr kniete der alte Jude und gab sich vergebliche Mühe, an ihrem entzückenden kleinen Fuß irgendein Gebrechen zu finden. Hinter der Causeuse stand Corvisart, beide Hände auf den Stock gestützt und betrachtete durch sein Binokel all das Schöne, das sich vor seinen erstaunten Augen enthüllte, indes die schöne Gräfin eigensinnig hin und her rückte, gar nicht stillhalten wollte und die Untersuchung zu einer wahren Qual für den guten König machte. „Sire!“ rief sie hinsterbend, „retten Sie mich aus den Händen dieses Ungeheuers! Er hat ein Messer – ich habe es gesehen – er hat ein Messer aus seinem Etui da herausgenommen! Er wird mir die Adern öffnen – wird mich ermorden! Retten Sie mich!“ Napoleon lachte, erklärte ihr, daß keine Gefahr vorhanden sei, sie hätte nichts zu befürchten – ganz im Gegenteil. Er hätte seinen ersten Leibarzt und seinen ersten Pedikuren, die sonst beide in Paris unabkömmlich seien, und die er sonst niemals ins Feld mitzunehmen pflegte, extra um ihretwillen von Paris hierherkommen lassen! In besseren Händen könnte man gar nicht sein! Sie sollte sich nur ruhig ihnen anvertrauen, damit sie endlich von ihrem Leiden, das ihn, den Kaiser, mindestens ebensosehr schmerze wie sie selbst, befreit werde! „Ich lasse mich aber trotzdem nicht operieren, wenn Eure Majestät mir dabei nicht wenigstens die Hand halten!“ „Alles was Sie wollen, _ma chère_“, sagte der Kaiser und nahm ihre Hand. „Sie sehen, ich bin ja gleich auf Ihren ersten Ruf gekommen und habe mir nicht einmal Zeit gegeben, mich anzukleiden!“ Sie blickte ihn von der Seite an und kicherte vor Freude, den Herrn der Welt so ihrer Laune untertan zu wissen. „Nun fangen Sie an, Monsieur König“, rief der Kaiser. „Zeigen Sie Ihre Kunst! Aber vergessen Sie nicht, Sie haben die Ehre, den schönsten Fuß auf Erden in Ihrer Hand zu halten. Seien Sie vorsichtig – ich würde Ihnen keinen Mißgriff verzeihen!“ Der Chirurg stöhnte, er wandte und drehte den kleinen Fuß hin und her und versuchte vergebens die kranke Stelle ausfindig zu machen. „Sire, ist es auch wahr, daß Sie mein Leiden ebenso schmerzt wie mich selbst?“ fragte die schöne Gräfin kokett. Der Kaiser versicherte, daß ihr Zustand ihm wahre Qualen verursache. „_Et la Pologne, ma patrie?_“ säuselte sie dann bezaubernd. „Es flößt Ihnen doch auch Mitleid ein, Sire?“ „Auch!“ sagte der Kaiser. „Sie lieben mich also?“ fragte sie. „Sie lieben mich sehr – – au! – Sie tun mir weh!“, rief sie im selben Atemzug dem Chirurgen zu. „Ich finde nichts – ich finde absolut nichts!“ stöhnte dieser, und große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. „Und Sie sind um meinetwillen direkt von Paris gekommen?“ fragte sie und sah den Alten neugierig an. „Allein um meinetwillen? – Und Sie auch, Monsieur Corvisart? – Und Sie sind die berühmtesten Ärzte, die es heute gibt – die geschicktesten und teuersten von allen?“ Und als auch das bejaht wurde, und zwar vom Kaiser selbst, da schlug sie die Hände zusammen, lachte toll auf, wie ein verzogenes Kind, dem ein Spaß gelungen ist, gab dem Hühneraugenoperateur einen Nasenstüber mit ihrem nackten Fuß, daß er vor Erstaunen zurückfuhr und sitzenblieb, lachte noch toller auf, wälzte sich auf ihrem Lager vor Vergnügen und schrie: „_Mir fehlt ja gar nichts!_ – Ich habe nur sehen wollen, ob Sie mich lieben, Sire, und ob Sie ohne Zögern und ohne Murren alles für mich tun würden – alles, was ich will!“ Sie flog dann auf und warf sich dem Kaiser, der in der ersten Überraschung sich zornig erhoben hatte, um den Hals, küßte ihn mitten auf den Mund und herzte und streichelte ihn und kümmerte sich dabei gar nicht um die beiden Ärzte, die mit offenem Munde dastanden. „Sie lieben mich also, Sire, Sie lieben mich über alles?“ „Über alles, Gräfin!“ „_Et la Pologne, ma patrie – vous me la libérerez, n’est ce pas?_“ lispelte sie noch bestrickender. Napoleon lachte laut auf. „Da drückte wohl der Schuh!“ rief er übermütig. „Gehen Sie, meine Herren, da bedürfen wir Ihrer Kunst nicht! Da bin _ich_ der rechte Arzt! Gehen Sie, König, freuen Sie sich Ihres Nasenstübers, den Sie von diesem schönen Fuß bekommen haben. _Der_ Fußtritt _adelt_, sagen Sie’s Constant, und er soll mich daran erinnern!“ Die Ärzte gingen und überließen es dem Kaiser, die Kur zu vollenden. Eine halbe Stunde später saß er seelenvergnügt in seiner Badewanne und regierte von dort aus die Welt, daß es nur so eine Art hatte. Die Wanne umstanden in gemessener Entfernung der Generalstabschef Berthier, der Generaladjutant General Dänzel, der Architekt der Tuilerien, der Generaldirektor der Museen, der Geheimsekretär Meneval und mehrere Gehilfen, während Constant und Roustan mit dem Kaiser hantierten, und Corvisart und König das Kneten und Frottieren überwachten und gelegentlich selbst mit Hand anlegten. Und Napoleon bekam nie genug. Er rief Roustan zu, für mehr und noch wärmeres Wasser zu sorgen – lachte über die roten und erhitzten Gesichter seiner Getreuen, die bald halb erstickt aussahen, befahl, die Kuriere mit den Portefeuilles der Ministerien vorzulassen, ließ sich aus den Akten vortragen, traf Entscheidungen, diktierte Randbemerkungen und Antworten, unterzeichnete – immer noch in der Badewanne sitzend – Heiratskonsense und Ernennungen, Gnadenbewilligungen, Amtsenthebungen, Erlasse und Dekrete, kommandierte, scherzte, lobte und zankte, alles in einem Atem. „Schreiben, Meneval!“ rief er, und Meneval setzte sich an einen Tisch und legte Papier und Feder zurecht. Der Kaiser diktierte. „_An Fouché_: – Madame de Staël, die wir, wie er wohl weiß, nicht ausstehen können, ist, laut Rapport, wieder in Paris. Sie mag ihr Recht auf ‚freie Individualität‘ anderswo zur Schau tragen! An der Seine nicht! Er soll sie gleich ausweisen! Die ehemaligen Jakobiner aber nicht. Das ist nicht mehr nötig! Was noch von ihnen da ist, ist harmlos – längst kapitalistisch eingekapselt! Sie sind alle satt und träge und haben ihre Giftzähne längst verloren. Bei der letzten Rezeption in der Akademie hat der Abbé Sicard in unpassenden Ausdrücken über Mirabeau gesprochen! Wir wollen keine Reaktion der öffentlichen Meinung! Fouché soll über Mirabeau lobend sprechen lassen. _An Junot_ schreiben: Die Kontinentalsperre gegen England gilt auch für die kaiserlichen Marschälle und insbesondere für ihre Frauen. Ihre Weiber – schreiben Sie Weiber, Meneval! – Ihre Weiber mögen Kräutertee trinken, der ist ebensogut wie der Karawanentee, Zichorienkaffee ebenso gesund wie der arabische! Und sie mögen sich hüten, daß ich nicht gewahr werde, wie sie Kleider von englischen Stoffen tragen. Er soll das auch Madame Junot nachdrücklichst einschärfen! _Dem Erzkanzler Cambacères_: Wir sind über die Unzufriedenheit und den Pessimismus der Pariser erstaunt. Sie keifen, weil wir hier an der Weichsel aufgehalten werden, und deuten unseren Sieg bei Eylau in eine Niederlage um, weil er kein Austerlitz war. Sie sind verwöhnt. Das gesellschaftliche Leben siecht dahin, weil wir und unsere Marschälle nicht in Paris sind! Das geht nicht. Man soll Feste geben! Er, Cambacères, und auch Lebrun sollen da mit gutem Beispiel vorangehen! Man soll Verschwendung treiben, Geld unter die Leute bringen, Millionenbestellungen an die Industrie vergeben, damit die Arbeiter gut bezahlt, satt und zufrieden werden! Man soll in allen kaiserlichen Schlössern das Meublement mit kostbaren Seidenstoffen neu beziehen, man soll Stiefel, Riemen und so weiter für die Armee bestellen, die Handwerker mit Aufträgen mästen – – _An König Louis_: Mein Herr Bruder ernennt für meinen Geschmack viel zu viel Marschälle in Holland. Lieber die holländische Armee vermehren! _An König Joseph_: Journalisten sind Kokotten! Auch in Napoli! Man hat mit denen bisweilen ein Verhältnis, aber erhöht sie niemals zu legitimen Gattinnen. Er gibt sich zuviel mit ihnen ab! Nicht auf ihren spitzen Federn, auf den Spitzen meiner Bajonette ruht sein Königreich. Den Mob regiert man mit Fußtritten, mit Schmeicheleien nicht!“ „_Et la Pologne, ma patrie!_“ fuhr er dann halb singend fort. „Constant, hat dir unser guter Fußarzt eine Mitteilung gemacht? Gut. Nachher daran erinnern!“ „_La Pologne, ma patrie!_ – Im ersten Freiheitsrausch in Posen haben mir die Polen alles bewilligt. Und jetzt? Wir sind enttäuscht! Statt der versprochenen hunderttausend Mann nur fünfzehntausend schlecht disziplinierte! Kaum zu gebrauchen! Wir werden uns ihretwegen auch nicht derangieren! Hier, aus der Nähe gesehen, schaut Polen übrigens ganz anders aus! Seinetwegen werden wir nicht die Kontinente umstürzen!“ Er schwieg einen Augenblick. Dann rief er Berthier, ordnete Truppendislokationen in Italien, am Rhein, in Holland an, gab Orders nach Spandau und Berlin über den Nachschub von Artillerie, Munition und Proviant und fragte, ob nicht endlich vom Grafen Bertrand Nachricht über den Stand der Friedensverhandlungen mit dem preußischen Hauptquartier angekommen wäre. Und einmal bei Preußen angelangt, rief er Constant zu: „Was wolltest du mir heute vom General Blücher erzählen?“ Er wartete aber keine Antwort ab, sondern rief den Generaladjutanten, General Dänzel, der in der mordswarmen Temperatur des Badezimmers aussah, als ob er bald seine tapfere Heldenseele aushauchen wollte, und gab ihm den Befehl, noch heute, nach der Parade, den preußischen General zur Audienz zu bringen – oder vielmehr den General Le Camus damit zu betrauen. Denn er, Dänzel, hätte auch anderes zu erledigen! Dann schickte er sie allesamt zum Teufel bis auf Roustan, schrie nach noch mehr und noch heißerem Wasser, ließ sich begießen, kneten, frottieren und war so vergnügt wie ein Fisch im Wasser! * Inzwischen saß Blücher schon in aller Frühe beim Whist in seinem engen Quartier zu Rosenberg, das er mit dem Rittmeister von Eisenhart und seinen Söhnen bewohnte. „Heute bin ich wohl mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen!“ brummte er, schlug eine Karte nach der andern auf den Tisch und sah manchen schönen Stich an seiner Nase vorbeitanzen. „Das kommt davon, wenn man zu vieren in einem engen Zimmer logieren und verschämt tun und sich drehen und wenden muß, bis man das Gefühl für rechts und links verliert! Verflucht noch einmal, Pfalzgraf! Gib endlich bessere Karten, gib mir nur ein einziges Mal die Honneurs! Immer und ewig kannst du mir nicht zumuten, dazusitzen und zuzusehen, wie du den großen Schlemm machst! Andere Karten, sonst spiele ich nicht mit euch!“ Lachend strich Eisenhart die Karten zusammen, mischte und teilte sie wieder in vier Haufen aus. Blücher nahm seine Karten, ordnete sie und brummte dabei wiederholt in seinen Bart. Schließlich legte er sie vor sich auf den Tisch. „Es nützt ja doch nichts!“ sagte er verdrießlich. „Solange wir hier in dem verfluchten Nest festsitzen, ist’s nichts! Alles geht mir wider den Strich, seit ich Hamburg verließ! Zum Platzen ist das!“ „Exzellenz werden auch einmal gute Karten kriegen!“ tröstete Eisenhart. „Sie werden mir keine geben, und die beiden Lausebengels noch weniger!“ antwortete Blücher und schielte nach seinen beiden Jungen, die auch mitspielen mußten. „Die freuen sich schon, wenn sie mich hereinlegen können! Übrigens ist das das wenigste. Die ganze Art, wie die Franzosen mich behandeln, ist’s! Die ist empörend! Entweder man wechselt mich aus, oder man tut es nicht! Zum besten halten gibt’s nicht. Ich habe mich ehrlich mit ihnen geschlagen und nicht wie ein Hanswurst. Die halten mich aber zum Narren. Wenn’s denen mit der Auswechslung ernst gewesen wäre, dann hätten sie mich doch zu Schiff über Kopenhagen reisen lassen können, wie ich wollte. Und hätten ihren Monsieur Victor auf demselben Wege mit Handkuß retourbekommen. Aber nein. ‚Der Kaiser Napoleon will Sie sehen! Der Kaiser will Sie sprechen!‘ hieß es. Und da muß ich alter Mann in dem hundsmiserablen Märzwetter wochenlang auf den Wagen liegen und mir die Knochen durcheinanderrütteln lassen und hinter dem kleinen Kerl herreisen, bis in die dunkelste Polackei hinein! Bis China wäre es noch so weitergegangen, hätten unsere Leute sich nicht endlich auf ihre preußische Waffenehre besonnen und bei Eylau dem Franzmann Halt geboten. Und da sitze ich nun bald zwei Wochen hier und fange Fliegen und langweile mich mit eurem faulen Whist herum und werde von euch beschummelt und lasse mich von den französischen Lümmels zum Narren halten.“ Eisenhart bedeutete ihm, vorsichtig zu sein, und sah sich besorgt um. „Ach was, Pfalzgraf!“ rief Blücher ärgerlich und fing wieder an seine Karten zu sortieren. „Die werden schon wissen, woran sie mit mir sind! Da brauche ich kein Blatt vors Maul zu nehmen!“ „Sie glauben im Gegenteil, Eure Exzellenz für ihre Sache gewonnen zu haben!“ „Der Teufel auch!“ „Sie glauben es, und das ist gut!“ „Wenn Er mir da irgend etwas eingebrockt hat, Pfalzgraf, dann ist’s aus zwischen uns!“ „Ich habe etwas eingebrockt, und das ist die Freiheit, Exzellenz, die Freiheit, baldmöglichst wieder gegen sie zu kämpfen!“ „Geb Gott, daß es bald soweit wäre! Aber mit ehrlichen Mitteln, Eisenhart, mit ehrlichen Mitteln!“ „So ehrlich, wie bei den Franzosen üblich!“ „Das verbitte ich mir. Auf eine Stufe mit den Gaunern lasse ich mich _in puncto_ Ehrlichkeit nicht stellen!“ „Wie wollen Exzellenz ihnen sonst beikommen?“ „Wie sonst immer! Mit scharfen Hieben!“ „Wenn wir ihnen im Felde gegenüberstehen, ja, da ist das das Richtige. Aber wo wir in ihrer Gewalt sind, da setzen sie Gewalt gegen Gewalt, und sagen sich: ‚Nein, der General Blücher kann uns gefährlich werden, den wechseln wir nicht aus, den behalten wir bis zum Ende des Krieges in festem Gewahrsam‘! Und schicken Eure Exzellenz nach Frankreich statt ins preußische Hauptquartier, und uns mit!“ „Mag sein, daß Er recht hat, Pfalzgraf. Aber auf die Vorschläge Napoleons gehe ich nicht ein. Ich bin keine solche Schlafmütze wie die Herren Lucchesini und Zastrow, die da beim Herrn Napoleon in Charlottenburg bettelten und ihm gleich mit Kußhand ganz Preußen links von der Elbe schenken wollten, mitsamt allen Festungen bis zur Weichsel und Abkehr von Rußland und Gott weiß wie viele hundert Millionen noch dazu! Ich werde dem König nicht raten, Frieden zu schließen! Ich werde ihm sagen, wie’s hier hinter der französischen Front aussieht, und wie leicht es wäre, jetzt einen Schlag zu tun. Das werde ich, hol’ mich der Deibel, dreimal verflucht! – Und dann, will’s Gott, hauen wir die Bande in die Pfanne. Aber kein Wort sag’ ich anders, keinen Ton pfeife ich aus einem anderen Loch, wenn ich im Hauptquartier bin.“ „Das sollen Exzellenz auch nicht tun. Aber erst müssen wir mit unseren Nachrichten da sein, und zwar möglichst bald, ehe die Verhältnisse bei den Franzosen sich bessern. Daher müssen Exzellenz versprechen –“ „Nichts verspreche ich, nichts, was ich nicht halten kann!“ „Im Krieg ist jede List erlaubt. Exzellenz, als alter Husar, werden schon oft in die Lage gekommen sein, den Feind zu täuschen!“ „Das schon – das schon!“ „In der nämlichen Lage sind wir jetzt auch. Und da habe ich im Namen Eurer Exzellenz versprochen, und das haben wir, der General Le Camus und ich, zu Papier gebracht, daß Exzellenz bei unserem König für einen seperaten Frieden zwischen ihm und den Franzosen eintreten wollen, in dem uns Preußen bis zur Elbe wieder herausgegeben wird.“ „Ein separater Friede? Bist du des Teufels, Junge? Sollen wir die Russen im Stich lassen?“ „Die Russen werden sich’s nicht lange überlegen, ob sie uns im Stich lassen sollen, wenn die Versuchung in der geeigneten Weise an sie herantritt. Ich habe es versprochen! Exzellenz brauchen bloß ja und amen zu sagen! Und nachher, wenn wir frei sind, tun wir, was wir wollen! Das ist erlaubte Kriegslist, weiter nichts.“ Die Söhne Blüchers redeten ihm auch zu. „Kinder, ihr macht mit mir, was ihr wollt! Was werden die Franzosen von mir denken!“ „Sie werden salutieren und sagen: ‚Donnerwetter, ist das ein Kerl!‘“ „Ein Mordshalunke, werden sie sagen!“ „Hoffentlich! Ich werde mich jedenfalls sehr freuen, wenn der Feind möglichst schlecht von Exzellenz spricht! Oder glauben Exzellenz etwa, sie dächten gut von Ihnen?“ „Darum möchte ich die Kerls doch in allem Ernst ersucht haben!“ „Sie machen sich aber trotzdem ihre eigenen Gedanken. Und da ist nun der Whist daran schuld.“ „Wieso!“ „Nun, wenn wir so, wider alle Konvenienz, uns um acht Uhr früh an den Spieltisch setzen und den ganzen Tag dort verbringen, alle Einladungen ausschlagen und bloß spielen, spielen, spielen – wenn unsere französischen Wirte den General Blücher fluchen und immer mehr fluchen hören, da nimmt’s einen nicht wunder, wenn sie einmal fragen: ‚Mein Herr, Sie rupfen wohl den alten Herrn bis auf die Knochen? _Le général de Bluquaire_ soll doch ein eingefleischter Spieler sein? Man sagt, er hat sein ganzes Vermögen verspielt?‘ Und das fragen sie dann in einem mitleidigen Ton und mit einem vielsagenden Blick, als warteten sie nur auf ein Wort des Einverständnisses, um gleich Geld anzubieten – großes Geld, dafür, daß wir ihnen den Frieden vermitteln.“ Blücher legte die Karten aus der Hand. „Ich will nicht hoffen, Eisenhart,“ sagte er ernst, „daß Er einen solchen Antrag an mich übernommen hat, oder daß das, was Er mir jetzt sagt, ein Vorfühler sein soll, ob ich für Geld zu haben wäre! Denn dann müßte er darauf gefaßt sein, von mir über den Haufen geschossen zu werden!“ „Das wäre auch verdient, Exzellenz. Und ich habe auch dem Herrn, der da glaubte, mir so den Puls fühlen zu dürfen, mit keiner Miene gezeigt, daß ich für derartige Zumutungen irgendwelches Verständnis hätte. Ich erzähle es auch jetzt nur, um Exzellenz zu zeigen, wie der Feind sich doch selbst seine Gedanken macht und glaubt, was er will, wie anständig man sich auch benimmt! Denn das ist ihm gänzlich gleichgültig! Je mehr er flucht und je mehr er schimpft, um so besser! Das zeugt nur davon, daß unsere Hiebe sitzen!“ Blücher schwieg einen Augenblick und zupfte an seinem langen Schnurrbart, ließ sich dann eine frische Pfeife bringen und in Brand stecken und paffte dem Rittmeister ganze Wolken ins Gesicht. „Hm, ja – schön! – Machen wir den Versuch! Probieren wir’s denn mit dem Husarenstreich! Aber erst neue Karten her!“ Neue Karten wurden gegeben. Und zum erstenmal, seit Blücher in Rosenberg weilte – _gute_ Karten, und alle Honneurs! Er strahlte wieder und war eitel Glück und Wonne, machte einen großen Schlemm nach dem andern und merkte gar nicht, wie seine Jungen die Karten so gut zu mischen wußten, daß er immer wieder lauter Trümpfe in die Hand bekam. Denn die Pfeife schmeckte und gab etwas her und hüllte alles brav in Dämpfe ein. Eisenhart wußte auch so gut und eifrig den Kriegsplan zu entwickeln, daß der alte, gewiegte Spieler nicht daran dachte nachzusehen, ob auch richtig gemischt wurde – wozu er ja auch keinen Grund hatte, solange die Karten gut fielen! Im Grunde genommen waren die Franzosen ja auch ganz passable Kerle und als Feinde gar nicht zu verachten! Und wenn schon ihre Freundschaft sich verflucht fade anließ, so wollte er sich nicht widersetzen, er wollte schon die Komödie mitmachen! Aber nur bis zur Grenze! Keinen Schritt weiter! Sobald er frei war, da wollte er auch seine Freiheit haben! „Eins kann ich den Kerlen nimmermehr verzeihen“, sagte er und schmunzelte über die schönen Stiche, die er immer wieder machte. „Und das ist, daß sie mich nicht nach Berlin hineinlassen wollten. Zu denken, ich bin dicht vor der Stadt, ich _soll_ da durch, es ist sogar der mir vorgeschriebene Weg! Und da heißt es: ‚Außen herumfahren! In der Stadt können wir dich nicht gebrauchen! Kommst du her, dann gibt’s hier einen Aufruhr!‘“ „Die Berliner hätten Kopf gestanden!“ sagte der eine junge Blücher stolz. „Wäre mir recht gewesen“, schmunzelte der Alte. „Ich hätte gegen den Aufruhr nichts gehabt! So’n Krakeel wäre mir gerade nach dem Sinn gewesen! Und um das haben die Franzosen mich nun auch gebracht!“ Er schwieg und blickte auf. In der Tür stand ein französischer Offizier, die Hand salutierend am Schirm seines Käppis. Durch das niedrige Fenster guckten andere Offiziere herein. Blücher stand nicht auf und erwiderte kaum den Gruß. „_Mon général_ –“, fing der französische Offizier an. „Ich bin nicht so ’n Allerweltsgeneral, ich bin preußischer Generalleutnant und bitte mir richtige Titulatur aus!“ Die ward ihm auch sogleich und in der liebenswürdigsten Weise zuteil. Außerdem die Mitteilung: der General Le Camus ließe sich bestens empfehlen, und er würde sich die Ehre geben, den Generalleutnant von Blücher zu der und der Zeit abzuholen, um ihn persönlich von hier nach dem Schlosse Finkenstein zu geleiten, wohin der Kaiser Napoleon ihn heute zur Audienz befohlen hätte. Blücher antwortete, er würde sich die Ehre geben. Er wäre bereit, und er ließe dem General Le Camus seine besten Grüße übermitteln. Worauf er dem Rittmeister Eisenhart die Hand gab und sagte: „Pfalzgraf, verlasse Er sich darauf: es bleibt dabei, bei dem Husarenstreich!“ * Napoleon war eben von einer Besichtigung des Leibregiments der Kaiserin zurückgekehrt und ließ sich vom Generaldirektor der Museen, Monsieur Denon, über die in den Museen Kassels und Berlins „gefundenen“ Kunstwerke Bericht erstatten, als man ihm die Ankunft des Generals von Blücher meldete. Er gab Denon noch einige Instruktionen für seine bevorstehende Entdeckungsreise nach Warschau, wo auch für Rechnung des „Musée Napoléon“ Schätze zu heben waren, genehmigte die vorgeschlagenen „Enteignungen“, entließ huldvollst seinen talentvollen Miträuber und befahl, den General vorzulassen. Er wolle ihn ohne Zeugen sprechen, bedürfe auch eines Dolmetschers nicht! Sein Generalstabschef, Berthier, holte dann Blücher ab, bestätigte ihm im Namen Napoleons die mit dem Rittmeister von Eisenhart vereinbarten Friedensbedingungen, die Blücher dem König von Preußen überbringen sollte, geleitete ihn dann durch alle Zimmer bis zur Tür des kaiserlichen Arbeitskabinetts und verabschiedete sich dort von ihm. Die Tür öffnete sich, und die beiden Gegner standen einander zum ersten Male persönlich gegenüber. Blücher lang und stattlich mit weißen Haaren und frischem, lebenssprühendem Gesicht – der Kaiser klein, blaß, energisch, lebhaft, ohne einen weißen Faden im kastanienbraunen Haar – Blücher in seiner roten Husarenuniform, die Mütze mit dem Totenschädel auf dem Arm – der Kaiser in seiner grünen Gardejägeruniform mit den weißen Aufschlägen und dem Stern der Ehrenlegion in Gold gestickt, den schwarzen, dreieckigen Hut in der Linken. Er kam gleich auf Blücher zu und fing an, lebhaft auf ihn einzureden. Und Blücher stand da, lang und breitbeinig, den Kopf vorgestreckt, und sah auf den kleinen Kerl herab, der sich mit zierlichen Schritten vor ihm hin und her bewegte – glotzte ihn an wie eine große Dogge, die die lustig einschmeichelnden Sprünge eines zierlichen Affenpintschers um sie herum anstaunt und dann und wann mit einem tolpatschigen Schlag der Pranke zu vergelten versucht, dabei das Kläffen des Kleinen mit einem gutmütigen Zähnefletschen beantwortend. Viel verstand er nicht von dem, was der Kaiser sagte, geriet aber sofort in den Bann seiner sprühenden Beredsamkeit und der Energie, die aus jedem seiner Worte, aus jeder Miene auf ihn einströmte. Er holte auch sofort zur Parade aus und fing an, ebenso lebhaft auf den Kaiser dreinzuparlieren, in einem sonderbar zurechtgestutzten Kauderwelsch, das in seinen eigenen Ohren gar lieblich klang und ihn geradezu stolz machte. Lateinische, polnische und französische Brocken würfelte er dabei kunterbunt durcheinander, in einer Mischung, die ihm sicherlich keiner so leicht nachmachte. Aber als der Kaiser immer lebhafter wurde und ihn schließlich an einem Knopf seiner Uniform packte und anfing daran zu drehen und zu drehen, da wurde er still. Das war unheimlich! So ließ er sich denn doch nicht beim Wickel nehmen! Er horchte genau auf das, was der Kaiser zu ihm hinaufsprudelte – schnappte einige Worte auf und begriff, daß lang und breit von der Elblinie und von den künftigen Grenzen Preußens geredet wurde, wenn auch nicht was, und daß der Kaiser ihm das tägliche Lied seiner Generäle von der ihm zugedachten Rolle als Friedensvermittler jetzt selbst vorleierte. Da aber das Drehen des Knopfes nicht aufhörte, vielmehr ein Gefühl verursachte, als wühle sich ein Bohrer immer tiefer und tiefer in ihn hinein, da gab’s bei ihm innerlich einen Ruck und ein Sträuben der Haare, wie bei einem Kater angesichts des Hundes. Die Haltung straffte sich, die Blicke sprühten Feuer und Flammen, er wollte schon etwas Kräftiges antworten. Aber Napoleon wartete es nicht ab. Mit kleinen festen Schritten ging er ein paarmal durchs Zimmer, setzte sich im offenen Fenster aufs Fensterbrett, kam wieder vor und sagte in einem von fast echtem Gefühl vibrierenden Tonfall: „_Mais mon cher – je l’aime, votre patrie! Oui, c’est vrai, j’aime la Prussie!_“ Und er setzte noch lang und breit auseinander, wie sehr dieser ganze Krieg wider sein Gefühl sei, und daß es ihm zumute sei, als müsse er mit seiner Rechten seine Linke schlagen, wenn er das ihm so teure Preußen schlüge! Welche echt preußenfreundliche Gesinnung er noch mit einem Händedruck bekräftigte. „Ist schon recht,“ dachte Blücher, „es gibt Freundschaft und Freundschaft, und wie deine beschaffen ist, damit weiß ich Bescheid! Wenn du denkst, daß ich darum für dein ‚_patrie_‘ auch nur einen Pfifferling übrig habe, da irrst du dich gewaltig!“ In voller Gemütsruhe ließ er dann noch einen rednerischen Ansturm über sich ergehen, sagte weder ja noch nein, nickte nur dann und wann zustimmend, eingedenk der Mahnung Eisenharts, lieber mit List die sofortige Freiheit zu gewinnen, als sich noch nach Frankreich in Gefangenschaft schicken zu lassen. Und als Napoleon ihm die Hand zum Abschied reichte, da langte er zu und drückte sie recht herzlich wieder und schmunzelte freundlichst über das ganze Gesicht. „Ein Teufelskerl ist das!“ sagte er nachher, als er seinen Söhnen und Eisenhart von der Begegnung erzählte. „Ein ganz verfluchter Kerl! Und charmant! Ich dachte bei Gott nicht daran, daß er eigentlich den leibhaften Gottseibeiuns darstellt, dem man schleunigst das Genick brechen müßte! Mehr als einmal hätte ich ihn durchs offene Fenster hinausstoßen können, als er auf dem Fensterbrett saß, wäre ich nur nicht so verflucht gutmütig gewesen, wie wir Deutschen es nun leider immer sind!“ „Wer weiß,“ sagte Eisenhart mit einem spitzbübischen Lächeln, „wer weiß, was für eine gute Gelegenheit Exzellenz da versäumt haben, mit einem raschen Stoß den Krieg zu beenden und Europa eine neue Karte zu geben!“ „Ehrlicher Kampf ist mir lieber“, sagte Blücher. „Und aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir werden ihm schon beikommen, wenn er auch ein guter Schauspieler ist und die Kunst versteht, alle Welt dumm zu machen! Das können wir schließlich auch, wenn’s sein muß. Fürs erste probieren wir’s mit Seiner Kriegslist, Eisenhart!“ So wurde es auch gemacht. Beim Abschiedessen, das der General Le Camus ihm noch am selben Tag gab, hielt Blücher dann eine Rede auf Napoleon und brachte in aller Form seine Gesundheit aus. Allerdings erst nachdem der französische General Preußen und seinen König hatte leben lassen. Dann aber, als nach vielem Hin und Her, nach langem Warten und endlosem Ärger, endlich der Augenblick da war, in dem er über die Demarkationslinie gehen durfte, während von der anderen Seite der Schatten des gegen ihn ausgewechselten Generals Victor grüßend vorbeihuschte, da war’s mit einem gewissen Gefühl der Erleichterung, daß er seinem getreuen Adlatus und Reisebegleiter zurief: „Los, Eisenhart!“ Und er ließ Eisenhart nicht aus den Augen, als der mit dem General Dänzel leise sprach. Er ärgerte sich aber gewaltig, als der Franzose nur lächelte und befriedigt Beifall nickte, obwohl Eisenhart in aller Form erklärte, mit der Friedensvermittlung Blüchers wäre es nichts – seine ganze Zusage in betreff der Friedensvermittlung wäre nichts als erlaubte Kriegslist gewesen, und man würde dem König von Preußen gute Ratschläge in ganz anderem Sinne zu geben wissen. Diese offene Kampfansage wollte Blücher wenigstens dem Franzosen mit nach Hause geben. Sie sollten da nicht eine Sekunde länger als nötig glauben dürfen, daß er auch nur das geringste für ihr „_patrie_“ übrig hätte! An seine Begegnung mit dem Kaiser dachte er aber mit vielem Interesse zurück. Er staunte Napoleon an wie eine seltsame Naturerscheinung, die mit seiner eigenen Welt wenig Zusammenhang hatte. Napoleons lebhaftes Sprühen, sein eindringliches Drauflosagieren hatte ihn nicht darüber zu täuschen vermocht, daß er im Kaiser vor allem eine maßlose Energie und einen konzentrierten, kalten und klaren Verstand vor sich hatte, dem keine Grenzen gesetzt waren außer der einen, hinter der Gefühl und alles mitreißendes Temperament allein geboten. Und da war _er_, Blücher, wiederum zu Hause und wurzelte drin mit seiner ganzen Persönlichkeit, und konnte seinerseits auch nicht über die Grenze hinaus. Sie waren eben zwei einander völlig fremde Welten aus verschiedenartiger Materie, vom Zufall für einen Augenblick zusammengeschleudert, sausten aneinander vorbei, machten viel und gewaltiges Geräusch und spien Feuer und Funken und Flammen gegeneinander, jede nach _ihrer_ Art und ohne bei der anderen zünden zu können. Und sausten dann, jede in ihrer Richtung, weiter und überließen es dem Zufall, wieder einen Zusammenprall herbeizuführen und zu entscheiden, welche von ihnen wohl dann die andere aus der Bahn schleudern würde. * Blücher stand vor seinem Herrn und König und freute sich ungemein, denn er wurde hier, im preußischen Hauptquartier zu Bartenstein, mit lauter guten Neuigkeiten empfangen. Die Kabinettsregierung war beseitigt, Lombard entlassen, Beyme fallfertig und Blüchers über alles geschätzter Freund Hardenberg seit gestern Staatsminister und Leiter der gesamten Politik. Fehlte nur noch Stein, der in Ungnade Entlassene, und sein Glück wäre vollständig gewesen. Der König hatte ihn umarmt und geküßt und sich hilflos nach einem Orden für ihn umgesehen. „Haben keine Sterne mitnehmen können bei der eiligen Abreise!“ sagte er. Hardenberg half dann mit seinem Schwarzen Adler aus, und der König heftete ihn selbst Blücher an die Brust. Blücher fing dann an schwarz zu malen und gab eine erhebende Schilderung von dem hoffnungslosen Zustand der französischen Armee, die man mit Leichtigkeit vernichten könnte, wenn man es jetzt sofort versuchte. „Majestät,“ sagte er, „ich steh’ mit meinem Kopf dafür ein. Wenn ich nur dreißigtausend Mann unter meinem Befehl habe, dann durchbreche ich die französischen Linien und werfe den Feind wenigstens bis auf die Oder zurück. Ich bin mit offenen Augen durch das von ihm besetzte Gebiet gekommen. Seuchen überall, Mangel an Proviant, Mangel an Munition; die Leute marode und deprimiert von dem ungewohnten Klima; die Wege entsetzlich! In den nächsten vier Wochen können keine Verstärkungen zur Stelle sein! Wenn wir jetzt dazwischenfahren, dann sind sie vernichtet – dann kommt’s zu einer Katastrophe, die dem Krieg eine neue Wendung geben und unseren Leuten den Nacken wieder steifen wird! Wir werden, wenn wir jetzt den Coup wagen, überall, in Hessen, am Rhein, in der Mark, Aufstände haben, wir werden die Franzosen über den Rhein zurückjagen, und daran wird’s nicht fehlen. Glauben Majestät, daß der Kaiser Napoleon nach seinen großen Siegen über uns um den Frieden bitten würde, wenn er es nicht bitter nötig hätte? Nein! Ich habe ihm in die Seele geschaut! Eine Stunde lang hat er auf mich eingeredet – viel habe ich nicht davon verstanden! Aber so viel habe ich begriffen: er schwefelte mir so eifrig vor von der Notwendigkeit _für uns_, einen Separatfrieden zu schließen, daß ich von der Notwendigkeit _für ihn_ überzeugt wurde! Und ebenso eifrig wie er selbst waren seine Leute. Wo aber der Franzose so liebenswürdig wird, da _will_ er auf diese Weise immer etwas ergaunern, was er anders nicht bekommen kann. Sonst wäre er der letzte, sich die Mühe zu geben, sonst nimmt er, was ihm beliebt und wie’s ihm beliebt und fragt nicht erst nach der Meinung anderer!“ Es wurde die alte Geschichte. Der König sah es wohl ein – der General mochte schon recht haben –, es wäre nicht ausgeschlossen, jetzt durch einen kühnen Handstreich einige Vorteile über den Kaiser der Franzosen zu gewinnen! Nach der Schlacht bei Eylau war er ja schon bedeutend entgegenkommender geworden! Allein man dürfe nicht sein Letztes auf eine Karte setzen! Die Armee war bis auf fünfundzwanzigtausend Mann zusammengeschmolzen: allein könnte man nichts gegen die Übermacht unternehmen – man wäre sowieso von der Hilfe der Russen abhängig. Es wäre also das richtigste, zuerst mit dem Kaiser Alexander zu reden – wenn er den Plan Blüchers billigte, so würde der König auch nicht dagegen sein! Er, Blücher, sollte sofort zum Kaiser mitkommen! Das war für diesmal schon viel erreicht. Guten Muts folgte Blücher dem König nach dem Quartier des Kaisers Alexander. Dieser war gleich Feuer und Flamme. Gewiß! Das wäre ja glänzend, das wäre brillant! Das müsse gemacht, das würde sofort ins Werk gesetzt werden! Darauf könne sich Blücher verlassen, und die verlangten Truppen bekäme er! Der Kaiser sagte dem General noch die schönsten Komplimente und Schmeicheleien für seinen mutigen Rückzug nach Lübeck, und bedankte sich sehr für den außerordentlichen Dienst, den Blücher der russischem Kriegführung dadurch geleistet hatte, daß er die Franzosen so lange vom Osten abzog. Er war so aimabel, so charmant, wie es nur ein russischer Gardeoffizier sein kann. Seine Begeisterung war so soigniert, so wohlgepflegt und ohne Überschwang, seine ganze Art, sich zu geben, so korrekt und elegant, daß Blücher ganz übel zumute wurde. Von diesem geschnürten, parfümierten, gut frisierten und schönen jungen Mann waren keine derben Hiebe, keine großen Entschlüsse und vor allem keine Ausdauer zu erhoffen, das wußte er gleich! Und auch, daß mit schönen Worten und Schmeicheleien nach Art der Franzosen von ihm alles zu erreichen wäre. Seine Zustimmung gab der Kaiser also auf der Stelle, jedoch alles Nähere müsse Blücher mit seinem Oberkommandierenden, dem General von Bennigsen, vereinbaren. „Mit dem werde ich wohl fertig“, dachte Blücher. „Der ist ja ein Deutscher wie ich!“ Und er ging hin. Viel Deutsches war aber nicht mehr an dem kleinen russischen General mit dem bauernschlauen, verschmitzten Gesicht zu entdecken – wenn nicht der Hochmut deutsch ist. Denn mit unsäglich mitleidsvoller Verachtung blickte er auf Blücher nieder, der ja das Unglück hatte, preußischer Offizier zu sein, was in Bennigsens Augen, nach Jena, ungefähr das allerletzte war! Und dieser hergelaufene alte Husar, der wollte ihm noch ins Handwerk pfuschen – der wollte selbständig kommandieren, auf eigene Faust Krieg mit dem Kaiser Napoleon führen, vor dem seine Landsleute so brav davongelaufen waren?! Ihm, Bennigsen, käme man nicht mit dergleichen! Ihm, der vor nicht allzulanger Zeit einen Zaren vom Thron gestoßen und dem jetzigen Kaiser die Krone aufs Haupt gesetzt hatte, der also in Rußland – das heißt im größten Reiche der Welt – das Heft in der Hand hielt! Sein junger Kaiser war da wieder viel zu gutmütig, viel zu liebenswürdig gewesen! Er war ein großes Kind! Er ließ sich von allen möglichen Abenteurern blauen Dunst vormachen, und nachher müßte er, Bennigsen, der einzige von allen Mördern seines Vaters, den er noch um sich duldete, die Sache wieder einrenken! Das würde er auch jetzt besorgen! – Die Rechte in die Weste geschoben, die Beine übereinandergeschlagen, der Blick weit über Blücher hinaus in die Ferne schweifend, so stand er da, an den Ofen gelehnt, ließ sich Vortrag halten und geruhte dann in Gnaden zu sagen: die Idee wäre ganz gut, aber vorderhand nicht auszuführen! Sie fordere Vorbereitungen! Und Vorbereitungen, das hieße Zeit haben! Indessen wollte er sich alles genau überlegen! Worauf Blücher gereizt erwiderte, überlegt und erwogen wäre schon mehr als genug. Wollte man noch damit Zeit vertrödeln, dann ginge inzwischen die günstige Gelegenheit verloren. Napoleon bekäme wieder frische Truppen, Munition und Proviant und würde sicherlich nicht zögern, sofort vorzugehen und die Russen über die Grenze zurückzuwerfen. Das wäre ihm nicht unwillkommen, sagte dann der Renegat, ohne die Hand aus der Weste herauszunehmen. Er würde sich sogar freuen, käme er bald aus diesem elenden Ostpreußen wieder in seine geliebte russische Heimat zurück. „So, auf _die_ Weise?“ versetzte Blücher dann und rief den anderen Offizieren, die mitgekommen waren, zu: „Kommt, Kinder, hier haben wir nichts zu suchen! Wir sind verraten und verkooft!“ Er drehte Bennigsen den Rücken und ging und fluchte, weil wieder eine gute Gelegenheit versäumt wurde, wo durch rasche Entschlossenheit und schnelle Tat alles gewonnen werden konnte. Aus seinem schönen Husarenstreich wurde nichts. Aber trotz alledem wurde am nächsten Morgen drüben bei den Franzosen Alarm geblasen und ein Hallo gemacht, als würde die Welt aus den Angeln gehoben. „Die Russen sind da! Die Preußen rücken an und fallen uns in die Kantonierungen!“ schrie alles durcheinander. Die Trompeten schmetterten, die Trommeln schlugen, Adjutanten und Stafetten flogen hin und her, man schrie, kommandierte, fluchte und schimpfte. Napoleon war außer sich über seine Gutmütigkeit, den alten Haudegen Blücher so leichten Kaufes entlassen zu haben! Der war sicherlich nicht mit geschlossenen Augen durch die französischen Linien gekommen! Der war der rechte Mann, eine gute Gelegenheit auszunützen! Der kümmerte sich den Teufel um schlechte Wege und Unbill des Wetters, auf die sich das französische Feldkommissariat stets herausredete, nicht zum mindesten jetzt, wo es außerstande war, Munition, Kanonen und frische Truppen heranzuführen – vom Proviant gar nicht zu reden! Die ganze Kavallerie sollte heraus, dem Feind entgegen und ihn aufhalten, bis die anderen Truppen, die noch in ihren Quartieren zerstreut lagen, versammelt wären. Kaum befohlen, klabasterten die kleinen Chasseurs wie die Deubels gegen die Passarge los, von wo man die ganze Nacht ein Geschrei und Getöse gehört hatte, als wäre die große russische Armee eben im Begriff, über den Fluß zu gehen. Mit altgewohntem Elan ritten sie gegen die ungebetenen Gäste auf, die Karabiner schußbereit, die Lanzen geschwungen. So kamen sie an das Ufer der Passarge, ohne einen Schuß abzubekommen – hielten mitten im tollsten Ansturm inne, sperrten die Augen und die Mäuler auf und dachten an alte Märchen von Wassernixen, die als Schwäne vermummt das Weite suchen, wenn Gefahr naht, und wunderten sich, wo die Moskowiter auf einmal das Fliegen gelernt hatten, und wie die schmutzigen, bärtigen Kerls so schneeweiß wie die Engel gen Himmel schweben konnten, wo sie doch eigentlich wie die Teufel aussehen müßten und in die Hölle gehörten! Denn zu Tausenden und aber Tausenden flogen bei Sonnenaufgang mit lautem Getöse wilde Schwäne von der Wasserfläche auf, zogen ihre weiten Kreise, stiegen ohne Aufenthalt ins Blaue hinein und ließen unten Lanzenreiter und Chasseurs mit gestreckten Hälsen sitzen und gaffen und das große Wunder des hereinbrechenden Frühlings anstaunen, gegen das kein Kaiser und kein König mit seinen Rossen und Reisigen aufkommen kann, wie gewaltig und mächtig er auch ist. 11 ZWISCHEN DEN SCHLACHTEN Im Schlosse zu Königsberg saß, brav und bieder, Blücher am Teetisch der Königin Luise und zupfte Scharpie. Er brummte wohl leise in den Bart, schmunzelte aber dabei und gab sich nach Möglichkeit den Anschein, als sei dies Werk der Liebe und nicht das rauhe Handwerk des Krieges so recht nach seinem Sinn. Er zupfte einen Faden – er zupfte zwei und legte sie behutsam vor sich auf den Tisch. Wären es Karten gewesen, sie wären schon anders dahergekommen! Der dritte Faden flog auch bei dem Gedanken mit ganz anderem Schwung aus der Hand und kam mit einem leichten Schlag auf die Platte. Die Königin blickte von ihrer Arbeit auf und lächelte unfreiwillig. Blücher lächelte zurück, und sein Gesicht strahlte in gläubiger Verehrung und inbrünstiger Anbetung. Denn um die schöne Königin herum tauchten vor seiner Phantasie plötzlich all die Holden auf, denen seines langen Lebens Minnedienst gegolten hatte. Heilige waren das wohl nicht gewesen! Er hatte aber auf den Knien vor ihnen gelegen und hatte sie gläubig angebetet! Und aus der Erinnerung seliger Stunden lächelten sie ihm noch heute ihren Dank zu, weil er es verstanden hatte, ein wenig Sturm in ihre Stille zu bringen! Heilige nicht – aber doch umstrahlt von der ewigen Glorie eines freudig geschenkten und ebenso freudig empfangenen und erwiderten Gefühls – das einzige, was dem Leben hienieden den vollen Abglanz der Ewigkeit zu verleihen vermag. So etwas mochte wohl in den Blicken des alten Frauenverehrers gewesen sein, als er zu seiner jungen, liebreizenden Königin aufblickte. Aber auch, daß sie _jetzt_ war, was die anderen alle nur noch gewesen waren – der Inbegriff all dessen, was das Herz eines Mannes zur Anbetung zwingen kann: Jugend, Schönheit und inniges Gefühl, das locken und necken und kühnem Angriff Abwehr bieten konnte, aber auch, wenn es galt, einen Tanz wagen und freudig mitfliegen mochte – kurz, gerade so bodenständig und unheilig, wie sich das Herz eines alten Husaren die Mutter Gottes vorstellen mag – so und nicht anders! – – Die Königin verstand wohl auch Gedanken zu lesen, denn vor den feurigen Blicken Blüchers senkten sich ihre Augen, und in ihr Lächeln kam ein Anflug von Spott. Das genügte vollauf, um Blücher auf das gebührende Maß alleruntertänigster Verehrung zurückzuführen. Als Belohnung befahl die Königin, ihm Tee zu reichen, und tat gnädigst, als merke sie gar nicht, wie er mit der Gewandtheit eines Taschenspielers den Leinwandlappen, an dem er notgedrungen zupfte, unter dem Tisch in seiner Säbeltasche verschwinden ließ. „Es ist schön von Ihnen, General,“ sagte sie vielmehr, „daß Sie uns bei unserem Liebeswerk so eifrig helfen wollen!“ Und Blücher in Wahl und Qual zwischen dem Tee und der Scharpie, griff entschlossen nach einem neuen Leinwandstreifen und zog mit viel Mühe einen Faden heraus. „Wie immer gehorsamst zu Diensten, wenn Majestät befehlen!“ sagte er, eifrig zupfend. „Ich gestatte mir aber alleruntertänigst darauf hinzuweisen, daß es mir _bei diesem_ Liebeswerk viel an der rechten Übung fehlt. Wir Soldaten sind gewohnt, in ganz anderer Weise mit der Scharpie in Berührung zu kommen! Ich meine so, daß sie sich schmerzstillend auf unsere Wunden legt. Und wenn wir dabei der zarten Hände gedenken können, die, von Mitleid bewegt, uns so weiche Wohltat bereiten halfen, das vermehrt die Heilkraft und stillt unsere Schmerzen sicherlich besser, als wenn wir selbst sie zubereitet haben!“ Gesagt, und der zweite Lappen lag beim ersten in seiner Säbeltasche. Die Königin lächelte. „Wie schön Sie das auch vorbringen, General,“ sagte sie und schob ihm noch ein paar Streifen zu, „wir erlassen es Ihnen doch nicht, uns zu helfen. Der Wunden gibt es viel mehr als Hände, die Schmerzen zu lindern! Zupfen Sie also brav weiter und erzählen Sie uns dabei von Ihren Irrfahrten –“ „Meine Irrfahrten, Majestät,“ sagte Blücher ernst, „die ergeben sich alle aus einer einzigen unauslöschlichen Schmach, in der wir leider noch leben, und von der ich alleruntertänigst mir zu gestatten bitte, nicht sprechen zu müssen. Es sei denn, daß ich davon sprechen darf, wie wir sie wieder gutmachen. Denn das ist kinderleicht!“ „Meinen Sie?“ „Das meine ich! Nur wollen und wagen und die gute Gelegenheit ausnützen, dann hat’s keine Gefahr. Denn unsere Soldaten – nun, die haben bei Eylau gezeigt, wie sich ein preußischer Soldat schlägt – sie haben da unsere Waffenehre gerettet.“ „Das sind Helden!“ sagte die Königin gerührt. Und Blüchers Augen blitzten. „Wie die Kerle da zu den Klängen des ‚Alten Dessauer‘ über die Schneefelder Sturm liefen, daß die Bajonette im Abendsonnenschein blitzten!“ sagte er begeistert. „Ich kann’s sehen, als wäre ich dabei gewesen, wie sie mit der Gewalt einer Meeresbrandung alles vor sich herfegten – ich kann den Donner ihrer siegenden Hurrarufe hören –, und _das_, Majestät, das tut meinem Herzen wohl, nach all der Schmach!“ Er zupfte wieder ein paar Fäden und verbiß die Rührung. „Und was ich jetzt von Kolberg höre,“ sagte er dann, „von den kühnen Ausfällen Schills, von seinen Streifzügen, von dem heldenmütigen Geist der Bürgerschaft, die von der Aufgabe der Festung nichts wissen wollte. So hätte es überall sein müssen, die Leute hätten sich nur mit der Bitte um andere Kommandanten an den König wenden sollen, da hätten wir alle unsere Festungen noch. Denn es gibt unter uns mehr solche Leute wie der Major Gneisenau, der sich jetzt so brav in Kolberg hält. Aber – – wenn man bedenkt, daß die vierzehn preußischen Generäle, die in Magdeburg gefangen wurden, zusammen dreizehnhundert Jahre alt waren – da ist’s kein Wunder!“ Die Königin lächelte. „Es können nicht alle so jung sein wie Sie, General“, sagte sie mit sanfter Anspielung auf seine fünfundsechzig Jahre. „Gewiß nicht, Majestät“, antwortete Blücher unbefangen. „Aber wenn wir jungen Leute nicht die vielen Vordermänner gehabt hätten, dann hätten wir ein Kommando gehabt und Gelegenheit, manches anders und vielleicht auch besser zu machen!“ Der Königin war es peinlich, in ihrem Salon so offenen Tadel über Leute zu hören, unter denen es doch manchen verdienten Mann gab. Sie unterbrach den General. „Sie wollten mir doch von Ihren eigenen Taten erzählen“, sagte sie, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken. „Zu Befehl!“ sagte Blücher. „Ich war auch dabei, alleruntertänigst von den Taten zu referieren, die ich wohl planen, aber noch nicht ins Werk setzen durfte!“ Die Königin empfand den unausgesprochenen Vorwurf gegen den König, der in der Antwort verborgen war, und antwortete nicht, blickte auch nicht von ihrer Arbeit auf. Blücher benutzte rasch die Gelegenheit, wickelte unterm Tisch den Leinwandstreifen vom Finger ab und ließ ihn wie die anderen schnell verschwinden. Aber doch nicht so schnell, daß es die Königin nicht sah. Sie lächelte wieder und blickte ihn an. „Wir verstehen wohl, worauf Ihre letzten Worte hindeuten“, sagte sie gnädig. „Uns sowohl wie dem König wäre es auch lieber, Ihren Mut und Ihre Einsicht in geeigneterer Weise betätigt zu wissen, als es jetzt leider der Fall sein kann. Wir bedauern am meisten, daß Sie nicht hoch zu Roß, an der Spitze einer Armee, gegen die Eindringlinge vorstürmen können. Am König und an mir liegt’s nicht, wenn Ihren Wünschen nicht stattgegeben werden konnte. Ich meinerseits kann Sie also heute nur so beschäftigen wie jetzt und dazu den Vers machen: Kommt Zeit, kommt Rat! Aber Sie haben kein Leinen mehr, lieber General – hier!“ und sie reichte ihm höchstselbst wieder einen neuen Streifen. Er nahm ihn gehorsamst, dankte alleruntertänigst, zupfte an seinem Schnurrbart, blickte melancholisch in seine Teetasse und sehnte sich unchristlich nach einem guten Rotspon und einer Pfeife echten Knasters, fand sich aber dann in die Plage, schlürfte gottergeben seinen Tee und zupfte einen Faden – zupfte gar zwei. „Halten zu Gnaden,“ sagte er dann plötzlich und ließ die Hand aufs Knie sinken, „wollen Majestät gnädigst verzeihen, wenn ich trotz dem Gesagten es doch wage, Majestät um Allerhöchstdero Vermittelung beim König anzuflehen! Denn noch ist es nicht zu spät, gegen den Franzmann vorzugehen! Noch ist die Gelegenheit gut!“ „Zeigen Sie Ihren guten Willen, zupfen Sie brav!“ sagte die Königin scherzhaft, ohne auf den ernsten Ton des Generals einzugehen. Denn sie hatte wiederum gesehen, wie der spitzbübische Alte einen ihrer kostbaren Leinwandfetzen in seine Säbeltasche schmuggelte. „Sie müssen mir noch einen ganzen Haufen Scharpie abgeben. Wer weiß, welche Ritterdienste Ihrer noch harren, wenn Sie die Probe mit Glück bestehen!“ Blücher fügte sich und zupfte brav eine Weile und dachte dabei zurück an die Friedenszeit in Münster, mit der vielen unfreiwilligen Schreibarbeit, in der er damals nicht allzu eifrig mit seinem Freunde Stein wetteiferte! Ob Stein es sich wohl auch mitten im Krieg gefallen lassen würde, acht Tage hintereinander Tee zu trinken und Scharpie zu zupfen, statt seine Pläne zum Wohle des Staates mit aller Energie auszuführen? Er lachte innerlich bei dem Gedanken an seinen schroffen, stämmigen alten Freund, den wohl nicht einmal der Liebreiz der Königin Luise gezwungen haben würde, so galant zu sein! Stein hatte übrigens jedem Mißbrauch seiner Kraft vorgebeugt. Er hatte seine Meinung offen und ungeschminkt dem König ins Gesicht gesagt und seine Strafe empfangen – war ungnädig entlassen worden, gerade jetzt, wo er mehr denn je nötig war. Der Gedanke machte Blücher zornig. Er knüllte den Lappen in der Hand zusammen, hob, ohne diesmal zu schmuggeln, seine Säbeltasche hoch, schob mit trotziger Energie die Hand hinein und tat ohne Umschweife den Lappen zu den anderen. „Ei, die schöne Säbeltasche!“ sagte die Königin. „Geben Sie her, General! Die muß ich mir genau ansehen!“ Und Blücher hakte gehorsamst die Säbeltasche los und überreichte sie seiner hohen Gebieterin. Die Königin nahm sie, betrachtete sie genau, drehte und wandte sie nach allen Seiten, untersuchte, wie sie zu öffnen sei, blickte auch hinein und fand ihre geraubten Leinwandfetzen drin hübsch säuberlich beieinanderliegen. „Ach sieh“, sagte sie hold lächelnd und hielt ihren wiedergewonnenen Schatz hoch. „Seht nur den braven General Blücher! Nicht genug, daß er sich hier bei uns im Dienste der Nächstenliebe bemüht, er will sich auch zu Hause weiter betätigen – er hat sich Arbeit mitgenommen! Fürwahr, ein leuchtendes Beispiel ritterlichen Opfermuts. Indes, das dürfen wir nicht annehmen. Die Leinenstreifen behalten wir hier. Sie werden doch nicht darum kommen, sie zu zupfen, General! _Wir heben sie Ihnen bis morgen auf_, wo wir Sie wiederum zum Tee und Scharpiezupfen erwarten!“ Worauf die Königin die Säbeltasche zurückgab, die Leinwandstreifen vor sich auf den Tisch legte und sie ausglättete. Blücher war aber einer schönen Dame gegenüber niemals auf den Kopf gefallen, auch nicht, wenn es eine Königin war. Er stand also auf, verbeugte sich galant, nahm der Königin rasch wieder seine ersparten Leinwandstreifen ab, drückte sie gegen sein Herz und sagte: „Halten zu Gnaden, Majestät, wenn ich diese Leinwandstreifen an mich nahm, so war es keinesfalls, um sie zu Hause noch in Scharpie zu verwandeln, vielmehr, um sie davor zu bewahren. In der Armee gibt’s so manchen ritterlich gesinnten jungen Mann, der jederzeit bereit ist, mit Freuden Blut und Leben für sein Königshaus und seine Heimat zu opfern. Unter all den jungen Leuten gibt’s aber keinen – wie auch unter uns alten nicht –, der nicht das Bild unserer liebreizenden Königin im Herzen trüge. Sie ist in Wahrheit unsere Schutzheilige geworden. Und deshalb wollte ich den kühnsten unter den wackeren Streitern diese Streifen verehren, auf daß sie sich damit schmücken wie früher der Ritter, wenn er in die Schranken ritt, die Farben seiner Herzensdame am Helm, und so zu immer größeren Heldentaten entflammt werden. Das dünkt mich der Sache unseres Vaterlandes nützlicher, als wenn daraus Scharpie gemacht wird!“ „Uns aber nicht“, sagte die Königin, die ein leichtes Erröten bei den Worten des alten Schwerenöters nicht unterdrücken konnte. „Wir freuen uns über die Zuneigung, die aus Ihren Worten spricht, Herr General, sind aber nicht so eitel, für unsere Person Ritterdienste anzunehmen, die einzig und allein dem Lande zu gelten haben. Die Leinwandstreifen geben Sie mir nur wieder her. Wir haben dafür etwas anderes, das wir Ihnen in die Säbeltasche hineintun möchten, damit Sie doch nicht ganz leer ausgehen. Hier –“, sie entnahm einem, auf einer Konsole neben ihr stehenden Nähkorb einen Brief und reichte ihn Blücher. – „Nehmen Sie das mit, aber lesen Sie’s erst, wenn Sie zu Hause sind! Der König gab es mir für Sie! Er schreibt Ihnen hoffentlich viel Erfreuliches drin! Und nun wollen wir Sie für heute nicht länger in Anspruch nehmen. Sie werden neugierig sein und wissen wollen, was in dem Briefe steht!“ Sie reichte Blücher die Hand, und er küßte sie, verbeugte sich tief und ging. Schon im Vorzimmer erbrach er das königliche Schreiben. Es enthielt die Ernennung zum Kommandanten eines neu zu bildenden Korps, das von Pommern aus, mit schwedischen und englischen Hilfstruppen vereint, im Rücken der französischen Armee operieren, so die Bewegungen der Hauptarmee erleichtern und womöglich auch die beiden Festungen Kolberg und Danzig entsetzen sollte. Die Ernennung erfolgte auf ausdrückliches Ersuchen des Königs Gustav Adolf von Schweden, der den General Blücher gern zum Befehlshaber des verbündeten preußischen Kontingents haben wollte. „Da wären wir gewissermaßen wieder in schwedischen Diensten angelangt“, sagte Blücher, steckte das Schreiben ein und verließ das Schloß, nicht gerade erfreut. Ihm wäre es lieber gewesen, schon jetzt und in ganz anderer Weise den großen Wurf gegen Napoleon zu wagen, der so mit Händen zu greifen und gar nicht zu verfehlen war. Dagegen dünkte ihn jenes Kommando in Schwedisch-Pommern wie eine Verbannung. * Es war ein heißer Sommertag. Der Roggen blühte, die Ähren standen dicht und steif über den Feldern am Memelfluß. Hier und dort stieg eine leichte Wolke feinen Samenstaubs in die Luft, schwebte in niedriger Höhe über den Feldern und senkte sich wieder. Kein Blatt bewegte sich. Inmitten eines Feldes, unweit vom Fluß, rieselte eine leichte Bewegung durch die Ähren und pflanzte sich im Zickzack quer durchs Feld fort bis zum Grabenrand. Und da kam – eine Maus heraus, blickte sich scheu nach allen Seiten um und lief dann im Grase weiter dem Fluß zu. Aber nicht vorsichtig genug, um unbemerkt zu bleiben. Der scharfe Blick eines Bussards, der hoch oben in den Lüften seine Kreise zog, hatte die Bewegung in den Ähren erspäht. Kaum hatte die Maus den schützenden Strohwald verlassen, so schoß er pfeilschnell hinunter, packte sie und schwang sich hoch über dem Fluß in die Höhe, seinen Raub in den Krallen. Ein Schuß – ein krampfhaftes Schlagen mit den Flügeln – die Krallen ließen ihre Beute los – ein kurzes hilfloses Flattern, und dann stürzte der Räuber schwer getroffen zu Boden. Sein Opfer aber schwamm gerettet unten im Fluß auf das nächste Ziel zu – ein mächtiges Floß, das mitten im Wasser verankert lag. Von keinem bemerkt, erreichte die Maus die rettenden Planken, kroch aus dem Naß herauf, lief rasch über das Floß auf einen daraufstehenden Pavillon zu, schlüpfte unter den Vorhängen hinein und verschwand. Es war kein gewöhnliches Floß, auf dem die Maus so unverhofft gelandet war. Über Nacht auf Befehl eines mächtigen Kaisers entstanden, trug es auf seinem glatten Bretterbelag einen aus kostbaren Stoffen und Teppichen hergerichteten Pavillon, bestimmt, die beiden größten Herrscher und Gebieter der gewaltigsten Kriegshaufen der Erde zu friedlicher Zwiesprache zu vereinen. Der Zar aller Reußen, bei Friedland blutig aufs Haupt geschlagen, hatte Napoleon um Waffenstillstand gebeten und zugleich den Wunsch geäußert, den „größten Mann des Jahrhunderts“ persönlich zu sprechen. Napoleon willigte ein, legte die Zusammenkunft auf den nächsten Tag – den fünfundzwanzigsten Juni – und gab seinem Artilleriegeneral Lariboissière den Befehl, für einen möglichst pomphaften Rahmen zu sorgen. Mitten im Fluß, wo die Demarkationslinie verlief, wollte der Sieger den Besiegten empfangen. So kam es, daß gegen Mittag an den Ufern des Memelflusses die beiden feindlichen Armeen Aufstellung nahmen. Was an Bevölkerung da war, wurde gleichfalls zusammengetrommelt, um mit dem bevorstehenden, glanzvollen Schauspiel beglückt zu werden. Alles war also vereinigt, was zu einer gelungenen Vorstellung gehört: ein geräumiger, leicht zu überblickender Schauplatz, prunkhafte Dekorationen, ein dankbares Publikum und eine stimmengewaltige, gut gedrillte Claque. Die Hauptdarsteller ließen noch auf sich warten. Der Schuß, der vorhin flußaufwärts gefallen war und der dem Mäusebussard das Leben gekostet hatte, hatte nicht viel Aufregung verursacht. Man hatte das Opfer gesehen und den Täter als einen der Baumeister des Flosses festgestellt, dem kein Attentatsgelüst auf einen hohen Herrn zuzutrauen war. Das Publikum hatte den Knall als Zeichen zum Beginn des Spektakulums aufgefaßt und war enttäuscht, weil nichts daraus wurde. Denn noch hatte die Uhr nicht eins geschlagen. Und pünktlich um eins sollte die weltbewegende Begegnung stattfinden. Die Zeitchronisten haben es unterlassen, die hochwichtige Feststellung zu machen, ob die Uhr die Ehre hatte, nach französischer oder russischer Zeit die bedeutsame Stunde zu schlagen. Die russische Uhr geht bekanntlich vor. Aber Rußland war besiegt und konnte also gereimterweise keinen Anspruch auf den Vortritt erheben. Und der Franzmann ist galant, wenn er nur als Sieger einherschreiten darf, und demütigt seinen Besiegten nur, wenn er von ihm keine Vorteile erhoffen kann. Anzunehmen ist wohl, daß die Arrangeure des Schauspiels sich auf preußische Zeit geeinigt hatten, da man ja Preußen erobert und es auch sonst in jeder Hinsicht in der Tasche hatte. Preußen gab den Boden für die Veranstaltung her, die Bohlen und Bretter, Stoffe und Teppiche und das ganze gemeine, schaulustige Volk. Es würde überhaupt die Zeche zu zahlen haben. Warum sollte es denn nicht auch die Zeit angeben! Im übrigen war Preußen nicht zum Friedensfest geladen. Der König von Preußen war wohl bei der Kunde vom Waffenstillstand schnell nach dem kleinen Jagdschloß Szawl geeilt, wo der Zar sein Hauptquartier hatte, und folgte dem Zaren von dort nach dem Dorfe Picktupöhnen, Tilsit gegenüber, wo sie beide Wohnung nahmen. Er war mit Recht besorgt. Denn weder war er gefragt worden, noch hatte man ihn in die Konvention über den Waffenstillstand mit aufgenommen. Er hätte sich mit Recht sogar entrüsten können. Denn vor kaum zwei Monaten hatte der Zar mit ihm eine andere Konvention geschlossen, in der sich beide Vertragschließenden verpflichteten, nur gemeinsam die Waffen niederzulegen. Aber als regierender Herr wußte der König wohl Bescheid, welche Sonderheit solche politischen Verträge an sich haben. Er hielt jedoch nicht mit Vorwürfen zurück. Der Zar aber nahm die Sache weiter nicht tragisch. Er befand sich in der Lage eines jungen Mannes von Welt, der das Pech gehabt hat, ein Spiel zu verlieren. Mit unbefangener Miene begleicht er den Verlust. Wie hoch er auch ist, der gute Ton gebietet, ihn als Bagatelle anzusehen. Man verbeißt sich den Ärger, nimmt frische Karten und versucht bei einer neuen Runde noch einmal sein Glück – bis es sich einem zuwendet. Das ist das Spiel. _C’est la guerre!_ Nur nicht die Haltung verlieren, dann kann man Unsummen verlieren und hat doch im Grunde nichts verloren! Am allerwenigsten den Glauben und das Zutrauen zu dem eigenen Können! Den Glauben hatte der Zar! Er war ein Genie, und das nicht nur in seinen eigenen Augen. Seine gleichaltrigen Freunde, Dolgorucki, Lobanoff und all die anderen, sie schwuren sämtlich darauf. So wie er verstände es keiner, mit durchblickendem Scharfblick jede Situation sofort bis auf den Grund zu erschöpfen, den springenden Moment zu erfassen und gleich zu entscheiden, was in jedem Fall zu tun – gewesen wäre. Denn das wußte er. Den Treppenwitz hatte er. _Nachher_ – aber erst dann – geruhte Seine Zarische Majestät die Erkenntnis Ihrer Allweisheit kundzutun, wenn seine Generäle schon mit echt russischer Schlamperei die Schlachten verloren und die Feldzüge verbummelt hatten. Denn das verstanden _sie_. Und der Zar war großmütig, der Zar war gnädig. Er war eine Seele von Mensch und schlug ihnen nicht die Köpfe ab. Er dachte mit Gleichmut: ein anderes Mal, wenn Gott ihnen eine nüchterne Stunde gibt, da erobern sie mir die Welt! Und winkte herablassend gleichgültig, lächelte kalt, behielt die Haltung und sagte: „Nitschewo!“ Trotzdem mochten die Generäle ihn nicht bei der Armee haben und taten ihr möglichstes, um ihm den Aufenthalt dort zu verekeln. Aber umsonst. Sie hatten seinen Busenfreund Czartoryski aufgewiegelt, ihm die Hölle heiß zu machen. Der Gute setzte ihm auch brav zu und bewies ihm haarklein, daß er, der Zar, bei seiner eigenen Armee nichts zu suchen hätte. Sein Platz wäre in Petersburg, sein Amt das Regieren. In der Führung von Armeen hätte er gar keine Übung, er wäre zu jung, zu unerfahren und was noch alles! Der Zar hatte wohl kalt gelächelt und „nitschewo“ gesagt. Aber wären nicht die anderen guten Freunde gewesen, er hätte sich vielleicht doch gefügt! Er, der Zar, hätte sich von seinen eigenen Offizieren wie ein Schulbube nach Hause schicken lassen. Aber Dolgorucki hatte ihn bei der Ehre zu packen verstanden! Er hatte ihn an den altrussischen Waffenruhm erinnert, dessen erster Hüter er jetzt sein müßte! Er hatte ihm haarklein bewiesen, daß nicht Gelehrtheit, nicht Erfahrung, sondern einzig und allein die faszinierende Persönlichkeit die Soldaten zur todesverachtenden Tapferkeit hinreißen und Schlachten gewinnen könnte. Und diese Fähigkeit, beim ersten Erscheinen die Leute hinzureißen, die hatte er, Alexander, wie kein Zar vor ihm! Er brauchte sich nur zu zeigen, und alles war Feuer und Flamme! Dies und noch viel mehr ging dem Zaren durch den Kopf, als er die nüchternen Ausführungen des sonst so wortkargen und gar nicht unterhaltsamen Königs von Preußen über sich ergehen lassen mußte. Er blickte dabei lächelnd und über seine elegante Erscheinung äußerst befriedigt in den Spiegel gegenüber, der ihm getreulich half, die Miene eines aufmerksamen Zuhörers zurechtzulegen, und ihn auch dadurch schließlich so weit brachte, ein wenig zuzuhören. Er lauschte also ein paar Sekunden den Auseinandersetzungen Friedrich Wilhelms – gerade so lange, wie nötig war, um zu kapieren, daß der König ihn an ihre vorjährige Begegnung in der Garnisonkirche zu Potsdam mahnte und auch an den feierlichen Treuschwur, den sie über dem Sarg des Großen Friedrich geleistet hatten! Mein Gott, es war ja eine ganz hübsche Szene gewesen! Gutes Theater! Das verstand er! Das hatte er gelernt! Man macht nicht umsonst eine Schule durch, wie er, der Zar, sie hatte durchmachen müssen! Wenn je einer, so hatte er gelernt, mit dem Tod im Herzen sich lächelnd und heiter zu zeigen und mit den Lippen zu scherzen, obwohl er bei jedem Schritt den Strick um den Hals fühlte! Stets den einen Fuß im Gefängnis, den anderen im Tanzsaal – stündlich vom väterlichen Zorn den Tod erwarten und doch den gehorsamen Thronerben und den liebenden Sohn herauskehren zu müssen! Den liebenden Sohn – einem Vater gegenüber, den er hassen mußte, weil er ihm ans Leben wollte, und dessen Entthronung er schließlich hatte gutheißen müssen, um das eigene Leben zu retten. Daß der Vater dabei sein Leben verlor – mein Gott, das war ja zu beklagen! Er hätte ihm schon das Leben gegönnt! Von ihnen beiden hatte nicht er dem Vater – der Vater hatte ihm ans Leben gewollt! – Und wenn der alte Herr dabei sein eigenes verloren hatte?! Nemesis! Im Leben wie auf der Bühne – alles Theater! Nur seine Rolle tadellos spielen! Darauf kam alles an! Das hatte er auch der lieben Mama gegenüber gekonnt, die so gern regieren wollte und so böse war, als die Garden ihm und nicht ihr nach dem Tode des Vaters huldigten. Wie hatte er sie dabei gebeten, ihm doch die Last der Krone abzunehmen! Und wie brav fiel sie darauf herein! Sprach ihren Herzenswunsch aus und gab sich ihm so in die Hand! Eine Komödie, wie sie im Buche steht! Er würde auch heute seine Rolle gut spielen! Kein Wort von Politik sprechen! Er würde den Korsen ganz leichthin über die Pariserinnen befragen! Er würde ihm von den schönen Russinnen vorschwärmen – beileibe nicht von Preußen! Wozu auch von Preußen! Wozu von ernsten Dingen! Man hatte ja seine Minister! Man käme doch zusammen, um sich persönlich kennenzulernen – sich gegenseitig in die Karten zu sehen –, nicht aber, um gleich alle Trümpfe auf den Tisch zu legen und offen zu spielen. Er wollte Napoleon mit hübschen Histörchen geschickt und elegant einwickeln – sein Vertrauen gewinnen und dann, so ganz nebenbei, ihm praktische Zugeständnisse entwinden, die er sich nicht weigern könnte zu machen, wenn er als guterzogener Mensch und als Mann von Welt etwas gelten wollte. Er würde ihm von seiner Jugend erzählen – von der Jugend eines Zaren. Den ehemaligen kleinen korsischen Artillerieleutnant, der sich so recht und schlecht durchgehungert hatte, müßte das doch interessieren! Er würde ihm Intimitäten von der Großen Katharina zuflüstern, von der lieben Großmama, die so gut für ihren Enkel zu sorgen wußte, die ihn schon als Knaben vom Baum der Erkenntnis naschen ließ, ihm hübsche Freundinnen zuführte und ihn lehrte, bei all den geheimen Schleckereien am vollgedeckten Tische der Liebe doch stets den Schein nach außen hin zu wahren, sich niemals erwischen zu lassen, sondern sich stets als Musterknabe Geltung zu verschaffen. Die Großmama, die hatte es verstanden! Die hatte ihm geholfen, den lieben Papa an der Nase zu führen! Von ihr wollte er Napoleon erzählen und dann von sich selbst! Vor allem von sich selbst als Heerführer! Das würde ein Spaß werden! Er würde Napoleon von den Schlachten erzählen, die sie miteinander geschlagen hatten! Von Austerlitz vor allem! Vom Kriegsrat seiner Generäle vor der Schlacht! Zum Wälzen war es, wie der alte Kutusoff dasaß und prompt wie immer einschlief, als die Beratung begann! Wie die anderen Leuchten dann, der Fürst Bagration, Buxhövden, Langeron _et tutti quanti_ – wie sie da herumstanden, sich von allem möglichen unterhielten und gar nicht zuhörten, was der biedere Deutsche, der General Weihroter, an der Hand der Karte Mährens zu erzählen wußte – wie sie gar nicht hinsahen – gar kein Deutsch verstanden! Nur Doktorow, der gute, der gewissenhafte, der bodenlos langweilige, er hörte zu, er begriff! Wie aber dann Kutusoff erwachte, auf den Tisch schlug und „Karascho!“ sagte – „das haben Sie gut gemacht, Weihroter! Meine Herren Generäle, Sie haben’s gehört? Sie haben’s verstanden? Nicht?! Ein Generalstabsoffizier soll’s also ins Russische übersetzen! Ein jeder soll es schriftlich in Händen haben! Und jetzt zu Bett!“ Und dann bekamen sie’s schriftlich – vier Stunden nachdem die Schlacht schon begonnen hatte! „Napoleon hat ja gar keine Ahnung, wie leicht wir ihm das Siegen gemacht haben! Er hat ja keinen Begriff von meinen Generälen! Von meinem Marschall Kamenski, der verrückt wurde, als er zur Armee nach Wilna kam und den Truppen sagte: Kinder, ihr seid verraten, am besten, ihr lauft gleich nach Hause! Und der selbst dann auch sofort mit gutem Beispiel voranging. So fingen _wir_ den Krieg mit Napoleon an! Und davon weiß er nichts! Er glaubt, er hat da etwas noch nicht Dagewesenes geleistet, als er uns schlug! Er sieht nicht, daß _wir_ nur gescherzt haben! Das werde ich ihm aber gehörig unter die Nase reiben – dann wird er klein, dann wird er die Ohren einziehen. Und dann werde ich ihm sagen: ‚Den russischen Soldaten, Sire, den haben Sie erst gesehen! Aber ihn noch nicht kennengelernt, _wenn er Ernst macht! Wir können auch Ernst machen, Sire!_ Aber wir wollen uns lieber vertragen!‘“ So leger – so von oben herab! Ich schone ihn – das wird der richtige Ton! – Nicht als Supplikant – als der Herr des größten Reichs der Erde – als der geborene Sieger – – der sich nur aus Höflichkeit, aus guter Erziehung schlagen ließ – der sich nur nicht damit abgeben _wollte_, ihn jetzt schon zu vernichten, weil, nun eben weil ich sein Genie bewundere! So wird’s recht! Ein Adjutant trat ein und meldete, daß die Uhr jetzt halb eins wäre, und daß man um ein Uhr vom Kaiser der Franzosen erwartet würde. Alexander stand auf, reichte seinem Bundesgenossen die Hand, versprach hoch und heilig, alles das getreulich bei seiner Unterredung mit Napoleon zu berücksichtigen, wovon der König von Preußen jetzt lang und breit gesprochen und wovon der Zar kein Wort gehört hatte – gab noch sein Ehrenwort, nichts davon zu vergessen – was ja auch nicht gut möglich war, da er nichts davon im Kopfe hatte –, verabschiedete sich mit brüderlichem Händedruck, sprach die Erwartung aus, nach der Unterredung mit dem Feinde die Beratung fortsetzen zu können, und ging. Friedrich Wilhelm blieb allein zurück und litt die nachträglichen Qualen aller zaghaften und unentschlossenen Naturen. Vor zwei Monaten, nach der verlorenen Schlacht bei Eylau, hatte Napoleon Preußen in seine Kombinationen einbeziehen wollen und ihm Wiederherstellung eines großen Teiles seines Gebietes und ein Bündnis angeboten, wenn Preußen von Rußland abließe. Friedrich Wilhelm hatte ihm einen Korb gegeben. Aus purem Anstand! Jetzt trat Napoleon in der gleichen Weise an Rußland heran. Der Zar würde aber sicherlich keinen Augenblick zaudern, Preußen im Stich zu lassen! Friedrich Wilhelm wäre ja selbst, trotz seinem Anstand, soviel Realpolitiker gewesen, von Rußland abzufallen, hätte Napoleon ihm nur den ganzen früheren Besitz wiedergegeben! Er durfte also dem Zaren keine Vorwürfe machen, wenn dieser eine gute Gelegenheit besser zu benutzen verstände als er selbst! Und hatte es seiner eigenen Unentschlossenheit zuzuschreiben, wenn er dem heutigen Verbrüderungsrummel, statt als Hauptteilnehmer, als betrübter Zuschauer aus der Ferne beiwohnen mußte. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Fünf Minuten vor ein Uhr ging am linken Ufer der Kaiser Napoleon, von einem glänzenden Gefolge begleitet, an Bord einer schön geschmückten Barke, von deren Hintersteven die Trikolore wehte. Am rechten Ufer betrat zu gleicher Zeit der Zar Alexander mit seiner Suite ein ebenso schön geputztes Fahrzeug und ließ das blaue Kreuz der Andreasfahne entfalten. Mit dem Schlage eins wurde Salut geschossen, die Musik intonierte links vom Fluß die unvermeidliche Marseillaise – rechts die ebenso unausbleibliche Zarenhymne. Zu gleicher Zeit stieß man von Land ab – links eine Nußschale weltlicher Größe, rechts eine Nußschale ebenso weltlicher Nichtigkeit – und paddelte brav und bieder nach der schwimmenden Bühne inmitten des Flusses hinüber, wo heute die Drahtzieher des _theatrum mundi_ eine ihrer Hauptszenen vom Stapel lassen wollten. Zur gleichen Zeit legte man am Floß an. Die beiden machten ihr Entree auf der Bühne und blieben wie auf Kommando freudig bewegt stehen. Der kleine große Mann legte geschwind nach dem Rezept Talmas ein paar Zoll seiner Größe zu, schob die Schultern hoch, hob sich leicht auf den Fußspitzen und schritt wie auf Kothurnen dem Zaren entgegen, die Arme liebevoll ausgebreitet. Indes der Zar, lang, elegant, geschniegelt, geschnürt, pomadisiert, frisiert und duftend wie ein ganzer Parfümerieladen, die Taille schmal wie die einer Wespe, die Brust gebläht, die Augen blitzend, das Lächeln zwei Reihen perlenweißer Zähne zeigend, mit der Grazie eines eleganten Kavaliers, der in der Quadrille gewandt gegen seine Dame hinbalanciert, auf sein kleines Visavis zutanzte und es tiefgerührt an seinen besternten Busen drückte. In gemessener Entfernung schaute in gläubiger Andacht das Gefolge zu, lauschte entzückt dem schmatzenden Bruderkuß und harrte geduldig dessen, was da noch kommen sollte. An den Ufern tuteten und trommelten die Musikanten, die Grenadiere Napoleons riefen „_vive l’empereur_“, die bärtigen „Naschi bratti“ drüben grölten etwas anderes, die braven Ostpreußen steuerten, um des lieben Friedens willen einige gutgemeinte Lebehochs bei, die Kanonen donnerten, im Zelt auf dem Floß flog die Maus in Todesangst die Wände hoch. – Sonst schwamm alles in eitel Wonne. Kurze Begrüßung des beiderseitigen Gefolges. Die Namen Murat, Bessières, Berthier, Duroc, Caulaincourt wurden laut, desgleichen Großfürst Konstantin „_mon frère_“, „_mon __ami_“ Fürst Lobanoff, General Bennigsen, Graf Lieven und noch ein General von des Zaren Gnaden. Dann lud Napoleon seinen Gast in den Pavillon ein und ließ ihm artig den Vortritt. Sie gingen hinein – die Vorhänge vor der Tür wurden zusammengezogen, und sie waren endlich allein. Mit staunender Bewunderung zu Napoleon emporzublicken, war bei der überragenden Körperlänge Alexanders nicht gut möglich. Das fiel also von selbst fort. Aber die Sicherheit, die gewinnende Liebenswürdigkeit und die natürliche Würde, mit der Napoleon sich gab, imponierten nicht weniger als die gewaltigen Erfolge, von denen er getragen wurde. Er begriff sofort: dem Manne konnte man nichts vormachen, da würde die geplante Komödie keine Wirkung haben, und jeder Versuch, überlegen zu tun, wäre bei ihm schlecht am Platze. Mit schnellem Blick hatte Napoleon seinen Gast eingeschätzt. Eitel, oberflächlich, unzuverlässig, gerade so hatte er sich ihn vorgestellt! Gerade so konnte er ihn gut gebrauchen! Ein vielversprechender junger Mann! Alexander sah, daß er dem Kaiser gefiel, und schäumte sofort von Herzlichkeit über. „Warum“, rief er, „müssen _wir zwei_ miteinander Krieg führen?“ „Seine Majestät, der Kaiser von Rußland, haben eben“, antwortete Napoleon verbindlich lächelnd, „sich dazu verleiten lassen, undankbare und eifersüchtige Nachbarn, wie die Deutschen, zu schützen, und den Interessen habsüchtiger Kaufleute, wie die der Engländer, zu dienen!“ Alexander fand sich bemüßigt, sich auf die Lippen zu beißen, und Napoleon beeilte sich, den Eindruck seines Vorwurfs schnell zu verwischen. „Den Bundesgenossen Englands bekämpfte ich in Eurer Majestät, niemals aber den Gebieter des großmächtigen Rußlands!“ Alexander horchte auf. „Wenn Sie nur den Kampf gegen England wollen, Sire,“ sagte er entschieden, „dann werden wir uns leicht verständigen! Denn wenn je einer, habe _ich_ mich über England schwer zu beklagen!“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, machte er gleich seinem Herzen Luft. England hatte ihn in den Krieg gelockt! England hatte, wie immer, seine Versprechungen nicht gehalten, seine Subsidien schlecht oder gar nicht bezahlt und Truppen nur zum Schein geschickt, viel später und in viel geringerer Zahl, als ausgemacht worden war! Rußland hatte eben nur den Angriff Frankreichs auf England ablenken, selbst aber nichts dafür haben sollen! Dafür zu bluten, wäre aber der russische Soldat viel zu gut! Dem pflichtete Napoleon ohne weiteres bei. Er hätte, sagte er, bei Austerlitz, bei Eylau und bei Friedland den russischen Soldaten als einen nicht zu verachtenden, ja als einen ebenbürtigen Gegner des französischen kennengelernt. Rußland und Frankreich, von Natur aus zu Freunden bestimmt, hätten wie zwei blinde Riesen aufeinander eingeschlagen. Warum? Sie wußten es selbst nicht! Einen Vorteil brächte der Kampf weder dem einen noch dem anderen. Vereint dagegen wären sie unwiderstehlich und würden die Welt beherrschen! Alexander schwieg. Er sagte kein Wort von seinem unglücklichen Bundesgenossen, der drüben am anderen Ufer unter den russischem Generälen wartete. Er blickte nur Napoleon an und lächelte. Napoleon verstand den Blick und erwiderte das Lächeln. Und dann fingen sie an, die Erde zu teilen. Erst erledigten sie den üblichen Betrug an den gegenseitigen Bundesgenossen. Denn wozu hat man Bundesgenossen? Was wäre überhaupt ein intimes Verhältnis ohne das bißchen Untreue? Erst die Untreue gibt ihm die rechte Würze! Um die Aufregung und den Reiz beim Seitensprung haben zu können, darum tritt man doch schließlich in intime Beziehungen zueinander – wenn man es auch erst nachträglich einsieht! Unter Leuten von Welt versteht sich so etwas von selbst. Jede Schandtat läßt sich plausibel machen! Schließlich – wozu hat man Geist – wozu Genie?! Als der Erfahrenste in solchen Dingen half Napoleon seinem jungen Gast, der die Anfängerschaft nicht ganz verleugnen konnte, über den ersten schweren Schritt hinweg und half ihm seine Bündnisverpflichtungen zerpflücken. Die Sache war ja so einfach. Als Freund und Verbündeter hatte man doch immer das Recht, ja sogar die Pflicht, bei den lieben Mitkämpfern zu intervenieren, wenn es Zeit war, das Blutvergießen einzustellen. Als Verbündeter Englands und künftiger Verbündeter Frankreichs konnte der Zar also England den Frieden mit Frankreich anbieten unter der Bedingung, daß England den Verbündeten Frankreichs – Holland und Spanien – ihre Kolonien zurückgäbe. Dafür sollte es selbst Hannover zurückhaben. Napoleon würde in diesen Frieden einwilligen. Weigere sich aber England, dann müsse man es unzweideutig wissen lassen, daß es mit dem ganzen Kontinent Krieg haben würde. Denn außer Frankreich und Rußland würden ihm dann Preußen, Dänemark, Schweden und Portugal den Krieg erklären müssen, sobald die beiden Verbündeten es von ihnen verlangten. Und man würde es verlangen. Schweden würde sich vielleicht weigern. Und das wäre gut. Denn dann könnte Rußland Schweden mit Krieg überziehen und ihm Finnland nehmen. – – Alexanders Augen leuchteten, als Napoleon ihm diese Zukunftsmöglichkeit vorgaukelte. Napoleon sah es. „Der König von Schweden ist allerdings Ihr Schwager“, sagte er lächelnd, und tat, als bemerkte er nicht die wegwerfende Bewegung, die Alexander bei der Bemerkung machte. „Und er ist Ihr Verbündeter. Wenn er aber _trotzdem_ nicht den guten Willen zeigt, sich Ihrer Politik anzubequemen, dann muß er eben die Folgen tragen. Schweden ist in seiner heutigen Gestaltung für Sie unmöglich. Es ist der _geographische Feind_ Rußlands. Petersburg liegt zu nahe an der finnisch-schwedischen Grenze – die schönen Petersburger Russinnen können in ihren Palästen nicht ruhig schlafen, solange sie nicht davor sicher sind, von den schwedischen Kanonen geweckt zu werden.“ „Das“, lachte der Zar, „wäre allerdings eine Erwägung, vor der alle anderen Rücksichten weichen müßten! Dem schönen Geschlecht sind wir entschieden jeden Krieg schuldig, den seine Ruhe von uns verlangt. Finnland müssen wir unseren holden Damen zu Füßen legen!“ „Das müssen Sie“, erwiderte Napoleon. „Und was Ihren dritten Verbündeten, Preußen, betrifft –“ Alexander ließ anstandshalber einen nicht allzu schweren Seufzer hören, schwach genug, um Preußen nicht zu viele Provinzen zu retten. „Hand aufs Herz, Sire,“ sagte Napoleon, der auch das nicht überhörte, „Rußland kann nichts als Vorteile davon haben, wenn ich die deutschen Hauptmächte gehörig schwäche!“ Alexander murmelte undeutlich etwas von Ehrensache. „Ich gebe zu, daß Sie Preußen gegenüber mit Ihrer Ehre engagiert sind“, sagte Napoleon. „Um Ihre Ehre zu retten und Sie frei zu machen, bin ich auch bereit, Preußen gegenüber Zugeständnisse zu machen. Preußen hat meine Warnung, sich nicht auf englische Intrigen einzulassen, verachtet, es hat verdient, vernichtet zu werden. Jedoch aus Freundschaft für Rußland will ich mich damit begnügen, daß es mir seine polnischen Provinzen, alles Land links der Elbe und Hannover abtritt, seine Armee reduziert und eine Kriegskontribution zahlt. Doch davon später. Die Hauptsache für Sie wie für mich ist der Orient.“ Alexander machte eine unfreiwillige Bewegung. Der Traum aller Russenherrscher von der Herrschaft über Konstantinopel tauchte wie eine Fata Morgana vor seiner Phantasie auf. „Sie sind der Verbündete der Türkei,“ sagte er schnell, „Sie haben mir gegenüber dem Sultan seinen Besitzstand garantiert, Sie haben sogar von Preußen verlangt, jeden Angriff Rußlands auf die Türkei als Kriegsgrund zu betrachten!“ „Ganz recht“, sagte Napoleon. „Aber mein Verbündeter, der Sultan Selim, ist soeben, wie Sie wissen, wegen seines Bündnisses mit mir entthront worden. Sein Nachfolger Mustapha muß also mein Feind sein. Sie sehen, ich bin frei. Nichts hindert mich also, bei meinen Verbündeten die gleiche Vermittlerrolle zu Ihren Gunsten zu spielen, die Sie mir zuliebe bei Ihrem englischen Alliierten spielen werden. _Ihre_ Rolle bringt Ihnen Finnland ein. _Meine_ wird Ihren Gewinn noch um die Donaumündungen vermehren. Ich werde bei der Türkei die Ansprüche Rußlands auf die Moldau und die Walachei in aller Freundlichkeit, aber mit Nachdruck geltend machen. Weigert sich die Hohe Pforte – und sie muß es –, so ergibt sich daraus Krieg. Nach dem Krieg die Teilung.“ „Und die Teilung?“ fragte Alexander aufgeregt. Napoleon, der gerade beim Verschenken war und dem Zaren großmütig schon den dritten Teil von Schweden zugestanden hatte, schnitt nun einen geraumen Teil aus dem Leibe der Türkei und gab Alexander Bessarabien, die Moldau, die Walachei und Bulgarien – das letztere aber nur bis zum Balkan. „Und Konstantinopel?“ fragte Alexander immer aufgeregter. Napoleon überhörte es und stellte erst in aller Ruhe den Anteil Frankreichs fest. Er wollte sich mit den türkischen Seeprovinzen begnügen und also Albanien, Thessalien, Morea, Kandia und die Inseln des Archipels nehmen. Österreich müsse man wohl zur Beruhigung und als Entschädigung für andere verlorene Provinzen Serbien und Bosnien zugestehen. „Und Konstantinopel?“ fragte Alexander noch einmal mit Nachdruck. Aber Napoleon überhörte es wieder. Er fing an, dem eitlen jungen Mann eine Menge wohlberechnete Komplimente zu sagen. Er ging aus sich heraus, er wurde herzlich und sogar warm, erklärte ihm seine ganze Sympathie, seinen heißen Wunsch, ihn als den ersten unter seinen Freunden betrachten zu können, und forderte ihn schließlich auf, nach Tilsit überzusiedeln, damit sie sich alle Tage ohne Zeugen sehen und sprechen könnten. „Wir zwei erledigen dann in ein paar Stunden das, wozu unsere superklugen Herren Minister sonst Wochen nötig haben! Zwischen uns beiden darf es eben nichts Trennendes geben – gar niemand – gar nichts!“ „Nein, gar nichts, Sire!“ antwortete Alexander eifrig. „Also – _Konstantinopel_?“ Er ließ dabei seine Hand schwer auf den Tisch fallen, als wäre der Tisch Konstantinopel und nähme er jetzt endgültig von ihm Besitz. Napoleon mußte endlich seine Schwerhörigkeit aufgeben. „Konstantinopel?“ sagte auch er und legte seine Hand noch schwerer auf den Tisch, zog die Stirn in tiefe Falten und wandte den Blick nach innen. Fast tonlos wiederholte er dann halblaut, wie für sich selber, indem er den Kopf schüttelte: „Konstantinopel – nein – – – nein, niemals! Das wäre die Alleinherrschaft über die Welt!“ – – – Er blieb so einen Augenblick sinnend stehen, die Augen gesenkt, blickte dann plötzlich auf, sah die Enttäuschung auf dem Gesicht des Zaren, begriff, daß er ihm den ganzen übrigen Orient nehmen könnte, wenn er ihm nur Konstantinopel zugestehen würde, und beeilte sich, es wieder gutzumachen. „Nun,“ sagte er und verzog die Mundwinkel zu einem kaum merkbaren Lächeln, während das ganze übrige Gesicht in steinerner Ruhe verharrte, „nun – darüber läßt sich vielleicht noch reden! – Zwischen uns beiden darf es eben nichts geben – gar nichts, was uns trennt!“ Und er blickte zum Zaren auf, holte mit der Hand aus, nahm mit Energie einen Schritt zurück und trat dabei der Maus, die sich, von dem schweren Schlag auf den Tisch aufgeschreckt, nach einem anderen Zufluchtsort umsah, unversehens auf den Schwanz. Ein leises Quieken wurde hörbar, und schnell wie der Blitz schoß die graue Maus an seinem Fuß vorbei auf den Zaren zu, machte dort rasch kehrt und verschwand wieder unter der schützenden Tischdecke. Napoleon schrieb den Brettern und Bohlen des Flosses das Quieken zu und blickte gar nicht hin. Aber Alexander hatte die Maus gesehen und wich erschreckt zurück. Eine Maus – das bedeutet Unglück, Entfremdung und Feindschaft! Wie der Schatten eines fliegenden Vogels, so schnell war sie zwischen ihm und Napoleon vorbeigehuscht, eben in dem Augenblick, als er versicherte: „Nichts darf zwischen uns kommen!“ Der Herr der Welt hatte es nicht einmal in seiner Gewalt gehabt, jenes armselige Wesen daran zu hindern, sein Machtwort Lügen zu strafen! Wie würde er dann wohl verhüten können, daß etwas Ernsthaftes sich zwischen sie beide schleichen würde!? Die Teilung einer Welt, an der auch die Mäuse, wenn auch noch so bescheiden, Anspruch auf Beteiligung erheben konnten, war dem Zaren für den Augenblick verleidet. Seine zartbesaitete Seele war nicht für derartige dunkle Genossen gestimmt. Er schwieg von Konstantinopel, begnügte sich vorläufig mit Napoleons halber Zusage, ließ noch anstandshalber ein Wort für den armen König von Preußen fallen, den er am nächsten Tag hier auf demselben neutralen, wenn auch schwankenden Boden Napoleon vorstellen wollte, versprach nach Tilsit überzusiedeln, nahm den Kaiser am Arm, ging mit ihm hinaus, führte ihm nochmals seinen Bruder und sein Gefolge in Freiheit dressiert vor, sagte den goldstrotzenden französischen Marschällen einige wohlüberlegte Artigkeiten, fiel dann wieder seinem Cousin Napoleon um den Hals, empfing auf beiden Backen den obligaten Abschiedskuß und gab ihn getreulich wieder. Er bestieg dann seine Barke, Napoleon die seine, und so ruderten sie wieder dahin zurück, woher sie gekommen waren, unter dem Donner der Kanonen und den Hurrarufen ihrer Soldaten, die jetzt ebenso bereit waren, sich zuzujubeln, wie vor einigen Tagen sich gegenseitig zu zerfleischen. * „Weiß Er was, Gneisenau,“ sagte Blücher und zeigte auf den Berg von Geschriebenem, der auf seinem Schreibtisch ragte, „weiß Er, was das ist?“ „Nun?“ „Das sind meine Kanonen – das ist mein Pulver, meine Flinten und die scharfen Hiebe, die ich jetzt noch austeile. _Akten_, Gneisenau – Akten! Staubiges, tintiges Papier – krumme Gedanken weitschweifig hingekraxelt – fades Geschleime müder Gehirne – keine Fanfaren, die zum Angriff rufen – kein klares Kommando vorwärtszusausen, die Sache beim Schopf zu packen und rasch in Ordnung zu bringen! Ein müdes Hinschleppen ist’s, ein tristes Schleichen, ein schlürfendes Leisetreten, ein banges Zurückweichen, ein scheues Schielen um alle Ecken, ehe man den Fuß hinzusetzen wagt! Gott verdamm’ mich, wenn ich bloß daran denke, tritt mir die Galle über! Schmidt, ’n frischen Piep!“ Er streckte die Hand mit der ausgebrannten Tonpfeife hinter sich, ohne sich umzusehen. Der Kammerhusar Schmidt nahm die Pfeife, ging hinaus und kam gleich wieder herein mit einer frisch angebrannten zwischen den Lippen, paffte wie ein Schornstein, bis sie gut in Gang war, nahm sie dann aus dem Mund und steckte sie Blücher unter den Schnurrbart. Blücher qualmte und rauchte, was das Zeug hielt, und legte dann gleich wieder los. „Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt, als man mich zum Generalgouverneur von Pommern machte und mir das Kommando hier gab! Erst stibitze ich mir das bißchen Pommern zusammen, dachte ich, bis ich es ganz habe. Dann die Mark Brandenburg dazu – dann Westfalen und Sachsen und all das andere, bis ich Preußen wieder zusammengeflickt habe! So hab’ ich’ s mir gedacht! Und das wäre im Handumdrehen gemacht, hätte man mich nur gewähren lassen! Aber man wagt nicht – man schläft! Schwerenot! – Ich muß hier sitzen und Akten produzieren und dummes Geschreibsel fressen, statt etwas Nützliches zu tun. Und jetzt gar noch andere richten, die so kühn waren, ohne Befehl loszuschlagen, um das Vaterland zu retten! Das,“ sagte er und ließ seine Hand schwer auf die Akten fallen, „das ist alles, was Schill mit seinem tollkühnen Losbrechen an greifbarem Gut erreicht hat – alles, was er und seine Leute mit ihrem Blut erstritten haben –, dieser Berg von geschriebenem Papier, den ich jetzt fressen muß. Der Aktenwust ist ja auch ein ganz großes Stück vom Vaterland, das ist nicht zu leugnen, das beste aber nicht! Und meinetwegen könnte das der Teufel gern holen! Je eher, je lieber! Ist’s aber erhört, mich zum Richter in so ’ner Sache zu machen? Wie? Gerade mich, der ich doch immer auf dem Sprung stand, genau wie Schill loszubrechen! Nun – das weiß Er doch am besten, Gneisenau!“ „Das weiß ich“, antwortete der Angeredete. „Aber die anderen nicht!“ „Nun, ist das eine Art, mich zu zwingen, gewissermaßen in eigener Sache hier zu richten?! Ich komme mir als Richter direkt befangen vor!“ „Mir auch!“ erwiderte Gneisenau. „Nun, dann bleibe ich auch dabei! Ich bleibe ehrlich befangen und werde mein Bestes tun, um die armen Kerle herauszuhauen!“ „Da denken Exzellenz ganz recht!“ „Für einen Schildbürger ist Er ganz helle, Gneisenau, und versteht mich ganz gut. Nun, Er ist ja nicht nur in Schilda geboren, Er ist auch von den Jesuiten erzogen, und da hat Er’s wohl her! Dafür bin ich Freimaurer und helfe, wo ich helfen kann. Die armen Kerle haben brav ihr Blut für’s Vaterland verspritzt, und das soll ihnen unvergessen bleiben.“ „Wie viele sind es?“ fragte Gneisenau. „An die neunhundert werden’s wohl sein. Allerdings, was dem Herrn Napoleon in die Klauen fiel, kann ich nicht retten. Ich denke aber, wir brechen einmal die Ketten, mit denen der Hund sie an seine Galeeren schmieden ließ. Und unsere herrlichen Jungens, die er auf den Wällen Wesels niederknallen ließ – solange auf deutscher Erde ein Herz noch schlägt, werden die Schillschen Offiziere drin ein Ehrendenkmal haben. Ein stilles Glas ihrem Andenken!“ Sie tranken aus und blickten eine Weile schweigend vor sich hin. Blücher ging auf und ab und betrachtete dann und wann den jungen Obersten, der vor ihm saß. Schlank, elegant bis in die Fingerspitzen ein vollendeter Weltmann, mit einem feinen, frischen, sympathischen Gesicht, dessen lebhaftes, stets bewegliches Mienenspiel ein reiches inneres Leben widerspiegelte. „Er hat es sich leicht gemacht, Gneisenau“, sagte Blücher dann, setzte sich und goß sich wieder ein Glas voll. „Er hat seine Arbeit getan, und nun, wo Stein und Scharnhorst von ihren Stellen haben weichen müssen, da geht Er auch. Da macht Er nicht mehr mit, treibt sich draußen in England rum, hat sein flottes vergnügtes Leben und läßt der Welt ihren Lauf!“ „Wer weiß, wozu es gut ist“, lachte Gneisenau wieder. „Am Ende bin ich auch unterwegs meinem Vaterland nützlich.“ „Das bleibt einem ja auch so unbenommen“, meinte Blücher. „Wenn’s so weitergeht, wie jetzt hier zu Hause, dann gehe ich auch in ausländische Dienste!“ Und damit ließ er ein Ungewitter los gegen die verfluchte Schlamperei und gegen das bange Ausweichen vor den Anmaßungen Napoleons. Zunächst war es Stein, der, kaum ins Amt gekommen, auf Befehl des Allgewaltigen hatte gehen müssen, allerdings nachdem er in den vierzehn Monaten seiner Dienstzeit Preußen von Grund aus umgekrempelt hatte. Bis auf die Volksvertretung hatte er alle Pläne zur Umorganisation der Verwaltung durchgeführt, die er seinerzeit mit Blücher in Münster besprochen hatte, und mit der Heeresorganisationskommission zusammen, die Scharnhorst leitete, das Heer auf Grund der allgemeinen Dienstpflicht neugeordnet. Jetzt war er ob seiner Tüchtigkeit von Napoleon geächtet worden, und Hardenberg, den der allgewaltige Gebieter Europas einst als Friedensunterhändler und Staatsminister in Tilsit abgelehnt hatte, war wieder in Gnaden von ihm aufgenommen und als Staatskanzler des Königs von Preußen zugelassen worden. Alles wurde durchgekramt und genau erörtert, auch wurde im Flüsterton die geheime Mission besprochen, die Gneisenau im Auftrag des Auswärtigen Amtes auf seiner Reise in England ausführen sollte. Da kam Blüchers Sohn und Adjutant hinzu und meldete dem Vater, der Graf von Gottorp wäre von Kolberg aus hier in Treptow angekommen. „Ich will ihn nicht sehen, wenn er nach mir fragen sollte!“ rief Blücher lebhaft. „Der arme Mann tut mir leid. Ich möchte ihn nicht beschämen. Ich will ihm nicht in seiner jetzigen traurigen Verfassung begegnen, nachdem ich in seinem Glanze mit ihm verkehrt habe. Aber du sollst in jeder Weise gut für ihn sorgen. Es soll von uns nicht gesagt werden können, daß wir mit einem Unglücklichen kein Mitleid hätten!“ Der Adjutant ging. Blücher paffte eine Weile vor sich hin. „Ja, ja, der Graf von Gottorp!“ sagte er sinnend. „Vor nicht langer Zeit hieß er König Gustav Adolf von Schweden. Und plötzlich, eines Tages kam er ohne Krone und mit einem Diener als einzigsten Untertan hier durch auf der Reise zu seinen lieben Verwandten in Rußland. Jetzt ist er schon wieder zurück. Sein Schwager Alexander hat ihn wohl nicht über die Grenze gelassen! Ein tolles Schicksal!“ Er paffte weiter und spuckte energisch aus. „Es gibt eben Monarchen und Monarchen!“ sagte er. „Ob aber die mit dem gesunden Verstand oder die ganz verrückten die schlimmsten sind, möchte ich ungesagt sein lassen. Ich habe beide Sorten ausprobiert. Besonders die verrückten, damals, als ich mit eben diesem gewesenen Schwedenkönig den glorreichen Feldzug hier in Pommern anfing, aus dem aber auch nichts wurde, weil die Sicherheitskommissare in unserer Regierung es so eilig hatten, uns den faulen Tilsiter Frieden zu bescheren. Gott verdamm’ sie!“ Er spuckte aus. „Ein eigenwilliger Kerl, jener Schwedenkönig!“ sagte er dann. „Ein Querkopf erster Güte! Zum Küssen bockbeinig, ganz nach meinem Sinn! Immer mit dem Kopf durch die Wand – und so muß es sein! Man muß nur wissen, wann und wo und vor allem wozu. Und das wußte er nicht! Eben sein Pech! Das hat ihm seine Krone gekostet! Zuerst fiel ich doch auf ihn herein! Kein Wunder bei der Zaghaftigkeit und Unentschlossenheit da oben bei uns! Es war direkt erfrischend, als ich zuerst sah, wie er seine viel zu friedfertigen Generäle schurigelte und Feuer hinter ihnen zu machen wußte! Mit dem Manne läßt sich etwas anfangen, dachte ich gleich! Ganz ein König, wie ich ihn gebrauchen kann! Als ich aber zum Losschlagen fertig war und er immer noch nicht seinen Waffenstillstand mit den Franzosen aufkündigen wollte, da gingen mir die Augen auf. Ich dann wie der Blitz nach Stralsund und hinauf zum König! ‚Majestät,‘ sagte ich, ‚die pommersche Armee steht schlagfertig an der Peene aufmarschiert und bereit, in Preußisch-Pommern einzurücken, sobald die schwedische mittut! Wir dürfen keine Zeit versäumen! Danzig ist leider Gottes nicht mehr zu retten, aber Kolberg hält sich noch, das retten wir, und Spandau und Stettin nehmen wir durch Überrumpelung sofort, wenn wir nur nicht zaudern! Mir können Majestät vertrauen, meinen Unterführern auch. Der Oberst Bülow hat die Infanterie in die beste Verfassung gebracht, Borstell die Kavallerie, und die Freischaren Schills und Marwitzens stören schon dem Franzosen seinen Schlaf! Die besten Pferde aus Schleswig-Holstein stampfen in meinen Ställen vor Ungeduld, ihren Hafer zu verdienen. Flinten und Kanonen sind funkelnagelneu nebst Pulver und Blei aus England angelangt und gehen von selbst los, wenn _wir_ nicht schießen. Und was die Leute betrifft – es waren allerdings nur viertausendachthundert, die ich aus Pillau mitbrachte. Sie sind aber in den paar Wochen durch Freiwillige und Ranzionierte auf das Doppelte angewachsen, kaum daß ich einen Aufruf veröffentlicht hatte! In dem Augenblick, wo wir über die Grenze gehen, werden die Leute in hellen Haufen zu unseren Fahnen strömen. Meine Armee wird wie ein Schneeball wachsen, sehen die Leute bloß, daß wir Ernst machen! In Mecklenburg, Hannover, Westfalen, Hessen ist alles vorbereitet, alles wartet. Im Handumdrehen werden wir das ganze Volk unter Waffen haben. Und der Krieg ist gewonnen! Nur frisch gewagt, und wir machen das Spiel!‘ Der König kümmerte sich aber nicht darum! Er hörte kaum zu. ‚Hör’ Er, Blücher!‘ sagte er nur. ‚Komme Er mit! Ich will Ihm etwas zeigen!‘ Und dann stiefelte er los durch die Stadt nach den alten Außenwerken hin, kletterte in einer Bastion hoch, stellte sich da dicht hinter die Brustwehr, die Arme verschränkt, stand so eine Weile Statue, zeigte mir sein heldisches Profil und blickte über die Gegend hinaus. Dann fing er an, mit großen Gesten in alle Himmelsrichtungen hineinzuzeigen, und legte los. ‚Komme Er her, Blücher, komme Er nur her!‘ Und ich mußte gehorsamst hinaufklettern. ‚Hier, wo ich jetzt stehe, auf eben diesem Flecke, stand vor bald hundert Jahren Karl der Zwölfte, überallhin sichtbar, mitten im dichtesten Kugelregen! – – Kann ich auch, Blücher – werde ich auch tun –, verlasse Er sich nur darauf! – Mitten im dichtesten Kugelregen stand also der Heldenkönig da – und um ihn herum fielen seine Leute wie die Fliegen. Er aber feuerte sie an. Dort – sieht Er? – von jener Pforte aus ließ er seine Tapferen zum Ausfall antreten! – – Da drüben stand der Feind –, da gerade! Sieht Er? Da hatte er seine Batterien, und sie spien ganze Orkane von Eisen gegen den einsamen Mann hier, daß Sand und Erde hoch um ihn herumspritzte. Er aber wankte nicht – er wich nicht –, aufrecht stand er da und rief immer wieder: ‚Vorwärts, ihr Blauen, packt sie, schlagt sie!!‘ – Und seine Blauen rannten gegen die Übermacht an, warfen die Feinde mit blutigen Köpfen zurück, vernagelten die Batterien und kehrten mit Wunden bedeckt zurück, Gefangene und Beute mit sich schleppend. Niemals wäre Stralsund gefallen, hätte König Karl bei seinen Leuten bleiben können. Denn auf ihn allein kam es an! Wo er dabei war und sie anfeuerte, da waren sie unwiderstehlich, sonst nicht! Und er mußte fort. _Ich_ aber bleibe! Ich weiche nicht von dieser Stelle, wie sehr man auch zu Hause nach mir verlangt! Und ich schwöre Ihm, Blücher, niemals wird der Franzose über diese Wälle kommen!‘ ‚Das ist alles schön und gut‘, meinte ich. ‚Aber wir wollen es lieber nicht darauf ankommen lassen, daß der Franzose erst bei uns anklopft, sondern ihm lieber jetzt gleich die Waffenruhe aufkündigen, ihn aufsuchen und aufs Haupt schlagen!‘ Nein, das wollte der König nicht. Erst müßten die Engländer da sein, das Traktat mit den Insulanern müßte unterschrieben werden, und was noch! Da half kein Reden. Er hatte seinen Kopf für sich! Ich hab’s mit der Eigenliebe versucht. Ich habe ihm seinen Namensvetter und Ahnen, den großen Gustav Adolf, als Beispiel hingestellt. Er hatte aber an Karl dem Zwölften einen Narren gefressen. Und von allen beiden Helden hatte er gleich wenig abgekriegt. – Man sagt ja, der finnische Hofstallmeister Munk habe in allerhöchstem Auftrag seinen Vater zum Vater gemacht. Und da war’s ja kein Wunder, wenn’s mit den anderen Ahnen haperte. Ich hätte ihn nicht herumgebracht. Da kam gerade Schill herangaloppiert mit der Nachricht vom Waffenstillstand zwischen Rußland und Frankreich, dem wir auch beitreten mußten. Ich habe geflucht, als ich’s hörte. So schön wie wir bereit waren! Und da sollte es wieder nichts werden! Ich mußte es dem König mitteilen und kletterte noch einmal zu ihm hinauf. Da nahm er mich beim Arm. ‚Wer ist das?‘ flüsterte er und zeigte auf Schill. ‚Nehme Er sich nur vor dem in acht! Der ist gefährlich! Der wird Ihm gehörig in die Suppe spucken!‘ ‚Ich wünsche, Majestät,‘ sagte ich dann, ‚daß ich noch ein paar solche Kerle unter meinen Leuten hätte. Denn er hat das schlechteste Führungsbuch, das ich noch jemals bei einem Offizier gesehen habe, abgesehen von meinem eigenen, als ich in den Jahren war! Und er ist der beste Offizier, den man sich wünschen kann! Der geborene Rebell gegen jeden Zwang, keck, übermütig, tollkühn, reitet wie der Deibel, schießt wie ein Gott, ist hinter den Weibern her wie hinter dem Feind, und in beiden Fällen unwiderstehlich! Er stürmt die Hölle, wenn’s sein muß! Wenn wir noch Kolberg haben – ihm ist’s zu verdanken. Denn da war’s unter dem alten Loucadou schon so weit wie in den anderen Festungen! und Schill und Nettelbeck stachelten dann die Bürger auf, einen anderen Kommandanten zu erbitten. So kriegten wir den Gneisenau hin.‘ ‚Ja, der ist gut,‘ sagte der König dann, ‚sonst aber ist’s eine Schande, wie sich Ihre höheren Offiziere benommen haben! Und da waren doch tapfere Leute darunter.‘ ‚Gewiß‘, sagte ich. ‚Es kam aber wie eine Seuche über sie mit den Kapitulationen, und da hilft nur eine eiserne Kur!‘ ‚Über die Bank schießen!‘ sagte der König – ‚und den zuerst!‘ flüsterte er dann, auf Schill zeigend, ‚denn der ist gefährlich. Er hat’s mit der Melancholie! Ich seh’s ihm an!‘ Ich habe laut lachen müssen! Aber der König wiederholte: ‚Er hat’s! Ich kenne die Sorte! Meine Schweden sind auch so! Sie fliegen auf wie eine Rakete, und dann, auf einmal, packt sie die Melancholie, sie zerplatzen in lauter feurige Tränen, verpuffen, und weg sind sie! Passe Er nur auf! Er wird’s noch mit dem Schill erleben! – – Was wollte er?‘ fragte er dann auf einmal neugierig. Ich brachte ihm dann schnell bei, sein lieber russischer Schwager hätte uns drüben in Tilsit mit seinen Friedensverhandlungen einen bösen Streich gespielt, und wir hätten nun die Zeit verpaßt. ‚Was?‘ rief er dann. ‚Waffenstillstand haben die gemacht! _Dann kündige ich meinen sofort!_ Das wird sie kurieren! – Essen!‘ rief er seinem General zu, ‚wir kündigen heute dem Marschall Brune die Waffenruhe! Und meinem Schwager, dem Kaiser Alexander, wird geschrieben, wenn er mit dem Mörder des Herzogs von Enghien jemals Frieden macht, ja wenn er nur daran denkt, dann schicke ich ihm den Andreasorden zurück – dann kündige ich ihm die Bekanntschaft –, dann grüße ich ihn nicht mehr! Er soll sehen, Blücher, _dem setzt sich der Kaiser Alexander nicht aus_! Wir schlagen also los, wir beide! Das wird die beste Antwort auf seinen Waffenstillstand! So ein Blödsinn akkordiert sich immer am besten mit der Waffe in der Hand. Also: kündigen, Essen!‘ Der General Essen machte Einwände. Da brachte man aber die Meldung, die Engländer landeten endlich auf Rügen, und da war ich obenan. Der Waffenstillstand wurde gekündigt, wir rüsteten mit Feuereifer zum Aufbruch. Ein paar Tage hing mir der ganze pommersche Himmel voller Geigen, und ich hatte schon die Welt so gut wie in der Tasche. Ich sah schon den Sieg zum Greifen nahe und streckte bereits die Hand danach aus. Da fielen mir die Sicherheitskommissare drüben in Tilsit mit dem niederträchtigsten und schandbarsten Friedensschluß, der je da war, in den Arm – Gott strafe sie! – Gerade als ich die Marschbefehle ausgegeben hatte! Und ich mußte nun wieder hin zum König Gustav Adolf – jetzt aber um ihn zu bitten, den Waffenstillstand, dessen Kündigung ich ihm eben mit Mühe und Not abgerungen hatte, wieder zu verlängern. Da wurde er ganz wild, und ich konnte es ihm nicht verdenken, denn ich war selbst bis zum Hals geladen. Ob ich ihn wohl für verrückt hielte? rief er mir zu. Und das tat ich ja, obwohl mir seine Verrücktheit viel lieber war als manche dämliche Klugheit bei uns drüben in Memel. Er würde jetzt erst recht losschlagen, rief er noch. Und wer nicht mit ihm wäre, der wäre gegen ihn und würde danach behandelt werden! Er hätte seine Aufgabe vom Himmel bekommen, sagte er –, er sei vom Schicksal bestimmt, Napoleon zu stürzen, die Bourbonen auf den Thron ihrer Väter wieder einzusetzen und das vergewaltigte Recht zu Ehren zu bringen. Dann kam er mir mit der Offenbarung Johannis und bewies mir haarklein, die apokalyptische Hure, das wäre die französische Republik, und das wilde Tier, mit dem sie sich abgab, wäre Napoleon, und er, Gustav Adolf, wäre es, der dem Tier alle seine Köpfe abschlagen würde, die da alle Kronen der Welt trügen! – – Nun, ich bin in der Apokalypsis nicht so gut beschlagen wie im Whist –, sonst würde ich ihm schon wiedergeben, was mir der König da alles auskramte. Er war total verrückt. Na, er hat’s büßen müssen. Sein guter Schwager hat ihm nun richtig den dritten Teil seines Reiches genommen; die anderen beiden Drittel nahmen ihm ja die Schweden selbst, mitsamt der Krone, und schickten ihn mit seiner apokalyptischen Politik über die Grenze. Nicht einmal das Fell des toten Löwen, Karls des Zwölften, in dem er so gern herumstolzierte, durfte er mit sich außer Landes nehmen. Und nun geht er hier rum und klopft überall an, und nirgends ist seines Bleibens! Und dabei hatte er bei all seiner Verrücktheit doch Blick für die Menschen – insbesondere für die Verrücktheit der anderen! – – Denn nur bei den anderen erkennt man sie, niemals bei sich selbst. Was er da sagte von Schill und der Melancholie, das stimmte! Ich habe die Brieftasche Schills in meinen Händen gehabt, nachdem er gefallen war –, denn ich mußte ja sehen, ob da nichts für andere Leute Kompromittierendes drin war. Weiß Er, was ich drin fand? – _Verse_, Gneisenau – schlechte Verse! – Mondscheingesäusel – in Worte geronnenes, fades Liebesgereimsel! – Wer hätte das von dem Mann gedacht! Da hatte ich’s nun schwarz auf weiß, daß der seelisch einen Knacks hatte, und da begriff ich auch, warum sein so kühn begonnenes Unternehmen so kläglich enden mußte. Wäre er vor mein Kriegsgericht gekommen – wegen der Verse hätte ich ihn verknackst –, wegen seines Privatkriegs mit Napoleon aber freigesprochen! Na – hätte er gewußt, daß sein Kopf, in Spiritus gelegt, dem König ‚Lustick‘ überliefert werden würde – er hätte sich wohl einen anderen Vers daraus gemacht – und für einen besseren Schluß seines Heldenliedes gesorgt. Leute wie die seinen hätten es aber nicht nötig gehabt, unnütz zu sterben, hätte ihr Führer nicht den Schuß Melancholie in der Seele gehabt, für die der Schwedenkönig eine so feine Witterung hatte. Denke Er sich nur: Schill, dieser Brausekopf, dieser Sausewind, für den es nichts Unmögliches gab – dieser Tausendsasa, dieser Lausbub, der durch seine kühnen Husarenstreiche schon als junger Mensch zu einer sagenhaften Gestalt emporgewachsen war, und der auch mit Recht die Ehrung verdiente, an der Spitze unseres Heeres in Berlin einzuziehen – dieser Strauchdieb von einem Herzensbrecher, der sich nur zu zeigen brauchte, und alles jubelte und jauchzte ihm zu – dieser tolle Junge, der die Keckheit hatte, als alles andere sich ängstlich davor drückte, auf eigene Faust hin und allein den Krieg mit Napoleon anzufangen – der verliert auf einmal mitten im Kampfe den Kopf, verliert den Mut und gibt alles auf! Das mag wer will als plötzliche Reue auslegen! Ich nicht! Ich glaube – und das spreche ich offen aus: _an dem Manne ist ein Verbrechen begangen worden_! Man hat ihn glauben gemacht, der König billige im geheimen sein Unternehmen, dürfe sich aber nicht offen für ihn erklären, bis alles gut in Gang wäre. Und als die Umstände allerseits ungünstig wurden und das Glück sich gegen Schill entschied, da ließ man ihn kläglich fallen. Er hatte eben Pech – dreifaches Pech. Erst die Mitstreiter hier zu Hause, die ihm draußen im Volke den Boden bereiten sollten, und es schlecht taten. Dann die Österreicher – Herrgottsakra, wenn ich an die denke, da kriege ich einen roten Kopf! Die haben den Napoleon aufs Haupt geschlagen – sie haben ihn, nach Aspern, in der Mausefalle auf der Insel Lobau, mitsamt seiner ganzen Armee, abgeschnitten, ohne Verbindungen, ohne Brücken, und sie greifen nicht zu, sie machen ihm nicht den Garaus – sie lassen dem Hund noch wochenlang Zeit, sich aus der Patsche zu ziehen, und warten geduldig, bis er aus seinem Rattenloch herauskriecht und ihnen selbst einen Hieb auf den Kopf versetzt! So ’ne niederträchtige Schlamperei war noch nicht da! Die Kunde von ihrer Niederlage bei Wagram war für Schill ein schwerer Schlag. Daß aber sein eigener König sich dann auch gegen ihn erklärte und ihn gar mit einem Kriegsgericht wegen Insubordination bedrohte, daß der Monarch selbst, an dessen geheime Unterstützung man überall im Lande glaubte, nun diese Behauptung Schills Lügen strafte, das zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Aber er hätte doch nicht den Kopf verlieren müssen! Er hätte nicht zögern sollen, nach England zu gehen, ehe es zu spät wurde! – Er hätte sich sofort nach dem nächsten Hafen aufmachen und an Bord gehen müssen, um draußen in Spanien gegen den Franzmann zu kämpfen! Nun, er hat seine Saumseligkeit mit dem Leben gebüßt! Ein Hundsfott, wer dafür auf seine tote Asche auch nur den Schatten eines Vorwurfs kommen läßt! Es hätte aber alles anders kommen können und müssen, wenn man bei uns nur gleich zugegriffen hätte! Wer weiß – wenn die Österreicher gesehen hätten, daß wir Ernst machten, dann hätten sie am Ende den Napoleon doch noch beim Schlafittchen gepackt und die gute Gelegenheit benutzt, das welsche Unkraut mit Stumpf und Stiel auszurotten. Ich habe ja damals den König gebeten – ich habe gebettelt und gefleht, ‚laß mich nur, _gerade jetzt_, mit meinem Korps über die Elbe gehen! Mit meinem Kopf stehe ich dafür ein, daß wir dann unsere Provinzen wiederhaben!‘ Die hätten wir auch! Ich hätte drüben alles in Feuer und Flammen gesetzt, und die Unternehmungen von Schill und Dörnberg und Braunschweig wären nicht nutzlos vertan gewesen! Aber man hat nicht den Mut gehabt! Seitdem unsere gute Königin starb, ist es ganz verdreht! Himmelsakra – mir war dann der mit der Apokalypse am Ende doch lieber! Obwohl er in seinem Haß gegen Napoleon weiter nichts war als ein kläglicher Don Quichotte, der gegen apokalyptische Windmühlen ritt. So etwas ist aber am Ende mit Schlauheit zu lenken! Wenn ich aber daran denke, daß unser guter König einmal auch so von Tür zu Tür wandern müßte, Obdach suchen – – –! Das kann noch kommen, Gneisenau – das kann noch kommen, wenn’s so weitergeht, und wenn er die Zeichen der Zeit nicht besser versteht! Denn wenn er selbst nicht _will_, Gneisenau –, wenn er nicht will –, und wenn _wir_ wollen! Und wir sind jetzt proppvoll geladen! – Und wenn wir dann ohne Befehl losplatzen, wer spricht da von Insubordination? Schockschwerenot! Wozu sind wir auch schließlich da? Ich werde wohl von Tür zu Tür mitgehen, wenn’s soweit mit ihm ist?! Nee – mein Leben gebe ich jederzeit für den König her! Aber so ’ne Bettelei mache ich nicht mit! Die französischen Sklavenketten mag tragen wer will –, _ich_ trage sie nicht! Ich sag’s ganz offen, und wenn man mir zehnmal den Mund verbietet! Warum nicht auch? Wozu schüttelt Er den Kopf? Soll das auch ‚Insubordination‘ heißen!? Nun, dann lasse Er sich gesagt sein, daß Insubordination noch hierzulande Mode werden kann, wenn’s nicht anders möglich ist, das Land zu retten! Und der Ihm das sagte, das war der General der Kavallerie, denn dazu haben sich mich ooch jemacht, seitdem Er nach England reiste, und zwar um mir das Maul zu stopfen! Sie haben mich zum General der Kavallerie gemacht, Sie haben mich aber auch zum Domherrn gemacht! Was lacht Er da? Zum Domherrn, sage ich, indem, daß mir der König eine Domherrnpräbende in Brandenburg verliehen hat! Wenn der Staat seine Generäle nicht anders zahlen kann, zahlt er sie eben so! Bargeld ist Bargeld, und wenn’s von der Kirche kommt, wird’s wohl auch den rechten Gottessegen haben. Er braucht aber nicht deswegen zu denken, daß ich jemals den Schleier nehme oder fromm ins Kloster gehe und heilig werde! Ich bleibe, was ich bin! Der General der Kavallerie wird nicht minder kräftig als der Generalleutnant kommandieren: Vorwärts druff uff den Feind! Und wenn ich jemals als Domherr die Kanzel besteige, dann, Gneisenau, soll’s Pech und Schwefel vom Himmel regnen, und die Sicherheitskommissare und Angstmeier sollen sich alle Tage dreimal in die Hosen – –! Das meine Predigt! – Schmidt! Noch ’n Piep!“ Und Schmidt wußte Bescheid. Er hatte mit Wonne bemerkt, wie gut der Tabak heute seine Schuldigkeit tat und wie schön sein Herr durch ihn ins Schimpfen kam. Er stand schon auf der Lauer, eine frische Pfeife im Munde, und qualmte und schmunzelte gehorsamst übers ganze Gesicht bei den saftigen Worten Blüchers, und wartete auf das Signal. Sobald das Kommando fiel, nahm er sofort mit Wucht die Hacken zusammen, reckte sich, daß die Knochen krachten, riß die Pfeife aus dem Gehege seiner Zähne, und dann, mit Paradetritt vorwärts marschiert, Blücher die Pfeife mitten ins Gesicht gesteckt und ihm so das Maul gestopft! Dann nahm er die Akten Schill unter den Arm und trug sie behutsam zur Tür hinaus. Bloß die Brieftasche Schills mit den Versen nicht! Die behielt der General und Richter als einziges belastendes _Corpus delicti_ zurück. * Die Frau Generalin von Blücher ordnete in aller Eile den Kaffeetisch in ihrer Wohnung zu Stargard. Ihr Herr und Gebieter hatte ihr eine Stafette mit der Nachricht geschickt, er käme nachmittags zurück von Berlin und bäte sich zum Empfang eine Tasse warmen Kaffee und Streuselkuchen aus. Es galt also rasch fertig zu sein. Denn Blücher pflegte schnell zu reisen und konnte jeden Augenblick ankommen. „Es war eine schlimme Zeit“, sagte die Generalin zu ihrer Freundin Frau von Bonin auf Schönwerder, die gerade in Stargard war und den Nachmittag über blieb, um Blücher zu bewillkommen. „Es war nicht leicht, und ich werde recht froh sein, wenn es jetzt ein Ende hat. Aber ich traue dem Frieden nicht. Mit ihm war’s immer so. Kaum daß man denken konnte: Gott sei Dank, nun hat die Schererei ein Ende –, da ging sie erst recht los. Es wird jetzt nicht anders sein. Erzwungene Ruhe ist für ihn Gift. – Und wenn’s jetzt wieder mit seiner Krankheit losgehen sollte, da befürchte ich das Schlimmste! Das letzte war für ihn ein schwerer Schlag!“ Sie rückte noch die Kaffeetassen zurecht, schnitt Kuchen auf und ordnete an den Blumen. „Es war lieb von dir, ihm Blumen zum Empfang zu bringen“, sagte sie und nickte ihrer Freundin zu. „Er hat die Blumen gern.“ „Du weißt, wie sehr wir alle ihn schätzen und lieben“, antwortete diese. „Seit ihr wieder in Stargard haust, leben wir ordentlich auf. Und jetzt, wo er nicht mehr die Plage des Dienstes hat, jetzt wollen wir alle helfen, ihm das Leben so heiter und gemütlich wie nur möglich zu gestalten, damit er seinen Ruhestand recht genießt. Er darf es sich wahrlich gönnen. – Wie hat er seinen Abschied vom Dienst aufgenommen?“ „Nun, gern beißt keiner in den sauern Apfel! Aber du weißt, die Männer stellen sich immer ein bißchen an. Als er die königliche Botschaft bekam, hat er laut gelacht, daß ich einen Schrecken kriegte. ‚Endlich einmal ein Entschluß am Allerhöchsten Ort!‘ hat er dann gesagt. ‚Das ist immerhin eine Besserung! Hätte ich sooft kapitulieren wollen wie Kalckreuth, hätte ich Danzig verloren, hätte ich so brav, wie er, vor dem Franzmann gedienert und mir sagen lassen: ‚Sie sind nicht zum Unterhandeln, sondern zum Unterschreiben da‘, und hätte ich dann unterschrieben und meinem Land einen schmachvollen Frieden um jeden Preis verschafft – ich wäre Generalfeldmarschall geworden, wie er, und hätte die höchsten Ehren genossen. Nun habe ich aber dem König sein Land wiedergewinnen wollen, ich habe geholfen, zu rüsten, Festungen zu bauen, Armeen auf die Beine zu stellen und den Leuten Mut und Vertrauen auf die Zukunft einzuflößen. Und der Dank ist nun – ein Fußtritt des Königs auf Befehl Napoleons!‘ – So hat er geredet.“ „Recht hat er!“ sagte Frau von Bonin. „Das meine ich auch“, antwortete die Generalin. „Aber wenn mir trotzdem nicht ganz rosenrot zumute ist, ist’s kein Wunder! Er ist ja gewohnt, rastlos tätig zu sein. Überall hatte er seine Finger mit im Spiel. An den Arbeiten der Armeereorganisationskommission nahm er so eifrig teil, als wäre er mit drin gewesen. Er schrieb und empfing alle Tage Briefe, hatte seine Berichterstatter überall im Lande und auch im Ausland, wußte stets mit allem Bescheid, saß immer wieder dem König und der Regierung im Nacken und regte sich maßlos auf, wenn dann nicht alles nach seinem Kopfe ging. Ich habe mich manchmal über die Geduld des Königs gewundert.“ „Der König hält große Stücke auf ihn!“ „Gewiß! Das wußte er auch und – mißbrauchte es deshalb vielleicht nicht ungern. Immer ging es ja nicht gut. Einmal kam eine Beförderung, ein andermal eine gehörige Nase, und alles beides kümmerte ihn wenig. Nur einmal wurde er ganz niedergeschlagen und war lange nicht mehr zu etwas zu gebrauchen. Das war, als er unseren guten Eisenhart zum König schickte, um ihn seine Wünsche mündlich vortragen zu lassen. Denn selbst durfte er nicht hin –, du weißt ja: persönlich kann gegen ihn keiner aufkommen, und man fürchtete wohl seine Überredungsgabe. Aber Eisenhart hat auch ein gutes Mundwerk, und da schickte er also den nach Königsberg, um den König zu überzeugen, daß sich auf den ersten Ruf in Preußen schnell hunderttausend Mann versammeln würden, wenn der König nur wollte, und daß Österreich bereits vierhunderttausend Mann schlagfertig hätte, um gemeinsame Sache mit uns zu machen, und was noch mehr. Da antwortete der König: in Preußen fehle es an dem Führer einer Armee von hundertfünfzigtausend Mann! _Meinem_ Mann ließ er diese Antwort geben!“ „Nicht möglich!“ „_Das_ hat er sich sagen lassen müssen, als ob er überhaupt nicht da wäre! Und auch, daß er sich um alles in der Welt ruhig verhalten möchte! _Er_ und ruhig! Er wurde krank – na, du weißt ja, wie’s lange Zeit um ihn stand! So niedergeschlagen habe ich ihn niemals gesehen, solange unsere Ehe dauert. Er war ganz unerträglich –, ich habe meine liebe Not mit ihm gehabt!“ „Du Ärmste!“ „Nun, das war nichts gegen das, was er selbst litt. Er nahm ab, wurde dürr wie ein Skelett, schlief die Nächte nicht, hatte Halluzinationen, sah Gespenster am hellen Tage, aß nichts, trank nichts als Kaffee und – ob du’s glaubst oder nicht – rührte auch nicht einmal die Pfeife an. Ich glaubte schon das Schlimmste erwarten zu müssen. Da auf einmal nahm’s eine Wendung zum Besseren. Der Appetit kam wieder, er aß wie ein wildes Tier, trank und fluchte und rauchte wie sonst. In ganz kurzer Zeit, so geschwind, wie’s nur bei ihm geht, war er obenauf! Weißt du, was ihn so schnell kurierte?“ „Nun?“ „Daß der König den General von Bülow zu seinem Stellvertreter im Kommando ernannt hatte! Und auch zu seinem Nachfolger, falls er nicht wieder gesund werden sollte. Das war das beste Gegengift gegen seine Krankheit. Sofort packte ihn die Wut; er war auf den Beinen, schwang die Fuchtel, führte wieder die Geschäfte und genas –, _aus reinem Trotz_, und um Bülow recht zu ärgern. Das ist nun mein Glaube. Denn seine Wut auf Bülow war unbeschreiblich. Und seitdem kann er ihn nicht mehr leiden.“ Frau von Bonin lachte. „Ja, so ist er,“ sagte die Generalin, „die Tätigkeit ist sein Leben. Er krankt nach ihr und ist immer fertig zum Explodieren, wenn sie ihm beschränkt wird. Dann will er gleich alles hinwerfen, in fremde Dienste gehen, verlangt seinen Abschied und bekommt ihn nicht und schöpft daraus neue Hoffnung, endlich tätig sein zu dürfen, wie er will! Und ist es damit wieder nichts, dann wird er von neuem gallig, bitter, niederträchtig, halb wahnsinnig, er verkümmert, altert, ist fertig mit dem Leben und kann sich doch nicht vom Dienst losreißen, weil er immer noch hofft, immer noch einen Funken vom Kinderglauben an seine ihm vom Himmel gegebene Sendung hat!“ – Sie wurde unterbrochen. Ein Wagen fuhr rasselnd am Hause vor, und im nächsten Augenblick stand Blücher im Zimmer. Er war ganz verwandelt. Frisch wie ein Fisch im Wasser und voll von Hoffnung und Zukunftsplänen. „Das will nun ein in Ungnaden entlassener General sein!“ lachte Frau von Bonin. „Was, Ungnaden!“ erwiderte Blücher übermütig. „Die Ungnade ist nur eine Komödie, um Napoleon zu täuschen. Ich stehe oben besser angeschrieben als je. Der König war sehr gnädig –, er war sogar sehr traurig. Ich habe ihn über meine Entlassung trösten müssen. So liegt die Sache. Und das ist ein ganz anderer Kasus als damals, wo ich vom Alten Fritz meinen Abschied erhielt. Du weißt, Malchen, vierzehn Jahre habe ich nachher auf Wiedereinstellung warten müssen. Und daß ich das mußte, das hielt mich nachher stets zurück, sooft ich meinen Abschied nehmen wollte! Vierzehn Wartejahre kann man sich in meinen Jahren nicht mehr leisten –, da schluckt man lieber so manches herunter. Man soll eben seiner Sache treu bleiben, Malchen –, Treue halten im Bösen wie im Guten! Dann bleibt sie einem auch treu! Jetzt hat mir der König wegen Ungehorsams gegen seinen Befehl, die Befestigungsarbeiten in Kolberg einzustellen, den Laufpaß gegeben. Er denkt, er muß es aus Rücksicht auf Napoleon tun. Er wird mich aber wiederhaben wollen und wird mich auch holen, sobald die Zeit da ist. Meiner Sache bin ich sicher –, ich war’s niemals so sehr wie jetzt, wo ich eigentlich gar nichts mehr mit ihr zu tun habe. Jetzt erst fühle ich, wie unlöslich ich mit meiner Aufgabe im Leben verwachsen bin. Nichts kann sie mir nehmen. Bestimmung ist Bestimmung. Was kommen soll, kommt. Kein König und auch kein Kaiser kann mir mit seinem Machtwort nehmen, was mir von allem Anfang an als mein Ureigenstes gehörte, ebensowenig, wie er’s mir verleihen konnte. Siehst du, Malchen, was der Mensch nicht geben kann, das kann er auch nicht nehmen. Das ist mein Glaube. Und nun warten wir in aller Ruhe und in Gottes Namen das Weitere ab. Jetzt brauche ich auch nicht mehr Scharpie zu zupfen, Malchen. Und nun – einen Kuß – und dann zu Tisch!“ Er küßte allen beiden Damen rasch die Wange, bot ihnen dann galant die Arme und führte sie an ihre Plätze. 12 DAS HEILIGE DONNERWETTER Jahrhundertelang war Deutschland der Tummelplatz der Völker und wurde unbarmherzig verwüstet, seine Bewohner geknechtet, ausgeraubt und hingemordet, Handel und Nahrung lahmgelegt, seine Reichtümer gestohlen, seine Kunstschätze geraubt und nach allen Windrichtungen hin verschleppt, seine Kirchen und Schlösser und Kunstbauten in Ruinen verwandelt, seine Entwicklung um Jahrhunderte zurückgeworfen. Und immer wieder blühte das Leben in alter Kraft wieder auf –, immer wieder stürmten beutegierige Horden heran mit Mord und Brand und plünderten und sengten. Das in Strömen vergossene Blut tränkte die Erde, verseuchte die Gewässer, schwängerte die Luft – man atmete Unheil, trank dessen Odem mit dem Wasser der Quellen, fraß ihn in sich mit den Früchten der Erde. Das bittersüße Gift schwellte die Adern, schlich durch den Körper, erfüllte die Seelen bis zum Platzen mit Spannung, erzeugte einen Haß, der jede andere Regung unterdrückte, der alleinherrschend wurde, ins unermeßliche wuchs und gewaltsam zur Entladung drängte. Das Licht des Himmels, seine Sonne, seine Sterne, sein leuchtendes Blau, alles schwand in dem quälenden Dunst, die Farben des Lebens verblaßten und erloschen. Es gab kein Gefühl, keinen Gedanken mehr, als verbissene Wut über schmachvolle Ohnmacht, kein Gebet, das nicht den Herrn der Welten um Erlösung anrief und mit dem Himmel um seine Blitze buhlte. Die Schwüle des Gewitters lagerte überall, ergriff alles Leben und würgte zum Ersticken. Immer dräuender türmten sich die Gebilde des Hasses und der Empörung empor, ballten sich zu mächtigen Gewitterwolken zusammen und erfüllten den Raum, bis endlich die Spannung zu groß, bis es der Last zuviel wurde und das Gewitter losbrach. Blitze züngelten auf die Häupter der Bedrücker nieder, warfen sie in den Staub und zerschmetterten ihre Zwingburgen, indes der Donner grollend durch den Raum fuhr und der Widerhall krachend von Felsen zu Felsen jauchzte und Kunde von der Befreiung gab. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Fast unbeschränkt beherrschte Napoleon den Kontinent, alles lag ihm gehorsam zu Füßen. In jeder Festung, in allen Städten Norddeutschlands standen seine Truppen bereit, jeden Versuch zur Empörung mit Gewalt niederzuwerfen. Durch dauernde Besetzung Preußens war er zum wahren Herrn Europas geworden. Wer nicht sein Verbündeter war, war ihm gehörig. Die Rheinbundstaaten, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen, Westfalen und Mecklenburg, gehorchten jetzt seinem kleinsten Wink. Der Kaiser von Österreich gab ihm seine Tochter zur Ehe. Sein Machtwort erstickte jede selbständige Regung im Keime. Ohne seine Zustimmung geschah in den deutschen Landen nichts. Könige und Fürsten holten sich Weisungen aus Paris, empfingen aus seinem Munde Lob und Tadel und setzten ihre Beamten ab und ein nach seinem Gutdünken. Seine Armeen wurden von den unterjochten Völkern unterhalten, die Einkünfte der Staaten als Kontribution nach Paris geschafft –, bis aufs Blut sog er die Besiegten aus. Ihre Heere mußten auf sein Geheiß marschieren und für den Ruhm Frankreichs ihr Blut verspritzen – bis sie endlich begriffen, daß Blut und Leben nur für die Heiligkeit der eigenen Sache einzusetzen seien. Der Sohn der Revolution, von der unwiderstehlichen Kraft eines Volkes in Waffen zu schwindelnder Höhe gehoben, kehrte so, durch den Gang der Ereignisse getrieben und von den eigenen Siegen verführt, vom Volksheer zum Söldnertum zurück. Er bewirkte gleichzeitig die entgegengesetzte Entwicklung bei den Besiegten und gab ihnen so das Mittel zur Befreiung in die Hand. Denn als sie sich dazu hergeben mußten, für eine fremde Sache zu bluten, wurden sie sich ihres eigenen Volkstums bewußt und fielen von der Sache des Eroberers ab, sobald sie ernstlich zu wanken begann. Seine bunt zusammengewürfelten Heerhaufen besaßen sowieso nicht mehr die Energie und den Schwung der ersten Revolutionsheere, noch weniger ihre Begeisterung für die Heiligkeit einer Sache, die allein gegen eine ganze Welt den Sieg ertrotzt. Noch stand der Koloß aufrecht und wagte in seinem Übermut den eitlen Versuch, den Gott zu spielen und das, was nicht zusammengehört, zusammenzukitten. Und das Unerhörte geschah. Als Napoleons aus unzähligen Hilfsvölkern zusammengesetztes Riesenheer auszog, um seinen unbotmäßigen russischen Verbündeten zu züchtigen, da marschierte zum erstem Male in der Geschichte des Landes ein ganzes preußisches Armeekorps mit, um für den Ruhm Frankreichs zu bluten. Siebzehntausend Mann stark zogen die Preußen aus unter Befehl von Grawert, der bei Jena die Feldherrnkunst Napoleons am eigenen Leibe kennengelernt hatte. Er erkrankte und wurde von Yorck ersetzt. Wie ein Haufen Heuschrecken, so wälzte das Riesenheer seine Massen über die deutsche Erde gen Osten hin, fraß, wo es durchkam, das ganze Land kahl und verwandelte es in eine Wüste. Bis es endlich hinter der russischen Grenze verschwand und sich über die endlosen, dünn bevölkerten Felder Rußlands ergoß, von einer ganzen Wolke von Marodeuren, Händlern und beutegierigen polnisch-jüdischen Schacherern umschwärmt, die sich mit seinen Abfällen mästeten, alles, was am Wege blieb, auflasen, Kleider, Ausrüstung, Proviant und Beutestücke erhandelten oder stahlen, die todmüde am Wege Liegenden erschlugen oder sie bis auf die Knochen ausplünderten. Schreck und Entsetzen hinterließ der Raubzug überall, wo er durchkam, und lähmte die Kraft der Landeskinder so, daß keiner auch nur daran zu denken wagte, die Hand zur Rache zu erheben, als nachher die Reste der Horden wiederkamen, geschlagen, geschunden, zerfetzt und zerlumpt und von noch größeren Schwärmen Beutegeiern verfolgt. Tausende von französischen Offizieren, auch Napoleon selbst und seine berühmten Marschälle, hätte man ohne weiteres gefangennehmen können. Aber man rührte keinem Finger gegen sie, man ließ sie ungefährdet durch und in ihre Heimat zurück, wo sie dann gleich neue Heerhaufen zur Unterjochung bereitstellten. Man schlug das Raubgesindel nicht mit Knüppeln tot, man gab ihnen Lager und Kleidung, speiste sie, pflegte sie, vergaß das vergossene Blut und die Tränen, das geraubte Gut und Geld –, aber beileibe nicht aus Gutmütigkeit und noch weniger aus Feigheit. Nein, jene Armseligen, in Lumpen Zurückkehrenden, sie waren immer noch die Herren. Und keiner wagte noch an das unerhörte Glück zu glauben, daß jene gewaltige Macht, deren Diener sie waren, jemals gebrochen werden könnte, auch dann nicht, als man es mit eigenen Augen zu sehen und mit Händen zu greifen vermochte. Der Krieg wurde nicht erklärt, die Rüstungen nur in größter Heimlichkeit betrieben, und auch dann nur unter dem Schein, den Bündnisvertrag mit Frankreich erfüllen zu wollen. Die Geheimdiplomatie war eifrig dabei, zu vertuschen und zu verhüllen, kein klarer Wille wagte sich hervor, kein offenes Wort wurde von maßgebender Stelle gesprochen. Da auf einmal klang es jubelnd hart drein, wie schmetternde Fanfaren aus der alt-fritzischen Zeit. Von weit draußen an der Grenze klang es herüber, aber so hell und klar, so bestimmt und zielbewußt, daß es in die entfernteste Gegend des Landes drang und alle Herzen erzittern machte. Es war der gleiche Ton, der Deutschland weckte, als Schill sein Panier erhob. Aber jetzt ging alles mit, jetzt erwachte begeisterter Widerhall überall – ein Brausen, wie von einem herannahenden Sturm, ging über alles Land, das Gewitter verkündend, und erstickte mit seiner Gewalt jede Mahnung der Ängstlichen, den Weckruf lieber, im Namen der heiligen Subordination, zu überhören. Isegrim Yorck war’s, der ins Horn gestoßen hatte. Er hatte den Sprung ins ungewisse gewagt und seinen Kopf darangesetzt, um seine Preußen aus der schmählichen Gemeinschaft mit den Franzosen zu führen. Dem Korsen hatte er die erzwungene Waffenbrüderschaft aufgesagt, seinen König mit einer vollendeten Tatsache überrascht und sein Volk auf den Boden offener Stellungnahme gegen den wahren Feind gestellt. Die Diplomaten rauften sich die Haare. Die Tat Yorcks kostete ihrer Weisheit und dem Staate etliche Millionen, die Napoleon sonst gerade jetzt hätte zahlen sollen und vielleicht auch gezahlt hätte, wenn alles wenigstens dem Scheine nach beim alten geblieben wäre. Aber sie brachte dafür etwas ein, was für alles Gold der Welt nicht eingehandelt werden kann: die flammende Begeisterung, den unwiderstehlichen Willen eines geknechteten und vergewaltigten Volkes, seine Fesseln zu brechen und die Bedrücker niederzuwerfen. Sie entfesselte das heilige Donnerwetter, dem nichts widersteht – mit dem stets der Sieg ist, weil es die Empörung der Natur selbst ist gegen die ihr angetane Vergewaltigung. * „Herr,“ rief der General Blücher unwirsch und fuhr sich mit dem Rasierpinsel im Gesicht herum, daß der Seifenschaum weit umherspritzte, „Er ist wohl des Teufels! Wie heißt das? Was war das, was Ihm mir vom General Yorck mitzuteilen beliebte?“ Der so angeredete Major Diedrich nahm die Hacken zusammen, reckte sich stramm auf und brachte noch einmal seine Botschaft vor. Die Infanterie Yorcks wäre demnach durch die erlittenen Strapazen sehr geschwächt und von 30000 auf 25000 Mann zusammengeschmolzen. Das Landwehrregiment der zweiten Brigade, das vor acht Tagen zweitausend Mann gehabt hatte, hatte jetzt nur noch siebenhundert. In sechs Tagen hatten die Truppen viermal Nachtmarsch gehabt, ohne daß abgekocht worden war. Sie hatten bei strömendem Regen auf dem aufgeweichten Boden biwakiert, die meisten ohne Mäntel – die Taschenmunition war von Nässe verdorben, in den Munitionswagen war kaum Vorrat genug für eine Schlacht, und dabei hätten die Parkkolonnen sechzehn Meilen Weg bis zur Neiße, um neuen Vorrat zu holen. Der General Yorck ließe bitten, dem Korps doch etwas Ruhe zu lassen. Blücher hatte mit offenem Munde, das aufgeklappte Rasiermesser in der Hand, die Ausführungen des Majors angehört. Jetzt fing er an mit wahrer Wut das Messer an einem ledernen Riemen abzuziehen. Er warf dabei dem Major immer wieder giftige Blicke zu. „Ruhe soll ich dem Korps lassen? Bin ich der Franzmann, der mit ihm Krieg führt? Hat Sein General nicht genug von dem dämlichen Waffenstillstand, den wir kaum glücklich hinter uns haben, und den wir noch hätten, wenn’s nach unseren Diplomatikern ginge? Ein Schuft ist Napoleon, aber gesegnet soll er sein ob seiner Halsstarrigkeit, die Friedensbedingungen nicht anzunehmen. Denn das allein hat verhindert, daß unsere Neunmalweisen den Karren noch tiefer in den Dreck schoben!“ Damit nahm er eine Kohle, zog rasch einen Kreis auf der weißgetünchten Wand, starrte, in Ermangelung eines Spiegels, da hinein und fing an sich den Stoppelbart abzukratzen. Denn jetzt war er wieder in der Offensive und durfte als höflicher Mensch dem Franzmann nicht unrasiert kommen. Der Major Diedrich benutzte die Gelegenheit, weitere Einzelheiten über den schlechten Zustand des Yorckschen Korps vorzubringen, und Blücher, der seine Zunge dazu gebrauchen mußte, beim Rasieren die Wangen von innen zu strammen, konnte dabei seinem Mißvergnügen nur durch ein mehr oder weniger lautes Grunzen Luft geben. Bis der Major ihm mit den zwanzigtausend in Österreich gekauften Flinten auf den Leib rückte, mit denen man die Landwehr beglückt hatte, und die die unangenehme Eigenschaft hatten, keine Zündlöcher zu besitzen. Die hatte man in der Eile bei der Anfertigung zu bohren vergessen. Und nun müsse die brave Landwehr, zum größten Teil mit Piken bewaffnet, in den Kampf ziehen! Da hörte Blücher mit dem Schaben seines Bartes auf, sandte sich jäh um, warf dem Major einen vernichtenden Blick zu und wetterte los. „Herr, was redet Er da von Zündlöchern? Bei dem Sauwetter, wo’s, wie jetzt, seit Monaten Strippen regnet, schießen alle Flinten gleich gut, ob sie Zündlöcher haben oder nicht! Die sollen die Leute ruhig behalten und mit den Kolben auf den Franzmann losschlagen. Und taugen sie auch dazu nicht, dann mögen sie sich drüben beim Feind bessere Flinten holen. Die Franzosen haben ganz gute! Wozu haben wir den Krieg?“ Worauf er das Messer ansetzte und weiter schabte. Aber der Major hatte noch mehr auf dem Herzen, und die Gelegenheit war zu gut jetzt, wo der Alte das Messer an der Kehle hatte und die Zunge im Zaum halten mußte. Er packte also aus. Es fehle den Landwehrregimentern an Mänteln, sie hätten nur leinene Hosen, statt Patronentaschen leinene Beutel, Kochgeschirr wäre bei ihnen eine Seltenheit und Stiefel erst recht. Bei den aufgeweichten Wegen käme man kaum noch vorwärts mit der schlechten Ausrüstung. „I der Deubel!“ unterbrach Blücher plötzlich die Litanei. „Mit langen Redensarten wurde noch niemals ’n Stiebel jemacht. Was red’t Er denn? Wo uns Hunderttausende von den besten französischen Stiebeln freundlichst entgegentanzen und bloß dadruff warten, genommen zu werden! Wenn unsere Leute zu vornehm sind, um auf Pariser Sohlen zu laufen und sich die nicht holen können, wo sie da sind, dann können sie meinetwegen barfuß laufen! Und was den anderen Kram betrifft – die Mäntel und Patronentaschen und gar die Hosen –, das alles macht noch lange nicht den Soldaten! Die Leute, die da mit Piken und Sensen geübt und so die Griffe gelernt haben, die haben eben gewußt, wie saumäßig es um Preußen stand, und daß es ihm an Flinten und Stiebeln und Mänteln fehlte. Und sie sind doch gekommen und haben sich zum Dienst gestellt. Warum, denkt Er wohl? Nicht, damit Er mir hier noch eine Litanei vorbetet, sondern um Preußen all das zu verschaffen, was ihm fehlt – vor allem die Freiheit und den alten Besitz! Das andere – die Flinten und die Stiebel und der ganze Kram –, das kommt dann ganz von selbst. Und nun schere Er sich, und lasse Er mich ungeschoren. Dem General ist zu erwidern, daß es beim Marschbefehl bleibt. Er hat sich von Jauer zurück auf die Katzbach zu wenden und die vorgeschriebenen Stellungen bei Brechtelshof einzunehmen. Verstanden?“ Der Major salutierte schweigend und ging. Und Blücher begab sich nach vollendeter Toilette hinaus, um die abmarschierenden Truppen zu inspizieren. Sein geübtes Auge sah wohl alle Mängel und Gebrechen ihrer Ausrüstung, sah die beschmutzten, durchnäßten, frierenden und abgehetzten Kerle dastehen und fragende Blicke auf ihn richten – sah aber auch unverzagten Mut aus ihren Augen leuchten, als er vor der Front aufritt. Seine Blicke glitten prüfend von Mann zu Mann die Reihen entlang. Es waren keine baumlangen Pommern oder Mecklenburger, sondern zumeist klein gewachsene, schmächtige Leute aus den schlesischen Weberdistrikten. Staat war mit ihnen nicht zu machen, aber sie würden schon anbeißen, wenn man nur verstände, im richtigen Ton zu ihnen zu sprechen, und ihnen gleich zu Gemüt zu führen wüßte, daß der Krieg keine Schule der Verzärtelung sei, und daß es dabei etwas Wichtigeres und Bedeutungsvolleres als Strapazen und Entbehrungen gäbe. Und diesen Ton fand Blücher gleich. Nachdem er die Reihen abgeritten war, hielt er vor der Front und rief in seiner jovialen Art, mit einem listigen Augenzwinkern, daß sich ein jeder sofort innerlich auf du und du mit ihm befand. „Kerls, ihr seht aus wie die Schweine! Aber es macht nichts. Ihr habt doch die Franzosen geschlagen! Das ist aber nicht genug! Ihr müßt sie heute wieder schlagen, wie das Wetter und die Wege auch sind. Sonst sind wir alle beschissen! Guten Morgen, Kinder! Und nun frisch darauflos!“ Worauf er schmunzelnd über das donnernde Lachen, womit die Front für die Ansprache quittierte, sein Pferd herumwarf und zurück in sein Quartier galoppierte. Dort erwartete ihn großer Ärger und Verdruß. Yorck selbst war gekommen, um wegen des vielen „unnützen Hin- und Hermarschierens“ das Oberkommando zur Rede zu stellen, und war eben in heftigem Diskurs mit dem Generalstabschef Gneisenau, der vom Obersten Müffling getreulich sekundiert wurde. Als er Blücher sah, wandte er sich gleich an ihn, und zwar in einem Ton, den dieser sich als Oberkommandierender keinesfalls gefallen lassen konnte. „Und wenn der Teufel selbst das ganze Oberkommando gegen mich zur Attacke ritte – marschiert wird doch nicht, ehe ich nicht achtundvierzig Stunden gerastet habe!“ rief er ohne alle Einleitung Blücher zu. „Das ist das wenigste, was ich brauche, um meine Leute wieder schlagfertig zu haben. Das mögen sich die Herren Kraftgenies hier –“ er warf einen despektierlichen Blick auf die beiden Mithelfer Blüchers – „unter die Nase reiben! Und auch, daß ich dies kopflose Hin- und Hermarschieren, das sie meinen Leuten zumuten, ohne ihnen Ruhe zum Essen und Schlafen zu gönnen, daß ich das mit den Menschen Schindluder treiben nenne. Und dazu sind meine Preußen denn doch zu gut!“ Blücher verbat sich ein für allemal in der energischsten Weise sowohl diesen Ton wie auch jede Widerrede. Yorck und er seien wohl alte Waffengefährten, aber das entbinde ihn doch nicht von der Pflicht unbedingten Gehorsams seinem Vorgesetzten gegenüber. Zu befehlen habe hier allein er, Blücher. Er trüge auch allein die ganze Verantwortung für die gegebenen Befehle und verbäte sich eine jede Kritik. „Herr General,“ sagte Yorck, noch aufgebrachter als vorhin, „ich pfeife auf die Waffenbrüderschaft, die sich solchermaßen in Erinnerung bringt. Und wer von uns beiden sein Handwerk besser versteht, darüber brauche ich mich hier auch nicht auszulassen. Zum Kommandieren gehört nicht nur das Amt, man muß es auch können. Und käme es nur _darauf_ an – wer weiß, wer von uns beiden jetzt hier dem anderen zu befehlen hätte! Mich kümmert aber all das weniger! Mich kümmert in erster Linie die große Verantwortung, die ich vor meinem König und meinem Vaterland für die mir anvertrauten Truppen habe.“ „Uns nicht weniger!“ schrie Blücher zornesrot. „Darüber hinaus gibt es aber etwas, was ich militärische Notwendigkeit nenne. Wenn die ein Opfer verlangt, so bringe ich es unbedingt, und wenn es noch so schmerzlich wäre. Und trage die Verantwortung dafür allein und teile sie mit keinem!“ „Wenn aber die Soldaten vorher zu Tode gehetzt werden, wozu und inwiefern und mit welchem Nutzen will ein General dann jenes Opfer bringen? Wo nichts ist, ist auch nichts zu opfern, wie groß die militärische Notwendigkeit auch sein mag. Haben Sie, meine Herren, im Vorjahre die Trümmer der großen französischen Armee gesehen, als sie aus Rußland zurückkam? Und haben Sie dagegen meine Preußen gesehen, wie die aus dem gleichen Feldzug wiederkehrten? Meine Fürsorge für meine Leute war’s, die dem König von Preußen da eine ganze Armee bewahrte, wo alles andere zugrunde ging. Ohne diese meine Fürsorge hätte der General von Blücher in seiner schlesischen Armee heute keine Preußen zu kommandieren. Wäre mein Eigensinn, den die jungen Leute hier im Oberkommando so gern bekritteln – wäre der nicht gewesen – hätte ich nur den blinden Kadavergehorsam gegen Vorgesetzte gehabt, den man heute hier von mir verlangt, ich hätte mich nimmermehr getraut, dem Marschall Macdonald, der heute die Franzosen gegen uns führt, den Gehorsam aufzukündigen. Ich hätte an einem Strange mit ihm weitergezogen, und ich wäre niemals dazu gekommen, in Tauroggen meinen alten Kopf aufs Spiel zu setzen, um endlich eine reinliche Scheidung zwischen uns und den Franzosen zu machen.“ „Recht hatten Sie, Yorck“, sagte Blücher, dessen Augen leuchteten bei der Nennung des Tages von Tauroggen. „Aber jetzt sind Sie im Unrecht. Denn ich bin kein französischer Marschall, dem ein preußischer General meines Erachtens nimmermehr gehorchen kann, ohne vor sich selbst zu erröten. Ich bin hier der Oberkommandierende der schlesischen Armee, der hier im Namen des Königs befiehlt und sich Gehorsam zu verschaffen wissen wird, gleichviel ob ich persönlich oder durch meine Generalquartiermeister die Befehle erteile. Wobei eine Sache nicht zu vergessen ist, nämlich die: der General Yorck hat den russischen Feldzug _als französischer General_ mitgemacht. Das färbt ab. Wir aber sind da rein geblieben und haben es alle vorgezogen, den Dienst zu quittieren, statt mit dem Erbfeind gemeinsame Sache zu machen. Deshalb haben _wir_ hier das Kommando jetzt, wo es gegen den Franzmann geht, und haben es _nicht nur_ mit dem Vorrecht, das der Königliche Befehl uns gibt.“ Damit schnitt er jede weitere Erörterung ab, ging in sein Zimmer und hieß Gneisenau gleich zur Befehlsausgabe nachkommen. Yorck aber, außer sich über die ihm zugefügte Kränkung, ging in sein Quartier, setzte sich hin und schrieb dem König einen langen Brief, in dem er um seinen Abschied bat und sein Gesuch ausführlich begründete. Dann, als er den Brief abgesandt hatte, fügte er sich, befahl Aufbruch und ließ es sich sogar gefallen, daß ihm vom Oberkommando der Oberst Müffling beigegeben wurde, um ihn in die befohlenen Stellungen zu geleiten. Blücher aber, mit Gneisenau allein geblieben, ging fluchend auf und ab. „Himmeldonnerwetter!“ rief er. „Muß ich auch noch mit meinen Untergebenen um mein Kommando kämpfen! Das fehlte mir gerade noch!“ Er blieb vor Gneisenau stehen. „Ich bin gewiß der letzte, die große Bedeutung von Yorcks Tat nicht anzuerkennen, als er es wagte, den Ängstlichen zum Trotz, sich mit seiner Armee gegen Napoleon zu erklären. Wenn er aber glaubt, deshalb das Recht zu haben, sich wie ein Bleigewicht an unsere Füße hängen zu dürfen, so irrt er sich. Ja, glauben denn er und seine Leute, daß wir blind und taub sind? Da kommen die Kerle her und machen mir was vor und erzählen _mir_ von der schlechten Ausrüstung! Die sehe ich ebensogut wie sie! Aber auch, daß wir uns schön hüten müssen, ihr so große Bedeutung beizumessen, daß unsere Leute darob mutlos werden. Denn das hieße uns unserer einzigen guten Waffe: ihres felsenfesten Vertrauens auch noch zu berauben. Wenn ich den wackeren Kerlen in die Augen schaue und das reine lautere Gold glühender Vaterlandsliebe mir da entgegenfunkelt, da denke ich: hol’ mir der Teufel Flinten und Patronen! – _Das_ da ist unbezwinglich! Das siegt! Das fragt nach keiner Übermacht! Und auf die Leute wagen unsere russischen Bundesbrüder gar übermütig herabzublicken! Schockschwerenot – was haben die Russen geleistet, das ihnen die Berechtigung dazu gäbe? Die prahlen damit, wie sie im Vorjahre Napoleon besiegt haben – wo sie vor ihm gelaufen sind, bis der sich in seinem Übermut verrannte und nicht mehr heil aus ihren endlosen Steppen herauskonnte. Nun kommen sie her und tun dick, und setzen uns _ihre_ Führung auf die Nase und wollen uns auch das Ausweichen vor dem Herrn Napoleon beibringen! – Und unsere eigenen Leute – die besten unter ihnen, wie der alte Isegrim soeben, die helfen da brav mit. Der Geist des Rückzugs und der Flaumacherei geht bei uns mächtig um! Es ist höchste Zeit, daß wir ihm den Garaus machen, Gneisenau!“ Er schwieg. Aller Ärger und alle Bitterkeit der letzten Jahre wurden wieder in ihm wach, und er durchlebte in einem kurzen Augenblick noch einmal die schrecklichste Zeit seines Lebens, die Zeit, wo er aus jeder liebgewordenen Tätigkeit verbannt, geächtet und von den braven Strebern gemieden leben mußte. Bis er endlich die Frühlingsluft der Befreiung witterte, seine Zeit gekommen fühlte und seine Stimme erheben durfte ohne Furcht, nicht mehr gehört zu werden. „Mich juckt’s in allen Fingern, den Säbel zu ergreifen“, schrieb er da an seinen unvergeßlichen Freund Scharnhorst. „Wenn es jetzt nicht Seiner Majestät unseres Königs und aller übrigen deutschen Fürsten und der ganzen Nation Führnehmen ist, alles Schelmenfranzosenvolk mitsamt dem Bonaparte und all seinem ganzen Anhang vom deutschen Boden weg zu vertilgen: so scheint mich, daß kein deutscher Mann mehr des deutschen Namens werth sei. Jetzo ist es wiederum Zeit, zu dhun, was ich schon anno 9 angerathen, nämlich die ganze Nation zu den Waffen anzuberufen, und wann die Fürsten nicht wollen und sich dem entgegensetzen, sie samt dem Bonaparte wegzujagen. Denn nicht nur Preußen, sondern das ganze deutsche Vaterland muß wiederum heraufgebracht und die Nation hergestellt werden.“ Es „juckte“ ihn in allen Fingern, das ganze Heer, das ganze Volk blickte auf ihn wie auf den gegebenen Führer – und doch zauderte man, wie immer, oben und wagte nicht, einen frischen Entschluß zu fassen. Der „Haudegen“, der „Draufgänger“ könnte es ja zu sehr mit dem lieben Feind verderben. Eine Partei am Hofe schob, nicht ohne Aussichten, ihren Mann, den Grafen Tauentzien, als Kandidaten für den Oberbefehl vor. Und einzig und allein die rücksichtslose Energie Scharnhorsts war es, der es gelang, den Widerstand des Königs zu brechen. Blücher wurde mit dem Oberkommando betraut, aber – denn an allen Entschließungen des Königs hing ein einschränkendes Aber, das teilweise ihre Wirkung aufhob – Blücher wurde unter russisches Oberkommando gestellt, und mit ihm das preußische Heer. Der Oberbefehlshaber, der alte Kutusoff, der überhaupt nicht mit seinen Truppen das russische Gebiet verlassen wollte, tat der Sache der Verbündeten den Gefallen, gleich am Anfang des Feldzuges zu sterben. Aber sein Nachfolger, Wittgenstein, war, bei allem guten Willen, ein gänzlich unfähiger Feldherr. Er ließ Napoleon Zeit, seine Armeen zu vereinigen, verpaßte jede gute Gelegenheit, ihn zu überraschen, ließ die Preußen in nutzlosen Kleinkämpfen verbluten, sah im Rückzuge die einzig sichere Frucht der teuer erkauften Siege, und gab ihnen so die Färbung der Niederlage. Der frische Ansturm der Frühlingsoffensive der Russen und der Preußen verpuffte. Die blutigen Schlachten bei Großgörschen und Bautzen waren umsonst geschlagen – die Schweden weigerten sich, die kaum befreiten Hansestädte vor Wiedereroberung durch die Franzosen zu bewahren – der König empfand schon die Situation „wie nach Jena und Auerstedt“, und erst der plötzlich von Napoleon angebotene Waffenstillstand machte dem Zurückgehen der Alliierten nach der Weichsel ein Ende. Er dämpfte aber auch die lodernde Begeisterung, die die Erhebung getragen hatte, zu dumpfer Verzweiflung. Und die während des Waffenstillstandes einsetzenden diplomatischen Verhandlungen waren nicht dazu geeignet, sie wieder zu entfachen. Die Herren Diplomatiker rieben ihre klugen Schädel aneinander und brachten einen Friedensvorschlag zustande, dessen Bedingungen in der Hauptsache Räumung aller preußischen Festungen seitens der Franzosen waren, sowie Rückgabe von Danzig an Preußen und von den illyrischen Provinzen an Österreich, Auflösung des Herzogtums Warschau und dessen Teilung zwischen Rußland, Österreich und Preußen, und außerdem die volle Wiederherstellung der Hansestädte. Die Auflösung des Rheinbundes und die Wiederherstellung Preußens regte man wohl an, wagte sie aber nicht zur Bedingung zu machen. Und Napoleon tat trotzdem den „Mächten“ den großen Gefallen, auf diese für sie – aber nicht für ihn – ungünstigen Bedingungen nicht einzugehen. Der faule Friede unterblieb, die Diplomatie wich wieder dem Schwerte, Österreich trat der Allianz bei, und von allen Bergen loderten Freudenfeuer auf und bekundeten das Ende des Waffenstillstandes und die Wiedereröffnung der Feindseligkeiten. Blücher aber brauchte sich nicht noch einmal von den russischen Generälen gängeln zu lassen. Ihm wurde der Oberbefehl über die aus einem preußischen und zwei russischen Korps gebildete Schlesische Armee gegeben. Und da die Monarchen sich alle unter die Obhut der unter Schwarzenberg von Böhmen aus operierenden Hauptarmee begaben, so hatte er das große und unerhoffte Glück, diese Gesellschaft mit ihren jede freie Bewegung behindernden Erwägungen und ihrem Gefolge von Besserwissern los zu sein, was seine Siegeshoffnung nicht wenig stärkte. Freilich – einer fehlte, dessen Verlust ihm einer verlorenen Schlacht gleichkam: Scharnhorst, der durch seinen unermüdlichen Tätigkeitsdrang und seinen Diensteifer seine in der Schlacht bei Großgörschen erhaltene Wunde vernachlässigt hatte und daran starb, gerade als er am nötigsten war. Der Schmerz über diesen Verlust war schwer und andauernd. Er seufzte beim Gedanken an den verlorenen Freund auf und umfaßte dessen Nachfolger und früheren treuen Mithelfer mit einem zärtlich-dankbaren Blick, daß wenigstens _er_ ihm geblieben war. „Na, Gneisenau“, sagte er gutmütig, und es kam ein Ton warmer Hoffnungsfreudigkeit in die Stimme, „jetzt gilt’s, die Zaghaften im Lande von ihren bösen Träumen zu erwecken. Ein Donnerschlag, Gneisenau, der ihnen den Nebel aus den Köpfen verscheucht, so daß sie wagen geradeheraus zu sehen und zu denken! Eine fröhlich schmetternde Siegesfanfare, die den gesunkenen Mut wiederbelebt! Eine Tat, die unsere schlechten Waffen gut macht und zu Ehren bringt! Vorwärts, an die Arbeit, Gneisenau!“ Dann ließ er sich die Meldungen von den Avantgarden seiner Korps vorlegen. Aus denen ging hervor, daß der Feind auf den Höhen jenseits der Katzbach, von Goldberg bis Liegnitz, lagerte, aber nicht, ob er vorrückte oder an Zurückgehen dachte. „Auf alle Fälle greifen wir an“, entschied der General. Yorck erhielt den Befehl, von Jauer bis nach Schlauphof an der in die Katzbach einfallenden Wütenden Neiße vorzurücken und sich da, von den Uferhöhen gedeckt, in Kolonnen aufzustellen. Die Russen auf dem rechten Flügel unter Sacken sollten die feindliche Front bei Liegnitz festhalten – die Russen auf dem linken Flügel unter Langeron, die links von der Wütenden Neiße von Hennersdorf bis zum Gebirge standen, müßten über die Katzbach auf Goldberg, Yorck in der Mitte gerade nordwärts bei Kroitsch die Katzbach überschreiten. Die Befehle flogen den Kommandierenden zu und lösten bei ihnen verschiedene Gefühle aus – aber als Allerletztes das des Gehorsams. Sacken allein erwiderte dem Offizier, der ihm Blüchers Befehle überbrachte: „Grüßen Sie den General: hurra!“ Aber sein Landsmann Langeron, der im Türkenkriege selbständig kommandiert hatte, der sich ungern dem Oberkommando Blüchers fügte und sich als bestellter Aufpasser des Hauptquartiers über ihn fühlte, da man ihm von dort stets geheime Mitteilungen von den Instruktionen an Blücher gab, dieser französische Emigrant erklärte kurzweg, er dürfe sein Korps nicht aufs Spiel setzen. Und Yorck wetterte und fluchte und tat einen Schwur: „eher werde er seinen Degen zerbrechen, als über die Katzbach gehen!“ Kurz: mit der Disziplin bei den höheren Führern der Armee war’s übel bestellt. Der General Langeron war sogar noch weiter gegangen. Er kalkulierte, trotz aller Befehle vorzugehen, daß es weder einen Angriff noch eine Schlacht geben würde, sondern, wie im Frühlingsfeldzug, einen frischen, fröhlichen Rückzug, und hatte, in weiser Fürsorge, bereits seine schwere Artillerie nach rückwärts auf Jauer vorausgesandt. Durch diese Maßnahme fehlte sie ihm nachher in der Schlacht. Nach den ausgegebenen Dispositionen Blüchers wurde aber an dem Tage überhaupt nicht gearbeitet. Denn auch der Feind parierte nicht. Er blieb nicht wacker in seinen Stellungen stehen, um auf den Besuch zu warten, sondern überschritt unvermutet die Katzbach einige Stunden, ehe die Schlesische Armee es tun sollte, und enthob so deren Obergeneral der Pflicht, seine obstinaten Unterführer dazu zu zwingen. Der Marschall Macdonald glaubte bestimmt die Schlesische Armee auf dem Rückzug, und er hatte ja, nach den bisherigen Erfahrungen mit der Kriegführung der Alliierten, allen Anlaß dazu. Um so mehr, da sie wirklich vor einigen Tagen zurückgewichen waren, als Napoleon selbst mit seinen Garden die Angriffsarmee verstärkt hatte. Jetzt war der Kaiser nach Dresden zurückgeeilt, um sich der Hauptarmee der Alliierten entgegenzuwerfen, und überließ Macdonald allein die Verfolgung. Weit auseinandergezogen gingen die Franzosen zu diesem Zweck vor – und stießen zu ihrer nicht geringen Überraschung auf die Blüchersche Armee, die in voller Schlachtordnung aufmarschierte. Man war beiderseits sehr überrascht über die Begegnung. Der Himmel gab seinen Segen dazu, indem es wie seit Wochen in Strömen goß. Frischer Mut und frohe Laune bei andauernd schlechtem Wetter ist nicht jedermanns Sache. Wenn der Himmel beständig voll grauer Wolken hängt, wenn Tag für Tag kaum einmal ein Glimt von der Lichtspenderin zu merken und ein Ende der Sintflut nicht abzusehen ist, dann schrumpft die Hoffnung zusammen, frohe Zuversicht wandelt sich in bleiche Verzagtheit, und der Mensch möchte sich am liebsten in irgendeine Höhle verkriechen und da, in Erwartung besserer Zeiten, hindämmern, ohne noch die Hand zu rühren, um sie herbeiführen zu helfen. Gegen die Elemente ist Menschenwille machtlos. Und eine Welt, in der es immerfort regnet, verlohnt sich nicht zu erobern. So kam es wohl, daß ein aus Oberschlesiern bestehendes Bataillon nicht stehen wollte, als einige Kanonenkugeln ihnen die ersten Grüße Frankreichs aus den Schluchten hinaufsandte, die zur Wütenden Neiße hinabführten. Die Schlesier gaben gleich Fersengeld und waren schon im Begriff, die anderen Bataillone in Unordnung zu bringen, als der Führer der Avantgarde einige Kanonen auf sie richten ließ und sein Ehrenwort gab, ihnen auch deutsche Kugeln zu kosten zu geben, wenn sie sich von der Stelle rührten. Das wirkte Wunder. Die Leute hielten sich nachher im dichtesten Kugelregen wie alte, kriegsgewohnte Soldaten, und die Ehre der schlesischen Landwehr war gerettet. Der Feind war über die Katzbach das Tal der Wütenden Neiße heraufgekommen, breitete sich von Schlauphof bis zu Dohnau aus und drang nun durch die engen Schluchten nach dem Plateau hinauf, ohne zu ahnen, daß er da oben die Hauptmasse der Schlesischen Armee versammelt finden würde. Blücher beschloß, ihn heraufkommen zu lassen und sich dann auf ihn zu werfen und ihn wieder in die Schluchten hinabzustürzen. Yorck stellte seine Bataillone auf, aber nicht schnell genug und vielleicht nicht ganz vorschriftsmäßig gerichtet. Denn das Oberkommando, vom Obersten Müffling vertreten, fand daran zu tadeln. Der alte Yorck wiederum fand, daß er es nicht nötig hätte, sich von Herrn von Müffling sagen zu lassen, wie er seine Bataillone an den Feind zu bringen hätte. Und inzwischen avancierte der Feind, ohne sich um die Kunststücke zu kümmern. Schließlich hatte Yorck seine Truppen in schlachtmäßiger Ordnung. Selbst führte er die Brigade Hühnerbein am linken Flügel, Horn mit seiner Brigade den rechten. Prinz Karl von Mecklenburg-Strelitz hielt die zweite Linie, Steinmetz’ Brigade war in Reserve, die Reservekavallerie hinter dem ersten Treffen. Und allen voran die Artillerie in vollem Feuern. Der Feind wich – die Kavallerie fand die Zeit gekommen, ihm auf den Leib zu rücken, und jagte in die feindliche Geschützlinie hinein, weit über sie hinaus, nahm Kanonen, hieb Karrees zusammen, geriet aber bald selbst in Auflösung und mußte zurück, als feindliche Reiterei in geschlossenen Massen ihr entgegentrat. Das gab eine Jagd in umgekehrter Richtung, die allerlei Verwirrung verursachte. Mehrere preußische Batterien gingen verloren, die Chasseurs sausten zwischen die Bataillone des rechten Flügels hinein, Yorck klagte schon, daß ihm der sichere Sieg aus der Hand gewunden würde. Und immerfort regnete es in Strömen. Die Munition bei Freund und Feind wurde in gleich neutraler Weise vom Himmel durchnäßt, die Flinten schossen wirklich, wie Blücher vorausgesagt hatte, ebensogut ohne wie mit Zündlöchern – das heißt: kein Schuß ging ab, weder bei den Franzosen noch bei den Preußen. Bajonette und Kolben, Lanzen, Säbel und Piken machten da ganze Arbeit. Denn auch die Kanonen brummten nur mäßig in der dicken, feuchten Luft. Es war die stillste Schlacht, die man sich denken konnte, und doch eine der blutigsten und wütendsten des ganzen Krieges. Schließlich gelang es der Infanterie, durch raschen Seitenangriff, der französischen Kavallerie Herr zu werden. Die russischen Husaren warfen sie weiter zurück, Sacken schwenkte, die feindliche Front überholend, rechts ein. Da gab Blücher Befehl zum allgemeinen Angriff. Er setzte sich selbst an die Spitze der Kavallerie, Yorck führte die Infanterie, und vor der Wucht des Anpralls hielten die Franzosen nicht mehr stand. Mit blutigen Köpfen kamen sie die Schluchten nach der Wütenden Neiße und der Katzbach wieder herunter, und diese Gebirgsbäche, vom Regen angeschwollen, machten gemeinsame Sache mit den Landeskindern und ließen die wenigsten von den Feinden lebend wieder hinüber! Zu Tausenden ertranken sie in den angeschwollenen Fluten. Die preußischen und russischen Kugeln schlugen in die Massen hinein, die sich über die Brücken drängten. Es war ein Sieg, wie sich der alte Blücher ihn nicht glänzender wünschen konnte. Nur auf dem links von der Wütenden Neiße aufgestellten linken Flügel der Armee unter Langeron gab es einige „Schweinerei“, die fast den Erfolg des Tages auf das Spiel gesetzt hätte. Man hatte sich da vom Feind zurückdrängen lassen und war gar im Begriff, aus der vorzüglichen, alles beherrschenden Stellung bei Hennersdorf abzuziehen, als Yorck, nach der Entscheidung rechts von der Wütenden Neiße, die Brigade Steinmetz nach dem linken Ufer hinüberschickte, die Gefechtslage dort wiederherstellte, Monsieur Langeron in die Offensive zwang und mit ihm zusammen auch hier den Feind warf. Achtzehntausend Gefangene, drei Generäle und eine Menge Stabsoffiziere, hundertdrei Kanonen, zweihundertfünfzig Munitionswagen, Lazarette, Feldschmieden, zwei Adler und andere Trophäen waren die Beute. Die moralische Wirkung auf die Armee war aber ungeheuer, und die wichtigste Errungenschaft des Sieges. Die bockbeinigen Herren Untergeneräle mußten nolens volens, sich vor dem Glück beugend, die Überlegenheit einer Führung, die vom Himmel so gut bedient wurde, anerkennen. Allein Blücher selbst machte sich in seiner rebellischen Art über seine eigene Strategie lustig. „Na, Gneisenau,“ sagte er plötzlich zu dem neben ihm reitenden Generalquartiermeister, als sie sich am Abend in strömendem Regen nach dem Hauptquartier in Brechtelshof zurückbegaben, „die Schlacht hätten wir gewonnen, das kann uns eine ganze Welt von Theoretikern nicht abstreiten. Nun laß uns auch mal daran denken, was wir klugerweisse zusammenbringen, um den Leuten klarzumachen, _wie_ wir sie gewonnen haben. – Diesmal muß Er die Strategie eben nachträglich zurechtmachen. Einen Plan müssen wir gehabt haben! Das geht nicht anders! Was werden die Strategen sonst von uns sagen, wenn wir uns erfrechen, so gegen alle Regel eine Schlacht gewonnen zu haben?“ * Im Schloß des Grafen Hohenthal zu Wartenburg war der Bankettsaal hell erleuchtet. Um die Tafeln eine ernste Gemeinde. Ein blutiger Tag war zu Ende. Man feierte einen glänzenden Sieg –, erfreute sich des Gelingens eines kühnen strategischen Manövers, von dem eine entscheidende Wendung des ganzen Feldzuges zu erhoffen war. Aber immer noch stand die Hauptmacht Napoleons ungebrochen da. Immer noch flatterten die dreifarbigen Fahnen über der Hauptstadt seines sächsischen Vasallen. Die Marseillaise schmetterte noch sieghaft wie bisher und behauptete das Feld gegen die fremden Klänge, die rebellische Rhythmen in das Konzert zu werfen suchten. Von allen Seiten kam das Echo feindlich gefärbt zurück – aus den böhmischen Bergen – aus der Lausitzer Gegend und nördlich von der Elbe, kräftig genug, um der Welt zu zeigen, daß die Todesstunde der französischen Alleinherrschaft geschlagen hatte. Die Rollen waren vertauscht. Jetzt war Napoleon nicht mehr der wilde Jäger, vor dem alles auswich und vor dessen Ungestüm alles erlag. – Jetzt war er selbst das gehetzte Wild, noch furchtbar, wo seine Pranke traf, aber nicht mehr als Sieger Gesetze gebend. Dem ersten Ansturm des aus Böhmen vorbrechenden Hauptheeres der Verbündeten bot er siegreich Halt, schlug es bei Dresden entscheidend und warf es ins Gebirge zurück. Und triumphierend jubelte die Marseillaise. Aber aus allen Himmelsrichtungen antworteten die Hörner der Jäger mit noch stärkeren Siegesklängen. Bei Kulm war das ganze verfolgende Korps Vandammes vernichtet – an der Katzbach Macdonald von Blücher aufs Haupt geschlagen worden. Auch der Fürst von der Moskwa, Ney, und der Marschall Oudinot holten sich bei Großbeeren und Dennewitz derbe Schläge von den Untergenerälen des zaghaften Kommandierenden der Nordarmee, des zum Kronprinzen von Schweden avancierten Bernadotte – Niederlagen, die die französische Stellung an der Elbe, trotz Beherrschung der Elbfestungen, in Frage stellten. Noch aber war die Lage nicht kritisch geworden. Die Nordarmee der Verbündeten hielt sich vorsichtig zurück und nützte ihre Siege nicht aus. Die Hauptarmee drückte sich noch immer in den böhmischen Bergen herum und wartete auf Verstärkungen. Da brachte Blücher Bewegung in das Ganze und zwang seine zögernden Mitarbeiter aus ihrer Zurückhaltung heraus. Er kümmerte sich den Teufel um die Hilferufe seines weit stärkeren Waffenbruders Schwarzenberg, ließ die Hauptarmee Hauptarmee sein, schickte ihr nicht einmal einen Knopf von den erbetenen fünfzigtausend Mann Verstärkungen hin, marschierte statt links, wie man’s wünschte, rechts ab, wie er selbst es wollte, nach Nordwest, die Elbe abwärts, an der französischen Hauptmacht vorbei, täuschte inzwischen Napoleon durch eine plötzliche Diversion des Sackenschen Korps auf Meißen, stellte diese und noch andere russische Truppen nördlich der Elbe als schützende Kulisse auf, hinter der er mit der Hauptmacht seiner Schlesischen Armee bis in die Gegend von Wittenberg ziehen konnte. Dort ging er über die Elbe, stand mit einem Schlag im Rücken der französischen Armee, bedrohte die rückwärtigen Verbindungen Napoleons, manövrierte so diesen mit kühnem Griff aus Dresden heraus und von der Elbe fort, und brachte zugleich Schwarzenberg vom Süden und Bernadotte aus dem Norden in Bewegung. Denn jetzt mußten sie folgen und helfen, den Ring um das Edelwild noch dichter zu schließen. Im Schlosse zu Wartenburg tafelte Blücher mit seinen Offizieren nach glücklich erkämpftem Elbübergang. Der große Bankettsaal war hell erleuchtet. In Kronen und Ampeln flammten die Kerzen. Durch die Löcher in den Wänden und durch die zerschossenen Fensterscheiben funkelten die Sterne des Himmels herein. Ernst waren die Gesichter der Tafelnden und leise die Unterhaltung. Ein jeder lauschte auf die gedämpften Trommelwirbel von draußen, wo in der Abenddämmerung die Gefallenen bestattet wurden, die um den Sieg ihr Leben gelassen hatten. Blücher selbst, sonst eitel Frohmut und Laune, saß heute nachdenklich da. Das Gelingen seines kühnen Unternehmens erfüllte ihn wohl mit Genugtuung. Aber der hohe Preis des Sieges, das viele kostbare Blut, das heute hatte fließen müssen, stimmte die Siegesfreude in Trauerklänge um. Plötzlich ergriff er sein Glas und erhob sich von seinem Platz. Feierlicher Ernst lag auf seinem Gesicht, seine Augen schimmerten in feuchtem Glanz, und in der Stimme zitterte ein Ton tiefster Bewegung, als er anhub: „Lasset uns unsere Toten begraben. Widmen wir ein Glas den vielen namenlosen Helden, die bis heute ihr Blut für die Befreiung unseres Vaterlandes aus fremder Gewalt vergossen haben. Ein Name mag da für alle gelten. Denn er, der ihn trug, war auch der Geringsten einer. Aus den ärmlichen Verhältnissen nahm er seinen Aufstieg zur Höhe, wo jäh seine Laufbahn endete, und zeugt so davon, daß nur wer vom Volke geboren wurde, dem Volke Befreier werden kann. Er wurde es. Ihm, seinem Geiste, seinem unermüdlichen Schaffen verdanken wir, wenn wir jetzt dastehen, wo wir heute sind, und hoffen können, das hohe Ziel zu erreichen, für das wir alle unser Leben geben wollen. Was das heißt, brauche ich keinem von euch zu sagen. Wir alle wissen, daß wir als Volk so tief gesunken waren, daß die große Masse dem Unglück, das unser Vaterland bis zur Grenze der Vernichtung niederwarf, fast teilnahmslos gegenüberstand. Wir sind alle Zeugen der jähen Wandlung – wir haben das Aufflammen der Begeisterung miterlebt, das hoch wie niedrig ergriff und zu Heldentaten befähigte, von denen wir heute wiederum staunende und ergriffene Zeugen gewesen sind. Wer schuf sein Leben lang in stiller emsiger Arbeit die Waffe zu solcher Tat? Wer lehrte sie uns gebrauchen? Wer war uns Freund, Organisator und Mitstreiter, ohne zu ermüden, ohne sich Ruhe zu gönnen – auch nicht als er, zu Tode verwundet, Erholung und Pflege haben mußte? Sei getreu bis in den Tod – dies hehre Gebot erfüllte er ohne Zagen als erste und selbstverständliche Pflicht. Was befähigte ihn dazu, was trug ihn und uns mit ihm durch alle Niederungen der Knechtschaft zur Freiheit empor? Es war der zähe, durch nichts zu besiegende Widerstandsgeist unseres Volksstammes, der wohl gebeugt, aber nimmermehr gebrochen werden kann, und der, wenn es um das Heiligste auf Erden geht: um das Recht, frei unter freien Völkern sein Haupt aufrecht zu tragen, in flammendem Zorn emporlodert, um unwiderstehlich, wie das heilige Donnerwetter selbst, alles hinwegzufegen, was sich erdreistet, sich dem in den Weg zu stellen! Dieser Geist hat sich heute wieder herrlich offenbart –“ Blücher schwieg bewegt. Denn wieder rollten in langsamem Zeitmaß langgedehnte Trommelwirbel gedämpft herein, wie um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen. „Die Trommel geht,“ rief er dann ergriffen, „sie mahnt unseren Sinn, ins Jenseits zu blicken. Dort ziehen jetzt in endloser Schar die Geister unserer gefallenen Brüder vorüber. Immer dichter drängen sie an den Thron des Herrn aller Heerscharen heran und empfangen als Lohn für ihr Opfer die Weihe, fortan, von jeder leiblichen Schwere unbehindert, mit uns zu streiten, um unsere heilige Sache zum Siege zu führen. Wir hienieden sind alle gering gegen sie. Ich selbst weiter nichts als ein Handwerker, der die aufgegebene Arbeit geleistet hat. Wer aber alles so bereitet hat, daß wir anderen hier den Erfolg haben konnten, das war jener, von dem ich hier geredet habe –“ Er wandte sich mit den Worten an den jungen Leutnant von Scharnhorst und winkte ihn näher. „Das war Ihr Vater“, setzte er seine Ansprache fort. „Denn er und kein anderer hat jedem Sieg, den wir erstritten, vorgearbeitet, er hat in Reih’ und Glied mit den anderen dafür gekämpft, sein Leben eingesetzt und verloren, wie der Geringste unter denen, deren Heimgang wir betrauern. Blicke herab, verklärter Geist unseres Scharnhorst, und vernimm es, wie wir alle hier in die Hand deines Sohnes geloben, dir nachzueifern in Wort und Tat, bis wir das deutsche Vaterland von den Feinden und Unterdrückern befreit und den preußischen Namen wieder zu Ehren gebracht haben.“ Damit zog er den Sohn Scharnhorst an seine Brust und küßte ihm die Stirn. Die anderen traten ergriffen an den jungen Offizier heran und bekräftigten mit stummem Handschlag die Worte ihres Führers. * Im Schlosse zu Köthen saß der Kronprinz Karl Johann von Schweden, alias Marschall Bernadotte, bei der Morgentoilette. Die geschickten Hände seines Kammerdieners befreiten seine, trotz den fünfzig Jahren, immer noch rabenschwarzen Locken von den unzähligen Papillotten, in die sie über Nacht gewickelt waren, und ordnete sie in dekorativem Wirrwar um das scharf geschnittene Profil herum, das so recht dazu geeignet war, auf Münzen und Medaillen majestätisch zu wirken. Zur Münze geschlagen, hält der Mensch den Mund, und das ist bei manchem gekrönten Haupt entschieden von Vorteil. Noch war der Advokatensohn aus Pau ja nicht so weit in der Karriere gediehen. Er plapperte also rüstig drauflos. Sein schwedischer Adjutant, der in ehrfurchtsvoller Haltung wartete, bekam einen Erguß über alles mögliche, was die neugefürstete Seele seines Gebieters momentan bewegte. „Wir schreiben also sofort an den General Blücher, daß der Kaiser Napoleon auf das rechte Elbufer übergegangen ist, unsere Rückzugslinie ernstlich bedroht und uns nötigt, zu retirieren und über die Elbe zurückzugehen. – Wir fordern den General auf, uns mit der Schlesischen Armee zu folgen. Und, damit er es auch tut –, deuten Sie ihm an, wir hätten uns bei dem Kriegsrat in Trachenberg von den Monarchen zusichern lassen, gegebenenfalls und insbesondere bei gemeinsamen Unternehmungen auch über ihn und seine Armee den Oberbefehl zu führen.“ Der Adjutant machte sich eiligst Notizen. „Es ist an der Zeit, mit der Legende aufzuräumen, ein ehemaliger Marschall von Frankreich wäre gerade gut genug, in Deutschland ein subalternes Kommando zu führen! Wozu hat man mich wohl gebeten? Man überhäuft mich mit Komplimenten – man macht mir Versprechungen – der Kaiser Alexander selbst wurde nicht müde, zu betonen, er hätte mit mir die Strategie Napoleons in die Dienste der Verbündeten gestellt! – Nun, er hat nicht zu sehr danebengegriffen. Aber wem gab man den Oberbefehl? – Mir etwa? Nein, dem Fürsten Schwarzenberg! Wer ist Fürst Schwarzenberg? Auf welchem Schlachtfelde wurde sein Name bekannt und berühmt? Auf keinem, wo ich mitgekämpft habe. Und wo habe ich nicht mitgekämpft? Wer gab bei Austerlitz die Entscheidung? Wer bei Wagram – und das in solchem Maße, daß Napoleon vor Neid fast platzte und sich zu Unbesonnenheiten mir gegenüber hinreißen ließ, um mir die Palme des Sieges zu entreißen. Nun hat man mich – und läßt mich eine zweite – eine dritte Rolle spielen, und verspielt so das Ganze. Sie werden es sehen. Napoleon wird den Leuten ein Schnippchen schlagen. Und wenn nicht – dann haben sie’s meiner Vorsicht zu verdanken, die ihm stets zu entschlüpfen wußte. Napoleon weiß schon, was er an mir hat! Er weiß mich als Feind einzuschätzen. Er wird auf mich wütend sein! Er wird darauf brennen, vor allem mich zu vernichten, weil ohne mich die anderen ihm dann auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sein werden! Ich hüte mich aber, mich seinen Keulenschlägen auszusetzen. Den billigen Triumph soll er nicht haben. Wie könnte ich ihm auch standhalten? Was für Truppen hat man mir dazu gegeben? _Mon dieu!_ Einen Bernadotte nimmt man zum Oberkommandierenden – und gibt ihm derartiges Gesindel in die Hand! Diese preußische Landwehr, wie sieht sie nur aus! Was für eine Ausrüstung, welche Gesichter, welche plumpen Bewegungen, welche Ungeschicklichkeit! Kein Griff, der sitzt – kein Elan, gar nichts! Die reinen Barbaren! Und meine lieben Schweden – nun – nichts für ungut. Oberst, geben Sie’s nur zu – mit den Grenadieren Napoleons sich messen zu wollen, ist eigentlich eine Arroganz von Ihnen! Brave, liebe Leute, meine neuen Landeskinder, ich gebe es zu! Aber was soll es heißen, daß man in Schweden so besorgt tat, als sie ausrückten. ‚Opfern für fremde Interessen‘, sagt man! _Mon dieu!_ Ich werde diese Raritäten von Soldaten dem schwedischen Vaterlande ganz unbeschädigt zurückgeben! Man kann unbesorgt sein. Ich werde sie wie meinen Augapfel hüten! ‚Für fremde Interessen‘?! Weiß man denn nicht, daß meine Teilnahme am Krieg den Schweden Norwegen einbringen wird? Oder traut man mir nicht einmal das zu? Glaubt man in Schweden an das alberne Gerücht, die Schweden sollten bluten, damit ich Kaiser der Franzosen werde, wenn Napoleon abgetan ist? Es ist wahr, die Franzosen lieben mich! Sie wären schon imstande, mich – – – Wäre Napoleon nicht aus Ägypten zurückgekommen – wäre er damals nicht den Engländern entschlüpft –, wer weiß, was geschehen wäre?! Wer weiß, wie die Welt heute aussehen würde, wenn statt ihm – ein anderer – ich zum Beispiel, in den Tuilerien residieren würde?! Nun, morgen ist auch noch ein Tag. Und wenn die Franzosen es mir nicht zu sehr verübeln, daß ich am Kriege gegen sie teilgenommen habe, dann – – Schließlich, ich tu’ ihnen ja nicht weh. Aber man kennt die Treibereien der Demagogen! – Es könnte gegen mich ausgenützt werden für den Fall, daß man mich – – – Wenn sie aber _trotzdem_ der Stimme ihres Herzens folgen, das stets für mich schlug – wenn sie mich binnen kurzem zum Nachfolger Napoleons ausrufen, dann werde ich meine Pflicht tun – _meine Pflicht_, Oberst! Gewiß – ich _kenne_ meine Pflicht gegen die Schweden! Ein braves, ein treues Volk! Aber eine drollige Sprache! ‚Giff mik – – _un baiser_‘ – wie heißt das nun wieder: _un baiser_? – ‚En schiß‘ – danke lieber Oberst – ‚en schiß‘ – _mon dieu_, man zerbricht sich fast den Mund dabei! Es klingt ja beinahe wie Deutsch – ebenso unmöglich zu prononcieren, ebenso guttural! Eine Sprache für die Wilden! Man müßte eigentlich bei euch in Schweden die französische Sprache einführen! Glauben Sie, Oberst, die veredelt die Manieren! Die würde euch Schweden gut zu Gesicht stehen! Nun, wer weiß, was noch kommen kann, wenn man mich _nicht_ – – – Denn _wenn_ man mich zum Kaiser der Franzosen wählt – es gibt eine Pflicht, Oberst, die alle anderen Pflichten in den Hintergrund stellt, und das ist die Pflicht gegen die Menschheit. Und meine Wahl wäre: der ewige Friede und also ein Segen für die ganze Menschheit. Das käme dann auch den Schweden zugute – und weit mehr, als wenn ich meine aufs Große gerichtete Kraft darauf verschwenden müßte, nur ihr kleines Land zu regieren. Schließlich kann man sich auch in Schweden vertreten lassen –, oder die beiden Länder enger aneinanderschließen. Sie werden’s sehen, es wird noch kommen, man wird noch in Schweden Französisch sprechen! – Also, heute gehen wir über die Elbe zurück. Sie meinen, wir hätten ebenso gern gleich drüben bleiben können? Gewiß! Ich war niemals für dies Abenteuer. Ich habe es kommen sehen, daß wir zurück müßten! Immerhin, ich habe dem alten Haudegen Blücher gezeigt, wie man so etwas macht! Er hat bluten müssen, als er bei Wartenburg überging. – – Wieviel sagten Sie? – Zweitausend Tote?! Das ist viel! Das ist ungeschickt! Ich habe bei meinem Übergang keinen einzigen Toten gehabt – keinen einzigen! Eben weil ich die Gelegenheit besser wahrnahm und erst über den Fluß ging, als der Feind mit Blücher beschäftigt war und nichts davon merkte. Wer zuerst kommt, auf den stürzt sich die Meute, an ihm beißen sich eben die Hunde fest! Der gute Blücher glaubt sich mir überlegen, er treibt mich gar an! Er denkt, er könne mit seiner Feldherrnkunst die meine düpieren? Dabei hat er schon einmal in mir seinen Meister gefunden! Sie wissen: in Ratkau, wo er vor mir kapitulieren mußte! Er wird es nochmals erleben! Er wird sich wundern, wenn ich heute die Karten aufdecke und ihm zeige, daß er eigentlich unter meinem Befehl steht und mir zu gehorchen hat! Er wird fluchen! Ha, ha, ha! Er ist ein Grobian, ein ungeschlachter alter Landsknecht, ein unmanierlicher Barbar! Nun, er ist eben ein Deutscher! Apropos – ihr Schweden seid doch auch halb deutsch! Wie kann man nur? _Ridicule!_ Und eure Sprache auch! Wie hieß es nun wieder: _donnez moi_ – ‚giff mik un giß‘ – un giß! Wie drollig! Wie lächerlich!“ So plapperte Seine neugebackene Königliche Hoheit mit der Selbstgefälligkeit eines Papageien weiter und imponierte seinem Adjutanten und nicht zum mindesten seinem Kammerdiener mit seiner Zungengeläufigkeit, die, wie sooft bei seinen Landsleuten, ersetzen mußte, was ihm an Geist abging. Als aber der Kammerdiener ans Barbieren kam, da stand das kronprinzliche Mundwerk endlich so lange still, daß der Adjutant seine Meldung abstatten und mitteilen konnte: der englische Bevollmächtigte, General Stewart, widerriete auf das bestimmteste einem Rückzug über die Elbe. _Wenn_ überhaupt zurückgegangen werden müßte, da wäre der General Stewart dafür, dann lieber über die Mulde, ja sogar bis hinter die Saale –, überhaupt nach Südosten auszuweichen, wie es Blücher vorgeschlagen hatte, um die Verbindung mit der aus Böhmen vorbrechenden Hauptarmee zu suchen und die Rückzugslinien Napoleons auf Weißenfels und Erfurt zu bedrohen. Der Kronprinz hörte gelassen zu, ließ sich einseifen und antwortete mit keinem Wort. Er gedachte der Subsidien, die ihm England zahlte, und die wohl dessen Bevollmächtigten berechtigten, ein Wort mitzureden. Als aber dann ein zweiter Adjutant mit der Meldung hereinkam, die Franzosen hätten seine Schiffsbrücken bei Aken und Roßlau zerstört, da atmete der Kronprinz erleichtert auf. Denn nun mußte er links der Elbe bleiben, ob er wollte oder nicht! Die Sache war entschieden. Der Engländer hatte seinen Willen, und selbst brauchte er, dank dem Feinde, keinen Entschluß zu fassen. So trieb man die Weltgeschichte entschieden am besten und bequemsten. Man ließ ihr ihren Lauf, trieb selbst mit und vertraute dabei seinem Glück und seiner angeborenen Fähigkeit, an die Oberfläche zu kommen und sich dort zu behaupten. Und wurde so ein Auserwählter von Gottes Gnaden. * „Ein Fähnrich zog in den Kri–ieg – widibum fallera, juchheirassa, ein Fähnrich zog in den Kri–ieg, wer weiß, ob er wiederkehrt, wer weiß, ob er wiederkehrt! Er liebt ein schwarzbraunes Mädchen, widibum fallera, juchheirassa, – er liebt ein schwarzbraunes Mädchen, das bitterlich um ihn weint, das bitterlich um ihn weint!“ So sang man an einem der vielen Biwakfeuer des Yorckschen Korps vor Möckern. Und weiter gen Wiederitzsch zu antwortete es von den Lagerfeuern der Russen, die sich dort aneinanderreihten, in langgezogenen melancholischen Tönen. „Matjuschka–a babu–usch–ka – –“, klagte da ein schmelzender Tenor das ewige alte Russenlied vom roten Sarafan, an dem die Mutter nicht mehr nähen soll, während oben auf der Anhöhe die Silhouetten weithosiger, bebluster Tänzer zu den Tönen der Balalaika sich gespenstisch hin und her drehten, bald an dem flammenden Feuer vorbeihuschten, bald ins Halbdunkel hineinhüpften, um gleich wieder zum Vorschein zu kommen, die Hände in die Hüften gestemmt, die Hacken zusammengeschlagen, die Knie gebeugt, und dann bald nach links, bald nach rechts heraus auf den Hacken gerutscht, hochgeschossen, rundgeschnurrt und wieder in die Finsternis hineingehüpft. Ein dumpfes Geräusch von ferne rollenden Rädern, ein aufbrausendes und wieder abnehmendes Stimmengewirr, Kommandorufe, Hörnerklang, Trommelschlag und Pferdegetrappel verrieten, daß irgendwo bei Freund oder Feind im Schutze der Nacht noch Truppenbewegungen vorgenommen wurden. Klagen, Hilferufe, Jammern und Schmerzensgestöhn wurden überall laut, um wieder zu verstummen. Hier und da ein plötzlicher Flintenschuß – ein Verwundeter, der seinen Qualen ein Ende machte, oder ein schnelles Gericht über einen auf frischer Tat ertappten Leichenplünderer. – Es war ein blutiger Tag gewesen. Yorck und seine Tapferen hatten wieder die Hauptarbeit machen müssen. Der alte Isegrim hatte geflucht und genörgelt wie immer und die Anordnungen des Hauptquartiers bekrittelt, dann aber seinen Mann gestellt. Und wen er mit eisernem Griff packte, der blieb oder kam zerzaust davon, daß er für weitere Kämpfe kaum noch in Betracht kam. Jetzt ruhte der Kampf. Einzelne Lichter bewegten sich langsam hin und her über das Schlachtfeld, hielten an und kehrten in die Richtung, aus der sie gekommen waren, zurück. Und wo sie anhielten, erhob sich das klagende Gestöhn zu neuer Stärke, und die Hilferufe wurden wieder laut. Sie galten den Militärärzten, die die Verwundeten aufsuchten, aber bei der reichen Ernte, die heute der Tod gehalten hatte, nur den wenigsten helfen konnten. Ringsherum, soweit das Auge blicken konnte, flammte Feuer an Feuer der biwakierenden Truppen. Zäune, Obstbäume, die Häuser der Dörfer, überhaupt alles Brennbare in der Umgegend, mußte herhalten, um die vielen Tausende von Feuern zu nähren, an denen die Soldaten all der Völker, die hier zusammengeströmt waren, um sich gegenseitig zu vernichten, ihre armseligen Süppchen kochten und ihre von den Strapazen der Märsche steifen Glieder gegen die Kälte der Oktobernacht zu schützen suchten. Schatten huschten überall hin und her durch die Nacht, tauchten hervor aus dem Dunkel, von dem Licht eines plötzlich aufflammenden Wachtfeuers gefaßt, duckten sich jäh und schwanden, um bald wieder anderswo zum Vorschein zu kommen. Bald waren es Marodeure, Plünderer, Leichenfledderer, die sich an die Gefallenen heranmachten und, wo der Tod nicht rasch genug für ihre Beutegier gewesen war, mit dem Gnadenstoß nachhalfen – bald waren es Überläufer der französischen Armee – meistens Rheinbündler, die das Vertrauen zu dem Glück Napoleons zu verlieren anfingen und nun zu den Gegnern hinüberschlichen mit begierig empfangenen Nachrichten über Truppenzahl, Munition und Proviantvorräte und mit der Versicherung, daß die deutschen Hilfsvölker Napoleons bereits entschlossen wären, regimenterweise überzugehen, wenn noch weitergekämpft werden würde. Daß Napoleon an den Rückzug dachte, wußten sie alle, und auch, daß er’s nicht tat, sondern sich bis zum letzten Atemzug schlagen wollte. Die Stadt Leipzig hob ihre dunkle Masse gespenstig aus dem Ring von Wachtfeuern heraus, der sich um sie herumschlang und deren Widerschein rötlich auf dem mit Wolken bedeckten Himmel lag. Von den Türmen der Stadt flammten einzelne Lichter auf, sonst war alles dunkel, und nur ein gedämpftes Geräusch zeugte von dem Leben, das sich noch drinnen bewegte. Dicht an der Ziegelei im Dorfe Möckern an der Elster loderte und flammte ein großes Biwakfeuer. Alles schlief drum herum, nur ein einzelner Schatten ging langsam auf und ab. Eine kleine Truppe von Reitern trabte heran. Ihr Führer sprang vom Pferde, trat auf den Schatten zu und salutierte. „Melde gehorsamst: Graf Henckell von den westpreußischen Dragonern, kommandiert, das Hauptquartier zu decken! Haben Exzellenz besondere Befehle?“ Yorck, denn er war es, schüttelte den Kopf. Der Rittmeister wollte sich eben entfernen, als Yorck ihn wieder heranwinkte. „Haben den Feind tüchtig zerzaust heute.“ „Es war ein glänzender Sieg, Exzellenz! Aber – es hat viel Blut gekostet – viel Blut!“ Yorck schwieg eine Weile und blickte verbissen ins Feuer. Dann wandte er sich wieder dem jungen Offizier zu. „Bringt Er mir Rapporte?“ „Ich habe allerdings hier und dort herumgefragt –“, fing der Rittmeister zögernd an. „Nun?“ „Dreiundfünfzig Geschütze, zweitausend Gefangene genommen!“ „Weiß ich schon!“ „Die Mecklenburger haben einen Vogel erobert!“ „Der Adler wurde mir gemeldet, die genommenen Fahnen auch! Die Verluste aber noch nicht ganz. Weiß Er schon Genaues?“ Der Rittmeister schwieg und blickte zur Seite. „Rede Er!“ kam es scharf von Yorck. „Zu Befehl, Exzellenz! – Es waren alles Helden!“ sagte er dann leise, und seine Lippen bebten. Yorck nahm den Hut ab. „Der Herr sei ihnen gnädig“, sagte er und faltete die Hände. „Wie viele?“ fragte er dann. „Von der Mannschaft fehlt der dritte Teil!“ Yorck zuckte zusammen. „Ich hab’s nicht vermeiden können“, sagte er. „Es hat sein müssen! Weiter?“ „Sämtliche Regimentskommandeure sind fort. Achtundzwanzig Stabsoffiziere – –“ „Namen nennen!“ Der Rittmeister las aus seinem Notizbuch vor: „Von der Landwehr: Rekowsky, Thiel, Graf Wedell. Dann: General Steinmetz, Major Hiller, Losthin, Maltzahn, Kossecki, Major Mumm, Major Leslie, Oberst Borcke, Major Götze, Othegraven, Krosigk –“ „Genug!“ „Fast alle Hauptleute fehlen – die Leutnants führen die Bataillone –“ „Der Tod hat reiche Ernte gehalten“, sagte Yorck und fletschte plötzlich die Zähne. „Ja, ja!“ setzte er schneidend hinzu, und ein grimmiges Lächeln flog über seine verwitterten Züge, „die Leute, die Er mir da genannt hat, das waren eben – die ‚Feiglinge‘ von Jena!“ „Herr General!“ Der Rittmeister stand aufrecht vor ihm und blickte ihn flammend an. „Nun,“ sagte Yorck, „Er hat’s doch auch vor sieben Jahren miterlebt, wie nach Jena auf uns preußische Offiziere geschimpft wurde! Kein gutes Haar ließ man mehr an uns – kein Wort war schimpflich genug, um unsere Feigheit und Würdelosigkeit zu bezeichnen. Und wer schimpfte? Nun, eben jene braven Bürgersleute, die am Brandenburger Tor Napoleon die Schuhsohlen leckten und nachher nicht schnell genug nach dem Schloß vorauseilen konnten, um ihn dort nochmals ebenso unterwürfig zu empfangen. Wer schimpfte aber auf die? Wer sagte auch nur ein böses Wort, als jene Speichellecker dem Sieger zuliebe ihre sogenannten ‚Nationalgarden‘ errichteten, damit er keine Garnisonen in den Städten zu halten brauchte? Wer entrüstete sich darüber, daß jene Garden ihm halfen, die Kontributionen einzutreiben, oder weil die Söhne der reicheren Bürgersleute sich in grüngoldene Uniformen steckten, um als berittene Boten und Dolmetscher bei den französischen Kommandanten Dienst zu tun? Sagte einer auch nur ein Wort darüber, daß unsere Beamten während der Okkupation brav und bieder weiteramtierten, als sei Napoleon ihr rechtmäßiger Herrscher, und ihm halfen, die Einnahmequellen des Staates aufzufinden? Nein. Aber die preußischen Offiziere, die mußten ihre Haut lassen. Nun – heute haben sie das besorgt, wenn auch nicht als Sündenböcke, und den Herrn Napoleon haben sie bedient – aber in anderer Weise, so wie’s deutschen Männern ziemt. Und wenn sie’s damals vor Jena und Auerstedt nicht so gut taten – Henckell – ich sag’s Ihm ganz offen – dann lag’s eben an unserer hundsmiserablen, rückenmarkslosen Regierung, die wir hatten und noch haben, und die nicht regiert, sondern sich mit dem Strom treiben läßt. Na, heute haben nicht die Franzosen, sondern wir Soldaten sie ins Schlepptau genommen, und sie muß mit dahin, wo das Heil des Volkes zu finden ist. Aber es ist ein saures Stück Arbeit.“ Er schwieg. Er dachte an den Tag von Tauroggen, auf den er mit gerechtem Stolz zurückblicken konnte – dachte an des Königs Wut, weil in „seinen“ Landen jemand gewagt hatte, einen Entschluß zu fassen und zur Tat werden zu lassen, wo _er_ selbst es nicht wagte! Er dachte an seine Absetzung und Stellung vor ein Kriegsgericht, von der er nur durch die Zeitungen erfuhr, weil die Russen, mit denen er paktiert hatte, die königlichen Kuriere abfingen und zurückhielten, so daß er sich um jene Kabinettsorder nicht zu kümmern brauchte. Bis der König nicht mehr zu bremsen wagte, weil er sah und sich sagen mußte: „Das ganze Volk steht auf und fegt dich fort, wenn du jetzt nicht mitgehst!“ Da appellierte er „an sein Volk“, das längst ohne das in Bewegung gekommen war! Und sein Volk vergaß und gab sein Letztes: Besitz, Blut, Leben, alles her! An all das dachte der alte Isegrim wieder einmal und mit besonderer Genugtuung, wie immer. „An der Regierung liegt’s“, sagte er dann nochmals mit Nachdruck. „Und über ihr Haupt kommt all das Blut, das in diesem Kriege unnütz vergossen wird! Diese ganze Schlächterei jetzt wäre überflüssig gewesen, und mancher brave Mann hätte zum Besten des Vaterlandes noch lange leben können, wenn die Regierung ihre Pflicht getan und sich zur rechten Zeit zur Tat aufgerafft hätte! Wie haben wir anderen im vorigen Jahr, als die Trümmer der großen französischen Armee durchs Land zogen, beim König und beim Staatskanzler Hardenberg gebettelt. ‚Laßt doch die Marschälle und die paar tausend Offiziere aufgreifen, laßt sie festsetzen! Das ist jetzt mit Leichtigkeit und ohne Blutvergießen zu machen!‘ So haben wir gebeten. Aber nein – da mußte gleich nobel getan und mit Anstand und Menschenliebe geprahlt werden. Die Leute wurden gefüttert, gepflegt, gekleidet, Geld und Vorspann wurde ihnen geliefert, damit sie heil und munter in ihr Land zurückkehren könnten, um dort gleich ihrem Kaiser zu helfen, eine Armee gegen uns auf die Beine zu stellen. Das hätte er aber nie und nimmer gekonnt, wären unsere Regierenden nicht solche Schlappschwänze gewesen! Nun müssen die Besten unter uns bluten, um das wieder gutzumachen. Und was dem König dann zum Regieren übrigbleibt, das sind eben jene Biederen, die Napoleon so brav die Schuhsohlen zu lecken wußten! Wenn ich aber entscheiden müßte, was uns mehr unnütz vergossenes Blut gekostet hat, unsere liebe Regierung oder die übergeniale Leitung, die wir hier in der Schlesischen Armee haben, und die sich heute wieder so verflucht gescheit bewährt hat, daß wir bald alle draufgegangen wären – ich wüßte nicht, wem ich den Preis zusprechen müßte!“ Und dann zog er gegen Gneisenau los, in dem er die Wurzel alles Übels sah, und über Blücher, der jenen gewähren ließ. Die ewigen Hin- und Hermärsche seit dem Elbübergang bei Wartenburg, erst mit Gewaltmärschen auf Leipzig zu – dann zurück nach der Mulde, als Napoleon folgte, und hinter die Saale, als jener gar bis Düben vordrang! Alles nur unnützes Leuteschinden! Die Schlesische Armee mußte so, nur wegen der Unruhe Blüchers, hin und her wie das Schifflein im Webstuhl, und zog außerdem die ganze Hauptmacht Napoleons auf sich, weil der Kronprinz von Schweden nur eine Stunde täglich marschieren wollte, und die Hauptarmee im Schneckentempo sich über die böhmischen Berge nach Sachsen hineinschob. Als die sich dann endlich Leipzig so weit wie bis Liebertwolkwitz genähert und die Reitermassen Murats von dort bis auf die Stadt zurückgeworfen hatte, so daß Napoleon eiligst zum Entsatz zurück nach Leipzig mußte und von Blücher abließ, da gönnte dieser seinen Leuten nicht die so sehr nötige Ruhe, da ging’s gleich in Eilmärschen hinter Napoleon her und sofort in den Kampf, kaum daß man sich ein wenig verpusten und abkochen konnte! Wobei Bernadotte, wie immer, sein Bestes tat, um mit der Nordarmee nicht zu früh zur Stelle zu sein, um helfen zu können. „Unsere geniale Führung hatte eben so verdreht rekognosziert, daß alles bald schief gegangen wäre – wäre nicht der preußische Soldat eben der preußische Soldat gewesen!“ Und er schimpfte auf Blücher los. Der hatte sich natürlich in den Kopf gesetzt, daß der Feind von Osten über das Plateau von Breitenfeld angreifen würde, statt aus dem Süden von Leipzig aus, wie er’s auch nachher wirklich tat. Er stellte also die ganze Armee mit der Front gen Osten auf, wobei das Yorcksche Korps den Feind an der rechten Flanke zu fühlen bekam, rechts drehen mußte und vom Korps Langeron abkam, das in der alten Richtung gegen die paar Feinde, die dort standen, weiter vorging. Da das Korps Sacken als Reserve zurückgeblieben war, mußte also Yorck allein den Hauptkampf ausfechten. Das ganze Korps des Marschalls Marmont stand da um und hinter dem an der Elster liegenden Dorfe Möckern als Gegner und verteidigte seine Stellung mit der äußersten Hartnäckigkeit. Um jedes Haus, um jedes Gehöft wurde Mann gegen Mann gekämpft, die Landwehrleute schlugen mit dem Kolben drein, das Dorf wurde wiederholt erobert und ebensooft verloren, die feindliche Artillerie warf ganze Reihen von den Angreifern nieder. Yorcks Brigaden schmolzen hin wie Schnee an der Sonne. Aber er ließ nicht locker, wo er einmal angefangen hatte. Als er seine letzten Infanteriereserven verbraucht hatte, gab er endlich der Kavallerie Befehl zur Attacke. Mit lautem Hurra und Trompetengeschmetter sausten dann die brandenburgischen Husaren unter Major Sohr in den Pulverqualm hinein, die brandenburgischen Ulanen folgten, die litauischen Dragoner unter dem Grafen Henckell ebenso, und dann alles, was noch an Kavallerie da war. Mit verhängten Zügeln ging es auf die feindliche Stellung los, zwischen die Batterien hinein, die Artilleristen wurden umgeritten und niedergesäbelt, die Karrees zusammengehauen, und alles, was noch Leben und Atem hatte, in wilder Flucht und immer zunehmender Auflösung vor den Pferden hergetrieben. Alles, was Yorck noch an Truppen verfügbar hatte, ließ er jetzt zur Verfolgung vorrücken. Die Tamboure schlugen den Sturmmarsch, und Ostpreußen, Schlesier, Mecklenburger und Brandenburger taten ihr Bestes, um die Niederlage des Feindes so vernichtend wie möglich zu gestalten. „Das sind alles die ‚Feiglinge‘ von Jena gewesen!“ sagte Yorck noch einmal, als er mit dem jungen Rittmeister die Einzelheiten des Kampfes durchgesprochen hatte. „Aber noch so’n Tanz, und ich habe keine Leute mehr! Mancher Mutter Sohn hat heute die Erde küssen müssen! Zu viele waren’s, – – zu viele!“ „Dafür soll das Korps nun auch Ruhe haben!“ antwortete der Rittmeister, und meldete zugleich, daß das Korps Yorck am nächsten Tag nach Wahren zurückkehren sollte, um sich da neu zu formieren, und daß die Russen unter Sacken dafür in die Schlachtlinie einrücken würden. „Der Teufel auch!“ rief Yorck zornig. „Das Schlachtfeld, das wir gegen den Feind behauptet haben, behaupten wir auch gegen die Freunde. Das werden wir wohl den Russen überlassen?! Nimmermehr!“ Der Rittmeister erwiderte, er hätte selbst Gneisenau die Disposition diktieren hören. Wobei Yorck in Wut kam und eine ganze Reihe von Grobheiten gegen Gneisenau losließ, von dem das wieder nichts als bodenlose Niedertracht wäre. Da klang von einem der Biwakfeuer das alte Lied: „Nun danket alle Gott!“ Am nächsten Feuer wurde der Gesang aufgenommen und pflanzte sich so weiter von Feuer zu Feuer über das ganze blutgetränkte Feld, bis es, von Tausenden von Stimmen getragen, gewaltig anschwoll, in machtvollen Klängen alle anderen Geräusche verschlang, wieder abnahm, in sich zusammensank und verstummte. Yorck hatte seinen Hut abgenommen und stand da, still, gebeugten Hauptes, und lauschte auf das Lied, bis es aufhörte. Dann sprach er seinen alten Lieblingsspruch leise vor sich hin: „Anfang, Mitte und Ende, Herr Gott zum besten wende!“, setzte seinen Hut auf und verabschiedete den jungen Rittmeister mit dem kurzen Befehl: „So, nun gehe Er an seinen Dienst!“ Auf einem anderen Platz des Schlachtfeldes stand noch jemand mit entblößtem Haupt und sang das Danklied mit. Es war Blücher. Während seine Generalstabsoffiziere die Schreibarbeit versahen und die Dispositionen für den nächsten Tag ausfertigen, während Isegrim schimpfte und nörgelte, machte er praktische Arbeit und legte selbst Hand an die Bergung und Unterbringung der Verwundeten. Jedes Leben, das er hier noch retten könnte, würde er hüten wie eine große Kostbarkeit. Seine Tapferen hatten durch ihren Heldenmut heute vielleicht das Zünglein der Wage auf Sieg gerückt, und nichts wäre zu kostbar, um das zu lohnen. Denn, er fühlte es, er war zur rechten Zeit mit ihnen hergekommen. Drüben, jenseits Leipzigs, hatte es den ganzen Tag gewaltig gedonnert. Bei der Schlamperei der Hauptarmee und mit der ganzen Hauptmacht Napoleons gegen sich, hatte man wohl dort keinen entscheidenden Erfolg errungen. Aber auch keine Niederlage erleiden können, nachdem es Blücher gelungen war, hier bei Möckern Marmont festzuhalten und ihn daran zu hindern, zur Unterstützung zu eilen. Wäre nur die Kronprinzenarmee zur rechten Zeit hier eingetroffen! Hätte Bernadotte nur seine Pflicht getan – da wäre es möglich gewesen, auch die beiden russischen Korps der Schlesischen Armee bei Möckern einzusetzen, statt sie nur als Sicherung gegen mögliche Überraschungen aus der linken Flanke aufzustellen! Dann hätten seine Preußen sich nicht verbluten müssen! „Kinder, wer heute abend nicht tot oder wonnetrunken ist, der hat sich geschlagen wie ein Hundsfott!“ hatte er vor Beginn der Schlacht seinen Leuten zugerufen. Und sie hatten sich wie Helden geschlagen. Manch sangesfroher Mund war verstummt für immer. Aber die noch da waren, sangen um so froher. Während des Gesanges war alles still geblieben. Auch ein paar Leute, die auf einer aus zusammengelegten Gewehren zurechtgemachten Bahre einen verwundeten Husaren trugen, blieben gerade vor Blücher stehen, setzten ihre Bürde ab, entblößten ihre Häupter und sangen mit. Blücher blickte hin. Es war ein Graubart wie er selbst. Er lag da in der Uniform der schwarzen Husaren, unbeweglich ausgestreckt, und stöhnte leise. Blücher ging hin, legte seine Hand auf den Arm des Verwundeten und fragte nach seinem Befinden und seinem Namen. „Krause! Auch früher bei den Bellingschen gedient!“ „Der Tausend auch! Da sind wir wohl alte Kriegskameraden?“ „Zu Befehl, Exzellenz! Ich war’s ja – der damals – am Kavelpaß – Exzellenz wissen wohl noch –?“ Blücher schmunzelte. „Ob ich’s noch erinnere! Du warst es also, der mich gefangennahm?! – Sieh nur! Das war gescheit von dir! Da hast du mir einen großen Gefallen getan, mein Sohn! Dafür sollst du auch heute in meinem Bett schlafen! Ich geb’s dir ab. – Krause also?! Früher hießt du wohl anders! – Ich meine, das letztemal, als wir von jener Begebenheit miteinander sprachen, da war dein Name – –? Nun, gleichviel, wie er war! Du bist ein Husar, du hast dich brav geschlagen – sollst es denn auch genau so gut haben wie dein General! Tragt ihn in mein eigenes Quartier, Kinder!“ Die Träger griffen zu. Als sie aber die Bahre hoben, setzte sich der Verwundete mit Aufbietung seiner letzten Kraft auf, starrte Blücher groß an, seine Lippen bewegten sich, suchten nach Worten, das ganze Gesicht arbeitete in Angst. Schließlich gelang es ihm. „Es ist wahr – ich _war_’s – ich –“ Und dann sank er zurück, der Kopf fiel hintenüber, die Augen quollen vor, ein blutiger Schaum trat auf die Lippen. „Der Tausend!“ sagte Blücher ergriffen. „Kaum finde ich meinen Solofänger wieder – da ist er hin! Hattest du es aber eilig, mein Sohn!“ Er beugte sich über den Toten und legte die Hand auf seine Stirn. An den Wachtfeuern der Russen ging der Tanz weiter. Und drüben stieg der letzte Vers vom Fähnrich, der in den Krieg zog: „Am Grab sang dann eine Nachtigall: widibum fallera, juchheirassa! Am Grab sang dann eine Nachtigall ob seiner Tapferkeit – ob seiner Tapferkeit!“ – * „Der Kerl denkt, weil er mich einmal bei Lübeck zur Kapitulation brachte, wird er’s jetzt immer wieder tun! Der Teufel auch!“ fluchte Blücher und peitschte sein Pferd vorwärts, daß seine Begleiter, Prinz Wilhelm und Major Rühle von Lilienstern, kaum folgen konnten. „Dem Faultier werde ich schon zeigen, wo König David sein Bier holte! Ich werde dem Monsieur Polka tanzen lernen, daß es nur so eine Art hat! _Den_ Kerl haben die hohen Herren zum Kriegsrat in Trachenberg berufen und mit ihm den ganzen Kriegsplan beraten – mit mir nicht! Dazu war ich ihnen nicht gut genug! Aber zum Eseltreiber – hol’s der Teufel!“ In vollem Trabe langten die Reiter in Breitenfeld, nördlich von Leipzig, an. Auf dem höchsten Punkt des sanft gewellten Geländes hielten zwei andere Reiter in glänzenden Uniformen, mit blaugelben Straußfedern an den Hüten. Es waren Bernadotte und sein Adjutant. Sie waren nicht etwa damit beschäftigt, das Terrain für den Aufmarsch auf das Schlachtfeld um Leipzig zu untersuchen. Der Kronprinz, der nun auch schwedische Geschichte lernen mußte, ließ sich über die berühmte Schlacht Vortrag halten, die Gustav Adolf einmal, während des Dreißigjährigen Krieges, dem General Tilly auf eben diesem Boden geliefert hatte. Sie waren eben damit so weit gediehen, daß die Sachsen, auf dem linken Flügel der schwedischen Aufstellung, vor dem Stoß der Wallonen Tillys in wilder Flucht davongejagt waren; die Finnen unter Horn, die blauen und gelben Regimenter unter des Königs eigener Führung stürmten gerade gegen die Anhöhe hier oben an, von wo die schwere Artillerie Tillys Tod und Verderben in die Reihen der Schweden säte – das Schlachtenglück wandte sich eben den Schweden zu, die Worte des Adjutanten wurden immer hochtrabender, die Luft war von „Siegesfahnen schwül“ – da galoppierte gerade Blücher mit seinen Begleitern in die Geschichte hinein und warf die Forderungen des Tages in die Bresche – die glorreichen Gestalten der Weltgeschichte verblaßten vor den blut- und lebenstrotzenden der Gegenwart und wurden schmählich in die Flucht geschlagen – Klios Griffel sank – die Muse der Geschichte verhüllte ihr Haupt – kurz: der Adjutant hielt sein Maul, und Mars beherrschte in Blüchers Person die Stunde. Blücher hielt, atemlos von dem schnellen Ritt, vor Bernadotte, sagte: „_Bon jour!_“ und: „Wie geht’s?“ trocknete sich den Schweiß aus der Stirn, winkte Major Rühle schnell näher und schrie ihm mit heiserer Stimme zu: „Sagen Sie ihm, daß es höchste Zeit ist – höchste Zeit!“ „_Qu’est-ce qu’il dit?_“ fragte Bernadotte etwas nervös wegen der unerwarteten Unterbrechung seiner Geschichtsstudien. „Sagen Sie ihm, es ist die höchste Zeit!“ schrie Blücher noch kratzbürstiger. „Er soll seiner Armee Marschbefehl geben! Er soll sofort über die Parthe gehen und auf den Feind einhauen! Die Schlacht beginnt, wir warten schon seit Sonnabend früh vergebens auf den Monsieur – heute ist’s Montag, und er steht erst hier weit hinter uns! So’n Schneckenkriechen angesichts des Feindes war noch nicht da!“ Der Major Rühle von Lilienstern verdolmetschte die Befehle seines Obergenerals und tat es mit vielem Zartgefühl. Er verstand es, den temperamentvollen Ausbruch Blüchers in so tadellose Form zu kleiden, daß die erstaunt gehobenen Brauen Bernadottes wieder in die normale Lage sanken. Durch eine Neigung des Kopfes gab er zu erkennen, daß er begriff. „_Un moment!_“ sagte er dann und fragte, sich an seinen Adjutanten wendend: „Wo waren wir eigentlich? – Die schwere Artillerie Tillys stand also auf dieser Anhöhe? Und Gustav Adolf machte dort drüben eine Linksbewegung, um sich der drohenden Überflügelung zu entziehen – _n’est-ce pas_? Er setzte sich an die Spitze seiner ‚Blauen‘ und seiner ‚Gelben‘ – – –“ Und so ließ er ungeniert die berühmte Schlacht bei Breitenfeld im Dreißigjährigen Kriege weitergehen, trotz der schon mit voller Gewalt um ihn tobenden Leipziger Völkerschlacht. Denn ein rechter Schlachtenlenker läßt sich durch nichts verblüffen und verliert niemals seine Ruhe. Blücher, der immer noch kein Französisch verstand, blickte bald Prinz Wilhelm, bald Major Rühle an, die nur schwer ihre Munterkeit verbeißen konnten, und fragte: „Was redet er? Er spricht von Gustav Adolf! Er redet von Tilly! Was gehen die mich an? Die sind alle beide längst vermodert! Heute heißt’s Napoleon oder kein Napoleon! Und der Monsieur dort soll mir Antwort auf meine Frage geben, warum er mich im Stich läßt?! Auch eine Zumutung vom Großen Hauptquartier, mich, der ich kein Wort Französisch kann, mit einem General zusammenzukoppeln, der kein Deutsch spricht! Weder kann er mich, noch kann ich ihn kommandieren! Was mache ich nun mit dem Kerl? Auf so’ne hahnebüchene Idee konnte nur ein Französling wie Knesebeck kommen!“ Bernadotte unterbrach noch einmal die Schlacht bei Breitenfeld, ritt an Major Rühle heran und fragte höflich nach den Wünschen des Generals von Blücher. Und ob ihm etwas zugestoßen wäre? Er wäre ja so aufgeregt! Major Rühle gab denn aus eigenem dem Kronprinzen Bescheid über den Anlaß zum frühen Morgenritt, nämlich: den Kronprinzen zu bewegen, mit der Nordarmee schnellstens über die Parthe zu gehen, östlich von Leipzig in die Lücke zwischen der Hauptarmee und der Schlesischen Armee einzurücken und so zu helfen den Ring um Napoleon zu schließen und ihn dann mit aller Macht anzugreifen. Bernadotte schüttelte den Kopf. Er war mitten in der Kriegsgeschichte drin, die andere gemacht hatten. Und nun stellte man plötzlich die Forderung an ihn: er solle selbst Geschichte machen! Geschichte _demonstrieren_, ja, damit könnte er dienen! Und damit fing er denn auch richtig an. Er wies nach, daß derartige Einkreisungsmanöver in der Geschichte selten oder niemals gelungen wären. Sie waren in den meisten Fällen nur zum Nachteil des Angreifers ausgefallen! Und jetzt, mit einem Gegner wie Napoleon, und ohne ihm einen zweiten Napoleon entgegenstellen zu können, das wäre aussichtslos! Dem Hannibal war das einmal bei Cannä gelungen, aber auch ihm nur das eine Mal! Und Napoleon! Der kannte dies Terrain besser als jeder andere – ja besser als die Einheimischen selbst! Der hatte, als junger Mensch, Europas Karte buchstäblich in sich hineingefressen! Sein Gehirn trug sämtliche Berge, Flüsse und Täler des Kontinents im Abdruck! Städte, Flecken, Burgen, Schlösser, Wege, Defileen – alles hatte er im Kopfe! Es existierte nichts, worüber er nicht Bescheid wußte! Er war ein Genie in der Ausnützung aller Möglichkeiten! Gerade da, wo man es am wenigsten erwartete, sausten seine Schläge nieder mit der Plötzlichkeit eines Donnerschlages! Nun, man würde ja sehen! „Hier, im Norden, wird er durchzubrechen suchen, wenn ich ihn recht kenne“, setzte der Kronprinz seinen Vortrag fort. „Alles spricht dafür! Er muß nach Norden debouchieren! Den Plan, auf Berlin zu gehen, hat er nur scheinbar fallenlassen! Er hat ja noch die wichtigsten Elbfestungen: Dresden, Magdeburg, Hamburg. Er hat an der Oder: Küstrin, Stettin – hat Danzig, hat große Garnisonen überall, mit denen er sich verstärken und unserer Herr werden kann! Er wird hier an Breitenfeld vorbei durchbrechen – und mir zugleich meine einzige Rückzugslinie auf Stralsund abschneiden. Dem kann ich mich nicht aussetzen. Er würde mich einkreisen! – – Nun – mit dem Kronprinzen von Schweden würde er einen ganz guten Fang tun!“ „Geb Gott, er nähme ihn! Wir geben ihn ihm mit Kußhand wieder!“ sagte Blücher grob, als Rühle ihm das alles verdolmetscht hatte. Es kochte in ihm vor Wut, seine kostbare Zeit mit solchem Tratsch vertrödelt zu sehen, und er schrie noch hochrot im Gesicht vor Zorn: „Der Kronprinz denkt wohl am Ende, wir haben ihn uns kommen lassen, damit er uns den Napoleon erklärt und uns angst und bange vor ihm macht?! Herr, solche Bangbuxen haben wir ohne ihn mehr als genug. Wir brauchen nicht noch einen zu importieren! Er soll seine Pflicht tun! Er soll sich auf seinen Platz in der Schlachtordnung begeben und sich schlagen, wie’s einem Mann geziemt! Basta!“ Major Rühle übersetzte das in parlamentarische Ausdrücke und behauptete mit eiserner Stirn: der General ließe den Kronprinzen doch freundlichst bitten, seiner Armee Befehl zum Aufmarsch zu geben. Worauf Bernadotte, der sich Blücher gegenüber in der glücklichen Lage eines Tauben befand, der nichts zu verstehen brauchte, artig antwortete: er wäre gern – und besonders seinem alten Freunde Blücher gegenüber – gefällig! Jedoch die Klugheit gebiete ihm, lieber hinter dem linken Flügel der Schlesischen Armee stehenzubleiben, um Napoleon in die Flanke zu fallen, falls er hier durchbrechen sollte. „Faule Ausreden, Herr!“ schrie Blücher ihn jetzt direkt an. „Der Herr Napoleon soll eben keine Löcher zum Durchbrechen haben! Die sollen ihm verstopft werden, und dann wird er in die Pfanne gehauen! Verstanden?! In drei Teufels Namen, Rühle, mache Er’s doch dem Kerl verständlich! Aber wörtlich und ohne Umschweife!“ Das machte der Major, aber immer noch in seiner gewohnten diplomatischen Weise. Worauf Bernadotte antwortete: Es wäre gescheiter, wenn Blücher mit seiner Armee, die doch am weitesten vorn stünde, sich nach links schieben würde und ihm überließe, mit der Nordarmee in _seine_ Stellungen einzurücken. „Das ist ’ne Unverschämtheit!“ schrie Blücher. „Das Schlachtfeld, das ich und meine Armee mit unserem Blute getränkt haben, sollten wir, bloß zu seiner Bequemlichkeit, dem Laffen überlassen! Hol’ ihn der Teufel, aber wenn er mir mit derartigem kommt, kann er noch an mir etwas erleben!“ Prinz Wilhelm legte sich jetzt ins Mittel und beruhigte den Alten. Inzwischen wurde Blüchers Ablehnung ins Französische übertragen. Und in _der_ Sprache klingt ja alles viel höflicher und liebenswürdiger, als es gemeint ist! Bernadotte verschloß sich nicht den guten Gründen, die Blücher für seine Ablehnung anführte, und erklärte sich schließlich bereit, den Linksabmarsch vorzunehmen und noch heute in die Schlacht einzugreifen, wenn Blücher ihm 30 000 Mann seiner Armee noch unterstellen würde. Das ganze Korps Langeron verlangte er von Blücher zu seiner Verstärkung. Er wollte dann gleich eine Meile flußaufwärts gehen und bei Taucha, wo gute Brücken waren, die Parthe überschreiten. „Da kommt er doch erst nachmittags an den Feind heran“, rief Blücher, sich wieder ereifernd. „Wie kann einer so saudumm sein? Geradeswegs durch den Fluß soll er! Sag’s ihm doch, Rühle! Geradeaus von hier geht sein Weg! Das weiß der Gauner ebensogut wie ich! Er will sich nur drücken! Herrgottsakra! Das ist nicht mehr Dummheit! Das ist Niedertracht! Ich werde ihm die 30 000 Mann geben! Er soll sie haben um des lieben Friedens Willen, damit er endlich aus dem Krieg Ernst macht! Ich schlage mich ebensogut mit dem Rest allein! Aber er soll zumachen! Sofort auf der Stelle vorwärts! Das ist Bedingung! Sonst nehme ich ihm gleich meine Leute wieder fort! Bernadotte blickte fragend auf den Major. Er verstand, daß Blücher einwilligte, aber auch, daß er schimpfte. „Der General ist so ungeduldig“, bemerkte er herablassend. „Er hat’s wohl eilig? Nun gut! Gehen wir gleich in mein Quartier, setzen wir auf der Stelle unsere Vereinbarung schriftlich auf!“ Aus dem Süden von Leipzig hörte man jetzt schon Kanonendonner, und Blücher konnte kaum noch seine Ungeduld meistern, während Rühle ihm Bernadottes Worte übersetzte. „Schriftlich will der’s auch noch?! Der Teufel auch! Es ist schon zuviel, wenn ich’s ihm mündlich versprochen habe! Er soll mir den Puckel herunterrutschen!“ Womit er sein Pferd herumwarf und ohne Abschied davongaloppierte. Der Prinz und Rühle verabschiedeten sich in aller Form von Bernadotte, bestätigten ihm Blüchers Einwilligung und setzten dann dem alten Hitzkopf nach! Blücher hielt unterwegs plötzlich an. „Rühle!“ rief er. „Erst befehlen Sie Langeron, sofort geradeswegs über die Parthe zu gehen! _Nachher_, wenn wir ihn da haben, wo wir ihn haben wollen, dann erst sagen Sie ihm, daß er heute seine Befehle vom Kronprinzen von Schweden zu nehmen hat. Dann kann uns nichts mehr passieren!“ Sie ritten weiter. „Rühle!“ sagte Blücher noch im Reiten, und ein spitzbübisches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Zu Befehl!“ „Wenn Er mir den Dolmetscher macht, da nützt einem ja das ganze Schimpfen nichts! Ich habe schon sein Scharwenzeln bemerkt! Er ist ein Filou! Ich werde noch Französisch lernen müssen. Wie heißt denn Donnerwetter auf französisch – zum Donnerwetter?! Raus damit, daß ich dem Kronprinzen wenigstens _das_ direkt an den Kopf werfen kann!“ „Die Franzosen haben das mit dem Donnerwetter nicht, Herr General!“ „Nun, mit denen ist eben nichts los! Da wollen wir es ihnen einmal beibringen! Und nun vorwärts!“ * Es war am Montag, dem 18. Oktober 1813. Auf dem Colmberg hinter Liebertwolkwitz, südlich von Leipzig, ging es lebhaft zu. Dort war für den heutigen Schlachttag der Monarchenhügel, von dem aus die drei verbündeten Herrscher Österreichs, Preußens und Rußlands den Fortgang der Schlacht beobachteten, oder wie sie dachten – leiten wollten. Drei nebeneinander aufgepflanzte Standarten in den Farben der Monarchen bezeichneten den Standort der Allerhöchsten Dreieinigkeit. Adjutanten, Ordonnanzen und Stallmeister eilten hin und her und brachten Meldungen oder empfingen Weisungen. Auf kleinen Tischen lagen Karten und Bestecke ausgebreitet. Furiere und Lakaien packten die Frühstückskörbe aus, entkorkten Weinflaschen und bereiteten, an rasch gemachten Feuern, den Tee. Im Hintergrund wurden die Hohen und Allerhöchsten Leibpferde hin und her geführt. Ganz vorne lagen in drei bequemen, etwas auseinandergerückten Feldstühlen die drei Gewaltigen, von Generalstabsoffizieren aufgewartet, die den erklärenden Text zum Schauspiel sprachen und die Befehle der Majestäten empfingen, wenn ihnen Eingebungen von oben kamen. Ein glänzendes Gefolge bildete den Hintergrund zur Monarchengruppe und gleichzeitig die Kulisse, hinter der die Geschäftigkeit der niederen Dienerschaft sich ungeniert breitmachen konnte. Da waren die königlich-preußischen Generalmajore Freiherr von Hacke und Freiherr von Knesebeck – der k. u. k. Feldmarschalleutnant Ritter von Kutschera, der gleichfalls k. u. k. österreichische Oberstleutnant Graf Waldstein-Wartenberg, der unter seinen Ahnen gar einen Wallenstein hatte, die russischen Generäle Fürst Wolkonsky und Graf Ovaroff, alles gewaltige Helden und Schlachtenlenker, die tausendmal besser wußten, wie auf dem Schlachtfeld alles gemacht werden sollte, als die, die es tatsächlich machten. Zuletzt, aber doch nicht der Letzte im Kreise, der königlich-großbritannische Generalleutnant Charles William Stewart, der geheime Drahtzieher des von England bezahlten, von ihm erlaubten und in seinem ureigensten Interesse geführten Befreiungskrieges, der es mit dem Sturz Napoleons vom Alp der Kontinentalsperre befreien sollte. Der Kaiser Alexander war in den sieben Jahren seit Tilsit fülliger geworden. Seine jünglingshafte Gestalt war einer gewissen selbstbewußten Männlichkeit gewichen, die noch mehr vom Nimbus eines großen Kriegshelden umstrahlt wurde, seitdem sein Glück ihm den Sieg des russischen Winters über den bis dahin unbesiegten größten Feldherrn seiner Zeit in den Schoß geworfen hatte. Er war infolgedessen, im Rate der drei Monarchen, die unbestrittene Autorität in allen militärischen Dingen, deren Entscheidung für gewöhnlich den Ausschlag gab. Er ging heute ganz in der Betrachtung des Schauspiels auf, das sich vor ihm abspielte, übte Kritik und gab Befehle und Anregungen. Um ihn herum war ein Kommen und Gehen, ein Gewirr von Stimmen, eine Aufregung, eine Verzückung, alles tat, als ob ihm göttliche Offenbarungen zuströmten, und er selbst gab sich auch ungeniert und mit Grazie den Anschein, das Ganze zu leiten. Der König von Preußen trug immer noch seine alte, verdrießliche, gelangweilte Miene zur Schau und schien von geheimem Ärger über irgend etwas Unaussprechliches geplagt zu sein. Seine Blicke glitten immer wieder musternd über die Uniform des neben ihm stehenden Generals von Knesebeck, zählten die Knöpfe an seiner Hosennaht von unten bis oben, von oben bis unten, und er genoß dabei im geheimen die Wonne tödlichen Gekränktseins über die Unverschämtheit Napoleons, ihn bei ihrem ersten Zusammentreffen auf dem Memelfluß zu fragen, ob er all die Knöpfe an seiner Hosennaht immer auf- und zuknöpfen müßte! – Nun, heute würde dem Korsen wohl das und so vieles andere mit Zinsen heimgezahlt werden! Kaiser Franz in weißem Uniformrock und roten Hosen, hager und vertrocknet, mit dem langweiligen nichtssagenden Gesicht eines im Staub der Akten am besten gedeihenden Kanzleimenschen, saß aufrecht im dritten Stuhl. Ihm war’s nicht ganz behaglich hier draußen, mitten im Trubel großer Geschehnisse. Ihm wäre viel wohler am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer zu Schönbrunn, wo er nach Herzenslust Randbemerkungen und Verfügungen in all die Gesuche um Gnadenbewilligungen höchst eigenhändig einzeichnen konnte. So etwas mußte täglich erledigt werden, sonst häufte sich das an! Und kein anderer durfte das besorgen. Wer weiß, was ihm sonst an persönlichem Tratsch verlorengehen würde – und jetzt unwiderbringlich verlorenging, solange er im Felde war! Die ganze Kriegführung war ihm mit der Zeit herzlich gleichgültig geworden. Es gab am Ende ja doch nur Niederlagen, wie oft man auch siegte! Nach einem Aspern immer ein Wagram! Gegen Napoleon war ja nicht aufzukommen! „Kutschera!“ rief er, und setzte sich noch gerader auf, so daß die Falten in seinem graublassen Gesicht sich in gestrenge, senkrecht verlaufende Parallelen legten. „Schauen’s a mal nach mei Reitpferd nach! Ob’s auch parat ist? Vorgestern, bei Güldengossa, wär’s fast schief gange! Und heut – man kann ja net wisse!“ Sein lieber getreuer Kutschera eilte, sich seines Auftrags zu entledigen. Und der Kaiser blieb solange unbeweglich sitzen, ohne eine Miene zu verziehen, und blickte in die Richtung, in die Kutschera gegangen war, bis er wiederkam und alleruntertänigst meldete, daß alles in Ordnung sei. Der Kaiser überhörte dabei, ob absichtlich oder nicht, die Frage seines lieben Vetters von Preußen nach dem Inhalt des Briefes, den er am gestrigen Tage von seinem Schwiegersohn Napoleon bekommen hatte. Kaiser Alexander antwortete statt seiner. „Der Kaiser Napoleon wird Mitteilungen familiärer Art gemacht haben“, sagte er ablenkend. „Ihrer Majestät der Kaiserin Marie Louise geht es doch gut?“ wandte er sich dann direkt an den Kaiser Franz. „Wollen das beste hoffen!“ antwortete dieser trocken und blickte dann vollkommen teilnahmslos über das Feld hinaus, wo es jetzt anfing immer lebhafter zuzugehen. „So, jetzt geben’s mir halt an Überblick, Kutschera, wie vorgestern alles richtig zugange ist!“ befahl er dem Feldmarschalleutnant. „Mir ist’s noch nicht ganz klar!“ Kutschera legte los und gab seinem Herrn in kurzen Umrissen zu wissen, was dieser am ewig denkwürdigen Sonnabend, dem 16. Oktober, miterlebt und größtenteils übersehen hatte. Und Kaiser Franz ließ es ins eine Ohr hinein, durchs andere Ohr hinaus und dachte dabei an das letzte Gesuch, das er noch an seinem lieben Schreibtisch zu erledigen gehabt hatte, ehe er ins Feld ging. Es war das Gesuch einer Postmeisterswitwe gewesen um Niederschlagung ihrer rückständigen Steuern. Das hatte der Kaiser abgelehnt. Denn Steuer muß sein. Wo käme der Staat sonst hin, wenn all die kleinen Leute auf einmal kämen und von ihren Steuern befreit sein wollten!? Sie mußte zahlen wie ein jeder. Aber, in einem Anfall von Großmut hatte der gute Kaiser dem abschlägigen Bescheid eine Zuwendung von zweihundert Gulden aus seiner Privatschatulle beigefügt. Zweihundert – das war entschieden zuviel gewesen! Hundert hätten es auch getan! Über den Satz ging er sonst nicht hinaus! Dabei müßte es bleiben! Das gäbe sonst Unsummen, die zum Fenster hinausflogen, bei den Tausenden von täglichen Gesuchen! Während der gute Kaiser solchermaßen über seine Postmeisterswitwe meditierte, fuhr sein lieber, getreuer Kutschera in seinem Vortrag fort und setzte ihm die Stellungen der Franzosen auseinander, die man am sechzehnten angegriffen hatte. Denn die fing man jetzt allmählich an im Hauptquartier zu kennen, nachdem man sich zwei Tage lang die Köpfe gekratzt hatte! Drüben im zerschossenen und halb abgebrannten Dorfe Wachau, wo jetzt der Prinz Eugen von Württemberg mit seinen Franzosen und Russen stand, hatte Napoleon seine Hauptarmee unter dem Befehl von Murat gehabt. Der rechte Flügel unter Poniatowski war weit zurückgebogen am Pleißefluß entlang bis Connewitz, der linke unter Macdonald von hier, am Colmberg, bis in die Gegend von Klein-Pößna. Das Dorf links, zwischen dem Colmberg und Wachau, war Liebertwolkwitz. Zwischen den beiden Dörfern, am Galgenberg, hatte Napoleon sein Biwak gehabt – – „Ein ga–anzer Kerl, mei Schwiegersohn!“ sagte Kaiser Franz näselnd. Er fand es zwar nicht gerade fesch, aber doch verteufelt überlegen, gerade am Galgenberg zu biwakieren. Dann fing er wieder an zusammenzurechnen, wie viele Tage er keine Gesuche um Unterstützung erledigt hatte – wie viele Gesuche pro Tag –, wie viele Gulden pro Gesuch, und multiplizierte und addierte und kam zu einer erklecklichen Summe an ersparten Geldern – erspart bloß dadurch, daß er nicht zu Hause am Schreibtisch geblieben war. Und er wurde immer zufriedener mit dem Leben im Felde, das ja sonst nicht seinem Geschmack entsprach. Dabei ging die Schlacht am sechzehnten in Kutscheras Vortrag weiter, während ihre heutige Fortsetzung vor den nichtssehenden Augen des Kaisers weitertobte. Dieser bekam sie also doppelt, aber genoß sie nur einfach, da ja der heutige Schlachttag noch nicht zum Vortrag befohlen und demgemäß eingerichtet und für den Allerhöchsten Gaumen genießbar gemacht worden war. „Am sechzehnten,“ sagte Kutschera näselnd und die Worte langsam und gemächlich ans Allerhöchste Ohr schleifend, „am sechzehnten fing also Prinz Eugen von Württemberg den Kampf mit achtundvierzig Kanonen an. Von hier aus, vom Colmberge, wo wir jetzt sind, antwortete Napoleon mit einer Kanonade aus hundert Geschützen. In drei Kolonnen gingen wir vor – in der Mitte, wie gesagt, Prinz Eugen gegen Wachau, links von ihm, drüben, mit seinen Preußen und Russen Kleist gegen Markkleeberg, das dort weiter links an der Pleiße liegt, während unsere Leute unter Feldmarschalleutnant Klenau den Colmberg hier nahmen und Liebertwolkwitz stürmten. Freilich mußten wir aus allen drei Stellungen gleich wieder heraus, nahmen sie aber noch einmal ein und gingen schließlich wieder zurück. Die Franzosen waren ja in der Übermacht mit 138 000 Mann, gegen die wir nur 70 000 aufbieten konnten. Denn Fürst Schwarzenberg selbst war drüben weiter links zwischen der Pleiße und der Elster mit 30 000 Mann unter Meerveld vorgegangen und hatte den Feldmarschall Graf Gyulai noch nördlich zwischen den beiden genannten Flüssen vorgeschickt, bis Lindenau, um die einzige Rückzugsstraße Napoleons nach Westen auf Weißenfels abzuschneiden. Na, der Fürst wäre wieder da. Drüben in den Sümpfen war kein rechtes Fortkommen für ihn. Heute haben wir also seine Armee mit hier und außerdem die Reservearmee Bennigsens. Der Kronprinz von Schweden rückt auch noch nordwestlich von der Stadt in die Schlachtlinie, nördlich steht Blücher, der Ring ist also um den Franzosenkaiser geschlossen, er kann nicht heraus, er muß erdrückt werden –“ „Der Gyulai soll zurückgehen!“ kam es dann plötzlich mit ungewohnter Schärfe von Kaiser Franz. Kutschera fuhr zurück. „Majestät – das hieße doch dem Kaiser Napoleon die Rückzugsstraße öffnen!“ „San’s mei Truppen, oder san’s net?“ „Gewiß sind sie es –“ „Na, denn sofort einen Adjutanten zum Fürsten Schwarzenberg senden! Der Fürst soll sofort Gyulai mit seiner Truppe aus Lindenau zurückziehen!“ Kutschera verbeugte sich. Der Adjutant wurde expediert. „Nun erzählen’s weiter!“ Kutschera erzählte dann den weiteren Fortgang der vorgestrigen Schlacht, wie Klenau und Gortschakow mit dem rechten Flügel zurückgehen mußten – wie Kleist mit dem linken standhielt, wie dagegen das Zentrum unter Prinz Eugen durchbrochen wurde, als Murat mit achttausend Reitern zur Attacke vorstürmte – wie die französische Reiterei fast bis zum Wachberge hinter Güldengossa vorgedrungen war, wo die Monarchen an _dem_ Tag ihren Hügel hatten, und wie sie allesamt gefangengenommen worden wären, wenn nicht Orlows Kosaken und die russische Gardekavallerie den Franzosen in die Flanke gesaust wären und sie vertrieben hätten. „Mei Pferd!“ rief dann Kaiser Franz plötzlich. „Schauen’s a mal wieder nach, lieber Kutschera, ob’s auch paratsteht? Und schauen’s auch nach der Bedeckung!“ Kutschera beruhigte den Kaiser darüber. „Am Sonntag auf dem Wachberg war i je net dabei!“ sagte der Kaiser. „Aber heute bin i da. Und es kann ja net schade!“ Dann versank er wieder in Gedanken und fand es gar anheimelnd, dazu das Rattern der Flintenschüsse von drüben zu hören. Und Kutscheras langsames Dahererzählen wirkte so ungemein beruhigend dabei – ganz wie wenn man beim Sturm und Unwetter daheim in der warmen Stube sitzt und den Hagelschauer gegen die Scheiben peitschen hört, während im Ofen das Feuer knistert und Großmutter eine gruselige Geschichte erzählt. Gruselig genug war es ja zugegangen. Um vier Uhr nachmittags hatte Napoleon bereits den Sieg in der Tasche gehabt, die Angriffe der Verbündeten waren gänzlich zurückgeschlagen, er ließ schon in Leipzig die Kirchenglocken Sieg läuten, befahl Marmont, der nördlich von der Stadt stand, zur Unterstützung herbei und wollte so die Niederlage der Verbündeten vollenden. Da traf Schwarzenberg von seiner verunglückten Expedition zwischen der Pleiße und der Elster in Wachau ein und brachte die Schlacht zum Stehen. Und von drüben kam Marmont, der sehnsüchtigst Erwartete, nicht. Vielmehr wurde er bei Möckern von Blücher festgehalten und tüchtig zermürbt. Als Napoleon abends am Galgen biwakierte, hatte sich also das Blatt gewendet und Fortuna bereits gegen ihn entschieden, obwohl von den Türmen Leipzigs das Siegesgeläute noch zu hören war. Am nächsten Tag kämpfte er dann nicht wieder, am nächsten Tag verhandelte er, und das war gut. Denn so hatten die Verbündeten Zeit, die Ankunft der Reserven Bennigsens und der Armee des Kronprinzen von Schweden abzuwarten. „Es war ja auch Feiertag!“ sagte Kaiser Franz, der ein frommer Herr war und auf Sonntagsruhe hielt. „Drüben bei Blücher fingen die Preußen aber trotzdem wieder an und schlugen sich, bis ihnen der Fürst Schwarzenberg den Kampf untersagte“, fuhr Kutschera fort. Der Kaiser blickte schnell auf und winkte seinen lieben, getreuen Kutschera näher. – Ganz nahe mußte der Feldmarschalleutnant kommen und sich so tief herabbeugen, daß sein Herr ihm ins Ohr flüstern konnte. Mit einem verschmitzten Seitenblick auf Friedrich Wilhelm, der ganz teilnahmlos in seinem Stuhle saß und ins Leere starrte, flüsterte dann der Kaiser rasch die paar Worte: „Saupreißen, verfluchte!“ Und Kutschera schmunzelte und nickte Einverständnis. Der Kaiser versank nach dieser Kraftäußerung wieder in behagliche Gedanken. Er freute sich darüber, wie gut er den gestrigen Sonntag zu gebrauchen gewußt hatte. Denn er wäre gern auf die Waffenstillstandsbedingungen Napoleons eingegangen und hätte schon seine Vorschläge angenommen, wenn dabei sein Österreich nur ein paar Provinzen mehr und Preußen ein paar weniger bekommen hätte! Nun, das könnte noch werden! Noch war nicht aller Tage Abend! Käme sein Schwiegersohn mit heiler Haut davon, dann – nun – wozu wäre er sein Schwiegersohn? Es ginge ja auch so, in aller Gemütlichkeit und ohne Krieg! – Er hatte es ja schon schriftlich von Napoleon in der Tasche – – Der Kaiser schmunzelte. Wie gut, daß der brave Meerveld, der mit Napoleon persönlich so gut stand, sich gestern so geschickt gefangennehmen ließ! Das war alles, was nötig war! Napoleon hatte ihm gleich sein Herz ausgeschüttet und ihn schon am nächsten Tag mit Vorschlägen und mit dem Brief geschickt. Und der Brief, der enthielt nicht nur die geheimen Versprechungen an Österreich, der enthielt auch die Bedingungen – Gegendienste, die verlangt wurden. – – Der Kaiser fuhr auf. „Hat man dem Gyulai schon befehlen lassen, von Lindenau zurückzugehen?“ fragte er scharf. „Zu Befehl! Es sind zwei Kuriere an ihn abgegangen!“ „Hoffentlich krepieren’s net alle beide unterwegs?“ sagte der Kaiser. „Es ist sehr wichtig, Kutschera, sehr wichtig, daß Gyulai den Befehl erhält! Mei Schwiegersohn ist ein ganzer Kerl! Man darf ihn net zur Verzweiflung bringe, dann könnte es uns übel gehe. Man muß ihm goldene Brücken baue. Aus Deutschland muß er wohl raus. Aber sein Reich drüben in Frankreich soll er behalte dürfe. Nun, was denn?!“ Und er schielte rasch nach Alexander hin, der im eifrigen Gespräch mit Fürst Wolkonsky dastand und lächelnd mit den Schultern zuckte. Ob der Kaiser Alexander ihm das wohl wiedervergelten täte, wenn diese Schlacht fehlginge, was ja schon sein könnte? Ob der’s ihm heimzahlen würde, daß er nach der unglücklichen Schlacht bei Austerlitz gleich einen Separatfrieden mit Napoleon machte und sich verpflichtete, die verbündete russische Armee außer Landes zu schicken? Ob der Zar nun seinerseits _ihn_ im Stich lassen würde? Ganz war dem jungen Menschen doch nicht zu trauen! Kaiser Franz stand auf und ging zu seinem lieben Vetter Alexander hin. Auch der König von Preußen trat hinzu. Der König war jetzt mit einer Frage geladen und kaute sich bereits die Worte zurecht. Er nahm den Arm Alexanders und zog ihn zur Seite. Er hatte ausgerechnet, daß Napoleon schon am sechzehnten hätte kapitulieren müssen, wenn Bernadotte mit der Nordarmee und die Reservearmee Bennigsens rechtzeitig zur Stelle gewesen wären. Man hätte dann annähernd dreimal hunderttausend Mann beisammen gehabt, gegen die Napoleon keine zweihunderttausend aufstellen konnte. Man hatte also eine erdrückende Übermacht. Und trotzdem ging’s nicht recht vorwärts. Die Meldungen bestätigten, was man auch von hier aus mit eigenen Augen sehen konnte, daß die Österreicher, die auf dem linken Flügel unter Hessen-Homburg von Markkleeberg gegen Connewitz vorgingen, gegen Poniatowskis Polen nicht recht vorwärts kamen. Und gegen die Hauptmacht Napoleons bei Probstheida, gerade vor ihnen, konnten Preußen und Russen unter Kleist und Barclay de Tolly auch keine nennenswerten Fortschritte aufweisen, trotz allem Aufwand an Pulver und Blei – von ihrem Heldenmut nicht zu reden. Da kommandierte aber auch Napoleon selbst, und unter ihm Angereau, Victor, Lauriston, Murat, also lauter kriegserprobte Leute. Der König war besorgt. Er blickte trübe in den Pulverqualm hinein, der über der Ebene lag und aus dem immerfort Blitze herausschossen, vom scharfen Aufbellen der Geschütze begleitet. Die Trompeten schmetterten, das Gewehrfeuer prasselte wie Hagelkörner an die Fensterscheiben, das Rattern der Trommeln, das Wiehern der Pferde, das Schreien der Sterbenden, das Rasseln der Fuhrwerke, alles vereinigte sich zu einem einzigen ohrenbetäubenden Gedröhn, das über der Gegend lag. Dann und wann zerriß der Wind die Pulverwolke, und marschierende Truppen, vorspringende Schützenschwärme –, galoppierende Reitermassen kamen zum Vorschein und verschwanden wieder in dem Qualm. Über dem Ganzen der herrlichste Sonnenschein, der das bis gestern herrschende Regenwetter abgelöst hatte. Gegen mittag wurde bei den Franzosen eine gewisse Nervosität merkbar. Man schien einen Sturm zu planen, um sich Luft zu schaffen. Eine Vorwärtsbewegung kam aber nicht zustande. Rückwärts ging es auch nicht. Der ganze Ring der französischen Truppen südlich um Leipzig herum, gegen den die Verbündeten anstürmten, stand noch fest und ohne Wanken da, soweit das Auge vom Colmberg aus blicken konnte. Die Unruhe drüben deutete also darauf, daß bei den Franzosen von den Schlachtfeldern nördlich und östlich von Leipzig irgendwelche Nachrichten eingegangen waren. Ob günstige oder ungünstige, ob’s Ansturm oder Rückzug gäbe, würde sich bald zeigen. Endlich liefen auch auf dem Monarchenhügel Meldungen ein. Im Nordosten hatte Langeron mit seinen Russen Ney und Marmont aus Schönefeld an der Parthe auf die Vorstädte von Leipzig zurückgeworfen. Im Osten griff endlich Bernadotte ein. Seine Preußen unter Bülow hatten Paunsdorf gestürmt und Reynier, der es verteidigte, bis unter die Mauern Leipzigs gejagt. Dann traf von Bennigsen im Süden die Meldung ein, Holzhausen wäre genommen und Macdonald zurückgetrieben. Dreitausend Sachsen und einige Schwadronen württembergischer Reiterei wären von Napoleon abgefallen. „Die Nervosität drüben deutet also auf Rückzug!“ sagte Kaiser Alexander. „Er hat genug. Er wird die Schlacht abbauen! Wollen nachhelfen!“ Und dann gab er Befehle. Die Adjutanten flogen in alle Richtungen, es kam bald wieder Bewegung in das Ganze –, mit lautem Hurra wurde von allen Seiten wütend gegen das französische Zentrum Probstheida angestürmt, aber umsonst. Der Feind wich nicht und wankte nicht. Es galt für ihn den Rückzug zu sichern. Auf der von Kaiser Franz freigegebenen Straße über Lindenau hatte Napoleon bereits Bertrand nach Weißenfels vorausgesandt, um Brücken über die Saale zu schlagen. Und jetzt, bei beginnender Dämmerung, fingen die französischen Kolonnen schon an, sich über den Ranstädter Seitenweg aus der Stadt hinauszuschieben, und schlüpften so allmählich Regiment für Regiment aus dem feuerspeienden Ring heraus, den die verbündeten Truppen um sie geschlagen hatten. Napoleon gab also die Schlacht verloren. Freudestrahlend galoppierte Schwarzenberg mit der Siegesnachricht heran. Und die drei Monarchen sanken bewegt in die Knie und dankten inbrünstig dem Himmel für den Sieg, den ihnen ihre Völker mit ihrem Blut und Aufopferung von Leben und Gesundheit erstritten hatten. Sie schoben somit dem Himmel diese Tat zu und waren alsdann der Pflicht überhoben, ihren Völkern dafür zu danken. Die Völker hatten einfach ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit getan. Die konnten dann, nach glücklich beendigter Löwenjagd und Erlegung des Wildes, wieder an die Kette gelegt werden, damit sie kein Unheil anrichteten und nicht am Ende jetzt, nachdem sie Blut geleckt und die Freiheit von fremder Tyrannei erstritten, auch noch der heimischen los und ledig sein wollten. Drüben hinter Probstheida, an der Tabaksmühle, saß in der Dämmerung müde und zusammengebrochen der gefallene Herr der Welt am Biwakfeuer. Um ihn herum wankte alles. Sein ganzes Werk – der stolze Bau seines Weltreiches, von keiner inneren Notwendigkeit getragen, von seinem Ehrgeiz nur und durch die Macht seiner gewaltigen Persönlichkeit zusammengekittet, drohte zusammenzustürzen. Stück für Stück bröckelte es bereits ab und würde am Ende ihn selbst unter seinen Trümmern begraben. Und was bliebe davon übrig? Der Fluch der Geknechteten, der Ruhm unsterblicher Heldentaten –, Verarmung, Entvölkerung, Hunger und Elend überall, wo er seinen Fuß hingesetzt hatte. Kein Funken Liebe schlug ihm entgegen aus dem ganzen Rund seines Riesenreiches, kein menschliches Gefühl des Dankes, nur kühle Bewunderung und unermeßlicher Haß. Wer Haß sät, erntet Haß. Rücksichtslos waren seine Schläge auf die Völker niedergesaust, hatten Gutes und Schlechtes miteinander niedergerissen und Neues dafür aufgebaut! Aber auch das nur mit Gewalt! Gewalt war der Anfang, Gewalt das Ende. Ob er wohl aus dem Chaos sich noch ein Stück des Ganzen retten und dort wieder anfangen könnte, Neues zu schaffen? Ob er wohl würde anders als bisher walten können? Sich selbst umschaffen? Er schüttelte den Kopf. Die Lippen zogen sich zu einem spöttischen Lächeln zusammen. Er blieb, der er war. Noch war nicht alles verloren, noch war auf eine Wendung des Glücks zu hoffen! – – Eine Granate schlug sausend in das Biwakfeuer und überschüttete ihn mit glühenden Kohlen und Asche. Das Feuer erlosch. Er fuhr auf. Die Nacht sank. Der Lärm der hinsterbenden Riesenschlacht legte sich allmählich. Ringsumher flammten die Biwakfeuer der verbündeten Gegner auf. Er befahl seinen Wagen, warf sich in die Ecke und gab Berthier Befehl, den allgemeinen Rückzug anzuordnen. Selbst wollte er noch im Hotel de Prusse in Leipzig ein paar Stunden ausruhen und dann nach Weißenfels vorausfahren, nachdem er sich vom König von Sachsen verabschiedet hätte. Die Rheinbundtruppen unter Macdonald und die Polen Poniatowskis sollten bleiben, die Stadt verteidigen und den Rückzug der Franzosen sichern. Dazu waren sie gut genug. Am nächsten Morgen drangen die Verbündeten in Leipzig ein. Zuerst die Königsberger Landwehr durch das Grimmaische Tor. Dann Blücher an der Spitze seiner russischen Regimenter in die Hallesche Vorstadt. Yorcks halb aufgeriebenes Korps, das durch seinen entscheidenden Sieg bei Möckern das Schlachtenglück zugunsten der Alliierten gewandt hatte, durfte, zum großen Leidwesen seiner tapferen Preußen, nicht am Schlußsturm auf die Stadt teilnehmen. Es war nach Halle vorausgeschickt worden, um dort die Saaleübergänge zu besetzen, eine Maßnahme, in der der alte Isegrim nichts als eine Niedertracht Gneisenaus sah, dessen Annäherungsversuch er schnöde abgewiesen hatte. Er hatte Gneisenaus Glückwünsche zum Siege bei Möckern mit einer schroff abweisenden Bemerkung beantwortet. Worauf Gneisenau sich zu der Äußerung verstieg: „mit Yorck verträgt man sich am besten, wenn man mit ihm verfeindet ist!“ und ließ seinerseits nichts daran fehlen. Mit dem üblichen Gepränge und Tamtam hielten der Kaiser von Rußland und der König von Preußen ihren Einzug in die eroberte Stadt. Kaiser Franz blieb – wohl aus Familienrücksichten – der Siegesfeier fern. Der besiegte Franzosenkaiser hatte ihm wohl wiederholt die vernichtendsten Niederlagen und die beschämendsten Friedensbedingungen aufgenötigt. Aber – er war halt sei Schwiegersohn geworde! Und – man konnte ja net wisse! Der Einzug der beiden anderen Monarchen war dafür um so eindrucksvoller. Überall, wo ihre Kavalkade durchkam, lagen Tote und Verwundete. Pferdekadaver, zerbrochene Lafetten, Pulverkarren und Marketenderwagen sperrten fast die Straßen. Die Glocken läuteten, die Häuser flaggten, aus allen Fenstern ertönte Freudengeschrei und begeistertes Winken. Hurrarufe, Böllerschüsse und der Gesang der einziehenden Regimenter mischten sich mit dem Gestöhn der Sterbenden und den Hilferufen der Verwundeten. Auf dem Markt vor dem ehrwürdigen Rathaus war große Parade, Beglückwünschung der Monarchen, Belohnung der nicht gefallenen Helden, Beförderungen, Ordenssegen und Gnadensonne. Ein jeder bekam, was sein Herz begehrte, und alles schwamm in Wonne. „Die zwei großen und schönen Tage sind verlebt,“ schrieb Blücher an seinen Freund Bonin, „den 18. und 19. Fihl der große Coloß wie die Eiche vorm Stuhrm, er der große Tiran hat sich gerettet, aber seine Truppen sind in unsern henden. Poniatoffsky wurde Blessirt und ist ertrunken, man glaubt Angerau desgleichen, Rennie und Lauriston sind gefangen, der erste ist Blessiert, den 19. wurde zu ende des kampffes Leipzig mit Stuhrm und großer uf Opffrung genomen, man wollte Leipzig in brand schißen ich wider setzte mich die Russischen Batterien und sie durften nur mit kugell Schißen. – an meiner seitte drank die Russische Infanterie zu erst in die Stadt, an der anderen seitte die braven Pomern, es wahr ein kampff ohne gleichen, 100 Canonen sind in Leipzig genomen, unsere monarchen, daß heist der ostreische, der Russische kaiser und unser könig haben mich uf öffentligen margte gedankt Alexander drückte mich ans HErtz.“ Und an sein Malchen schrieb der zum Generalfeldmarschall Beförderte, „als Frau Feldmarschallin mußt du nun anstendig leben und sey nur nicht geizig und laß dich was abgehen! – – mit die ordens weiß ich mich nun kein Raht mehr ich bin wie ein alt kutsch Perd behangen, aber der gedanke lohnt mich über alles, daß ich derjenige wahr der den übermütigen tihrannen demütigte.“ Alles jubelte, alles feierte in den überschwenglichsten Ausdrücken den Fall des Kolosses, der solange wie ein Alp auf das Leben der Völker gedrückt hatte. Der Triumph war teuer erkauft, viel zu teuer, wenn man bedenkt, wie viele Tausende von Menschenleben bei größerer Entschlußfreudigkeit und geringerer Unzugänglichkeit der Regierungen hätten gespart werden können. Leipzig spie wie ein Vulkan Verwundete in alle Richtungen hinaus, wie der amtliche Bericht eines Arztes sagte. Tausende von Verwundeten wurden nach Halle und anderen angrenzenden Städten von den Schlachtfeldern um Leipzig gebracht. In Leipzig selbst lagen mindestens zwanzigtausend von allen Nationen. In dumpfen Spelunken, wo kaum zu atmen war, in Kirchen und Schulen, wo der Oktoberwind durch die scheibenlosen Fenster kälteschauernd heulte, lagen die Kranken aufgeschichtet wie die Heringe in ihren Tonnen, alle noch in ihren blutigen Gewändern, ohne Hemden, Bettücher, Decken, Strohsäcke, geschweige denn Bettstellen erhalten zu können. „Keine Nation ist bevorzugt, alle gleich elend beraten, und dies ist das einzige, worüber sie sich nicht zu beklagen haben“, schreibt derselbe Berichterstatter. Aufgelaufene, brandige Glieder, gebrochene Arme und Beine, die weder in die richtige Lage gebracht noch geschient und auch nicht amputiert werden konnten aus Mangel an Heilgehilfen und an allen Hilfsmitteln – Kinnbackenkrampf, Starrkrampf, Lähmungen überall – keine Wärter, keine Hilfe, das war der Dank für geopfertes Leben und Gesundheit. Wer nicht aufstehen konnte, mußte im eigenen Unrat faulen. Im Hofe der Bürgerschule ein Berg aus Kehricht und Leichen, die nackend lagen und von Hunden und Raben angefressen wurden – – Heldentod nach Heldenleben. * Schrum tsim tsim – schrum tsim tsim – kratzten die Fiedler lustig und beherzt ihren Bässen, Bratschen und Kniegeigen die ersten drei Schläge des Viervierteltakts ab, daß die Wände wankten und die Kronleuchter klirrten. Der Kapellmeister schlug mit Wucht hinterdrein und hielt seine ungestüm vorwärtsstürmenden Musikanten zurück, was er nur konnte, um das richtige altväterlich gezirkelte Zeitmaß herauszubringen. Tram taram taram taramta ramtam tara rara ramtam tara rara ramtam – – – – – zwitscherten und näselten Flöten und Klarinetten. Ihre Töne trippelten hübsch brav neben der altbekannten Melodie einher, die die Primgeiger mit flottem Saltarello in duftigen Umrissen über die Saiten warfen. Mit unbewußter Grazie, schüchtern und zaghaft, wie wenn ein unschuldiges junges Mägdelein die Fußspitzen züchtig unter dem schützenden Saum ihrer Röcke hervorstreckt, um, die Erde kaum berührend, elfenhaft dahinzuschweben – so präzise, gezirkelt und genau bemessen hüpften die Töne prickelnd hervor, kitzelten die Tanzlust bei alt und jung und brachten den ganzen Saal in Bewegung. Schrum tsim tsim – schrum tsim tsim – Männlein und Weiblein gaben sich die Hände, drehten sich im Kreis, wiegten sich, neigten sich, chassierten nach links, chassierten nach rechts, figurierten, grüßten, lachten, scherzten, vom Licht der tausend Kerzen überflutet, von unzähligen Spiegeln ins unendliche vervielfacht. Soweit das Auge sehen konnte, Quadrille an Quadrille, streng nach der Regel in ihren Bahnen beharrend und doch in lebhafter Grazie auf dem glatten Parkett lustig und leicht hin und her gleitend. Bunte Uniformen und schneeweiße Schultern schoben sich zierlich aneinander vorbei. Es war ein Weben, ein Schweben, ein Trippeln, ein Trappeln, ein Klirren von Sporen, ein Blitzen und Funkeln von Sternen und Geschmeiden, bezauberndes Lächeln auf holden Gesichtern, blendende Perlenzähne hinter purpurnen Lippen, zum Beißen und Küssen gleich verlockend, in tiefgründig träumenden Märchenaugen blitzschnelle Abwehr, wenn verstohlenes Drücken und zärtliches Flüstern in heißem Ansturm zu rauben suchte, was erst nach Sitte und Brauch in langer Belagerung erobert werden wollte. Auf der Estrade an der Längswand stand der König von Preußen mit seinem getreuen Knesebeck und anderen Bevorzugten und blickte zerstreut in das bunte Getriebe. Ein Lächeln lag über den sonst so griesgrämigen Zügen, und er lauschte belustigt auf die bissigen Bemerkungen, womit das Gefolge meuchlings die Tanzenden bedachte. Ihm bot sich aber auch ein seltsames Schauspiel dar. Auf dem Ehrenplatz vor dem Thronsessel bewegten sich vier Paare, um die herum sich in achtunggebietendem Abstand ein Ring von Zuschauern gebildet hatte. Verliebt wie ein junger Leutnant, charmant und geschmeidig, tanzte da Blücher mit dem schönsten Mädchen im ganzen Saal –, ihm gegenüber auf steifen Beinen, würdevoll und ernst, sein alter Waffenbruder und Widersacher Yorck, der sich mühte, recht liebenswürdig zu erscheinen, und dabei verzweifelte Gesichter schnitt. Rechts und links von ihnen vervollständigten Prinz Wilhelm und der Obrist von Katzeler mit ihren Damen die Quadrille. Und Blücher kommandierte, wie sich’s gehörte. „_Chassez croisez!_ _Balancez!_ _A gauche! –_ _A droit! – – –_“ kam es mit Donnerstimme unter dem buschigen Schnauzbart hervor, und alles parierte, alles figurierte im ganzen Saal, präzise wie auf dem Paradeplatz, erst im engeren Verband der Quadrillen, und dann, als das Kommando „_Grande chaîne!_“ fiel, zu einer einzigen endlosen Doppelkette vereinigt, die sich in wogender Gegenbewegung um den ganzen Saal ringelte, bis die auseinandergeratenen Pärchen sich wieder zusammengefunden hatten. „Dem König und Herrn alles Ordensegens spenden wir nun auch einen Stern!“ donnerte wieder die Stimme des Feldmarschalls durch den Saal. „Die Kegel ran! _Etoile!_“ Und in jedes Karree sprang ein junger Offizier hinein, streckte die Hand hoch, die anderen Herren ergriffen sie, und dann ging’s in sausender Fahrt um den so geschaffenen Mittelpunkt herum, daß es den Zuschauern auf der Estrade schwindelig wurde. „_Changez les dames!_“ In jedem Stern flogen die Damen aus dem Arm ihres Tänzers in den des nächsten und so weiter, bis sie sich wiedergefunden hatten. „Nun, Exzellenz, warum so steif mit dem Tanzbein?“ rief Blücher Yorck zu, der ihm nicht schnell genug vorwärts kam. „Wir sind nicht an der Katzbach, wir sind am Rhein! Da setzt’s andere Sprünge! In einer Tour bis nach Paris!“ Yorck fing schon an eine Antwort zu brummen. Blücher schnitt sie ihm aber ab durch ein mit Stentorstimme hingedonnertes: „_Grande Polonaise!_“ Tram tararam, tam, tam, tam – tram tararam, tam, tam, tam – fiel die Musik sofort gehorsamst ein, mit dem gravitätischen Dreivierteltakt der Polacca, und Paar an Paar gereiht, defilierten die Tanzenden mit Anstand und Würde am Thron vorbei und brachten dem gnädig dankenden König ihre Huldigung dar. Dann wurde Kurs auf die reich besetzten Büfette genommen, um sich dort nach den Anstrengungen des „Feldzuges“ zu laben und wieder gefechtsbereit zu werden. „Bekommen wir bald Frieden, Exzellenz?“ lispelte die junge Dame Blüchers und nippte an dem ihr von ihm dargebotenen kühlenden Getränk. „Ebenso gewiß wie ich heute Geburtstag habe!“ antwortete Blücher, der einer jungen Dame gegenüber an alles andere als an Friedensverhandlungen dachte. „Nun, den feiern wir doch eben!“ „Wir feiern ihn, ja! Aber wir haben heute den vierzehnten Dezember, und ich war so frei, mich erst am sechzehnten auf die Welt befördern zu lassen!“ „Das Glück! Dann können Exzellenz ja übermorgen wieder Geburtstag feiern!“ „Das mache ich mir auch zunutze! Heute hier in Wiesbaden, übermorgen in Frankfurt! Man hat’s eben hier mit mir zu eilig gehabt! Und so ist es auch mit dem Frieden! Die guten Leute können es nicht abwarten. Was übermorgen sein soll, nehmen sie schon heute vorweg! Und – wenn wir das nicht zu verhindern wissen – so bekommt der arme Wechselbalg von einem Frieden sein Wiegenfest, ehe er geboren ist, kommt zu früh auf die Welt, taugt zu nichts Rechtem und ist weder dem Sieger noch dem Besiegten zur Freude! Aber, meine Gnädigste, man spielt schon zum Walzer auf! Der Kampf geht weiter. Verlieren wir nicht die Zeit mit Friedensgesäusel! Da stürmt schon unser mutiger Obrist Katzeler zur Attacke heran! _En garde!_ An die Verteidigung!“ – „Der Walzer gehört dem Obristen!“ – „Nun, dann retiriere ich! – Jugend gehört zu Jugend! Aber besiegt erkläre ich mich noch nicht! Küß’ die Hand, meine Gnädigste! – Vorsicht, Katzeler! Zu tief in holde Äuglein geschaut, macht leicht straucheln!“ Er blickte dem davoneilenden Paar nach, machte sich dann an das Büfett heran, tat sich gütlich an den dort aufgedeckten Leckerheiten, aß mit einem wahren Bärenhunger und fluchte dabei über den faulen Frieden, mit dem man ihm nach jedem Sieg um die Ohren schlug und der ihm sogar hier im Tanzsaal die Kampfesfreudigkeit verleidete! Er fluchte respektlos über den König und seine „feigen“ Ratgeber, die, Majestät versteht sich ausgenommen, alle miteinander an den Galgen müßten! Immer wieder fielen sie ihm in den Arm, gerade wenn er den Gegner vernichtend treffen wollte. Immer wieder verlängerten sie den Krieg durch ihre Dummheit, Ängstlichkeit und ihre übereilten Maßnahmen! Der Friede wäre längst da und weit vorteilhafter, als sie zu träumen wagten, wenn sie ihm nur nicht immer zur Unzeit mit langgestreckten Hälsen nachliefen! Aus dem Tanzsaal sprudelten die Melodien herüber, mit heiterem Stimmengewirr und dem Lachen der Tanzenden vermischt. Blücher ging auf die Tür zu. Drüben am Thron standen immer noch der König, der Staatskanzler und ihre Speichellecker. „Hol’ sie der Teufel!“ brummte er halblaut. „Denen werd’ ich wohl was vortanzen?! Der Kuckuck auch. Zum Tanz aufspielen, das schon eher, wenn sie sich nicht sputen und sich endlich aus dem Dusel aufraffen! Das gibt dann aber eine andere Polka!“ Er verfügte sich nach den entlegenen Sälen, wo fern vom Getaumel trinkfeste Männer Bacchus huldigten. Er tat im Vorbeigehen einen Blick in den Spielsaal, ging aber nicht hinein. Er liebte immer noch das Spiel fast ebenso leidenschaftlich wie die schönen Frauen. Seit Anfang des Feldzuges rührte er aber keine Karte mehr an. Aufregung und Anregung gab ihm der Krieg zur Genüge. Dazu bedurfte er des Spieltisches nicht! Er begab sich also in den Keller, nahm unbemerkt im Dunkel einer Nische Platz und ließ sich Wein kommen. Um den langen Tisch, inmitten des Saales, saßen eine ganze Reihe meistens jüngerer Offiziere mit hochroten Gesichtern in eifrigster Unterhaltung. Sie schimpften, daß es Blücher gar warm ums Herz wurde, und verdonnerten die Diplomaten nach Noten. „Habt ihr den Metternich gesehen?“ rief einer. „Wenn ihr den Fuchs gesehen habt, dann wißt ihr Bescheid. Wir Preußen sollen da immer und immer wieder bluten, nur um den Engländern und den Österreichern die Kastanien aus dem Feuer zu holen! Und nachher werden wir geprellt! Wir haben Napoleon besiegt, haben ihn aufs Haupt geschlagen – und der Herr Metternich hat nichts Eiligeres zu tun, als ihm den Rücken zu steifen! Habt ihr von den Friedensbedingungen gehört, die er jetzt wieder dem Franzmann geboten hat? Friede und Freude, und die Pyrenäen, die Alpen und den Rhein als Grenzen!“ Ein allgemeiner Aufschrei beantwortete die Nachricht. „Schufte und Gauner sind’s, die das befürworten!“ „Es sind hohe Herren, Fürsten und Generäle darunter!“ „An den Galgen mit ihnen!“ „Aufknüpfen das ganze Gesindel! Schwarzenberg und Metternich voran!“ „Sind das Bundesbrüder!“ „Immer hinken sie nach, immer halten sie zurück und tuscheln hinter unserem Rücken mit den Franzosen!“ „Die Österreicher denken nur an ihren eigenen Vorteil! Und den suchen sie in Italien! Da wollen sie sich bereichern! Deutschland ist ihnen gleichgültig!“ „Ob wir frei werden oder nicht, ist denen Wurst!“ „Das ist ein Irrtum! Die Österreicher würden uns gern an Händen und Füßen gefesselt sehen! Nur kein starkes Preußen, nur kein einiges Deutschland! Deshalb paktieren sie und treiben hinter unserem Rücken Kuhhandel mit den Rheinbundfürsten, diesen Verrätern an der deutschen Sache! Sie befestigen jene Könige von Napoleons Gnaden auf ihren Thrönchen, statt sie zum Teufel zu jagen!“ „Ganz recht, und deshalb sollen wir eben nicht ihres Kaisers Schwiegersohn Napoleon kaputt machen dürfen! Deshalb dürfen wir ihm nicht seinen Länderraub nehmen – deshalb ließen sie ihn bei Leipzig entschlüpfen und hinderten uns an der Verfolgung, wo wir ihm so brav an den Fersen hingen. Keinen Mann hätte er heil nach Frankreich zurückgebracht, hätte man uns bei der Stange gelassen! Und die lassen ihn mit ganzen siebzigtausend Mann nach Mainz hinüber!“ „So ’ne Schweinerei war noch nicht da! Die müßten mit Ruten gestrichen werden, die das verbrochen haben!“ „Und jetzt, was machen wir jetzt! Sechs Wochen lang stehen wir schon am Rhein und dürfen nicht hinüber. Unsere Herren Fürsten stehen da und gucken ins Wasser und finden es tief und finden es breit, und schütteln die Köpfe und machen bedenkliche Gesichter. Der König will nicht, der Kanzler will nicht, das Große Hauptquartier will verhandeln, die Russen wollen heim in ihr Land. Keiner wagt den Sprung! Inzwischen wird Napoleon wieder stark – und wir müssen wieder bluten!“ So schrien und tobten sie erregt durcheinander, und der Tabaksqualm legte sich in immer dichteren Wolken über sie und zog in langen Ringeln unter dem Gewölbe hin, durch die Tür hinaus. Blücher saß unbeweglich in einer Ecke und ließ sich nichts merken. Am Ende des Mitteltisches, etwas abseits von den anderen, saß allein und schweigend ein großer, starker Kerl in Infanterieuniform und trank in aller Ruhe mit tiefen Zügen einen Schoppen nach dem anderen. Mit jedem Glas wurde sein Gesicht röter und seine Augen stierer. Er schien sich gewaltig zu giften über all das, was die anderen vorbrachten, und kam immer mehr in Wut. Schließlich fegte er Glas und Kanne vom Tisch herunter, stand auf, zog die Plempe, schwang sie mit beiden Händen hoch über den Kopf und ließ sie mit voller Wucht auf die Tischscheibe niedersausen. „Borussia!“ schrie er, daß es im Saal dröhnte und alles verstummte und sich zu ihm umwandte. „Borussia, wach auf! Von allen Seiten umschleichen dich Feinde! Ringsum lauern falsche Freunde darauf, dich zu knebeln! Denn du bist das Herz Deutschlands, die Wurzel seiner Kraft, die Quelle seines Blutes und der stählerne Ring, der bestimmt ist, all die deutschen Stämme zusammenzuhalten und stark und mächtig zu machen. Hüte dich vor deinen schwachen Stunden, Borussia, laß dir kein Gift in die Ohren träufeln – wehr dich gegen die Falschheit derer, die ihre Dolche mit Friedenspalmen verdecken! Wehr dich, sonst hast du umsonst geblutet, ohne Nutzen den Kampf um die Freiheit geführt. Ohnmacht, Armut, Knechtschaft, Schmach und Demütigung vor Fremden wird dein sicheres Los! Höre nicht auf den Sirenengesang! Laß deine Knappen mit ihren Schwertern auf ihre Schilde schlagen, daß du die Stimme der Verlockung nicht hörst. Du ließest dich schon zu oft täuschen! Du ließest dich zu Boden werfen, wurdest ausgeplündert und zum Frondienst gezwungen! Und nun, wo der Himmel ein Wunder tat und deine Fesseln löste, wo du weiter nichts zu tun brauchst, als die Hand auszustrecken und zu nehmen, was dein ist, da läßt du dich beschwatzen, auf die Segnungen einer fernen Zukunft vertrösten, wo die Gegenwart dir blüht wie noch nie! Borussia, wach auf! Sieh in der Sonne den Rheinstrom glitzern! Sieh sein heiliges Band alle deutschen Gaue umschlingen! Frei wälzt er seine Wogen dem Meere zu, an beiden Ufern wieder deutsch, wie er’s immer war, wenn du nur wolltest. Laß nur nicht die Welschen an ihn heran! Die bleiben nicht wie du träumend an seinem Ufer stehen! Die werden stets zu neuen Raubzügen hinüberwollen, dir Mark und Blut aussaugen und sorgsam verhüten, daß du jemals wieder zu Kraft und Macht erstarkst! Borussia, wach auf!“ „Die schläft schon nicht, junger Mann!“ sagte Blücher, trat aus seiner Nische ins Licht hinaus, ein Glas in der einen, ein paar Flaschen in der anderen Hand, und setzte sich an das andere Ende des langen Tisches. „Denn das ist kein Schlaf mehr! Da gehört ein ganz anderes Wecken dazu, als Sein bißchen Krähen! Da helfen auch nicht die Posaunen des Jüngsten Gerichts! Bei der dicken Schlafmütze, die die Sicherheitskommissariusse der Madame über die Ohren gezogen haben, könnte der Himmel herabfallen, und sie merkte nichts. Die wacht nicht uff. Wir geben ihr wohl mitunter einen Schubs und bringen sie auf die Beine, daß sie Anlauf nimmt und im Schlafe siegt. Und dann fällt sie um und träumt vom ewigen Frieden! Und der Feind, der Herr Napoleon, der niemals schläft und niemals träumt, er lacht sich ins Fäustchen und geht ihr immer wieder durch die Lappen. An der Saale hätten wir ihn jetzt packen können, an der Unstrut auch! Bei Auerstedt, wo er uns schlug, hätte er zur Wiedervergeltung eins auf die Mütze haben müssen – bei Erfurt, wo wir früher einmal vor ihm kapitulierten, bei Fulda, überall wäre er geliefert gewesen, wenn wir bei der Stange geblieben wären und zugelangt hätten. Am Hörselberge hinter Gotha, wo wir nach Jena so brav vor ihm gelaufen waren, da rächten wir uns aber in echt deutscher Weise – da ließen wir ihn ebensogut vor uns laufen, gerade als seine Vernichtung sicher war. Da spielten wir immer noch auf höheren Befehl Blindekuh und sagten uns: ‚Nee, da läuft er nich, wo er läuft! Er läuft sicher anderswo!‘ Und kletterten über die Vogelsberge und guckten in das Lahntal hinein und wunderten uns baß, daß er uns nicht den Gefallen tat, uns auch da etwas vorzulaufen. Und nun sitzt er hinterm Rhein und pflegt seine Frostbeulen und salbt seine wunden Füße. Und wir sitzen diesseits und blasen auf der Friedensschalmei und tanzen und vergnügen uns. Nun ja – hübsch sind ihre Mädchen, das muß ich den Rheinländern lassen! Und ihre Weine – – Na, komme Er her zu mir, junger Mann, brechen wir miteinander dieser Pulle den Hals! Da drin ist Sonnenschein – da drin ist Glut und froher Mut, aber keine solche Wut, wie Er sich wohl aus Seinem Surius drüben angetrunken hat! Sieht Er, schöne Redensarten, die kann ich auch machen! Nun will ich Ihm aber auch vormachen, wie man den Mund hält, wo’s gilt, eine Tat für ein Wort zu setzen! Prost! Gieße Er den Rebensaft die Kehle runter! Und keinen Ton dabei – keinen Ton, auf daß Ihm nicht die Galle übertritt. Siebzehn Jahre wollen wir wieder werden, voll guter Laune, Übermut, Tollheit und schwellender Kraft, die singt und jauchzt und sich des Daseins zu freuen weiß. Dann sind wir morgen andere Kerle, und die Welt wird uns neu und frisch und keusch wie eine aufblühende Jungfer, die dem gehört, der sie ohne Federlesens zu nehmen versteht, aber nimmermehr dem Worthelden, der über seinem Gefasel das Zupacken vergißt. Wir _tun_, was _wir_ tun! Wir lassen Schufte und Gauner Schufte und Gauner sein! Wir haben anderes zu tun, als dem Gesindel Galgen zu errichten und Strafpredigten zu halten! Prost!“ Trotz seinem Schweigegebot versäumte er es aber auch nicht, selbst das Wort zu nehmen und eine Rede zu schwingen, sooft nur der Geist über ihn kam. Der andere hatte ihm eben nur das Wort aus dem Munde genommen und das ausgesprochen, wovon er just im Begriff war, selbst überzusprudeln. „Solche Leute muß man beizeiten dazu bringen, den Mund zu halten“, dachte er schmunzelnd. „Denn sagen sie zuviel, dann verderben sie einem nur das Spiel!“ * Am Neujahrstag in aller Frühe hielt Blücher dann hoch zu Roß auf den Hügeln des Rheinufers bei Caub und blickte in den grauen Tag hinein. Unter ihm schlängelte sich die dunkle Masse seiner braven Armee über die Schiffsbrücke nach der kleinen Insel mitten im Fluß, wo die alte Pfalz liegt, und weiter nach dem jenseitigen Ufer, die Hügel hinauf. Die Felsen warfen in immer wachsendem Echo das Hurra und das Freudengeschrei hinüber und herüber und kündeten den Landeskindern jenseits des Rheins: jetzt ist die Schmach getilgt, jetzt seid ihr wieder Deutsche, wie ihr es immer wart und immer wieder werdet, was auch kommen mag. Dem alten Kämpfer schwoll das Herz vor Freude, er jauchzte mit, und durch die Tränen, die ihm aus den Augen quollen, sah er sieben Sonnen, und alle gingen sie ihm heute drüben, im Westen, auf. Drüben lag befreites deutsches Land! Drüben lief der Feind, was das Zeug hielt –, drüben lag Paris! – Ein Katzensprung nur, und Paris war sein, die Höhle des Löwen ausgehoben, der Quell alles Unheils verstopft, der Feind der Völker von seiner ragenden Höhe gestürzt! Nichts könnte mehr etwas daran ändern! Drüben liefen ja die Franzosen – – – Sie liefen – ließen aber drüben im befreiten Lande eine Grenzwache zurück, der weder Pulver noch Blei etwas anhaben konnte: – den Typhus! Und der machte seine Sache so brav, daß allein vom Yorckschen Korps fünftausend Mann ins Gras beißen mußten. Dem Typhus zur Seite wütete ein noch unheimlicherer Feind: der Meuchelmord, der in jedem Bauernhause lauerte, je weiter man ins rein französische Land drang. Denn es war ja ein schwerer und unverzeihlicher Frevel von den Deutschen, den geheiligten französischen Boden mit Krieg zu überziehen! Wozu waren die deutschen Gaue da? War es nicht seit altersher den Völkern zur Gewohnheit geworden und also zum Recht, dort ihren Hader auszutragen und ihre Streitrosse zu tummeln?! Hatten sie nicht den Deutschen dafür gedankt, indem sie ihr Land nicht nur gnädigst ausplünderten, sondern es auch mit den schönsten Ruinen schmückten?! Kein Mühsal, keine Gefahr, keine Seuchen, gar nichts vermochte aber das Ungestüm der Schlesischen Armee und ihres Führers zu brechen. Unaufhaltsam drang sie auf ihr Ziel vor, ob die anderen Heere folgten oder nicht. An Bernadotte brauchte Blücher nicht mehr zu schleppen, da diesem Helden, nach seiner gloriosen Leistung bei Leipzig, das Kommando der Nordarmee genommen worden war. Und die Hauptarmee mit ihrem ganzen Troß von Monarchen, Fürsten und Diplomaten, kümmerte ihn zunächst wenig. Die schleppte sich im gewohnten Tempo, fern vom Schuß, bei Basel über den Rhein nach Frankreich hinein, blieb dort auf der Hochebene von Langres staunend stehen, und bewunderte die sonderbare Eigenschaft dieser Wasserscheide, von dort nach drei verschiedenen Meeren gleichzeitig ihr Wasser lassen zu können. Von all den Flüssen, die dort ihren Anfang nehmen, trug, wie zu billigen, die Seine den Sieg über die anderen davon. Aber schon ehe die Hauptarmee ihre schwerfällige Masse nach dem Seinetal in Bewegung setzte, fingen die Diplomaten Österreichs, unter Metternichs Führung, wieder an, dem Schwiegersohn ihres Kaisers auf der Friedensschalmei ein Ständchen zu blasen, und boten ihm die alten Grenzen Frankreichs von 1792 an und den ungestörten Besitz seines Thrones für immer und ewig –, was in unserer Laiensprache so viel wie bis zum nächsten Krieg heißt. Denn Napoleon war ja, wie auch der preußische General von Knesebeck hervorhob –, er war ein förmlich anerkannter und recte gesalbter Monarch – er war Herrscher von Gottes Gnaden und hatte also zum mindesten auf die Gnade der Mitmonarchen einen Anspruch. Napoleon sah das auch ein, ließ sich gnädigst herbei, mit seinen Überwindern zu verhandeln, und schickte zu dem Zwecke seine Friedensboten nach Chatillon. Da war es wieder Blücher, der den friedfertigen Kampfgenossen in den Arm fiel – aber in einer von ihm selbst am allerwenigsten beabsichtigten Weise, indem er sich an der Marne gründlich – nicht _ein_-, sondern _fünfmal_ von Napoleon schlagen ließ. Denn der Korse, der da seine schönsten Löwensprünge machte und bald dem einen, bald dem andern von den ihn umstellenden Jägern an die Kehle sprang und tüchtig zauste, der fühlte sich wieder als Herr und Gebieter und Bändiger der ganzen Welt. Er schlug die einzeln marschierenden Korps der Blücherschen Armee nacheinander bei Montmirail, bei Château Thierry, Vauxchamps und Etoges. Er schlug Wrede und Wittgenstein bei Nangis und den Kronprinzen von Württemberg bei Montereau. Und der Kamm schwoll ihm mächtig. Er sah, wie die Schar seiner Angreifer anfing langsam wieder nach dem Rhein zurückzufluten. Bald würde er sie da hinüberwerfen und gänzlich vernichten! Er hörte schon seine leicht erregten Pariser über die Siegesbotschaften und die vielen Gefangenen jubeln. Sie würden ihm alles bewilligen, der neuen Gloire jedes Opfer bringen! Also keine Rede von Verhandlungen mehr! Er würde den Völkern wieder den Frieden diktieren, wie sie es von ihm gewohnt waren! Fort mit den Schreibern und Diplomaten mitsamt ihren schlauen Finten und krummen Wegen! Ein Hieb des Schwertes zur rechten Zeit – das bliebe stets die einfachste und wirksamste Diplomatie! Napoleon bedankte sich also für die Gnade, die ihm die deutschen Fürsten gewähren wollten, lehnte die Unversehrtheit eines verkleinerten Reiches und den Besitz eines nur auf französischem Boden fußenden Thrones ab, rief seine Unterhändler zurück und stand wieder kampfbereit da, mit zermürbten Armeen, aber im vollen Glanz seines Genies und seines Siegerruhmes, drohend, gewaltig, gefürchtet. Da war’s wieder Blücher, der sich nicht blenden und verblüffen ließ. An Genie dem Gegner gleich, an urwüchsigem Temperament ihm überlegen, hielt er stand, wo alles weichen wollte, gebot dem Imperator Halt und lenkte die rückwärtsstrebende Bewegung wieder vorwärts. Und die Saumseligen folgten schweren Herzens und ergaben sich in ihr Schicksal, die Früchte ihrer Siege pflücken zu müssen. * „_Sa Majesté l’empereur_“ stand es mit großen Buchstaben mit Kreide auf einer der Türen im Korridor. An der Tür zwei Gardisten in hohen Bärenfellmützen, die Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett geschultert. Ein Adjutant kam eiligst die Treppe herauf, den Korridor entlang und auf die Tür zu. Die Wachen präsentierten. Der Adjutant streckte die Hand nach der Klinke aus. Da öffnete sich die Tür, ein paar Ordonnanzen kamen eiligst heraus, die zusammengefalteten Zettel mit den soeben vom Kaiser diktierten Befehlen in der Hand, salutierten und eilten die Treppe hinunter. Gleich hinter ihnen trat Napoleon aus der Tür heraus, den grauen Mantel noch offen, den dreieckigen schwarzen Hut auf dem Kopf. In seinem Gefolge waren Berthier und Caulaincourt. Der Adjutant grüßte. „Sire, es ist höchste Zeit. Die Kosaken sind in der Stadt!“ Napoleon machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, ging an das Fenster gegenüber und blickte, die Arme über die Brust verschränkt, über die Stadt und die Gegend hinaus. Wie oft hatte er nicht über diese Hügel, über diesen Fluß, diese Wälder geblickt, als er noch Zögling der Königlichen Kriegsschule hier zu Brienne war! Von hier aus hatte seine Meteorenlaufbahn ihren blendenden Anfang genommen – hier war das Tor, durch das er ins bunte Abenteuer seines märchenhaften Daseins hinausgeschritten war. Jetzt mußte er wieder hier durch – zurück ins ungewisse, mit bitteren Erfahrungen beladen, ohne den unbeugsamen Glauben, ohne das feste Vertrauen auf das Glück, das Berge versetzt. Das Mißlingen war auch bei ihm in den Bereich des Möglichen gerückt, seine Bahn zum Ausgangspunkt zurückgebogen! Mußte er wieder anfangen –, wieder die Schulbank drücken, wie damals, als ihm nichts unmöglich, keine Aufgabe zu schwer erschienen war? Hatte er seine Schulaufgabe fürs Leben schlecht gelernt? Bekam er sie jetzt zur Wiederholung und zum Besserlernen zurück? Wenn er auch noch tausendmal die Kraft zum Umlernen aufbringen würde –, hätte er wohl noch den Mut, die Lust – die Zeit dazu? War’s überhaupt der Mühe wert? War nicht alles eitel – nichtig –, zum Überdruß fade? Aus der Tiefe knallten Flintenschüsse, scharf, schneidend! Sie kamen näher. Der Kaiser erhob sein Haupt mit einem Ruck, wie ein altes Kutschpferd, das wieder den Knall der Peitsche hört, knöpfte den grauen Überrock zu und ging mit festen Schritten den Korridor entlang, über dessen Steinfliesen die sinkende Winternachmittagssonne ihren bunten Schein goß, und ging rasch die Treppe hinunter, von seinen Adjutanten und Generalstabsoffizieren und auch von den Wachtposten gefolgt. Gleich darauf rasselten Hufschläge von Pferden übers Pflaster. Die Flintenschüsse kamen näher, Hurrarufe mischten sich hinein, Stimmengewirr und rasche Tritte auf der Treppe wurden laut. Dann kamen bärtige Gestalten herauf, die Lammfellmütze schief auf dem einen Ohr, Piken in den Händen, die Säbel am Boden schleifend. Voran ein Offizier, neben ihm der Korporal, eine Liste in der Hand. Der Offizier zeigte auf die Türen im langen Korridor und sprach bei jeder einen Namen aus. Der Korporal schrieb jedesmal den Namen auf die betreffende Tür. Sie blieben an der Tür stehen, durch die Napoleon gekommen war. Die Sonne war tiefer gesunken. Ihre Strahlen fielen gerade durch das Fenster und warfen ein buntes Farbenspiel über die Aufschrift. „_Sa Majesté l’empereur!_“ las der Offizier. „Ist gut! Da brauchen wir uns die Zimmer nicht erst anzusehen. Da kommt der Obergeneral hinein!“ Der Korporal ließ sein Kreidestück, das er schon im Anhieb hielt, auf den Türspiegel fallen und schrieb einen Namen hin. „Feldmarschall Blücher“ stand da in großen Buchstaben unter der alten Aufschrift zu lesen. Ein Wink des Offiziers, und zwei Kosaken stellten sich jetzt rechts und links von der Tür als Posten auf. Die Sonne draußen war schon halb hinter die Hügel gesunken, ihre letzten Strahlen röteten nur noch ein wenig das weißgetünchte Dach. Es dämmerte schon. Der Offizier befahl, die Kerzen in den Laternen auf den Treppenpfosten und an den Wänden anzuzünden, und ging mit seinen Leuten weiter. Bald danach hallte das ganze Schloß von lauten Stimmen, schallendem Gelächter, Säbelgerassel und Sporenklirren wider. Die Treppe kam’s herauf, und bald waren sie da: eine Schar von Offizieren, allen voran der Feldmarschall Blücher, und mit ihm seine Adjutanten: von der Goltz, Graf Nostiz, Gneisenau und andere. Die Wachen salutierten, die Adjutanten öffneten die Tür, alle traten ein. Im großen Saale stand noch der Tisch gedeckt. Die Speisen waren unberührt. Bei der Eile des Aufbruchs hatte die Bedienung alles stehen- und liegenlassen, wie es war. „Der Kaiser sorgt gut für seine Gäste!“ rief der Feldmarschall. „Zu Tisch denn! Ich habe einen mordmäßigen Hunger! Die Flaschen drüben auf der Kredenz sehen nicht übel aus. Rasch eingeschenkt! Auf unseren Gastgeber –, auf daß ihm der Deibel bald holt!“ Sie tranken. Ein Krachen. In der Ecke des Saales barsten die Balken, Schutt und Gips flogen ringsumher. Eine Kanonenkugel hatte eingeschlagen und war durch den Boden weitergegangen. „Er blieb uns die Antwort nicht schuldig!“ lachte Blücher. „Der Kaiser wußte, wo die Suppenschüssel stand, und war wohlerzogen genug, uns nicht hineinzuspucken! Prost Mahlzeit, meine Herren! Der Wein ist gut! Kümmert euch nicht um den Schutt!“ rief er den Ordonnanzen zu, die sich gleich daranmachten, aufzuräumen. „Das Haus gehört uns nicht. Wir brauchen’s nicht zu reparieren! Laßt es euch gut schmecken, Kinder! Hoffentlich haben’s unsere Pferde auch nach Wunsch?“ Der Adjutant, Graf Nostiz, gab zur Antwort, für die Pferde wäre bestens gesorgt. Er hatte auch alles angeordnet, aber in seiner eigenen Weise, indem er sie nicht in die Stallungen, sondern nur um die Ecke des Schlosses führen und dort gesattelt bereithalten ließ. Denn ihm schien es hier noch nicht ganz geheuer und auch nicht sicher, daß Brienne endgültig in der Hand der Deutschen bliebe und nicht noch von den Franzosen durch einen Handstreich wiedergewonnen werden konnte. Zum mindesten fand er es verfrüht, schon jetzt das Hauptquartier hineinzuverlegen, ehe die Truppen das Glacis fest in der Hand hatten. Aber das Ungestüm des Feldmarschalls war nimmer zu bändigen. Nostiz ging mit dem Grafen Goltz auf die Terrasse hinaus, blickte in die Dämmerung hinein und dankte gleich dem Himmel, daß er so fürsorglich alles angeordnet hatte. Denn kaum war er draußen, so pfiffen ihm schon die Flintenkugeln um die Ohren, und die Scheiben in den Glastüren gingen klingend in Scherben. Kein Zweifel, der Kaiser war nicht gesonnen, Feinde hier mitten unter seinen Jugenderinnerungen hausen zu lassen. Er ging schon angriffsweise vor, kaum daß man sich in seinem warmen Neste zur Ruhe gesetzt hatte, und war schon im Begriff, das ganze feindliche Hauptquartier mit dem Feldmarschall und allen durch einen kühnen Handstreich aufzuheben und in seine Gewalt zu bringen. Sie eilten hinein. Es hielt aber schwer, den eigensinnigen alten Blücher dazu zu bringen, das Schloß, in dem er schon anfing sich wohl zu fühlen, gleich wieder zu verlassen. Erst als die Schießerei immer näher kam, ließ er sich überreden, hinunterzugehen und die Pferde zu besteigen. Es war aber fast zu spät. Kaum auf der Straße, galoppierten ihnen fliehende Kosaken mit den Rufen „Franzuski!“ entgegen, und hinter ihnen her klabasterten schon flinke kleine Chasseurs mit einer Schnelligkeit, daß die Roßschweife an ihren Helmen wie Schleier hinter ihren Häuptern flatterten. Mit Not gelang es noch, durch flinkes Einbiegen in eine Nebenstraße über die Felder zu entkommen. Dort aber drehte sich Blücher um, blickte nach der Stadt zurück, wo schon aus allen Fenstern Lichter blinkten, und wo der Lärm des Straßenkampfes immer lauter durch das Dunkel tobte, und sagte: „Bilde dich nur nicht ein, daß du dorten lange ruhig schlafen wirst!“ Als er aber nach einigen Tagen, nachdem er Napoleon geschlagen hatte, wieder nach Brienne kam und ins Schloß hineinzog, um drinnen doch das letzte Wort zu haben, da prangte auf der Tür im Korridor nicht nur über den Worten „Feldmarschall Blücher“, sondern auch unter ihnen die Inschrift: „_Sa Majesté l’empereur_“. Stracks nahm er aus der Hand seines Quartiermachers, der schon wieder bei der Arbeit war und von Tür zu Tür pilgerte, die Kreide, machte einen Strich quer durch die Rechnung und schrieb eigenhändig darunter: „_Blücher_“. „Die Fremdenliste wäre nun in Ordnung“, sagte er schmunzelnd, gab ein Zeichen, die Tür zu öffnen, und befahl auch schleunigst, für Speise und Trank zu sorgen. Denn heute sei man bei sich selbst zu Gast, und man müsse doch für seine Gäste sorgen! „Nachher können wir darangehen, mit dem Herrn Napoleon um das nächste Hotel zu raufen!“ fügte er hinzu. „Und mir soll’s recht sein, wenn’s sein Palais in Paris ist!“ Für heute ließ er sich’s aber beim Feldmarschall Blücher in Brienne gut schmecken, und wurde dabei von keinen lose herumstrolchenden Kugeln aus kaiserlichen Flinten und Kanonen mehr gestört. * „Heute war man im Hauptquartier knieschwach mit Bescheid“, sagte Yorck halblaut, als er durch den Abend von Laon nach seinem Quartier in Chambry ritt. „Dem Feldmarschall schien es heute nicht sosehr wie sonst daran gelegen zu sein, das Tanzbein zu schwingen!“ Er schlug die Schneeflocken vom Rockärmel, hielt sein Pferd an und blickte über die Gegend hinaus. Der kurze Märztag neigte sich seinem Ende zu. Durch das dünne Schneegestöber sah man noch, wie durch einen Schleier, die kleine Stadt Laon auf ihrem Felsen aus der Ebene ragen, auf dem Rand des höchsten Plateaus eine Reihe von Windmühlen, die sich scharf gegen den Himmel abzeichneten. Tausende von Lichtern glitzerten überall. Den Fuß des Felsens säumten die Biwakfeuer von Bülows Preußen. Rechts und links davon, durch die Vorstädte, bis weit über die Ebene hinaus, zeigten Feuer an Feuer die weitere Aufstellung von Blüchers Armee an. Hinter den Sümpfen, der Stadt gegenüber, auf der Senkung des dort verlaufenden niedrigen Plateaus, rückten die Franzosen heran. Nach dem unentschiedenen Gefecht bei Craonne, am vorhergehenden Tage, war Napoleon selbst mit seinen Garden den weichenden Truppen Wintzingerodes auf der Straße von Soissons hierher gefolgt und hatte sie aus dem Paß bei Etouvelles über den Ardonbach zurückgeworfen. Östlich von ihm, auf der Straße von Reims, rückte Marmont auf das gleiche Ziel zu. Blücher hatte hinter dem Felsen von Laon die beiden russischen Korps Sacken und Langeron als Reserve aufgestellt, um je nach der Kampflage rechts oder links hinter der Stadt vorzubrechen. Nach seiner Vereinigung mit Bülows über Holland heranmarschierten Truppen war er jetzt Napoleon doppelt überlegen. Er hatte auch vollständige Selbständigkeit von der Hauptarmee erlangt und brauchte sich um die langsamen Bewegungen Schwarzenbergs nicht zu kümmern. Nichts würde ihn daran hindern können, die letzte Scharte auszuwetzen und dem Korsen die heimtückischen Überfälle an der Marne heimzuzahlen! So hatte er sich heute Yorck gegenüber geäußert, aber nicht in seiner gewohnten energischen Weise, sondern mit einem müden, abgespannten Ausdruck in der Stimme, der seinen Worten geradezu widersprach. Yorck lachte noch hämisch darüber, als er langsam durch das Schneegestöber weiterritt. Man war im Hauptquartier sogar mehr als löblich knieschwach geworden! Die „Kraftgenies“ und Draufgänger dort, die sonst mit ihrem Ungestüm die Soldaten abhetzten, hatten auf einmal ihre ganze Schwungkraft verloren! Blücher, sonst die nie versiegende Hauptquelle aller Energie, war über Nacht zusammengeklappt und ein müder Greis geworden! War es nur eine vorübergehende Abspannung? Oder bereitete sich eine ernsthafte Erkrankung vor? Ganz apathisch hatte er heute dagesessen, einen Schirm vor den Augen, und hatte fast teilnahmlos zugehört, wie Müffling und Gneisenau den eingefangenen Hannoveraner Palm examinierten, der im Bureau des französischen Generalstabschefs Berthier irgendeine Vertrauensstellung eingenommen hatte, und heute von den Kosaken aufgegriffen worden war. Er hatte sich nicht einmal geärgert, ja kein einziges Mal geflucht, als dieser ihm bezeugte, die gestrige Affäre bei Craonne hätte eine vernichtende Niederlage für Napoleon werden können, wenn die Preußen diesem, wie befohlen, bei Corbeny in die linke Flanke und in den Rücken gefallen wären. So aber hatte seine Nachhut unter Wintzingerode die ganze Wucht des Angriffs allein auszuhalten gehabt und hatte sich nutzlos verblutet. Und man konnte den Tanz wieder von vorn anfangen. Dabei wäre der Sieg so kinderleicht herbeizuführen gewesen! Als sich ein paar Husaren und Kosaken auf dem Wege von Fetieux bloß zeigten, hatten die französischen Train- und Artillerieknechte die Stränge durchgeschnitten, alles stehenlassen, und waren davongeritten. Eine regelrechte Panik war schon im Entstehen. Aber die preußische Kavallerie, die man schon glaubte heransausen zu hören, kam nicht! Und aus der sicheren Niederlage wurde so ein unentschiedenes Nachhutgefecht. Das alles hatte ihnen der gefangene Kommissar Berthiers klipp und klar auseinandergesetzt. Und Blücher hatte keinen Ton gesagt, kein einziges Donnerwetter über die verfluchte Schweinerei losgelassen! Gneisenaus Gesicht war immer länger geworden! Sie hatten alle beide plötzlich die Sicherheit eingebüßt! Ihre Kraft schien erlahmt zu sein! – Sonst schoben sie um des großen Zieles willen jedes Bedenken beiseite und zwangen die Soldaten zu den größten Strapazen. Jetzt aber häuften sie Bedenken über Bedenken und waren ängstlich darauf bedacht, ihre Leute zu schonen! Yorck hatte laut lachen müssen, als Gneisenau ihm in allem Ernst erklärte, man müsse die Truppen schonen, damit der König bei den Friedensverhandlungen noch eine Armee hätte, um sie in die Wagschale werfen zu können! Daran dachte der gute Gneisenau sonst gewiß nicht! Er war sonst stets von hochfliegenden strategischen Plänen und genialen Entwürfen so erfüllt, daß eine solche Kleinigkeit wie ein Menschenleben mehr oder weniger ihn nicht im geringsten kümmerte. Und jetzt auf einmal die diplomatischen Schmerzen! War er kopfscheu geworden, als er die wohlgenährten, gut gekleideten und tadellos ausgerüsteten Soldaten Bülows sah, die trotzdem auf glänzende Siege in Holland zurückblicken durften – und neben ihnen die verhungerten, abgerissenen, zerlumpten Schlesier Yorcks, die wie die „Grasteufel“ aussahen, und, ungeachtet aller Strapazen, in der letzten Zeit doch nur Niederlagen gehabt hatten? Sei’s wie es sei, jedenfalls hatte Gneisenau stillschweigend sein Unrecht zugegeben, und das erfüllte Yorcks Seele mit einer stolzen Genugtuung und gab ihr Leichtigkeit und Schwung. Der Widerspruchsgeist, der ihm sonst stets innewohnte, steigerte sich bis zum spitzbübischen Übermut. Er wollte Gneisenau, wollte das ganze Hauptquartier noch mehr ins Unrecht setzen. Jetzt, wo die zauderten und nicht mehr vorwärts wollten, jetzt wollte er. Er, der sie sonst immer zurückhielt, ging ihnen jetzt aus reinem Trotz durch und ließ so das Donnerwetter los, das wegen der Krankheit Blüchers und der schwachen Stunde Gneisenaus im Sturmzentrum selbst zu erlahmen drohte! Fröhlichen Herzens gab er seinem Pferd die Sporen, kam in sausendem Galopp am Bauernhause in Chambry an, wo er sein Quartier hatte, sprang aus dem Sattel und trat in den Saal hinein. Um den flammenden Kamin saßen die Offiziere seines Stabes in fröhlicher Runde und lasen mit verteilten Rollen aus Shakespeares Heinrich dem Vierten. Yorck winkte ihnen zu, sich nicht stören zu lassen, setzte sich auch an den Ofen, starrte zerstreut ins Feuer und lauschte auf das Rasseln der Verse. „O mein Gemahl, was seid Ihr so allein?“ lispelte mit hoher Fistelstimme ein junger Leutnant die Rolle von Lady Percy hervor. Indes ein dicker Oberst mit tiefem Baß und gewaltiger Inbrunst den Heißsporn Percy mimte und sich gar nicht an sie kehrte. „Für welchen Fehl war ich seit vierzehn Tagen, Ein Weib, verbannt aus meines Heinrichs Bett? Sag’, süßer Gatte, was beraubt dich so Der Eßlust, Freude und des goldenen Schlafs? – – – – – – – – Ich habe dich bewacht in leichtem Schlummer, Und dich von eh’rnem Kriege murmeln hören, Dein bäumend Roß mit Reiterworten lenken Und rufen ‚Frisch ins Feld!‘ Dann sprachest du Vom Ausfall und vom Rückzug, von Gezelten, Laufgräben, Basilisken und Kanonen. Ein schwer Geschäft hat mein Gemahl in Händen. Und wissen muß ich’s, wenn er mich noch liebt.“ „Fort, du Tändlerin –“, brüllte der Oberst den jungen Leutnant an. Ich lieb’ dich nicht, Ich frage nicht nach dir. Ist dies ’ne Welt Zum Puppenspielen und Mit-Lippen-fechten? Nein, jetzo muß es blut’ge Nasen geben, Zerbrochene Kronen, die wir doch im Handel Für voll anbringen. Alle Welt, mein Pferd! Was sagst du, Käthchen? Wolltest du mir was?“ „Ihr liebt mich nicht? Ihr liebt mich wirklich nicht?“ lispelte der Leutnant weiter. „Nein, sagt mir, ob das Scherz ist oder Ernst?“ Worauf der Oberst jäh aufschnellte und verächtlich lachte: „Komm, willst mich reiten sehen? Wenn ich zu Pferde bin, so will ich schwören: Ich liebe dich unendlich. Doch höre, Käthchen: Du mußt mich ferner nicht mit Fragen quälen, Wohin ich gehe, noch raten, was ich soll! Wohin ich muß, muß ich: und, kurz zu sein: Heut abend muß ich von dir, liebes Käthchen. Ich kenne dich als weise, doch nicht weiser Als Heinrich Percys Ehefrau. Standhaft bist du, – jedoch ein Weib, und an Verschwiegenheit Ist keine besser, denn ich glaube sicher: Du wirst nicht sagen, was du selbst nicht weißt! Und soweit, liebes Käthchen, trau ich dir.“ Sie lasen schlecht, mit falschem Pathos, viel Stimmenaufwand und gewaltiger Mimik. Yorck achtete nicht darauf. Ein ungestümer Tatendrang war rein aus Trotz über ihn gekommen, seitdem er sah, wie zaghaft man im Hauptquartier geworden war. Er wollte jetzt die Zügel aufnehmen, die man dort schleifen ließ, die Führung an sich reißen, einen waghalsigen Coup unternehmen und so mit einem Schlag den Krieg zu Ende führen! Wie, das sah er noch nicht klar. Er fühlte nur bestimmt, im voraus, das große Geschehnis nahen und wurde wieder jung und waghalsig wie jener Brausekopf Percy in Shakespeares Stück. Er würde, wie dieser, weder sehen noch hören können, bis jener Gedanke, der ihn ganz erfüllte, in lebende Tat umgesetzt worden war! Am andern Morgen war dichter Nebel überall. Es wollte nicht Tag werden. Man war zum Angriff bereit. Da pfiff es plötzlich den wackeren Kämpfern um die Ohren. Flintenkugeln flogen aus nächster Nähe in die Stadt und in das Lager Yorcks. Wie ein Schwarm Hornissen, so summte und brummte es den Yorckschen um die Ohren, ohne daß es möglich war zu entdecken, woher es kam. „Das sind die Bienen des Kaiserreiches!“ sagte Yorck. „Die kommen herangesummt mit dem Morgengruß vom Kaiser! Die paar Insekten machen aber noch lange keinen Sommer! Wir werden den frechen Kerls von Tirailleurs schon eins auswischen!“ Der Nebel hob sich gegen elf Uhr, und als die Sonne durchbrach und die Gegend erhellte, konnte der Posten oben auf der höchstgelegenen Windmühle melden, daß die Armee Napoleons zu beiden Seiten der Straße von Soissons Aufstellung genommen hatte und zum Angriff vorging. Bald entbrannte auf der ganzen Linie der Kampf. Napoleon konnte aber gegen die Übermacht der Blücherschen Armee nicht an. Es gelang ihm nur, dessen Vorposten aus Etouvelles zu vertreiben und den dortigen Paß über den Ardonbach zu besetzen. Im Laufe des Tages rückte dann östlich von ihm auf der Reimser Straße Marmont heran und suchte gleich um die linke Flanke Yorcks herumzufühlen, mit der deutlichen Absicht, ihm die Rückzugsstraße nach den Niederlanden abzugewinnen. Dem wurde rasch durch Kavallerie begegnet, Yorck zog seine Vorposten aus dem vor seiner Front liegenden Dorfe Athis heraus und ließ es anzünden, um ein verlustreiches Dorfgefecht zu vermeiden. Von beiden Seiten wurde eifrig kanoniert. Aber der erwartete Sturmangriff der Franzosen unterblieb, und als der kurze Wintertag zu Ende ging, hatte der Feind sich damit begnügt, seinen Aufmarsch zu vollenden und vorteilhafte Angriffsstellungen für den nächsten Tag einzunehmen. Seine Truppen durften sich zur Ruhe begeben. Aber die Ruhe gönnte ihnen Yorck nicht. Er hatte ihre Passivität als ein Zeichen der Schwäche aufgefaßt und sich gleich entschlossen, sie beim Einbruch der Dunkelheit zu überfallen. Er holte die Genehmigung des Oberkommandos ein und traf sofort seine Anordnungen. „Das Vorrücken geschieht in geschlossenen Kolonnen und lautlos, bis man an den Feind kommt. Es fällt kein Schuß, es wird nur mit dem Bajonett angegriffen“ – so lautete sein Befehl. Alles setzte sich in Bewegung. Vorwärts ging es über den gefrorenen Boden gegen die Linie der feindlichen Feuer bis auf fünfhundert Schritt Entfernung. Da brach auf einmal ein Höllenlärm los. Auf allen Trommeln wurde Sturm geschlagen, die Trompeten und Flügelhörner schmetterten und tuteten, und mit schallendem Hurra warfen sich die braven Schlesier auf den Feind, der, vollkommen überrascht, an keinen Widerstand dachte, Hals über Kopf floh und alles im Stich ließ. Er wurde kräftig verfolgt. Und nach ein paar Stunden konnte Yorck dem Hauptquartier melden, daß das ganze Korps Marmonts aufgerieben sei, seine gesamte Artillerie und Munition, Tausende von Toten und Gefangenen verloren und auch das anmarschierende Korps Mortiers mit in die Flucht gerissen hatte. Napoleons Stellung war dadurch verzweifelt geworden. Er stand vor Etouvelles mit wenig über dreißigtausend Mann, seine beiden Flügel waren erschüttert, er hatte einen nunmehr dreifach überlegenen Feind sich gegenüber und den Engpaß von Etouvelles als einzige Rückzugsstraße. Wenn Blüchers Armee ihren Sieg ausnutzte und rasch weiter vorging, so war er verloren, denn er würde sich dann einer Umzingelung nicht mehr entziehen können. Demgemäß wurde auch zunächst vom Oberkommando disponiert. Bülow und Wintzingerode sollten Napoleon festhalten, die anderen Korps von der Reimser Straße seine rechte Flanke umgehen, Sacken und Langeron um seine linke Flanke herumgreifen und versuchen, ihm die Straße nach Soissons zu verlegen. Bei Anbruch des Tages war schon alles auf dem Marsch. Yorck triumphierte schon im voraus. Das Manöver konnte nicht mißlingen. Man hatte endlich den Löwen in der Falle! In ein paar Stunden wäre er umringt und vernichtet und der Krieg zu Ende. Alles drängte begeistert vorwärts, sich der Größe der bevorstehenden Entscheidung bewußt, und bereit, das Letzte herzugeben, um sie herbeiführen zu helfen. Da fiel das eigene Hauptquartier dem ungestüm Vorwärtsdrängenden jäh in den Arm. Gneisenau sandte überallhin Konterorders und befahl, den so rüstig begonnenen Vormarsch einzustellen und in die alten Stellungen zurückzugehen. Entgegen aller Vermutung war Napoleon zum Angriff geschritten, in der richtigen Voraussetzung, daß ein Feind, dessen Korps er erst kürzlich einzeln geschlagen hatte, es jetzt nicht wagen würde, sie noch einmal voneinander zu trennen, sondern vor allem bestrebt sein müßte, sie einem Angriff gegenüber jetzt sofort zusammenzufassen. Er versuchte also, als der größere Menschenkenner, den Gegner zu bluffen, und der Versuch gelang. Die Rückberufungsbefehle Gneisenaus flogen eiligst nach allen Seiten hinaus. Yorck bat, bei der Stange bleiben zu dürfen, er gab gute Gründe, er drohte, er fluchte, aber nichts half! Er, der sonst immer vom Hauptquartier angetrieben werden mußte, tat jetzt sein Äußerstes, um es zur Tat mitzureißen, aber vergebens. Gneisenau war unerbittlich. Alles mußte zurück. Der sichere Triumph über den „Feind der Menschheit“ glitt Yorck aus den Händen. Er mußte gehorchen. Aber in sein Quartier zurückgekommen, befahl er seinen Wagen, ließ seine Koffer hineinwerfen, nahm Platz und fuhr ohne weiteres von seiner Armee fort. Das ließ er sich nicht gefallen – das machte er nicht mehr mit! Da könnte kommandieren, wer wollte – er hatte es jetzt satt! Zu dem Ärger, von Napoleon gefoppt zu sein, kamen jetzt bei Gneisenau die Schwierigkeiten mit Yorck. Die Insubordination durfte nicht hingenommen werden. Aber einem Mann wie Yorck konnte man nicht einfach eine Kugel vor den Kopf geben. Blücher allein vermochte da Wandel zu schaffen. Und Blücher war krank. Er fieberte, er phantasierte und nahm an allem Geschehen keinen Anteil. So ruhte alle Verantwortung auf Gneisenaus Schultern. Und dieser sonst vor nichts zurückschreckende Mensch hatte eben seine „schwache“ Stunde gehabt. Daß Blücher einen Sieg nicht bis zum Äußersten ausnützte, das war noch nicht dagewesen! Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Das empfand jetzt die ganze Armee. Er war entweder tot oder todkrank. Das stand fest. In beiden Fällen mußte ein neuer Oberbefehlshaber an seine Stelle treten. Das Kommando wäre dann einem von den russischen Generälen zugefallen, und das durfte auch nicht sein. Die Krankheit Blüchers wurde also verheimlicht. Gneisenau amtierte in seinem Namen weiter – nicht aber, wie sonst, in seinem Sinn. Der Konflikt mit dem tüchtigsten Korpsführer der Armee war da und mußte aus der Welt geschafft werden! Tot oder lebend mußte Blücher auf der Bühne erscheinen und das besorgen. Aber wie das bewerkstelligen, wo der Alte in Fieberphantasien dalag und auf keine Anrede eine vernünftige Antwort gab?! Gneisenau ging mit Müffling zu ihm hinein. In einer Ecke des Krankenzimmers brannte, dicht verhangen, eine Lampe. Der Leibarzt Blüchers, Bieske, saß daneben, sanft eingeschlummert. Im Bett wälzte sich Blücher unruhig hin und her, die Augen mit einem alten grünseidenen Damenhut gegen das kaum merkbare Licht geschützt. Die Augen schmerzten ihn. Ein zitterndes Flimmern lag über der Netzhaut, im Spiel der Farben wogte alles hin und her, Gestalten tauchten auf, drangen von allen Seiten auf ihn ein, schlossen die Glieder, zogen in endloser, dichtgedrängter Schar an ihm vorüber, ernst, langsam und würdig wie zu einer Trauerparade –, Offiziere in Gala-Uniform mit roten Kragen und hohen Blechmützen, die Gesichter ernst und blaß wie der Tod, die Augen geschlossen, feierliche Ruhe in den Zügen, an der Seite jedes einzelnen eine Frau in Trauer, den verschleierten Kopf schmerzvoll geneigt. So zogen sie ohne Unterbrechung an ihm vorbei, wo er draußen auf einem Felsen am Rhein stand. Aus allen Schluchten, aus allen Wäldern, aus allen Tälern ringsumher strömten sie in immer dichteren Scharen an ihn heran und nach dem Ufer des Rheins hinab, stiegen ins Flußtal hinunter und zogen dort weiter, immer weiter gegen die Abendsonne hin. Die Blechmützen glitzerten und blitzten, von den schwarzen Trauerschleiern der Frauen umwallt. – Wie ein Spiel der Wellen im Abendsonnenschein, so flimmerte es vor den Augen, verwob sich in der Ferne mit dem Widerschein auf dem Wasser und wurde zu einem einzigen Strom, der leuchtend und flammend sich weiter den Weg durch die Felsen fraß. Die Augen schmerzten vom vielen Glanz! Da erhob sich plötzlich eine dunkle Masse dicht vor ihm. Ein Felsen wuchs aus der Erde, hart, eckig und knorrig – kein Felsen – eine menschliche Gestalt war’s, mit zwei Köpfen, in Wut verzerrt, die miteinander rauften, daß die ganze Gestalt ins Wanken kam. – Yorck war’s! Blücher frohlockte! Da war er endlich hinter das Geheimnis Isegrims gekommen! Nicht einen –, _zwei_ gleich harte Köpfe hatte der alte Kerl, die sich stets widersprachen! Das war des Rätsels Lösung, deshalb war mit ihm nicht auszukommen! Da fuhr ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf: Yorck hielt ebenso streng auf Ordnung bei seiner Truppe wie er selbst und duldete keine Troßwagen hinter der Marschkolonne. „Mein Champagnerwagen!“ rief er plötzlich, setzte sich im Bett auf und hielt krampfhaft den alten grünen Hut über die Augen gepreßt. „Mein Champagnerwagen!“ Denn er hatte fürsorglich eine Fuhre Champagner direkt von der Quelle nach Hause senden lassen, und er gab seitdem seinen Mitarbeitern keine Ruhe, ehe er nicht diesen Schatz glücklich in Sicherheit jenseits der Grenze wußte. „Mein Champagnerwagen!“ schrie er. „Sorgt nur dafür, daß der Isegrim ihn nicht erwischt. Der bärbeißige alte Kerl hat ja zwei Köpfe! Er hat _zwei Mäuler zum Saufen_! Er trinkt mir meuchlings den ganzen Krempel aus! Her mit Papier und Tinte! Ich muß es ihm schreiben –“ Müffling legte ihm ein Blatt Papier vor, und rasch, kaum leserlich, kritzelte Blücher ein paar Worte darauf, reichte ihm den Papierfetzen hin und sank ins Bett zurück. Eingedenk Ratkaus, wo dieser ihm auch etwas zum Unterschreiben ans Bett gebracht hatte, rief er ihm noch energisch zu: „Aber ich kapituliere nicht, Müffling, ich kapituliere nicht!“ Dann fiel er ins Bett zurück, blieb liegen und blickte bald Gneisenau, bald Müffling eigentümlich an. „Komm Er her!“ rief er plötzlich. „Näher, nur immer näher, ich will Ihm etwas sagen!“ Müffling beugte sich zu ihm herab, und flüsternd und geheimnisvoll nickend, fing der Alte an: „Weiß Er was? Ich habe ein Gefühl im Leib, als wäre ich mit einem Elefanten schwanger – es dehnt sich und dehnt sich – manchmal ist’s mir, als wäre mir die Stube schon zu eng – ich möchte nur wissen, wie das kommt – und auch, auf welchem Wege ich so’n Ungetüm wohl auf die Welt bringen werde?“ Das wurde Gneisenau zuviel. Entschlossen trat er an das Bett heran. In kurzem, scharfem Ton, der unbedingt die Aufmerksamkeit des Kranken erzwang, erzählte er von der Desertion Yorcks, die unbedingt die sofortige Dazwischenkunft des Oberkommandierenden erheischte, um peinliches Aufsehen zu vermeiden. Blücher begriff. Die Wut packte ihn, verscheuchte im Nu die Fiebergespenster und machte seinen Geist sofort ganz klar. „So’n Hundsmiserabler –, so’n Sauverfluchter! Und dabei hat der Kerl ganz recht! Wir sind im Unrecht! Himmeldonnerwetter, klappe ich einmal einen Augenblick zusammen, gleich geht alles schief! Wir hätten verfolgen sollen, Gneisenau – hätten bei der Stange bleiben müssen, wo wir endlich einmal den Kerl, den Korsen, im Sack hatten! Ja, sage Er einmal, Gneisenau, wo hatte Er das mit dem Hangen und Bangen nur plötzlich her? Das kenne ich sonst nicht bei Ihm? Es wäre schon besser, das Fieber hätte Ihn gepackt, nicht mich! Verflucht, daß ich gerade jetzt das Pech haben mußte, dazuliegen. Das muß ich wiedergutmachen. Her mit Tinte und Papier! – Er ist ein altes Ekel, ein ruppiger Hund, der Isegrim! Aber – wie prachtvoll hat er nicht soeben den Franzosen angebissen! – Nun, wo bleibt das Papier? Der Fetzen da taugt –, her damit!“ Er deutete auf seinen Brief, den er vorhin geschrieben hatte. Müffling reichte ihn ihm. „Da steht schon etwas drauf!“ sagte Blücher, der alles bereits vergessen hatte. „Lese Er’s mir vor, die Augen schmerzen mir!“ Müffling las. „Mein lieber, alter Freund! So etwas tun wir beide einander doch nicht an. Was würde die Geschichte dann von uns sagen? Ihr alter Blücher.“ „Betrifft den Champagnerwagen Eurer Exzellenz“, fügte Müffling dann aufklärend hinzu. Blücher blickte ihn an. „Ob’s Yorck betrifft, ob die Witwe Cliquot, steht jedenfalls nicht drin. Das taugt denn gleich gut für alle beide. Was soll ich mich da noch abquälen! Schicken wir das ab! Das genügt!“ So dachte auch Yorck, als der mit dem Briefe nachgesandte Kurier ihn noch am selben Tage erreichte. Denn ihn reute schon der übereilte Schritt. Er griff begierig nach der dargebotenen Hand, benutzte die ihm gebaute goldene Brücke, kehrte zu seinem Korps zurück, und alles war in bester Ordnung. Bis auf Napoleon, der aus der Umklammerung entschlüpft war, und hinter dem nun das Kesseltreiben weiterging. Blücher aber fiel in tiefen Schlaf und war von Stund ab fieberfrei. Er blieb zwar noch körperlich schwach, aber gewann sonst schnell die alte Energie wieder und trieb mit dem prachtvollen Feuer seines Geistes alles vorwärts aufs Ziel. Sogar seinen alten Körper bezwang er! Der konnte zwar nicht in den Sattel hinauf, der mußte sich im Wagen mitschleppen lassen. Halb saß Blücher, halb lag er da, in Pelze eingewickelt, die Augen durch den grünen Damenhut geschützt. So zog er langsam hinter dem von ihm entfesselten Sturm her und wurde von ihm mitgezogen. Und jetzt gab’s keine Hindernisse, keinen Widerstand mehr. Was in den Weg kam, wurde fortgefegt. Napoleons kecker Versuch, durch einen schnellen Marsch nach dem Rhein die Feinde von seiner Hauptstadt abzuziehen, mißlang. Die Hauptarmee zauderte wohl wie immer. Schwarzenberg wäre am liebsten zurückgelaufen, als er vom Zug Napoleons hörte, ließ sich aber schließlich doch bestimmen, ihm nur eine Reitertruppe zur Beobachtung nachzuschicken, und folgte dann langsam in Richtung Blücher, vorwärts auf Paris. * Am 31. März 1814 hielten der Zar aller Reußen und der König von Preußen an der Spitze ihrer Garden feierlichen Einzug in Paris. Die Schlesische Armee durfte nicht mittun. Sie hatte die Hauptlast des ganzen Feldzuges getragen, hatte geblutet, gehungert, gefroren, Gewaltmärsche geleistet, Schlachten gewonnen, Festungen erobert, in Schnee und Eis notdürftig auf bloßem Boden biwakiert, von der Katzbach bis zum Montmartre Ungeheures verrichtet. Und jetzt, am Ziel, statt Ehren, Dank und reichen Lohn für alles ertragene Mühsal zu erhalten, mußte sie sich damit begnügen, aus der Ferne einen Blick ins Gelobte Land zu tun. Sie durfte von der Barriere des Montmartres die schöne Seinestadt zu ihren Füßen bewundern, die, von allen Herrlichkeiten und Genüssen der Welt erfüllt, sich dort unten ausbreitete. Sie mußte trockenes Kommisbrot essen und auf den Straßen biwakieren, statt in den Bürgerhäusern einquartiert zu werden. Und vom König, für den sie geblutet hatten und dessen vornehmste Pflicht es gewesen wäre, aufs beste für sie zu sorgen, von ihm mußten sie hören: ihre Montierung wäre nicht propre genug; sie wäre zu zerrissen und unsauber, um beim feierlichen Einzug in diese glänzende Stadt damit paradieren zu können. Man konnte wohl den Krieg in Lumpen gewinnen, aber nie und nimmer in Lumpen triumphieren. Zum Triumphieren waren die Garden da. Dazu waren sie und ihre Uniformen die ganze Zeit geschont worden. Und, damit sie auch nicht zu spät kämen, um jener Ehre teilhaft zu werden, mußte die Schlesische Armee, die zwei Tage früher ohne Kampf hätte Paris nehmen können, auf Allerhöchsten Befehl einen Umweg um die Stadt machen. Die Folge war, daß die Marschälle Mortier und Marmont noch mit ihren Truppen zur Verteidigung herankommen konnten, und daß noch viel Blut fließen mußte, ehe Paris sich ergab. Auch vom geheiligten Blut der Garden, die sich mit gewohnter Tapferkeit schlugen, als sie endlich mal ran durften. Blücher machte aus Wut den Einzug nicht mit. Yorck lehnte auch ab mit der Begründung, er hätte keine Pariser Kleider mit. Blücher war gesundheitlich wieder obenan. Seine Augen mußten aber immer noch von einem Schirm geschützt werden. Mit dem grünen Damenhut wagte er aber bei all seiner Tapferkeit den Parisern doch nicht zu kommen. Zu Pferd war er noch nicht gewesen. Aber sein Mundwerk war wieder instand, und die Galle funktionierte, wie sie sollte. Der Einzug war schon seit mehreren Stunden vorüber. Vorher, schon in aller Frühe, hatte der Maire irgendeines Pariser Arrondissements nebst einer Bürgerdeputation bei Blücher vorgesprochen, um ihm ihre ehrerbietigsten Grüße zu Füßen zu legen und ihn zu bitten, die Bürgerhäuser von Einquartierung zu befreien. Das fand Blücher empörend. Seinen braven Schlesiern zuzumuten, auf den Straßen zu kampieren, mit Tausenden von reich ausgestatteten Häusern vor Augen! Das ginge doch zu weit. „Rühle!“ rief er seinen Adlatus herbei. „Er kann ja mit denen parlieren! Sage Er ihnen von mir: der Tyrann hat alle Hauptstädte besucht, geplündert und gestohlen. Wir wollen uns so was nicht zuschulden kommen lassen. Aber unsere Ehre fordert das Vergeltungsrecht, ihm in seinem Neste den Besuch zu erwidern, und da wäre es wohl doch nicht zuviel, wenn wir allesamt mit Speise und Trank ordentlich bewirtet und gut einquartiert werden. Wir lassen unsere Gäste nicht auf der Straße schlafen! Da sollen sie nur die französischen Soldaten fragen, wie sie’s bei uns gehabt haben! Sage Er’s! Nein! Warte! Er ist ein Filou! Ich sag’s ihnen selbst!“ Er stellte sich dann breitbeinig vor der Bürgerdeputation auf, bohrte seine Blicke in sie und fing mit weithin schallender Stimme an: „Messieurs!“ Und dann war er mit seinem Französisch zu Ende. „So,“ rief er dem Major Rühle zu, nun _sage Er ihnen den Rest_! Aber ohne Firlefanzen!“ Und er guckte dem Major höllisch auf die Lippen, als der seinen Auftrag erledigte, und begleitete jeden Satz, den dieser sprach, mit so drohenden Blicken auf die braven Pariser Bürger, daß sie darob eigentlich hätten in die Erde sinken müssen, was sie aber lieber unterließen. Am meisten regte sich Blücher an dem Tage über die Monarchen auf. Nach dem Einzug hatten sie nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich zu einer Sitzung bei Talleyrand zusammenzufinden, um über das Schicksal Frankreichs, zu dessen Herbeiführung sie selbst so wenig getan hatten, zu beschließen. Der Zar, der König von Preußen, Nesselrode, Talleyrand und andere traten da zur Beratung an. Aber Blücher, dem in erster Reihe der große Sieg zu verdanken war, wurde nicht gebeten. Sie beschlossen sofort die Absetzung Napoleons und verwarfen einstimmig die Nachfolge seines Sohnes. Talleyrand, bis vor wenigen Tagen der getreue Minister und Sachwalter Napoleons, nahm dann das Wort und behauptete dreist: ganz Frankreich sehne sich unaussprechlich nach der Rückkehr der Bourbonen. Man möge den Franzosen ihr geliebtes Königshaus wieder bescheren. Die Fürsten und ihre Berater staunten. Wo sie durchs Land gekommen waren, hatten sie nirgends eine Begeisterung für das alte Königshaus bemerkt, wohl aber immer noch für den Kaiser. Sofort hatte Talleyrand ein paar Leute bei der Hand, die Stein und Bein schwuren: das französische Volk in seiner überwältigenden Mehrheit wünsche nichts sehnlicher, als die Schuhsohlen der Bourbonen zu lecken. Es waren ein paar Leute von jener Sorte, die bei Umwälzungen stets gleich bei der Hand sind, um sich auf irgendeine bemerkbare Stelle vorzudrängen, indem sie tun, als ob eigentlich _sie_ die siegreiche „Bewegung“ geleitet hätten, und deshalb als Lohn die lukrativsten Posten beanspruchen könnten. Sie sprachen beredt, sie sprachen tiefbewegt, mit dem Brustton des überzeugten und doch so besorgten Patrioten. Und man war viel zu gut erzogen, um das nicht zu goutieren. Dem guten französischen Volk dürfe man einen mit solcher Inbrunst vorgebrachten Herzenswunsch nicht versagen. Der König von Preußen saß ganz teilnahmlos da. Zar Alexander blickte ihn von der Seite an und dachte an Tilsit und an seine Begegnung mit Napoleon auf dem Memelfluß, wo sie mit leichtem Herzen über das Schicksal Preußens hinweggegangen waren. Er dachte an sein Versprechen an den König von Preußen. Und dabei fiel ihm ein, daß er auch heute sein Wort verpfändet hatte und also verhindert war, ohne weiteres der Rückkehr der Bourbonen zuzustimmen. Eine lästige Sache! Aber ein Wort ist ein Wort! Und hätte er es Bernadotte nicht gegeben, er hätte ihm Finnland zurückgeben müssen, um seine und Schwedens Teilnahme am Kriege zu gewinnen! Jetzt war ja der Krieg glücklich gewonnen! Aber trotzdem – Der Zar ließ also lässig ein paar gleichgültige Worte über Bernadotte fallen und fragte die erlauchte Versammlung, ob es sich nicht empfehle, diesen bei den Franzosen angeblich so beliebten Fürsten mit der Regierung Frankreichs zu betrauen. Gleich hatte Talleyrand wieder einen anderen Kronzeugen bei der Hand, der hoch und heilig beteuerte, in der ganzen Armee wäre Bernadotte als Mensch und Soldat gleich verächtlich. Man wollte keinen Militär an der Spitze des Staates mehr. Wollte man das, so hatte man ja Napoleon, den ersten Soldaten der Welt, und brauchte keine von seinen Kreaturen zu nehmen. Wozu denn das ganze Blutvergießen, wenn alles beim alten bliebe?! Das sahen die Monarchen auch gnädigst ein. Und damit die Sache einen Sinn bekäme – denn die Befreiung Deutschlands genügte den Herren nicht – so stimmten sie also bei. Da Talleyrand in seinem unerschöpflichen Vorzimmer auch einen Buchdrucker bereitgestellt hatte, dem er den von ihm bereits im voraus aufgesetzten Beschluß der Majestäten übergeben konnte, so durfte das französische Volk schon nach einigen Stunden an allen Straßenecken lesen, was es gewollt hatte und wonach es sich so sehr gesehnt hatte, und wußte also Bescheid, wußte, welche Wohltat es den fremden „Befreiern“ verdankte, und wie unaussprechlich glücklich es fortan sein könnte, seinen kriegerischen Tyrannen gegen einen in der einzig richtigen Weise von Gottes Gnaden geborenen einzutauschen. Das heißt – insofern es lesen konnte. „Darum Räuber und Mörder!“ sagte Blücher gallig, als ihm das klägliche Resultat so vieler Opfer mitgeteilt wurde. „Darum haben also die Besten unter uns ihr Leben lassen müssen – darum haben meine Leute sich blutig geschunden und gehungert und gefroren, damit dieses dicke Schwein von einem Bourbonen, dieser _Louis dixhuit_, auf dem Nachtstuhl seiner Väter soll sitzen können!“ Er lachte grimmig auf, erhob sich und ging hinaus, um seinen Truppen Lebewohl zu sagen. Denn er machte die Sache nicht mehr mit, er wollte schon heute seinen Abschied nehmen. Weder fragte man ihn um Rat, noch hörte man auf seine Wünsche. Er hatte hundert Millionen Kontribution von den Parisern allein für Preußen verlangen wollen, um die Armee einzukleiden und ihre rückständige Löhnung auszuzahlen. Aber der König, der es hatte zugeben müssen, daß seinem eigenen armen Volk in den paar Jahren französischer Besetzung _anderthalb Milliarden_ abgepreßt wurden, er wollte nicht so „inhuman“ an den Parisern handeln. Das heißt, er wurde zu dieser Weichherzigkeit von seinem lieben Vetter, dem Zaren, angehalten, der sich plötzlich als eingefleischter Freund und Beschützer alles Französischen entpuppte. Der König vertröstete also seinen Marschall mit baldiger Zahlung der rückständigen Löhnung aus den leeren Kassen in Berlin, was diesen noch mehr in Harnisch brachte. „Wir werden uns noch auf Befehl besiegt fühlen müssen, nachdem wir einen Siegeslauf sondergleichen gemacht haben!“ rief er. „Wir werden noch draufzahlen müssen, statt für unsere verwüsteten Fluren und versengten Städte, für unsere geleerten Kassen und gestohlenen Kunstwerke Ersatz zu bekommen! Blutegel müßte man den Franzosen ansetzen, um ihnen das geraubte Geld wieder abzusaugen! Aber nein! Die sollen ihr Land ungeschmälert behalten und den ganzen Raub desgleichen! Hol’ sie der Teufel! Na – wenn der König so den ganzen Gewinn verspielt, da fange ich auch wieder mit dem Spiel an! Da wird wieder fröhlich die Karte gebogen! Ich will mal sehen, ob ich den Franzosen nicht wenigstens so einen Teil des vielen Geldes wieder abknöpfe, was er bei uns eingesackt hat! Ich hätte ja gern meine Ruhe! Aber wenn’s nicht anders ist – wenn’s durchaus sein muß, ich arbeite ja gern fürs Vaterland! Ich nehme von heute ab mein Hauptquartier im Palais Royal!“ Vergnügt schmunzelnd, in der Vorfreude dieses neuen unblutigen Feldzuges gegen den Erbfeind, trat er vor die Front und redete die Leute an. „Kinder!“ sagte er, „jetzt seid _ihr_ die Ohnehosen, aber von der _richtigen_ Sorte – wat een Büx nich ist, aber een Bangbüx ooch nich! Ich hätte gewünscht, daß ihr, dreckig wie ihr nun einmal seid, an der Spitze des Heeres beim heutigen Einzug den Parisern gezeigt hättet, wie ein Sieger eigentlich aussehen soll und was für ein Teufelskerl das ist! Das hätte den Affen wohlgetan! Ihre Leute sind uns oft genug in abgerissenem Anzug gekommen. Sie haben von unseren Bauern Champagner verlangt und sie geprügelt, wenn sie keinen bekamen. Von denen hättet ihr Weißbier fordern und es in der gleichen Münze bezahlen müssen. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Ich habe für euch sorgen wollen, ich habe Kleider, Geld und gute Quartiere verlangt, es ist mir aber nicht gelungen. Ich setze es noch beim König durch, darauf gebe ich euch mein Wort! Ihr sollt wissen, daß euer Vater Blücher an euch denkt, auch wenn er nicht mehr unter euch weilt. Ich lege heute das Kommando über euch nieder. Es war ein langer Spaziergang, den wir miteinander gemacht haben, von der Katzbach bis zum Montmartre, was soviel wie der Berg der Schmerzen heißen soll. Mancher brave Mann unter euch hat unterwegs ins Gras beißen müssen. Aber wir sind gut miteinander ausgekommen. Ich war mit euch stets zufrieden. Und wenn ich’s euch nicht immer recht machte – es war immer gut gemeint und nach bestem Können getan. Aus seiner Haut kann keiner. Ich am allerwenigsten. Und deshalb gehe ich. Denn wenn die Diplomatiker jetzt anfangen zu negoziieren, da ist es für mich Zeit, mich zur Ruhe zu setzen. Wo ich aber meinen Ruhepunkt finden werde, weiß der Kuckuck. Am Ende gibt’s für mich hier keinen in dieser unruhigen Welt! Na – gehabt euch wohl, Kinder! Seid vergnügt und denkt einmal zurück an euren alten Marschall Vorwärts!“ Donnernde Hurrarufe beantworteten den Abschiedsgruß, und Blücher rieb sich verstohlen die Augen, als er vom Gefolge begleitet an den Wagen ging. „Der König hat mich zum Fürsten machen wollen“, sagte er dabei zu seinen Begleitern. „Das ist nichts als Niedertracht! Das ist die Rache dafür, daß ich sooft auf das Fürstengesindel geschimpft habe, das wir überall mit rumschleppen müssen, und das nur jeder freien Bewegung im Wege ist. Ich habe abgelehnt. Ich habe ihm geantwortet, ich hätte nicht so viel Geld, um fürstlich zu leben. Ob er das wohl begriffen hat?“ wandte er sich zu den Offizieren mit einem schelmischen Augenzwinkern. „Er ist ja ein höllischer Rechenmeister geworden. Immer noch läßt er mich als Feldmarschall mit Generalleutnantsgehalt leben. Er denkt wohl: du kannst dir mit Belohnung und Vergeltung für den alten Kerl Zeit lassen, er geht wohl ab, und da heißt es: das Kind ist tot, die Gevatterschaft hat ein Ende! Nun, vorläufig tue ich ihm nicht den Gefallen! Er wird schon blechen müssen!“ Er drückte den Offizieren die Hände, setzte sich neben seinen Adjutanten in den Wagen, drückte seinen grünen Schirm über die Augen, ließ die Soufflette aufschlagen und fuhr so, von keinem erkannt, durch die Abenddämmerung, ohne Eskorte, ohne Musik und hurraschreienden Pöbel in das von ihm eroberte Paris hinein. 13 DAS FELL DES LÖWEN In eine Fensternische in der Hofburg zu Wien hatte sich der Freiherr vom Stein zurückgezogen und blickte über das Festgewimmel hinaus. In den festlich erleuchteten Sälen bewegte sich eine in die Tausende gehende glänzende Schar der höchsten Gesellschaft Europas. Was irgendwo Namen oder Geltung hatte, war da. Die Fürsten fast ohne Ausnahme, ihre leitenden Minister ebenso. Die Kaiserstadt Wien hatte ihre schönsten Damen, ihre elegantesten Kavaliere entsandt. Es wurde getanzt, geflirtet, gelacht, gescherzt; die Ereignisse des Kongresses: die Korsos, Schlittenfahrten, Maskenbälle wurden besprochen und Pläne zu neuen Festlichkeiten entworfen. Über Politik sprach man nicht. Sie war Anlaß zu den Festlichkeiten gewesen, und das genügte. Man war nämlich hier an der schönen blauen Donau zusammengekommen, um der befreiten Welt einen endgültigen, gerechten, dauerhaften und ewigen Frieden zu bescheren. Also eine äußerst spaßige Angelegenheit, wie die Ballkavaliere meinten. Ein halbes Jahr päppelte man schon diesen berühmten Wechselbalg, und da sah man ihn plötzlich zu allseitigem Staunen im Begriff, sich zu einem regelrechten neuen europäischen Krieg auszuwachsen. „Wie drollig!“ lispelten die holden Schönen, und traten lächelnd zum Walzer an. Österreich, England, Frankreich und dessen alte Rheinbundgenossen hatten sich zu einer wahren Wegelagerergenossenschaft zusammengefunden, um den Hauptkämpfern im Kriege, Preußen und Rußland, ihren Anteil am Raub aus der napoleonischen Hinterlassenschaft abzujagen. Schon zückte man die Dolche und lauerte auf Gelegenheit. Inzwischen tanzten die Diplomaten, flirteten mit den schönen Wienerinnen, schlossen zärtliche Allianzen und waren emsig bestrebt, ihre galanten Eroberungen abzurunden. Man wetteiferte miteinander im Aufwand, man arrangierte Bälle, Schlittenpartien und Korsofahrten, man revidierte Menüs und Ballprogramme und zwischendurch auch, als neuestes Gesellschaftsspiel, die Karte Europas, aber hauptsächlich nur, um dabei die neuesten Bonmots der Diplomaten zu belachen. Die Schicksale der Völker, die man ja auch in die Hand genommen hatte, machten weniger Sorge – weil sie weniger amüsant waren. Stein machte jenes Gesellschaftsspiel nicht mit. Sein Einfluß auf dem Kongreß war überdies gering. Er nahm nur teil als Minister der besetzten Gebiete. Insofern hatte er mitzusprechen. Auf die Entschließungen der Großmächte hatte er wenig Einfluß. Sonst wäre er seiner ganzen Veranlagung nach die führende Persönlichkeit des Kongresses geworden, statt daß die Leitung jetzt in die Hände des intriganten, oberflächlichen und selbstsüchtigen Metternich und seines sauberen Kumpans, des Fürsten Talleyrand, überging. Steins Platz im Schatten auf dem kaiserlichen Hofball entsprach also durchaus seiner Stellung auf dem Kongreß, als nichttanzender Staatsmann. In den Nebensälen wurde eifrig getanzt. Die Klänge der Musik drangen bis zum entlegenen Platz im Thronsaal, wohin der Freiherr sich zurückgezogen hatte, und übertönten das Stimmengewirr, so daß nur die Gespräche derer, die gerade an seiner Fensternische vorbeikamen oder dort stehenblieben, deutlich zu hören waren. Drüben hielten die Majestäten Cercle – Kaiser Franz, Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm, jeder für sich. Sie zogen bald diesen, bald jenen von den sehnsüchtig der großen Gnade harrenden Sterblichen „huldvollst“ ins Gespräch, plapperten ihnen ein paar leere Phrasen vor, entließen sie und winkten andere herbei, um sie mit den gleichen Nichtigkeiten zu beglücken. Aus dem Kreise um die Allerhöchsten Herrschaften löste sich eine schlanke Gestalt in tadelloser Haltung, den feinen, wohlfrisierten Kopf unmerklich nach den Klängen der Musik wiegend. Leise trällernd kam er gerade auf die Nische zu, in der Stein stand, und schien jemand zu suchen. Es war Metternich, der allgewaltige Gebieter Österreichs. Stein zog sich etwas zurück. Metternich blieb, ihm den Rücken zugekehrt, stehen und musterte die hin und her wogenden Massen. Endlich schien er gefunden zu haben, was er suchte, und gab ein Zeichen. Ein kleiner, hagerer Mann in unansehnlicher Tracht kam rasch auf ihn zugeeilt. Unter vielen Bücklingen und „ach“ und „oh“ und „Exzellenz“ und „Eure Hoheit“ stellte er sich ihm „gehorsamst zu Diensten“. Stein kannte ihn wohl. Eine Persönlichkeit von unheimlichem Zuschnitt, als beratender Expert zum Kongreß hinzugezogen, der Staatsrat Hoffmann aus Berlin – auch „Seelenhoffmann“ genannt. Es gab im ganzen Deutschen Reiche kein Dorf, keinen Flecken, keine Stadt, kein Land, deren Seelenzahl er nicht wußte. Galt es auf dem Kongreß ein Ländchen abzutreten oder gar zu annektieren, gleich wurde „Seelenhoffmann“ zu Hilfe gerufen. Er sagte, kaum befragt, sofort die genaue Zahl der Seelen her, die innerhalb der Grenzpfähle jener Gegend nisteten, stellte eine Rechnung auf, bündelte die Seelen zusammen, packte sie kunstgerecht ein und machte sie verkaufsbereit für den Markt. Dann erst konnte der Handel losgehen. Die Potentaten protzten dann jeder mit seinem Bündel Seelen, spielten damit Versteck und suchten unauffällig zu erraten, wie viele der Gegenspieler unter sich hatte. Man schätzte den gegenseitigen Bestand ein – man tauschte, handelte und war mit größerem oder geringerem Geschick bestrebt, möglichst viele Seelen aus dem Geschäft herauszuschlagen. So war’s, so ist’s, und so wird es immer bleiben, solange Menschen über Menschen herrschen – ob sie’s im Namen einer Monarchie, einer Demokratie oder einer jakobinischen Schreckensherrschaft tun. „Nun, lieber Staatsrat, haben Sie mir etwas in unserer Angelegenheit mitzuteilen?“ fragte Metternich. Der Angeredete war gleich parat. „Gewiß, Exzellenz. Mir scheint der Kasus nicht unlöslich. Wir müßten, mit gutem Willen, schon ohne Krieg um die Frage Sachsen herumkommen können! Wir geben Preußen Sachsen – und geben es ihm auch nicht – die Sache ist sehr einfach!“ Metternich schüttelte den Kopf und grüßte zugleich mit viel Liebenswürdigkeit eine am Arm eines Diplomaten vorbeischwebende Komtesse. „Wie meinen Sie das?“ „Ich meine, Exzellenz, auf die Zahl der Seelen, die Preußen bekommt, kommt es ihm doch hauptsächlich an. Die Seelen bringen doch Steuern. Sie sind die einzige Grundlage für die Staatseinnahmen. Nur wer sich das vergegenwärtigt, die Seelenzahl zusammenhält und klug vermehrt, bringt die Finanzverwaltung seines Staates auf gesunde Basis. Geben wir Preußen also ein wenig mehr Seelen, als es in Sachsen finden würde. Sie sind da, man braucht sie nur aufzugreifen. Lassen wir also Sachsen bestehen – machen wir’s kleiner – aber vernichten wir es nicht gänzlich! Wozu auch? Warum den guten König Friedrich August schwerer als die anderen Rheinbundfürsten bestrafen? Er war ja nicht frei – er handelte aus Zwang. Nun ja – was konnte wohl der kleine Sachsenkönig gegen den großen Napoleon? Seien wir gerecht. Lassen wir ihn am Leben. Wenn wir Preußen links vom Rhein mit einer Million Seelen abfinden – wenn wir ihm in Polen achtmalhunderttausend, item in Westfalen die gleiche Zahl geben, dann ist es fein heraus, und weit besser bedacht, als wenn es bloß das bißchen Sachsen bekäme!“ „Das scheint mir plausibel“, sagte Metternich. „Ich will mir die Sache überlegen. Stellen Sie mir die Rechnung genau zusammen, geben Sie alles zu Papier, bringen Sie mir den Vorschlag morgen früh genau präzisiert in meine Wohnung – ich schlage es dann den Herren morgen vor. Leben Sie wohl, Herr Staatsrat. Wenn das beim Kanzler Hardenberg durchgeht, werden Sie uns erkenntlich finden!“ Der Staatsrat verbeugte sich, ganz überglücklich. „Ich rede noch mit ihm, ich setze ihm alles haarklein auseinander!“ sagte er. „Da kommt er gerade! Gehorsamster Diener, Exzellenz, allergehorsamster Diener!“ Er eilte auf Hardenberg zu, der eben durch den Saal kam, scharwenzelte um ihn, verkaufte auch da seine Seelen, und ließ nicht locker, bis er den Kanzler beim Wickel hatte. Inzwischen wurde Metternich von einem ganzen Schwarm Komtessen in die Mitte genommen, die eben aus dem Ballsaal hereinflatterten, um die Majestäten anzustaunen. Er flirtete gleich drauflos, bot dieser jungen Dame Puder an, half jener schnell mehr Rot auf die Wangen legen, hielt ihnen seinen Taschenspiegel hin und half mit vieler Sachkenntnis die vom Tanze erhitzten Gesichter wieder hoffähig machen. Dann bot er der schönsten Dame seinen Arm und führte sie in die Nähe der Allerhöchsten Herrschaften. Er war ein Herz und eine Seele und einer Meinung mit ihr, fand wie sie die Polonäsen abscheulich langweilig und eigentlich nur einen Tanz für Großmütter und alte steifbeinige Exzellenzen! „Dagegen der Walzer, himmlisch!“ lispelte die Schöne. „Da schwebt man in tollem Wirbel hin, bis sich alles um einen dreht und flimmert. Und schließlich denkt man, man ist ein Stern am Firmament, und ringsherum nichts als Sterne, die sich auch so im Tanze drehen und schweben!“ „Das sind Sie auch, Komtesse – ein Stern, aber Sie allein!“ Sie verschwanden in der Menge, die jetzt aus den Ballsälen hereinflutete. Steins Gedanken waren schon anderweitig beschäftigt. Ein leises ungleichmäßiges Stoßen auf dem Parkett, das immer näher kam, nahm seine Aufmerksamkeit gefangen. Er brauchte nur noch die sanfte, harmlose Stimme dazu zu hören, um zu wissen, daß Talleyrand heranhinkte. Stein haßte und verabscheute ihn. Aber er erkannte ohne weiteres an, daß dieser Mensch ohne Gewissen dazu prädestiniert war, die Seele jenes Kongresses von Seelenhändlern zu sein. Mit seinem Klumpfuß hinkte er, zynisch lächelnd, jeder großen Begebenheit nach und nahm seinen Vorteil wahr. Im Zeitalter des _ancien régime_ als Geistlicher, dem alle Boudoirs und tonangebenden Salons stets offenstanden – während der Revolution als allgegenwärtiges, allwissendes, eifriges, aber nicht allzu exponiertes Mitglied jedes Klubs, der gerade am Ruder war – beim ersten Konsul als allmächtiger Minister, dem deutsche Fürsten und Republiken ihre Schätze zu Füßen legten, damit er ihnen gnädigst verstattete, ihre Ländchen mit den Trümmern des Heiligen Römischen Reiches zu vergrößern. Minister des Äußeren unter Napoleon, blieb er in der gleichen Eigenschaft bei dessen Nachfolger, und wurde – aber nur als persönlicher Vertreter König Ludwigs – zum Kongreß zugelassen. Das genügte aber, um ihn bald zu dessen einflußreichster Persönlichkeit zu machen. Die alten Beziehungen fanden sich schnell wieder. Ansichten und Überzeugungen sind ja keine Gewissenssachen. Hatte man gestern eine, so hat man dafür heute eine andere, noch vorteilhaftere. Und schließlich ist ja ein Friedenskongreß dazu da, damit man sich verständigt! Man fand sich also leicht. Man gewöhnte sich schnell wieder daran, den gewandten Ränkeschmied um seinen Rat zu bitten. Und er konnte wieder nach Herzenslust intrigieren, geheime Fäden knüpfen oder lösen, die Mächtigen der Erde miteinander aussöhnen oder entzweien, je nachdem es der eigene Vorteil heischte. Nebenbei gewann, ohne daß es ihn weiter kümmerte, sein geschlagen am Boden liegendes Frankreich den Rang einer viel und heiß umworbenen Großmacht. Das Stoßen auf dem Parkett hörte auf. Der Klumpfuß hielt still, die sanfte Stimme Talleyrands drang durch. Er sprach zu dem neben ihm gehenden Abgesandten des entthronten Königs von Sachsen, dem Grafen Schulenburg. „Es ist nicht leicht, mein lieber Graf“, sagte er im nonchalanten Ton. „Ich habe meine liebe Not mit Ihren Angelegenheiten gehabt! Viel Arbeit, viele Schreibereien, unzählige Konferenzen! – Ich knausere auch mit Geschenken nicht! – Nun, dafür setze ich meinen Willen durch! Wir können nicht dulden, daß ein treuer Freund Frankreichs, wie es Sachsen immer war, so mir nichts, dir nichts von der Karte weggewischt wird! Ihr Souverän war des _Kaisers_ Freund – und wir haben jetzt einen _König_! Gleichviel! Die Person des jeweiligen Monarchen hat wenig zu sagen. _Die Politik bleibt, wie sie war!_ Nun – Sie sehen, _ich bin geblieben_ – ich mache sie doch eben! Also ich werde mein Bestes für Sie tun! Sagen Sie das Ihrem Monarchen! – Selbst kann ich nicht an ihn herantreten – es würde meine Bemühungen für ihn nur kompromittieren, ließe ich etwas merken. So etwas muß behutsam, hintenherum gemacht werden! – _Flüstern_ Sie’s ihm also zu: er kann sich auf mich verlassen! Ich werde es an nichts fehlen lassen, an _gar nichts_! Die Räte aber, die die Akten machen und deren Inhalt auch, sie sind schlecht bezahlt. Sie brauchen Aufbesserung, _nehmen sie auch gern an_! – Mein Gott – man hat Familie, man hat Schulden, man muß sich vorsehen, und nimmt den Segen, wo man ihn findet! Was ist dabei?! Ich werde es auch da an nichts fehlen lassen!“ „Daran dachte mein erhabener Souverän auch“, beeilte sich der Graf dazwischen zu kommen. „Durchlaucht werden Aufwendungen für uns gemacht haben.“ „Ich bitte Sie, lieber Graf!“ „Das darf nicht sein. Der König wünscht wohl und ist auch damit einverstanden, daß an nichts gespart wird. Er bittet Durchlaucht, über seine Kasse zu verfügen. Am liebsten würden wir einen Fonds zur völlig freien Disposition bereitstellen!“ „Ungern trage ich Verantwortung für fremde Gelder!“ „Kein fremdes Geld, und von Verantwortung auch keine Rede! Durchlaucht wollen ganz nach eigenem Ermessen und ohne Rechnung zu legen über den Fonds verfügen, als handle es sich um eigenes Geld. Nur eine einzige Bedingung – –“ „Bedingung?!“ Talleyrand runzelte die Brauen. „Eine leicht zu erfüllende: – _strengste Diskretion_!“ „Ach so!“ „Die Welt ist boshaft! _Wir_ sind ja über Verleumdungen erhaben – wer dürfte wohl auf den Gedanken kommen, daß _wir_ – – Besser ist es aber, man setzt sich nicht einmal der Möglichkeit aus, ein Spielball böser Zungen zu werden!“ Sie gingen weiter. Stein verließ seinen Beobachtungsposten und ging langsam um den Saal herum, nach der anderen Seite hin, wo die Monarchen immer noch umschwärmt wurden. „Gewissenlose Vogelsteller sind das alles“, knurrte er halblaut im Gehen. „Sie legen ihre Schlingen, umstellen ganze Völkerschaften, knebeln sie nach Herzenslust und reden von Befreiung. Es ist ein eigen Ding um jene ‚Freiheit‘. In ihrem Namen wird gelogen, in ihrem Namen wird betrogen – die Weltgeschichte ist voll von Raubzügen und Vergewaltigungen der persönlichen Freiheit, die jener ‚Freiheit‘ zu Ehren begangen wurden. Und immer noch gehen die Völker auf den Leim. Wo auf der Gasse oder im Tempel von der Freiheit gepredigt wird, überall ist Zulauf von naiven Seelen, die das Gequassel für bar nehmen und glauben: nun wird sie kommen! Mit Leib und Seele nehmen diese Braven sich dann der heiligen Sache an – das heißt, mit dem Leib nur, insofern es nicht gefährlich ist, und mit der Seele nur, insofern man eine hat! Hat man aber geholfen, jener gepriesenen Göttin Freiheit in den Sattel zu helfen, dann kann es einem just passieren, wenn man die Augen zu ihr erhebt, daß man in ihr nichts als eine neue und noch schwerere Tyrannei erkennt als die, die man um ihrer schönen Augen willen beseitigen half. Soweit wären wir jetzt. Wenn aber die Völker merken, daß sie die Fessel der fremden Tyrannei nur brachen, um von den einheimischen Gewalthabern noch schlimmer geknebelt zu werden – dann –“ Er sprach nicht zu Ende. Die wohlbekannte verdrießliche Stimme des Königs von Preußen wurde in einer Gruppe vor ihm laut. Der König mit seinem Hardenberg und seinem Knesebeck und seinem Humboldt hielt sich, wie immer, etwas abseits von den beiden Kaisern. Er blickte gelangweilt um sich und hörte kaum zu, was ihm sein Kanzler im Flüsterton eiligst vortrug. „Wird abgelehnt“, sagte er dann barsch. „Geben dem Fürsten den Abschied nicht! Ihm schreiben: können den Namen Blücher nicht entbehren!“ „Wird sofort erledigt!“ „Wollen Beruhigungsmittel für ihn finden. Wollen ihm wieder Gelegenheit geben, uns mit seinen Apothekerrechnungen zu kommen! Wird es nötig haben! Soll ja wieder spielen! Ist jetzt nur in Wut, weil beim Kongreß nicht alles nach seiner Pfeife tanzt! Möchte gleich den ganzen Erdball schlucken! Ist kein Politiker! Würde ganzen Kongreß auf den Kopf stellen, wäre er dabei! Gönnten ihm sonst gern das Tanzvergnügen hier! – Wer ist der stattliche General, der eben mit Kaiser Franz spricht?“ „Lord Wellington. Eben hier angelangt, um die Vertretung Englands zu vervollständigen.“ „Nachher vorstellen!“ Stein ließ sie stehen und näherte sich der Gruppe um Kaiser Franz. „Den König von Sachsen lasse ich nicht fallen“, sagte der Kaiser eben, etwas hitzig werdend und auf seine Worte weniger achtend. „Ich lasse eher schießen! Die deutschen Fürsten sind eines Sinnes mit mir!“ Er senkte die Stimme wieder. „Hannover, Holland werden Königreiche, wie England wünscht. Hat meine Zustimmung! Preußen muß sich bescheiden!“ Sein Blick fiel auf den Reichsfreiherrn vom Stein, dessen Plan, ein starkes geeintes Deutschland mit dem Herrscher Österreichs als Kaiser zu errichten, er wohl kannte. Er wandte sich an ihn. „Die deutsche Kaiserkrone lehnen wir ab! Freuen uns, der Qual überhoben zu sein! Haben genug in Italien zu tun!“ Stein verbeugte sich schweigend und ging weiter. Ihn widerte der ganze Handel an. So ging es nun Monat für Monat hin und her ohne Entscheidung, ohne greifbares Resultat, und nichts geschah, als dieses kleinliche Abwägen kleinlicher Interessen gegeneinander. Die großen Fürsten wollten sich auf Kosten der kleinen vergrößern – die kleinen wollten Wiederherstellung ihrer verlorenen Macht – der eine wollte dies, der andere das, die Reichsritter, die Johanniter, die Reichskammergerichtsbeamten, die Prälaten, die Frankfurter Juden – alle kamen sie mit ihren Wunschzetteln, wollten Restitution, Entschädigungen, Monopole, Rechte für sich und Unrecht für die anderen. Die Flut schwoll an und überschwemmte mit Akten und Gesuchen die armen Schreibersleute, die sie zu registrieren hatten. Und die großen Herren, bei denen die Entscheidung lag, zuckten die Achseln zu dieser Sintflut, lachten, scherzten, tanzten und flirteten. „Das Schicksal der Völker ist wie immer in den besten Händen!“ murmelte Stein im Gehen. Er dachte mit Bitterkeit an seine kurze Amtszeit als leitender Minister Preußens – dachte, wie kinderleicht es wäre, in diesem Lande Wandel zu schaffen, wäre nicht immer Unverstand und Eigensinn und Eitelkeit an der Spitze – hätte nicht Unvermögen, Gleichgültigkeit und Kraftlosigkeit Entscheidungen zu treffen und ins Werk zu setzen. Er blickte verächtlich den Zaren an, der sich jetzt als derjenige anhimmeln ließ, dessen Energie und Entschlossenheit allein das große Werk zum glücklichen Ende gebracht hatte, als jeder andere zweifelte und auf dem halben Wege stehenblieb. Kein Mensch wußte, wer die ganze Zeit hinter diesem Schwächling gestanden hatte – keiner dachte daran, daß er, Stein, es war, der ihm den Nacken steifte, als ihm beim Einfall Napoleons in Rußland das Herz tief in die Friedenshosen fiel, und ihn auch nachher dazu brachte, seinen Soldaten und Generälen zum Trotz den Feldzug in Deutschland und in Frankreich zu führen! Willenlose Schwächlinge, der eine wie der andere, aufgeputzte Theaterpuppen alle miteinander! Könnte er nur diese Sintflut von Fürsten, in der alles Lebenstüchtige zu ertrinken drohte, von der Erde vertilgen, er täte es ohne Zaudern! „Wie schade, daß Napoleon, dieser Bändiger der Fürsten, nicht hier unter uns entstand!“ murmelte er noch. „Er war den Leuten gesund! Wäre er nur nicht, von falschem Glanz geblendet, auch einer von ihnen geworden –, hätte er sich einen kühlen Kopf bewahrt und der Versuchung widerstanden, wer weiß, was noch geworden wäre?!“ So weit kam er in seinen Gedanken, da entstand eine plötzliche Bewegung im ganzen Saal. Alles kam in Unruhe und stob auseinander. Die Säle leerten sich fluchtartig. Die Monarchen drängten alle auf eine Stelle zusammen und sprachen eifrig mit ihren Ministern und Räten. Kaiser Alexander redete aufgeregt auf Kaiser Franz ein, der ihm wiederum Vorwürfe zu machen schien, der König von Preußen kam hinzu, Hardenberg, Metternich, Talleyrand, alles, was dazu gehörte, drängte auf die Gruppe ein und horchte begierig – alle Intrigen, alle kleinen Feindschaften waren vergessen –, die drohende Kriegsgefahr schien wie durch Zauber aus den Gemütern gebannt zu sein. „Napoleon hat Elba verlassen! Er zieht auf Paris! – Der König Ludwig ist geflohen!“ so rief im ganzen Saal alles durcheinander, ohne an die Etikette zu denken. „Mein Gott, was machen wir nun?“ klagten ein paar niedliche Komtessen, und blickten verzweifelt zu Metternich hinüber, der, sonst ihr Helfer in der Not, jetzt kein Auge für sie zu haben schien. „Der Maskenball beim Fürsten de Ligne wird sicher abgesagt werden! Heute habe ich gerade mein Kostüm anprobiert – du weißt, für das _tableau vivant_, in dem ich den Friedensengel darstellen sollte! Die Rolle lag mir ausgezeichnet! Jetzt ist alles umsonst – alles nichts!“ „Dem Fürsten Blücher befehlen, daß er sich sofort auf seinen Posten begeben soll! Ernennen ihn zum Oberbefehlshaber unserer ganzen Armee!“ sagte der König von Preußen im Gehen zu seinem Kanzler und ließ sich noch rasch Lord Wellington vorstellen, der allein im ganzen Saale kühl lächelnd dastand und das Auseinandertanzen des Friedenskongresses beobachtete. * Kaum war Blücher in seinem Hauptquartier zu Lüttich angelangt, da wurden ihm die Fensterscheiben eingeworfen. Draußen schrie man: „Vivat Napoleon! Hoch Friedrich August! Nieder mit Preußen!“ und machte einen Höllenlärm, schwang die Waffen und lief Sturm aufs Haus. Es waren die guten Sachsen. Sie waren mit den Beschlüssen des Wiener Kongresses über sich nicht ganz zufrieden. Sie erhoben ihre Stimmen und wollten gar mitreden. Die achtmalhunderttausend verratenen und verkauften sächsischen Seelen muckten dagegen auf, ihre wunderschönen grünweißen Landesfarben in preußisch Schwarzweiß umtauschen zu müssen. Der ganze Handel gefiel ihnen nicht. Sie bedankten sich, und man konnte es ihnen nicht verdenken. Als man aber Ernst machte, als das preußische Oberkommando anfing, die sächsischen Truppenverbände, die jetzt zur Abwechslung gegen, statt für Napoleon ausgezogen waren, zu zerreißen und die Böcke von den Schafen zu trennen, siehe, da wollten sie alle keine Schafe sein, da bockten sie heidenmäßig auf und machten ein groß Geschrei. Die, „welche noch“, und die, „welche nicht mehr“ sächsisch sein sollten, wurden plötzlich ein Herz und eine Seele, als seien sie nicht mehr Kinder eines Volkes und gar eines deutschen Stammes. So einig waren sie gegen ihre neuen Gewalthaber. Sie meuterten also förmlich und fühlten sich dazu nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, da ihr König sie noch nicht ihres Treueides entbunden hatte. Der hatte damit keine Eile. Er hoffte im geheimen auf den Sieg Napoleons. Im Geiste sah er sich wieder im ungeschmälerten Besitz seiner achtmalhunderttausend grünweißer Seelen und etlicher schwarzweißer dazu. Er hielt sie also nach Kräften an ihrem Treueid fest wie ein Bündel Heringe an ihrer Strippe. Und Blücher, der mit den Beschlüssen jenes von ihm sooft verfluchten Kongresses nicht das geringste zu tun gehabt hatte, mußte wieder einmal ausfressen, was die Diplomatiker eingebrockt hatten. Ihm wurden die Fensterscheiben eingeworfen. Er wurde angespuckt und in reinstem Sächsisch gebeten, mit Extrapost zur Hölle zu fahren. Man wollte ihm sogar behilflich sein und zeigte ihm mit den Spitzen der blanken Waffe den nächsten Weg. Alles andere hatte er erwartet, nur den Empfang nicht. Er hatte die Sachsen geehrt und bevorzugt. Er hatte sein Hauptquartier in ihre Mitte verlegt. Er hatte dem sächsischen Korps die Bewachung seiner Person anvertraut. Und nun mußte er das erleben! Daß ein Volk sich nicht wie ein Haufen Vieh verhandeln lassen konnte, am allerwenigsten durch Beschluß fremder Mächte wie England, Frankreich und Rußland – daß es sich dagegen empörte und sich zur Wehr setzte, das war zu verstehen. Aber Meuterei war Meuterei und angesichts des Feindes durch nichts zu entschuldigen. Kein Heer der Welt, das nicht sich selbst aufgibt, durfte das dulden. Kein Befehlshaber durfte es sich gefallen lassen, und wenn es sein Leben gälte! Blücher war auch nicht derjenige, der auswich, wenn man ihm mit blanker Waffe unter der Nase herumfuchtelte. Er zog sofort vom Leder, wollte sich dem meuternden Haufen entgegenstellen, und war nur mit Mühe von solch nutzlosem Beginnen abzuhalten. Seiner Umgebung gelang es, ihn zu überreden, sich für den Augenblick in Sicherheit zu bringen. Aber er hielt ein strenges Gericht. Bei Strafe der Dezimierung mußten die Aufrührer ihre Rädelsführer ausliefern. Diese wurden erschossen, die meuternden Bataillone aufgelöst, ihre Fahnen wurden verbrannt und das ganze sächsische Armeekorps nach Hause geschickt. Blüchers Armee bestand fortan aus lauter Preußen, unter den vier Korpsführern Zieten, Bülow, Pirch und Thielmann. Yorck, dessen widerborstiges Wesen im letzten Feldzug so viel Verdruß verursacht hatte, wurde nicht mitgenommen. Gneisenau aber war wieder Generalquartiermeister. Die Armee bezog Stellungen von Lüttich über Namur bis Charleroi, wo Zieten kampierte. Wellington mit seinem aus Engländern, Hannoveranern, Hessen und Braunschweigern bestehenden Heer hatte von Nieuport über Brüssel bis zur Schelde weit auseinanderliegende Quartiere bezogen. Da wollten beide den Aufmarsch der Russen und Österreicher über den Ober- und Mittelrhein abwarten, um dann konzentrisch in Frankreich einzurücken und mit einer Übermacht von sechshunderttausend Mann Napoleon zu erdrücken. Napoleon tat ihnen aber nicht den Gefallen, darauf zu warten. Für ihn gab es nur die eine Möglichkeit, die feindlichen Heere einzeln und nacheinander anzugreifen und zu schlagen. Schnell wie der Blitz tauchte er eines Tages plötzlich bei Maubeuge auf, mit einer Armee von hundertachtundzwanzigtausend Mann und dreihundertvierundvierzig Kanonen, schritt gleich zum Angriff, drängte Zieten von Charleroi bis zum Lignybach zurück, warf sich zwischen die englische und preußische Armee, die zusammen zweihundertzehntausend Mann und fünfhundertvierundzwanzig Kanonen hatten, und bedrohte ihre wichtigste Verbindungslinie, die Chaussee von Brüssel nach Namur. * Vor einer Mühle in der Ebene von Fleurus stand ihr Besitzer, ein alter flämischer Windmüller, und blickte betrübt in die Gegend hinein. Die ganze Nacht, den ganzen gestrigen Tag hatte er auf der Chaussee von Charleroi den Lärm anrückender Truppenmassen gehört. Die Preußen, die zuerst gekommen waren, lagerten noch in und um den Dörfern am Lignybach. Jetzt rückten die Verfolger, die Franzosen, heran. Und die Preußen machten noch keine Miene, weiter auszuweichen! Der Müller seufzte. Blieben sie, dann säße er wieder hübsch in der Klemme! Dann würden von hüben und drüben Kanonenkugeln heranfliegen, die neuen Flügel seiner Mühle zerschmettern und, wer weiß, sie am Ende gar in Brand stecken! Und er käme um seinen Besitz! Seine schöne Mühle, die er, im Vertrauen auf einen dauernden Frieden, wieder mit Mühe und Not instand gesetzt hatte, wäre hin, und er konnte betteln gehen! Er seufzte, ging mit schweren Schritten in die Mühle hinein, stieg die schwankende Leiter bis zum Dach hinauf, öffnete die Luke und trat auf die Plattform hinaus. Von hier hatte er freien Blick nach allen Seiten und konnte sogar über die hohen Pappeln und Weiden, die die Ufer des Lignybaches umsäumten und unten den Ausblick nach Osten behinderten, hinwegsehen. Drüben im Osten, wo die scharfen Silhouetten einiger Windmühlen sich gegen den Himmel abzeichneten, kribbelte und krabbelte es wie ein endloser Zug von Ameisen auf der Chaussee von Namur nach Brüssel, die sich am Kamm des Höhenzuges entlang wand. Gen Sombreffe ging es und noch etwas darüber hinaus. Dort schien es sich zu stauen, quoll an, breitete sich aus und begann langsam die hohe Böschung von der Chaussee nach dem Bach zu überfluten. Die Ameisen krochen näher, bekamen blitzende Spitzen, bunte Farben, sie wuchsen, gliederten sich, nahmen Form an, wurden zu Menschen, Pferden, Geschützen, Wagen, und bedeckten bald den ganzen Abhang, mehrere Meilen breit bis zum Bach herunter. Und schließlich stand, wie auf einem fächerartig sich ausbreitenden Amphitheater, die ganze preußische Armee gefechtsbereit da. Der Müller nahm seine Mütze ab und wischte sich die Schweißtropfen aus der Stirn. Der Tag war heiß, die Sonne brannte. Es würde noch ein Gewitter geben. Unten prangten die Wiesen wieder in saftigem Grün, nachdem die erste Heuernte geborgen worden war. Die Kornfelder standen reich in goldener Fülle und harrten des Schnitters. Ein einziger Tag würde genügen, diesen ganzen Reichtum zu vernichten. In den nächsten Stunden schon würde der Schnitter Tod seine Sense schwingen und Ernte halten. Die Erde würde wieder daliegen, aufgewühlt und mit tausend klaffenden Wunden, von blutigen Trümmern, Leichen und Pferdekadavern bedeckt. Die Feldfrüchte würden zerstampft, alles vernichtet werden! Wie oft schon hatten seine Augen das gleiche Schauspiel gesehen! Seit seiner ersten Jugend kannte er’s nicht anders, als daß fremdes Kriegsvolk die Fluren seiner Heimat verwüstete. Immer wieder suchten sich die Völker Flanderns blutgetränkte Erde zum Tummelplatz ihres Haders und ihres Streites aus. Jahraus, jahrein brauste der Schlachtenlärm über seine fruchtbaren Gefilde hinweg. Das einst so reiche und mächtige Land verödete, sein Handel, seine Industrie suchte sich anderswo eine gesicherte Heimat, und nur die alten Städte mit ihren Burgen, Hallen, Türmen und weit ins Land hineinragenden Belfrieden zeugten noch von der einstigen Macht und Herrlichkeit ihrer Bewohner. Der Müller stand noch eine Weile und blickte verträumt auf die dichten Wolken, die sich im Osten allmählich über den Horizont erhoben und anfingen, langsam das Blau zu verdecken. In einigen Stunden würde das Gewitter da sein. Unten wurden Hufschläge von Pferden laut und verstummten am Eingang. Gleich darauf knarrte die Leiter im Innern der Mühle unter wuchtigen Tritten. In der Wandluke zur Plattform kam ein scharfgeschnittenes Gesicht zum Vorschein, darüber ein dreieckiger schwarzer Hut, und dann eine grüne Uniform mit weißem Brustlatz über einem starken kurzen Körper. Im nächsten Augenblick stand der Kaiser Napoleon vor dem Müller, der eiligst seine Mütze vom Kopfe riß. Der Müller kannte ihn wohl – und wem in der ganzen Welt wären wohl die Züge jenes Märchenhelden noch unbekannt gewesen? Er trat auf den Kaiser zu und verbeugte sich tief. Er wollte die Gelegenheit benützen, ihm ins Gewissen zu reden – wollte hinausschreien, was er auf dem Herzen hatte, wollte ihm von hieraus die reiche Ernte ringsherum zeigen, die jetzt auf ein Wort von ihm der Vernichtung anheimfallen würde, und wollte sagen: „Sehen Sie, Sire, wie schön das alles ist, und wie reich uns der Himmel in diesem Jahre segnet! Das alles hier unten sind Gaben des Himmels! Und Gaben des Himmels tritt man nicht mit Füßen! Denkt doch daran. Schont unser armes, gemartertes Land! Laßt es nicht wieder verwüsten – laßt meine einzige Habe nicht vernichten. Es kostet nur ein Wort! Ein Wort, Sire, von Ihrem Munde gesprochen! Sie haben die Macht! Nützen Sie sie aus! Haben Sie Erbarmen!“ So wollte er sprechen. Als er aber die Blicke zu dem ehernen Gesicht des Schlachtenkaisers erhob, da vergaß er alles, da verlor er den Mut. Was hätte es auch genützt?! Die Worte hätten keinen Einlaß in das Bewußtsein jenes Gewaltigen gefunden, der vor ihm stand. Dort drinnen war alles in voller Gärung. Die Vorfreude einer großen Tat durchfieberte seinen Geist und spannte sein ganzes Denken an. Gewaltige Ideen jagten sich, ungeheure Gedankenverbindungen lösten sich dort unter jener Stirn ab, sein ganzes Hören war auf die Zuflüsterungen seiner inneren Stimme gerichtet. Wie wäre es ihm nur möglich gewesen, das Wimmern jenes armseligen Wurmes zu beachten, der sich vor ihm krümmte! Napoleon streckte die Hand aus, zeigte auf die Höhen im Nordosten, und fragte, ohne auf den Müller zu sehen: „Das Dorf drüben, von dem der Kirchturm aus der Talsenke hinter der Windmühle aufragt?“ „Brye!“ antwortete der Müller. „Und drüben im Osten, rechts von Sombreffe, an der Chaussee von Namur?“ „Point de jour!“ „Das Dorf hier unten, wo der Bach im geraden Winkel von uns nach Osten abbiegt, ist Ligny?“ „Ganz richtig!“ „Die drei Dörfer links davon, vor der Biegung des Baches sind also –?“ „Saint-Amand – Saint-Amand la Haye – Le hameau Saint-Amand!“ „Das Dorf am meisten links ist also Wagnelée. Und dahinter, die Straße, die die Chaussee quer schneidet, wäre denn die alte Römerstraße?“ „Das stimmt!“ „Da wären wir also orientiert!“ sagte der Kaiser und fing an, das ganze Amphitheater und den Horizont mit seinem Fernrohr gründlich abzusuchen. „Mindestens neunzigtausend!“ murmelte er vor sich hin. „Sein viertes Korps wird also noch unterwegs sein. Um so besser!“ Er schob sein Fernrohr zusammen, bückte sich und rief durch die Luke in die Mühle hinein. „Marschall Soult soll sofort noch einen Kurier nach Quatrebras an Marschall Ney abfertigen, den Befehl von heute früh nachdrücklich wiederholen und sagen, ich griffe um zwei Uhr die Preußen an, er möge sofort alles, was vor ihm steht, wegfegen, Quatrebras und die Straße von Namur nach Brüssel besetzen, dann zwölf- bis fünfzehntausend Mann hierherdetachieren und die Preußen in den Rücken nehmen. Spätestens um zwei Uhr will ich seine Kanonen hören!“ „Zu Befehl!“ antwortete drinnen eine Stimme, und die Leiter im Innern der Mühle fing wieder an zu quietschen und zu knarren unter den Schritten des Fortgehenden. Gleich darauf klapperten unten Hufschläge, die sich rasch entfernten. „Ist der Bach die ganze Strecke von uns aus so dicht mit Bäumen eingefaßt?“ fragte Napoleon den Müller, der immer noch mit der Mütze in der Hand dastand. „Hinter Ligny – geradeaus von uns – ist eine baumlose Strecke“, antwortete dieser. „Es ist gut!“ sagte Napoleon, zufrieden, einen Platz herausgefunden zu haben, von dem aus er die preußische Stellung flankierend beschießen lassen konnte. Er ging um die Plattform herum und blickte nach Westen über das Feld hinaus, wo seine eigenen Truppen im Anmarsch waren. Links von der Chaussee Charleroi – Namur stand schon das Korps Vandamme in Stellung vor den drei Dörfern Saint-Amand. Auf der Straße selbst und rechts am Bach, von dessen Biegung ab – also fast in rechtem Winkel zu Vandamme – war das Korps Gerard im Begriff, sich auszubreiten – rechts von ihm die leichte Kavallerie Pajols, Exelmanns Dragoner und Milhauds Kürassiere – hinter der ganzen Aufstellung, als Reserve, die Garde. Im ganzen 64 000 Mann. Aber drei Lieues rückwärts, wo der Weg von Charleroi sich in die Chausseen nach Brüssel und Namur teilt, hatte Napoleon noch den Grafen Lobau mit zehntausend Mann stehen, um im Bedarfsfalle entweder auf der einen oder der anderen Straße zur Unterstützung vorgehen zu können. Voll stolzer Zuversicht blickte der Kaiser über seine Truppen hinaus – die prächtigsten, die er seit langem geführt hatte. Hätte er die im Vorjahre gehabt, nimmermehr wäre der Feind in Paris eingezogen – die lächerliche Elbaepisode hätte er niemals erlebt, und der Kampf wäre ihm jetzt erspart worden. Seine Veteranen waren aber in alle Welt zerstreut gewesen, in Spanien, in den deutschen Festungen, in den Spitälern, oder kriegsgefangen. Und er hatte den Endkampf mit unerprobten Rekruten und mit schlechtem oder minderwertigem Material ausfechten müssen, da seine Hauptdepots in Deutschland verlorengegangen waren. Diese Leute hier waren aber fast alle in zwanzigjährigen Kämpfen gestählt, wetterfeste, gebräunte Kerle mit Nerven aus Stahl und mit unbeugsamem Mut, jeder einzelne zehn andere aufwiegend. Napoleon zwängte seinen dicken Körper wieder durch die Luke hinein, ohne den Mühlenbesitzer weiter zu beachten. Dieser hatte auch schon den Kaiser vergessen und blickte interessiert nach der Mühle bei Bussy hinüber, wo unter den dunklen Uniformen der Preußen einige rote Röcke aufleuchteten, und viel Gold und Flitter verrieten, daß dort wohl der feindliche Stab, mit Engländern vermischt, seinen Standort hatte. Die Gewitterwolken waren bis zur halben Höhe des Himmels geklettert. Die Sonne stand im Zenit und sandte eine mörderische Glut herab. Der Wind schlief. Vier Kuriere hatte Napoleon schon an Ney geschickt mit dem gleichen Befehl, und noch immer hörte er nicht dessen Kanonen. Die Spannung wuchs ins ungeheure. Führte Ney pünktlich seinen Befehl aus, so gab’s für die Preußen kein Entrinnen mehr. Sie würden der sicheren Umzingelung und Erdrückung nicht entgehen können und waren für diesen Feldzug aus dem Spiel. Die Niederlage der Engländer war dann nur eine Frage der Zeit – und die politischen Folgen unabsehbar. Das Schicksal der Welt hing von der strikten Ausführung dieses einen Befehls an Ney ab. Mit der Uhr in der Hand wartete Napoleon die Zeit ab. Der Zeiger rückte unendlich langsam vorwärts – es wurde eins – es wurde halb zwei – zwei – und immer noch keine Kanonade von drüben! Was war denn los? Ney, sonst kaum zu zügeln, und jetzt? Napoleon verfluchte innerlich seine Unklugheit, seinen ganzen linken Flügel in die Hand dieses unzuverlässigen Brausekopfs gegeben zu haben. Er hatte aber keine Wahl gehabt. Die meisten seiner alten Marschälle waren kriegsmüde und unter allerlei Vorwänden auf ihren Gütern geblieben. Sie trauten seinem Glück nicht mehr und zogen es vor, sich noch alle Auswege offenzuhalten. Ein Sieg nur – und er hätte das Vertrauen jener Zaghaften wieder! Dieser Sieg winkte ihm heute so sicher wie einst bei Austerlitz – bei Jena – bei Marengo, und gleich umfassend, gleich vernichtend für den Feind! Könnte er nur selbst überall anwesend sein – selbst jede Einzelheit seines Planes ins Werk setzen! Er schickte rasch noch einen Kurier nach Quatrebras, mit dem eigenhändigen Befehl an Ney, sofort zum Angriff auf die Engländer zu gehen und gleich einige Regimenter hierherzusenden. „Das Schicksal Frankreichs liegt in Ihrer Hand!“ schrieb Napoleon, zog dann die Uhr, wartete bis halb drei, fluchte laut, weil er noch immer keinen Kanonendonner von Ney hörte, und erteilte endlich den Befehl zum Angriff. Sogleich warf sich Vandamme mit seiner Division auf die drei Dörfer Saint-Amand, in denen Zieten sich festgesetzt hatte. Es waren drei Festungen, wie sie da unten im Talgrund am Bach lagen, von Obstgärten, Hecken, Zäunen umgeben und untereinander verbunden durch die hohe grüne Kulisse der am Lignybach wachsenden Pappeln und Weiden, die Freund und Feind gleich unsichtbar füreinander machten. Die Dörfer wurden nach heftig hin und her wogendem Kampf von den Franzosen genommen. Darüber hinaus war aber kein Fortkommen, der Bach blieb für sie ein unüberwindliches Hindernis – die Stellung der Preußen auf den Anhöhen dahinter war durch frontalen Angriff uneinnehmbar. Blücher hatte zwischen Brye und Saint-Amand 60 000 Mann stehen, die er so allmählich in den Kampf eingreifen ließ, um die Dörfer vom Feind zurückzuerobern. Nach stundenlangen wütenden Kämpfen, die besonders in Ligny äußerst blutig wurden, beschloß Napoleon, einen Keil zwischen die um die Dörfer kämpfenden beiden Korps Blüchers und seine Reserven zu treiben. Er bildete aus sechs Bataillonen seiner Garde eine Sprengkolonne, führte sie selbst von der Biegung des Baches am Dorfe Ligny vorbei und ließ dort durch Sappeure eine Gasse in Kompaniebreite durch die den Bach umsäumenden Bäume legen, um dort zum Durchbruch der preußischen Front vorzustoßen. Die Gefahr für die Preußen war groß. Blüchers rechter Flügel hing in der Luft und konnte jeden Augenblick umgangen werden, wenn der französische linke Flügel mit Ney eingreifen würde. Er hatte die Unvorsichtigkeit begangen, die Schlacht anzunehmen, ohne erst die Ankunft seines vierten Korps abzuwarten. Er vertraute auf Wellingtons bestimmtes Versprechen, um vier Uhr zu ihm zu stoßen, und hatte Napoleon das gleiche Schicksal zugedacht, wie dieser ihm. Aber weder Wellington noch Ney kamen. Im vergeblichen Abwarten dieser Unterstützung auf beiden Seiten rieb man sich im Kampf um die Dörfer auf, ohne vom Fleck zu kommen. Tausende von Leichen bedeckten die Dorfstraßen, die Gärten und die umgebenden Felder. Der Nachmittag ging schon zur Neige. Die Hitze, immer noch drückend, wich plötzlich, als auf einmal mit gewaltigem Krachen das Gewitter über das Schlachtfeld niederging. Plötzliche Dunkelheit ersetzte die frühere strahlende Helle, Blitze züngelten. Der Donner erstickte das Krachen der Geschütze, der Kampf schien zu erlöschen in den den Wolken entströmenden Fluten. Blücher, der immer noch hoffte, Wellington mit seinen Rotröcken im Rücken Napoleons ankommen zu sehen, trieb seine Divisionen unaufhaltsam vorwärts gegen die von den Franzosen besetzten Dörfer. Er biß sich in sie fest und ließ nicht locker, er würde sie festhalten, solange er noch Kraft hatte, bis der Engländer anlangte, um ihnen den Fangstoß zu geben. Aber der Engländer kam nicht, und seine Leute ermüdeten. Er sprengte dann an die Division Pirch heran, um sie selbst zur Unterstützung heranzuführen. Als die Leute Blücher auf seinem Schimmel herangaloppieren sahen, blieben sie stehen und grüßten den Marschall mit begeisterten Zurufen. Blücher, dem es an allem anderen mehr gelegen war, als mit Huldigungstratsch auch nur eine Sekunde kostbarer Zeit zu verlieren, hielt jäh seinen Schimmel an, erhob sich in den Steigbügeln, drehte sich zornrot um und schrie ihnen mit Donnerstimme zu: „Leckt mich – – –! Dort steht der Feind! Vorwärts!“ – gab dann seinem Gaul die Sporen und flog allen voran in den Kugelregen hinein, der ihm aus den Dörfern den Willkomm gab. Das Gewitter wurde immer heftiger, es dunkelte immer mehr. Es wurde schon acht Uhr, und immer noch war keine Entscheidung, immer noch kein Ney in Sicht! Schließlich wurde Napoleon des Harrens müde und erteilte seiner Garde, die er solange wie möglich geschont hatte, den Befehl zum Angriff. Durch die offene Gasse zwischen den Bäumen rückten die Bataillone vor, überschritten den Bach und stürmten die Anhöhe auf der anderen Seite hinan, um hinter die 60 000 Mann Blüchers zu kommen, die unten bei den Dörfern kämpften, und sie von dem Korps Thielmanns, das noch oben an der Chaussee stand, und von Bülow, falls der käme, zu trennen. Das Gewitter wurde immer gewaltiger, Blitz auf Blitz züngelte nieder und beleuchtete die Einbruchsstelle, aus der die Kolonne der Bärenmützen langsam und unwiderstehlich wie eine Naturmacht aus der Tiefe heraufdrängte und alles vor sich hinwegfegte. Die Gefahr war groß. Blücher warf alles, was er an Kavallerie hatte, den Franzosen entgegen, eilte selbst von dem Kampf um Saint-Amand zurück nach Brye und ordnete den Gegenangriff. Feurig wie ein Jüngling, mit vor Aufregung gerötetem Gesicht, sprengte der Dreiundsiebzigjährige, den Säbel schwingend, in großen Bogensätzen allen voran und feuerte sie durch Zurufe an. Als käme er aus den Wolken, so wirkte im Aufflackern der Blitze seine rasend vorwärts stürmende Erscheinung auf Freund und Feind. Ein ohrenbetäubender Krach, ein minutenlanger Blitz, das Pferd Blüchers machte einen Riesensprung, als wollte es mit ihm in den Himmel hineingaloppieren, und dann war es verschwunden. Kein Blitz vermochte es mehr aus dem Dunkel hervorzuzaubern. Aber wo es zuletzt gesehen war, rasselten die Hufschläge der jetzt zur Attacke vorstürmenden Kürassiere Milhauds vorüber – und dann zurück, von den preußischen Reitern verfolgt. Die Preußen fanden ihren Feldmarschall unter seinem Pferd liegend, beschützt von seinem treu an seiner Seite ausharrenden Adjutanten Nostiz. Sie befreiten ihn aus seiner qualvollen Lage, setzten ihn, dessen alte Knochen immer noch unversehrt waren, auf ein anderes Pferd und brachten ihn aus dem Schlachtgetümmel. Gleichzeitig brachen die Franzosen aus allen Dörfern hervor, die nun nicht länger zu halten waren, nachdem durch den Stoß der Garde die preußische Schlachtlinie durchbrochen worden war. Die Preußen räumten das Kampffeld und zogen sich auf Tilly und Mellery zurück. Die Straße von Namur nach Brüssel, ihre einzige Verbindung mit den Engländern, war ihnen verlorengegangen. Es blieb ihnen nur übrig, entweder auf den Rhein zurückzugehen oder auf einem großen Umweg noch die Vereinigung mit Wellington zu versuchen. Mitten in der Nacht traf Gneisenau auf Blücher, der, auf Stroh gebettet, in einer Hütte in Mellery lag und von seinem Leibarzt Bieske gesalbt und frottiert wurde. „So’n Sturz mit dem Pferd war noch nicht da!“ rief ihm der Alte entgegen. „Wenn das nicht Glück bedeutet, dann will ich gehängt werden. Das nächste Mal, Gneisenau, das nächste Mal! Heute haben wir Schmiere gekriegt, das wollen wir ausbessern. Wir müssen uns zurückziehen, daran ist nichts zu ändern, _aber der Rückzug geht vorwärts_, wie immer – vorwärts an den Feind heran!“ Das wäre auch seine Absicht gewesen, sagte Gneisenau, und das hätte er schon angeordnet. Er hätte Bülow bereits andere Marschorders gegeben und die Armee in die Richtung auf Wawre dirigiert, statt zurück nach Namur und Lüttich. „Wir geben wohl dadurch unsere Verbindungslinie auf,“ setzte Gneisenau lächelnd hinzu, „und das ist ja bei einer geschlagenen Armee nicht gerade üblich! Aber wir kommen mit den Engländern zusammen und führen hoffentlich noch mit ihnen gemeinsam einen vernichtenden Streich gegen den Feind!“ Damit war Blücher einverstanden. Das war ganz nach seinem Sinn. Gneisenau ging. Und als der Doktor auch fort war, rief Blücher seinen Kammerhusaren. „Ist der Quacksalber nun weg?“ fragte er. Und setzte, als die Frage bejaht wurde, im Flüsterton hinzu: „Der hat mich nun wieder bepflastert und gesalbt, wie’s nicht anders von ihm zu erwarten war! – Das _Innerliche_ wollen wir uns aber selbst verschreiben. Hol’ mir eine Flasche Champagner her. Aber heimlich, daß es keiner sieht!“ Das besorgte der Husar, goß dem Feldmarschall ein Bierglas voll, bekam selbst sein Teil, und so waren sie bald wieder klar zum Gefecht. * Die Preußen marschierten. Auf grundlosen Wegen, bei strömendem Regen arbeiteten sie sich vorwärts, abgehetzt, hungrig, durchnäßt, aber doch frohen Mutes, weil ihr Marsch sie wieder an den Feind heranführte, und weil sie alle danach lechzten, die Scharte auszuwetzen und für die gefallenen Kameraden Rache zu nehmen. Der verfolgende Sieger machte es sich bequem. Er nahm ohne weiteres an, die geschlagenen Feinde hätten nichts Eiligeres zu tun, als wieder nach Hause zu laufen, und verfolgte sie also, nachdem er erst weidlich gerastet hatte, in der Richtung auf den Rhein zu. Und so marschierten die Preußen an seiner Nase vorbei, ohne daß er etwas merkte, sammelten ihre Versprengten, ordneten ihre Verbände und langten am nächsten Tage ungefährdet in Wawre an. Napoleon selbst hätte sie nicht so leichten Kaufes entkommen lassen. Er hatte aber den Führer seines rechten Flügels, den Marschall Grouchy, mit der Verfolgung betraut, und zog selbst mit den Garden und der schweren Reiterei in der Richtung auf Brüssel den Engländern entgegen, die sich langsam vor ihm zurückzogen, um sich ihm schließlich am Wald von Soignes, auf dem Höhenzuge von Mont St.-Jean, in den Weg zu legen. Am 18. Juni früh sprach General Friant von der alten Garde im Hauptquartier beim Generalstabe vor, dem jetzt nicht Berthier, sondern Marschall Soult als Generalquartiermeister vorstand. Friant war einer der alten Veteranen, der alle Feldzüge mitgemacht hatte, und genoß das größte Vertrauen Napoleons. Der Kaiser war noch nicht von seinem Rekognoszierungsritt zurückgekehrt. Die beiden Generäle ritten langsam Seite an Seite die Chaussee entlang dem Kaiser entgegen. Sie unterhielten sich über die vorgestrige Schlacht und die Aussichten für die heutige und für den Feldzug überhaupt, und waren nicht ohne Bedenken. „Der Kaiser hat das _Va-banque_-Spielen verlernt!“ sagte der alte Friant, der in den meisten Partien mitgespielt hatte und also Bescheid wissen mußte. „Früher war es anders. Idee, Entschluß, Tat waren zugleich da – waren _ein_ Blitz, der niedersauste, traf und zerschmetterte. Jetzt überlegt der Kaiser, spekuliert, erwägt die Chancen für und wider mit einer gewissen Genießerfreude im Auffinden von Spitzfindigkeiten und versäumt darüber den rechten Moment. Seine Siege sind längst keine Katastrophen mehr für den Feind und für uns nur keine Niederlagen. Die Niederlage ist dafür bei ihm in den Bereich des Möglichen gerückt. Das verstimmt und macht einen unsicher!“ „Das macht das Fett“, sagte der lange, hagere Soult mit seiner hohen Fistelstimme, und strich seine wildflatternden Haarsträhnen aus dem gefurchten Altweibergesicht. „Das Fett macht bequem, phlegmatisch und kurzatmig – das verfettete Herz hüpft nicht mehr in seinem Knochengehäuse wie ein Frosch auf einer grünen Wiese. Es zappelt nur lahm, sinkt müde hin und schläft ein. Daher die plötzliche Schlafsucht beim Kaiser in den letzten Jahren. Sie überkommt ihn ganz plötzlich bei den ungeeignetsten Gelegenheiten und überwältigt ihn unwiderstehlich, als erlösche auf einmal in ihm alles Licht. Mitten im entscheidenden Moment einer Schlacht hört er auf einmal nicht und sieht nicht mehr; alles flimmert ihm vor den Augen und fließt auseinander; er muß sich sofort hinlegen und liegt dann da wie ein Toter, ohne Träume, ohne Bewußtsein. So hat er selbst es mir geschildert. Es ist das Fett – ich wiederhole es. Und meines Erachtens sind wohl auch die verschiedenen galanten Krankheiten nicht spurlos an seinem Geist vorübergegangen.“ „Dem möchte ich nicht beipflichten“, sagte der alte Friant kopfschüttelnd. „Sein Geist weilt in der klaren Höhenluft wie früher, gleich durchdringend, gleich schnell im Erfassen der Lage und im Entwerfen der Pläne. Aber der Körper ist von den jahrelangen, nie aufhörenden Kämpfen müde geworden. Und wie seine leiblichen Glieder allmählich erschlaffen, so auch seine geistigen: seine Unterführer. Die Herren Marschälle funktionieren nicht mehr wie früher. Sonst blitzschnelle Vollstrecker seines Willens, sind sie jetzt unsicher und zaghaft und nur, wenn er persönlich dabei ist und sie antreibt, von dem gleichen Elan wie ehemals. Und der Kaiser, sonst scharf und vernichtend in seiner Kritik auch dem besten Freund gegenüber, ist jetzt sanft und nachsichtig geworden und vermeidet die verletzenden Worte, die ihm sonst so schnell auf die Zunge kamen. Ich habe mich gewundert, wie milde er heute dem Marschall Ney kam, dessen Trödeln vorgestern das Mißlingen seines schönen Einkreisungsplans verschuldet hatte.“ „Ich nicht“, sagte Soult. „Der Kaiser macht eben keine unnützen Worte. Kein Wort kann am Geschehenen etwas ändern. Was vorbei ist, ist vorbei. Als Ney gestern vor ihm stand, da stand er nicht als Vertreter seines gemachten Fehlers da, sondern als Träger einer Hauptaufgabe in der nächsten Schlacht!“ „Die er uns denn auch verpatschen wird“, antwortete Friant brummig. „Das weiß Napoleon auch ebensogut wie wir. Er war keinesfalls von Nachsicht gegen Ney beseelt. Er war nur vorsichtig. Er hat im Vorjahre eben an seinen treuesten Dienern die bittere Erfahrung machen müssen, daß ein Abfall auch bei denen möglich ist. Das brennt sich in die Seele ein. Den Treueid Neys hat er auch einschätzen gelernt, als der gute Fürst von der Moskwa, wenn auch zu seinen Gunsten, den Bourbonen den feierlichen Treuschwur brach. Auch wird er niemals am eisernen Käfig vorbeikommen, in dem Ney versprochen hatte, ihn nach Paris zu bringen. Der steht immer zwischen ihm und dem Marschall. Mir scheint es jedenfalls seitdem immer, als sprächen sie durch das Gitter jenes eisernen Käfigs miteinander, und als wüßten sie alle beide dabei nicht recht, wer von ihnen drinnen und wer draußen ist. Ein gutes Zusammenarbeiten gibt das nicht. Napoleon ärgert sich heimlich, weil er Ney nicht entbehren zu können glaubt. Und Ney ist unzufrieden, weil er schwach war und sich wieder gebrauchen lassen muß. Denn er ist schwach – er ist gänzlich ohne Charakter – er ist dumm, geistlos, hat nichts als sein tapferes Herz und seinen Löwenmut, der alles mitreißt und in Flammen setzt. Wie fest glaubte nicht der Schwachkopf an seine eigenen Worte, als er vor einem Vierteljahr an der Spitze einer Armee auszog, um Napoleon zu fangen. Und kaum erblickte er den grauen Mantel und den schwarzen Dreispitz Napoleons wieder, da schrie er zuerst von allen sein ‚_Vive l’empereur!_‘ und führte den Kaiser im Triumph in die Tuilerien. Und dann war wieder die Reue da mit dem bösen Gewissen über den gebrochenen Treueid an Ludwig, den er niemals hätte schwören dürfen, den er aber, einmal gegeben, hätte unbedingt halten müssen. Er fuhr auf seine Güter, zeigte sich nicht bei Hofe und stellte sich nicht beim Kriegsausbruch, er ebensowenig wie Berthier, Massena, Angereau und all die anderen. Aber – kaum schreibt ihm Napoleon die paar Worte: ‚Beeilen Sie sich, wenn Sie meine erste Schlacht noch mit ansehen wollen‘, da wirft er sich aufs Pferd, galoppiert los, ohne Gepäck und nur von einem Adjutanten gefolgt, reitet die Pferde kaputt, nimmt von Mortier dessen Pferde in Maubeuge und kommt noch früh genug, um das Kommando des ganzen linken Flügels zu bekommen und uns die vorgestrige Schlacht zu verderben. Ich habe nach dem allen nicht viel Vertrauen mehr zu seiner Führung.“ Soult antwortete nicht. Es war ihm peinlich, über einen alten Kriegskameraden zu Gericht zu sitzen. Aber der alte Friant hatte sein Thema noch nicht erschöpft. „Es ist merkwürdig,“ sagte er noch, „wie die geringfügigsten Umstände in der Kindheit oft für das ganze Leben eines Menschen Bedeutung haben können. Sehen Sie nur Ney an, diesen baumlangen, pausbäckigen, rotwangigen Recken, mit seinem dichten, hellblonden Haarschopf. Er ist reich und mächtig, er ist Herzog und Fürst geworden und hat einen Namen, von dessen Ruhm Europa widerhallt. Und doch sieht man ihm immer noch den früheren Böttchergesellen an – den biederen Deutschen, brav, aufbrausend und rauflustig, der seine Keile wuchtig wie wenige eintreibt – wenn der Meister danebensteht. Sonst nicht! Er ist der typische deutsche Landsknecht, wie er durchs ganze Mittelalter hindurchraste. Denn deutsch sind die Leute aus seiner lothringischen Heimat, und sie werden niemals rechte Franzosen. Napoleon wiederum, er war das Kind des Schreckens – von seiner Mutter, in der Aufregung der Flucht, zu früh geboren. So eilig hatte er es, auf diese Welt zu kommen, daß die Mutter nicht einmal Zeit fand, das Bett aufzusuchen, sondern ihn auf einem Teppich gebar, der voll von Helden- und Heroenkämpfen des Altertums war. Auf dem Teppich ist er sein Leben lang geblieben! Aus dem Kampfgetümmel kommt er nicht mehr heraus! Die Schreckensherrschaft machte seinen Aufstieg möglich! Schrecken verbreitete er überall, wo er hinkam, Liebe nicht.“ Heftige Rufe: „_Vive l’empereur!_“ wurden laut. Die beiden Reiter hielten an vor dem hochgelegenen Pachthof La Belle-Alliance, von dem sich die Chaussee jäh in das Tal senkt, und konnten von hier aus die in voller Schlachtordnung aufgestellte französische Armee überblicken. „Hören Sie selbst,“ sagte Soult, „wie die Leute Ihre Worte Lügen strafen!“ und zeigte nach links in die Ferne, wo die schwere Kavallerie Kellermanns hielt. Dort nahmen die Kürassiere eben ihre Helme auf dem Pallasch hoch und schwangen sie über den Köpfen, daß sie in der Sonne blitzten. Die Bewegung pflanzte sich fort, je nachdem die kleine Gruppe Reiter, deren erster Napoleon war, die Reihen durchritt. Die Lanciers nahmen gleichfalls ihre Tschakos auf die Piken und huldigten ebenso begeistert ihrem Kaiser. „_Vive l’empereur!_“ schallte es ununterbrochen und rollte wie ein Donner durch die Gegend. „Sie entschuldigen, Herr General, ich muß aber schnell hin!“ sagte Soult dann plötzlich, grüßte artig, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon. Friant hielt sein Pferd, das mitgehen wollte, zurück, blickte über das Feld hinaus, ritt dann langsam zur Garde hinüber, die im letzten Treffen aufgestellt war, und nahm seinen Platz an der Spitze seiner „Bärenmützen“ ein. Kurz darauf langte Napoleon nach beendigter Truppenbesichtigung am Pachthof an. An seiner Seite ritt sein Bruder Jérôme. Im Gefolge die Marschälle Soult und Ney und die Generäle Lobau, Reille und d’Erlon. Der Kaiser schwenkte sein Pferd herum und hielt an. Wie immer, wenn er irgendwo haltmachte, sprangen vier Mann seiner Leibgarde von den Pferden, stellten sich in weitem Viereck um ihn herum auf und sperrten den Platz ab. Wie eine lebendige Burg schob sich dieses Viereck hin und her, seinen jeweiligen Bewegungen folgend. „Wie bei einem Fächer laufen die Flankenlinien unserer Aufstellung hier in diesem Punkt zusammen“, sagte Napoleon und blickte prüfend über seine etwas tiefer stehende Armee, die in drei Linien, die eine kürzer als die andere, vor ihm aufmarschiert war. Er nickte befriedigt, als er dicht vor sich in der dritten kürzesten Linie die feste Mauer seiner alten Garde sah, deren Grenadierbataillone, wie wandernde Festungen seines Kaisertums, ihn durch alle Feldzüge begleitet hatten und ihn auch heute vor jeder Tücke des Zufalls beschützen sollten. Rechts von ihnen wogte ein Wald von Eisenspitzen über den ungeduldig sich bäumenden Pferden der Lanciers von Lefebvre-Desnouëttes, während links die Linien der reitenden Garde, wie nach der Schnur ausgerichtet, ihrer Verwendung harrten. Napoleon winkte den Grafen Lobau näher und zeigte auf die von ihm befehligte junge Garde, die die Mitte der zweiten Linie zu beiden Seiten der Chaussee hielt. „Es waren viele blutjunge Gesichter unter Ihren Leuten zu sehen, lieber Graf“, sagte er. „Viele schmächtige Gestalten, die ich Bedenken haben würde, auf entscheidenden Stellen einzusetzen, wenn ich nicht wüßte, daß es Franzosen sind – und vor allem, wenn sie nicht in Ihnen einen Führer hätten, der sie alle, nicht nur körperlich, um einen Kopf überragt!“ Er nickte gnädig dem über die Anerkennung stolz lächelnden Grafen zu und ließ die Blicke fast zärtlich über die eiserne Masse seiner schweren Reiterei schweifen, die, von Milhaud und Kellermann geführt, rechts und links von der jungen Garde ihre Kürasse und Helme in der Sonne blitzen ließ. Denn die Sonne brach jetzt endlich durch die Regenwolken, die sie seit zwei Tagen dem Anblick der Welt entzogen hatten. Dann nahm die erste Linie, die dicht am Rand des Plateaus ihre Massen ausbreitete, seine volle Aufmerksamkeit gefangen. „General d’Erlon!“ rief er, und der General lenkte grüßend sein Pferd näher. „Ihre Divisionen stehen alle hintereinander. Lassen Sie lieber vier Angriffskolonnen nebeneinander um je eine Division in Kompaniebreite formieren. Ihre Leute waren bei Ligny nicht im Feuer. Heute sollen sie die Hauptarbeit machen. Wenn das Signal zum Angriff gegeben wird und das Artilleriefeuer ausgewirkt hat, dann steigen Sie in das Tal hinunter, werfen den Feind aus den Pachthöfen La Haye und Papelotte, deren Dächer dort unten rechts aus dem Grün herauslugen, stürmen die jenseitige Anhöhe, zerschmettern den linken Flügel der Engländer, werfen ihn auf das Zentrum und entreißen ihm die Chaussee nach Brüssel. Im Walde hinter seiner Aufstellung werden wir ihm dann leicht den Garaus machen. Sie haben gegen sich Schotten und Hannoveraner, wie ich heute festgestellt habe. Auf dem Dorfweg, der sich drüben auf halber Höhe die Böschung entlang wie ein Laufgraben hinzieht, werden Sie auch von den Inselbewohnern etliche im Hinterhalt liegend vorfinden. Es wird nicht geschossen, nur mit dem Bajonett gearbeitet, bis Sie oben sind. Ich muß auf dem rechten Flügel mehr Artillerie haben! – General Reille!“ Der Gerufene ritt in das Viereck hinein, das d’Erlon nach empfangenem Befehl verließ. „Sie werden“, sagte Napoleon kurz und bestimmt, „von Ihrer Artillerie die schweren Haubitzen nach dem rechten Flügel hinübersenden. Sie sollen dort, wo die Front sich den Talrand entlang nach vorne biegt, Aufstellung nehmen und von dort den Feind mit flankierender Wirkung beschießen. Sie sehen die Häuser, die links von der Chaussee unten im Tal aus der grünen Oase emporragen?“ „Ich sehe sie.“ „Es ist das Schloß Houguemont. Ich habe englische Garden drinnen festgestellt. Werfen Sie sie hinaus. Erstürmen Sie dann die Böschung des Plateaus und schlagen Sie den Rest der englischen Garden, die mit den Holländern und den Braunschweigern dort das Plateau garnieren. Suchen Sie ihnen den Vereinigungspunkt der Chausseen von Nivelles und von Charleroi zu entreißen, und drängen Sie auch den rechten feindlichen Flügel in den Wald. Sie werden den rechten englischen Flügel nicht umgehen können. Wellington hat ihn, in seiner Angst, vom Meer abgeschnitten zu werden, doppelt so stark bedacht wie den linken. – Bis nach Hal haben wir seine Truppen feststellen können. Dort stehen mindestens 15 000 Mann. Dafür hat er hier höchstens 75 000 Mann beisammen, deren wir leicht Herr werden – wenn jeder seine Schuldigkeit tut und heute meine Befehle genau und auf die Minute befolgt.“ Die letzten Worte sprach er mit etwas erhöhter Stimme und einem raschen Seitenblick auf den Marschall Ney, dessen lange Gestalt etwas abseits hin und her tanzte, da er sein Pferd in seiner Ungeduld immer wieder mit den Sporen kitzelte und es so zum steten Pirouettieren brachte. „Ney ist verdrießlich“, flüsterte Napoleon seinem Bruder zu. „Es reut ihn, vorgestern dem Teufel der Unentschlossenheit Einlaß in seine Seele gewährt zu haben. Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als ich seine Ausreden hörte. Er hat tatsächlich geglaubt, bei Quatrebras die ganze englische Armee vor sich zu haben, statt, wie ich bestimmt annehmen durfte und ihm auch sagte, nur ein paar tausend Mann, die in zehn Minuten zu erledigen gewesen wären. Dieser dumme Kerl erlaubt sich, noch auf eigene Gefahr hin denken zu wollen, obwohl er weiß, daß ich für ihn und für euch alle zu sehen und zu denken pflege! Er hat mich gar verbessern wollen – – und hat mir so meinen schönen Plan verpfuscht. Hätte er gehorcht, wir stünden jetzt in Brüssel, und Wellington hätte nimmermehr gewagt, sich mir hier in den Weg zu legen. Jetzt hofft Wellington auf den Beistand der Preußen. Den soll er aber nicht haben, wenn mir Grouchy heute ein wenig besser gehorcht als Ney vorgestern! – Auf Ihre Plätze, meine Herren!“ rief er laut den Generälen zu. D’Erlon, Reille, Lobau und Ney grüßten, warfen ihre Pferde herum und setzten sie in Trab in der Richtung, aus der sie mit dem Kaiser gekommen waren. „Heute wollen wir vor allem kaltes Blut bewahren, lieber Ney“, rief dieser noch dem Marschall nach, dessen hochrotes Gesicht sich dabei ganz dunkel färbte. „Der tolle Kerl wird mir heute durch die Lappen gehen, um sein vorgestriges Trödeln wieder gutzumachen“, sagte der Kaiser halb für sich, winkte seinen Leibpagen heran und befahl ihm, den Tisch mit den Karten auf dem kleinen Hügel, der sich etwas abseits von der Chaussee erhob, aufstellen zu lassen. Er blickte dann über die Gegend hinaus, nach rechts in die Verlängerung des Tales hinein, wo sich vier Lieues entfernt die Türme des Städtchens Wawre auf dem blauen Dunst matt abzeichneten und der Lasne-Bach auf dem Grund des Tales sein silbernes Band hinschlängelte. Von dort mußte Grouchy mit seinen 30 000 Mann kommen. Er müßte auch schon unterwegs sein. – Zwei Kuriere waren ihm schon während der Nacht mit dahingehenden Befehlen gesandt! Man sollte ihm gleich noch einen Boten schicken, wenn sich nicht bald die Spitzen seiner Kolonnen drüben auf der Höhe zeigten, wo die Kapelle von St.-Lambert weiß leuchtete. Noch einmal umfaßte Napoleon mit einem Blick das ganze farbenprächtige Bild, das jetzt vom frei flutenden Sonnenlicht auf das prächtigste vergoldet wurde. Seine Haltung straffte sich, seine Augen leuchteten. „Die Erde ist stolz, so viele tapfere Männer zu tragen“, sagte er. „Die ganze Natur lächelt unseren Helden und grüßt sie mit Siegesglanz!“ Er wandte sein Pferd und ritt langsam an dem allein dastehenden weißen Gebäude von Belle-Alliance vorbei, nach dem weiter hinten an der gleichen Chaussee liegenden Pachthof Caillou, wo er sein Hauptquartier hatte. Dort angekommen, fühlte er plötzlich, wie schon sooft in den letzten Jahren, eine beginnende Ohnmacht im Gehirn. Es war kein Wunder. Am gestrigen Tag war er von früh um fünf bis zum späten Abend marschiert, dann seit ein Uhr nachts wieder im Sattel, und hatte die Gegend und die feindlichen Stellungen bei strömendem Regen selbst rekognosziert. Jetzt hatte er alles angeordnet, den Angriffsplan entworfen, die Armee aufgestellt und gegen die Ungeduld seiner Generäle angekämpft, die schon gleich in aller Frühe angreifen wollten, ehe der Boden so weit von den Regengüssen aufgetrocknet war, daß die Artillerie vorwärts konnte. Das spannte seelisch ab. Jetzt war er zu Ende, jetzt mußte sein Gehirn Ruhe haben. Er rief seinen Bruder Jérôme. „Es ist zehn Uhr“, sagte er. „Ich will eine Stunde schlafen. Um elf sollst du mich wecken – die anderen wagen es ja nicht. Um elf Uhr, keine Minute später!“ Damit streckte er sich auf seinem Feldbett aus, legte seinen Kopf auf das dünne Kopfkissen und schlief, wie er es jederzeit konnte, sofort ein. Inzwischen marschierten die Preußen. Durch unwegsames Gelände strebten sie in großem Bogen wieder zur Chaussee Namur–Brüssel zurück, die sie bei Sombreffe hatten verlassen müssen. In Wawre rasteten sie, trockneten ihr durchnäßtes Zeug, schafften sich etwas Warmes in den Leib, brachten ihre Waffen in Ordnung, ergänzten ihre Munition und waren guten Mutes trotz der Strapazen und der bei Ligny erlittenen Verluste. Dort langte bei Blücher ein von Wellington abgesandter Bote an, mit der Bitte, ihm so rasch wie möglich eine Verstärkung von zwei Korps zu senden. Er würde dann die Schlacht von Napoleon annehmen. „Ich breche mit allem auf, was ich bei mir habe“, antwortete der Feldmarschall, der nach seinem Sturz in der Lignyschlacht sich kaum noch aufrecht zu halten vermochte. „So krank ich auch bin,“ schrieb er gleichzeitig dem General Müffling, der im englischen Hauptquartier Preußen vertrat, „so werde ich mich dennoch an die Spitze meiner Truppen stellen, um den rechten Flügel des Feindes sofort anzugreifen, wenn Napoleon etwas gegen den Herzog unternimmt.“ Und im Tagesbefehl an seine Truppen, in dem er den Verlust der letzten Schlacht dem Ausbleiben der Unterstützung durch die Engländer zuschrieb, kündigte er ihnen, aufrecht wie immer an: „Ich werde euch wieder vorwärts gegen den Feind führen. Wir werden ihn wieder schlagen, denn wir müssen’s!“ Er schickte dann seinen guten Doktor Bieske mit seinen Salben und Mixturen zum Teufel, als dieser seine Quetschung wieder einreiben wollte. „Heute“, sagte er, „mag’s den alten Knochen gleich sein, ob sie balsamiert oder nicht balsamiert in die Ewigkeit gehen!“ Er wankte dann zur Tür seines Hauses hinaus, wo seine pommerschen Regimenter gerade vorüberzogen und ihn jubelnd begrüßten, hielt sich am Türpfosten fest, um nicht dabei zu fallen, ließ sich aufs Pferd heben und war seelenvergnügt, als er die vier sicheren Beine seines Schimmels wieder unter sich fühlte. Er lachte über Grouchy, der ihn in verkehrter Richtung suchte und also nicht fand, ließ die Korps Thielmann und Zieten in Wawre zurück, um diesen Marschall aufzuhalten, und zog selbst an der Spitze der übrigen Truppen nach Mont St.-Jean ab. Das war keine leichte Aufgabe. Richtige, feste Chausseen waren nicht vorhanden. Die Feldwege waren alle aufgeweicht und bald so vertreten, daß kein Fortkommen mehr war. Die Soldaten wateten bis über die Knöchel im Schlamm. Die Kanonen und Munitionskarren blieben stecken und konnten trotz den vereinten Anstrengungen von Zugtieren und Soldaten kaum von der Stelle bewegt werden. „Vorwärts, Kinder“, rief Blücher und ritt hinzu, um die Leute anzufeuern. „Es geht nicht!“ riefen diese keuchend. „Es muß gehen! Ich hab’s versprochen. Wollt ihr mich denn wortbrüchig machen?“ Nein, das wollten sie nicht! Das ginge nun auch nicht! Sie legten sich doppelt ins Zeug, kamen aus der Patsche heraus und marschierten fröhlich weiter dem Feind entgegen. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Pünktlich um elf erhob sich Napoleon von seinem Lager, ohne daß man ihn zu wecken brauchte, und sofort war sein durch den Schlaf gestärkter Geist wieder in voller Tätigkeit. Er begab sich zu dem kleinen Hügel am Pachthof La Belle-Alliance, von wo aus die ganze Gegend zu überblicken war, setzte sich da in seinen „Regiestuhl“, wie er scherzend sagte, ließ die Karten vor sich ausbreiten, lachte vergnügt und sagte: „Mein Freund Talma müßte einmal als Volontär bei mir antreten. Ich würde ihm beibringen, wie man Massen bewegt!“ Einige Minuten vertiefte er sich in das Studium der Karte, stand dann auf, winkte einen von den in respektvoller Entfernung stehenden Offizieren heran und zeigte nach rechts. „Aus dieser Richtung erwarte ich den Marschall Grouchy. Reiten Sie ihm entgegen, sagen Sie ihm, er soll sich beeilen, mit seiner ganzen Macht hierherzukommen! Und verlassen Sie ihn nicht, ehe er nicht in vollem Anmarsch ist!“ Der Offizier salutierte, warf sich auf eins von den am Fuße des Hügels stehenden Pferden und galoppierte davon. Um halb zwölf gab Napoleon das Zeichen. Eine Salve aus hundertundzwanzig Feuerschlünden antwortete, spie einen Orkan von Eisen über die englischen Stellungen, erschütterte die Luft und machte den Boden beben. Nach einer halben Stunde hörte der Höllenlärm auf, ebenso jäh, wie er angefangen hatte, und man konnte jetzt ein lebhaftes Geknatter vom linken Flügel hören, wo General Reille seine Infanterie gegen das Schloß Houguemont führte. Napoleon achtete besonders eifrig darauf, ob der Gegner sich durch jene Kämpfe verleiten lassen würde, Truppen zur Unterstützung seines rechten Flügels heranzuziehen, und so seinen linken, gegen den der Hauptangriff beabsichtigt war, zu schwächen. Er wollte eben Ney befehlen, mit dem Zentrum und dem rechten Flügel vorzugehen. Als er aber vorher die Gegend mit dem Fernrohr absuchte, stutzte er plötzlich, reichte Soult das Glas und sagte: „Sehen Sie dorthin, Herr Herzog, nach rechts, neben der Kapelle von St.-Lambert – dort, ja! Ich sah da einen beweglichen Schatten. Was halten Sie davon?“ „Es könnten die Wipfel eines Gehölzes sein“, sagte der Marschall und gab das Fernrohr zurück. „Es sind Truppen in Marsch!“ sagte Napoleon und reichte sein Fernrohr weiter an die anderen Offiziere, die seine Annahme bestätigten. Klein wie die Figuren einer Spielzeugschachtel bewegten sich die Truppen auf der fernen Anhöhe, aber so vom blauen Dunst umnebelt, daß weder Bewaffnung noch Uniform zu erkennen waren. „Es können die Preußen sein!“ meinte ein Offizier, indem er dem Kaiser das Fernrohr zurückgab. „Es _muß_ Grouchy sein!“ erwiderte Napoleon gereizt. „Man soll sofort Kavallerie zum Rekognoszieren aussenden! Bis die Frage geklärt ist, unterbleibt der Angriff Neys!“ Er brauchte nicht lange auf Bescheid zu warten. Gleich darauf brachte man einen gefangenen schwarzen Husaren ein, der einen Brief Blüchers an Wellington mithatte und aussagte, daß die Truppen, die man drüben sähe, Preußen wären, von Bülow geführt wurden und dreißigtausend Mann stark heranrückten. Napoleon gab sofort seine Befehle, und gleich darauf sah man aus der zweiten Linie der französischen Schlachtordnung das Korps des Grafen Lobau rechts abschwenken, um sich vor der Flanke der Armee aufzustellen. Das waren gleich zehntausend Mann weniger gegen die Engländer und doch lange nicht genug, um die Preußen zu werfen. Aber gleichviel. Es genügte, um sie aufzuhalten, bis Grouchy käme, was ja bald der Fall sein würde. Ney, der seine Ungeduld kaum noch meistern konnte, bekam endlich den Befehl anzugreifen. Er stürzte sich auf die Pachthöfe La Haye und Papelotte und fing da ein blutiges Gemetzel an. Gleichzeitig setzten sich die Divisionen d’Erlons in Bewegung. Sie gingen in vier Kolonnen, zu je acht, auf fünf Schritt Abstand hintereinander gestaffelten Bataillonen vor, stiegen in das Tal hinab und waren gleich drüben. Erst als sie anfingen die Böschung des entgegengesetzten Plateaus zu ersteigen, gewann Napoleon einen rechten Überblick über ihre Aufstellung. Ein Ausruf des Zornes flog über seine Lippen. „Dieses leichtsinnige Schwein, dieser Ney!“ murmelte er verdrießlich. „Schickt mir die Sturmkolonnen ohne Flankenschutz – in Reih’ und Glied hintereinander vor! Wie, wenn sie jetzt einen Kavallerieangriff bekommen?! Wozu habe ich meine Generäle, wenn ich mich jetzt um jedes Detail noch kümmern muß?“ Indes, kein Fluchen half mehr. Es blieb ihm auch keine Zeit, noch für Änderung zu sorgen. Der taktische Fehler war unabänderlich da. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte er den Verlauf des Angriffs. Er sah, wie die Sturmtruppen am Wege von Ohain, der den Abhang in halber Höhe durchschneidet, nach kurzem Kampf die dort eingegrabenen Engländer überwältigten und die Böschung unaufhaltsam weiter erstiegen. Jetzt waren sie oben – jetzt fingen sie an, sich auf dem Plateau zu entwickeln, trotz dem Kartätschenhagel, mit dem sie vom Feind überschüttet wurden. Einige Minuten nur, und sie würden mit gesammelter Kraft auf die Reihen Wellingtons vorstürmen. Der Durchbruch war in greifbarer Nähe! „Mögen die Preußen marschieren!“ murmelte Napoleon, „ehe sie herankommen, bin ich mit den Bundesgenossen da oben fertig und gebe ihnen dann den Rest!“ Er schwieg plötzlich und blickte gespannt durchs Fernrohr hinüber – er sah, wie sich aus dem Kornfelde da oben Rotröcke erhoben und aus nächster Nähe auf die überraschten Truppen d’Erlons Feuer gaben, während von links Ponsonbys graue Dragoner in zwei Kolonnen zwischen die Reihen ihrer offenen Flanke hineinstürmten und sie in Verwirrung brachten. Die Vorwärtsbewegung stockte sofort; alles wankte und suchte sich einen Augenblick zu halten, und dann rutschte die ganze Masse von Infanterie und Kavallerie, in bunter Unordnung miteinander vermischt, auf die Sohle des Tales hinunter. „Da haben wir die Schweinerei! Ich hab’s ja gesagt!“ rief Napoleon, warf sein Fernrohr auf den Tisch, sprang in den Sattel und galoppierte, so schnell er konnte, zu den auf dem rechten Flügel stehenden Kürassieren Milhauds hinüber, schickte ein paar Schwadronen von ihnen zur Unterstützung vor, ritt dann zu den Truppen d’Erlons, half sie wieder ordnen und sprach beruhigend auf sie ein. Inzwischen marschierten die Preußen und kamen immer näher und näher. Von den Anhöhen bei der Kapelle Saint-Lambert hatten sie schon in der Ferne den Mont St.-Jean von Rauchwolken umkränzt gesehen, aus denen Blitze hervorzuckten. Das ferne Donnern der Geschütze versetzte sie in freudige Aufregung. Sie stiegen die Böschung nach dem Tal hinunter, so leicht, als ginge es zum Tanz in der Dorfschenke. Und rutschten sie auf dem glitschigen Boden aus, oder sanken in den fließenden Sand des Lasnebachs ein, so war’s nur ein Vergnügen mehr. Singend plantschten sie weiter vorwärts und freuten sich der Sonne, die jetzt warm herniederstrahlte, die steifen Glieder durchwärmte und das nasse Zeug trocknete. Als aber der Wald von Frichemont leer vor ihnen lag und nicht einmal von einem Pferdeschwanz oder vom Fetzen eines Infanteriemantels besetzt war, da jauchzten sie laut auf. Denn da hätte eine Handvoll entschlossener Leute ihnen das Fortkommen verteufelt sauer machen können. „Der Kaiser wird von hier aus nur seinen Grouchy erwartet haben“, sagte Blücher schmunzelnd. „Er wird sich wundern, wie der sich verändert hat, wenn er mich sieht!“ Napoleon wunderte sich aber über nichts mehr. Am allerwenigsten über das Versagen seiner Unterführer oder die Nichtausführung seiner Befehle. Grouchy mit dem ganzen rechten Flügel seiner Armee blieb aus. Die Preußen kamen zu früh an. Er stand vor einem schweren Entschluß. Die Schlacht abbrechen, hieße sich besiegt erklären. Es wäre ein Retirieren unter steten Kämpfen in der Flanke und im Rücken. Die Siegesfreudigkeit seiner Soldaten wäre hin, die politischen Folgen unübersehbar. Auch ein halber Erfolg käme da einer Niederlage gleich. Einzig ein großer entscheidender Sieg konnte ihm jetzt helfen, wo ganz Europa wieder auf ihn einstürmte. Also _va banque_! Alles auf eine Karte gesetzt! Er überblickte noch einmal die Situation. Oben auf dem Plateau die englische Armee, die sich nicht vom Flecke rührte. Unten im Hohlweg ihre drei Vorwerke, um die noch erbittert gekämpft wurde. Links hatte sich dort Reille mit seinen sämtlichen Divisionen in dem Gehölz um Schloß Houguemont derartig festgebissen, daß ein leerer Raum zwischen ihm und den weiter rechts stehenden französischen Truppen entstanden war. Rechts suchten die Engländer die bereits eroberten Pachthöfe La Haye und Papelotte zurückzunehmen. In der Mitte balgte sich Ney noch mit den Verteidigern von Haye Sainte herum, das er haben mußte. Denn von hier aus wollte Napoleon zum entscheidenden Sturm auf die englischen Stellungen ansetzen. Sobald er die preußische Sturmflut in seiner rechten Flanke eingedämmt haben würde, wollte er mit der Garde und der schweren Kavallerie über sie herfallen, sie vernichten und dann seine ganze Kraft gegen die Preußen wenden. Er gab den in der zweiten Linie stehenden Kürassieren Milhauds Befehl, die zwischen Neys und Reilles Truppen klaffende Lücke auszufüllen. Langsam wie auf dem Paradeplatz ritt Milhaud mit seinen acht von Eisen starrenden Regimentern von rechts nach links quer über das Feld und rückte in die erste Linie ein. Die hinter ihm in der dritten Reihe stehende leichte Gardekavallerie folgte, wie von einem Magneten angezogen, den Bewegungen der „Schweren“. Ihr Führer, Lefebvre-Desnouëttes, wartete nicht erst den Befehl des Kaisers dazu ab. Und Ney, entzückt, die schöne Kavallerie zur Verfügung zu haben, ging gleich mit ihnen durch. Er sah oben auf dem Plateau sechzig englische Kanonen ohne Bespannung stehen, dachte: „die nehmen wir!“ Und vorwärts – hui – sausten die schweren Reitergeschwader ins Tal hinab, die Böschung hinauf, zwischen die Geschütze hinein, ritt die dahinter stehende Division Alten um und stürzte sich auf die zweite Linie der englischen Infanterie, ohne sich um den Hagelschauer von Geschossen zu kümmern, der gegen ihre Kürasse und Helme prasselte. Erst als zwischen den englischen Karrees die Gardekavallerie Somersets und die Dragoner Dornbergs vorbrachen, mußten sie weichen. Es kam zu einem erbitterten Nahkampf zwischen den beiden Reitereien, in dem die Franzosen schließlich doch die Oberhand behielten, als die Lanciers Lefebvre-Desnouëttes zur Unterstützung herankamen. Napoleon war außer sich, seine Kavallerie, die er sich für den Hauptangriff aufgespart hatte, vorzeitig durch Ney verbraucht zu sehen. „Dieser Mensch“, rief er, „bleibt stets der gleiche! Er bringt mir alles in Gefahr, weil er sich niemals zügeln kann und immer eine Stunde zu früh loslegt!“ Aber einmal begonnen, mußte der Angriff durchgeführt werden, wenn die Kräfte nicht nutzlos vergeudet sein sollten. Napoleon gab also Kellermann, der links im zweiten Treffen hielt, Befehl, seine Kürassiere zur Unterstützung vorzusenden. Der gleiche Vorgang wiederholte sich dann wie vorhin, als Milhaud vorrückte. Sobald Kellermanns Kürassiere sich in Bewegung setzten, folgte automatisch die im dritten Treffen hinter ihnen stehende Gardereiterei – zweitausend Grenadiere zu Pferd – und ging gleichzeitig mit ihnen so energisch vor, daß Napoleons Rückberufungsbefehl sie erst erreichte, als es zu spät war und sie schon im Kampf verwickelt waren. Ney bemächtigte sich ihrer sofort und führte mit unerhörter Wucht eine Attacke mit zwanzig Schwadronen gegen die Engländer, sprengte ihre ersten Linien, konnte aber den zähen Widerstand der englischen Garde und der Braunschweiger doch nicht brechen. Wellington schickte seine letzte Kavallerie, die Cumberlandhusaren, vor. Angesichts des Gemetzels machten diese aber sofort kehrt, nahmen Reißaus und rissen alles – Gepäck, Artilleriepark und Verwundete – in wilder Flucht gen Brüssel mit. Die Schlacht wäre für Wellington verloren gewesen, hätte Ney jetzt Infanterie gehabt, um den letzten Widerstand der englischen Infanterie zu brechen. Hätte Napoleon mit eigenen Augen den Zustand der in den letzten Zügen liegenden englischen Verteidigung sehen können, er hätte keinen Augenblick gezögert, seine Garde hinzuschicken, um dem Gegner den Gnadenstoß zu geben. Aber er hatte schon alle Hände voll mit den Preußen zu tun und wagte nicht, sich seiner letzten Reserven zu entblößen – er war auch zornig über den Ungehorsam Neys und hatte nicht mehr die überlegene Ruhe, die Situation zu erfassen. Ein anderer aber hatte sie. Blücher hatte von den gegenüberliegenden Höhen am Lasnetal gesehen, was auf dem Mont St.-Jean vorging. Er lachte vergnügt und hatte nicht übel Lust, Wellington sein Ausbleiben bei Ligny heimzuzahlen. „Nun, Bruder Wellington,“ sagte er grimmig, „wenn ich dir jetzt käme, wie du mir gestern kamst, das heißt: _gar nicht_, da säßest du jetzt böse in der Klemme! Und das wäre dir ob deines Wortbruches zu gönnen. Ich werde dir aber, obwohl ich ein Mecklenburger bin, zeigen, was ein Preuße ist, nämlich: ein Mann, ein Wort!“ Er schickte also schleunigst Befehl an Zieten, von Wawre heranzurücken, um den englischen linken Flügel zu verstärken. Das Korps Pirch schickte er zur Unterstützung gegen Lobau vor, der eine sehr starke Verteidigungsstellung auf dem waldigen Vorgebirge zwischen dem Hohlweg des Lasnebaches und dem Tal des Smohainbaches eingenommen hatte. Um drei Uhr kam Bülow hier an und sah vor sich oben auf dem Rand der Anhöhe Lobaus Kanonen –, die Kanoniere mit brennenden Lunten daneben. Er teilte seine Truppen, schickte die Division Losthin rechts am Smohainbach vor, die Division Hiller am Lasnebach gegen das hinter der französischen Front liegende Dorf Planchenois, mit Befehl, es zu nehmen und so die Rückzugsstraße Napoleons zu bedrohen. In dieser waldigen Schlucht, wo die hinter den Bäumen versteckten Verteidiger ein ununterbrochenes Feuer unterhielten, drangen die Preußen mit unerhörter Wucht vor. Napoleon warf, was er an Truppen hatte, ihnen entgegen und trieb sie zurück, mußte aber wieder weichen. Er holte Sukkurs, schickte seine junge Garde ins Feuer und säuberte das Terrain von Feinden, aber mußte es, trotz allen Anstrengungen, zu guter Letzt wieder räumen. Immer neue Kolonnen von Feinden wälzten sich aus der Schlucht hervor und zehrten an seinen Truppen, die sichtbar in ihrem Feuer zusammenschmolzen. Es war, als hätte sich die Erde aufgetan, um eine nimmer endenwollende Flut von Preußen über ihn auszuspeien. Von Rauch und Feuer umwirbelt, quoll sie auf ihn zu, alles niederreißend, alles überschwemmend. Und in den Wolken über ihnen sah seine überhitzte Phantasie riesengroß und zornig verzerrt das Antlitz seines unversöhnlichsten Gegners, des alten Blücher, dem Angriff immer neuen Odem einhauchend und seine Preußen unaufhaltsam vorwärts treibend. Ein Schauer erfaßte ihn zum erstenmal im Leben. Für eine Sekunde verlor sein sonst immer klarer Geist das Gleichgewicht. Dann besann er sich rasch. Er eilte zur alten Garde hin, nahm von deren fünfzehn Bataillonen zwei, setzte ihnen in kurzen Worten auseinander, daß die Entscheidung nahe, und daß sie sie herbeiführen und das Kaiserreich retten sollten. Sie müßten den Feind wieder in den Hohlweg hineinwerfen, aus dem er niemals hätte herauskommen dürfen. „_Vive l’empereur!_“ schallte es ihm aus den Reihen der Bärenmützen als Antwort entgegen. Dann traten sie mit unerschütterlicher Ruhe zum Angriff an, mit gefälltem Bajonett, ohne einen Schuß zu tun, und warfen die Preußen durch den ganzen Hohlweg bis ans andere Ende zurück. Diese ihre Bravour gab Napoleon seine Zuversicht wieder. Wenn nur zwei Bataillone seiner alten Garde das gegen ein paar feindliche Divisionen erreichen konnten, dann hatte es keine Not, dann sollte auch Ney welche von ihnen haben! Ney hielt noch mit seinen halberschöpften Kürassieren und Gardegrenadieren oben auf dem Plateau – ihm gegenüber der gänzlich ermüdete Engländer, beide ohne einen Schuß zu tun, beide darauf wartend, wer von ihnen zuerst Hiebe bekommen würde. Eine Stunde standen sie schon so unbeweglich da, als Napoleon endlich glaubte, die Preußen so weit zurückgeworfen zu haben, daß er Ney die erbetene Infanterie geben konnte. Er stellte noch sechs Bataillone zur Sicherung seiner Front gegen die Preußen auf und schickte den alten Friant mit vier Bataillonen gegen die Engländer auf das Plateau hinauf! Kaum hatte er den Befehl gegeben, da bemerkte er eine plötzliche Unruhe in der regungslosen Masse seiner Reiterei da oben. Auf der Brüsseler Chaussee kam Ney herangesprengt, ohne Hut, mit durchlöcherter Uniform, das Gesicht geschwärzt, der blonde Haarschopf wirr um das Haupt flatternd, und schrie, seine Kavallerie wiche, wenn die Infanterie nicht sofort käme –, nahm dann die Bataillone der Garde an sich und zog mit ihnen ab. Da oben war immer noch der Sieg zum Greifen nahe. Hinter der englischen Front floh alles, was Beine hatte. In Brüssel wußte man bereits, daß Wellington die Schlacht verloren hatte, und Botschaften flogen von dort mit der Kunde von Napoleons Sieg nach allen Richtungen in die Welt hinaus. Unten im Tal kamen dann aber plötzlich aus der Ecke, wo sich Napoleons Front rechtwinklig zurückbog, die Rufe „_sauve-qui-peut!_“ Und aus den Höfen La Haye und Papelotte flohen die bisher siegreichen Leute der Division Durutte. Alles hing vom Augenblick ab. Die Schlacht war auf dem Punkt angelangt, wo der Geist der Panik herangesaust kommt und über dem Gewimmel darauf lauert, auf wen von den Kämpfern er sich stürzen soll, und ob er hüben oder drüben den geringeren Widerstand finden wird, wenn er sein Entsetzen losläßt. Hüben stand noch der kleine große Schlachtenkaiser aufrecht da und schaute ungeduldig nach seinem ungetreuen Grouchy aus, der immer noch nicht kam, um ihm das Schlachtenglück zuzuwenden. Oben auf dem Plateau stand der zähe Engländer und sah die Reihen der Bärenmützen auf sich zukommen. Ein Wink seiner Hand – die Garden Maitlands warfen sich auf den Boden hin, um dem Ansturm Neys und Friants zu begegnen, erhoben sich, schossen aus nächster Nähe und durchlöcherten die Reihen der alten Garde an hundert Stellen. Aus mehreren Wunden blutend, ging Friant zurück, holte sich von Napoleon, der sie selbst herangeführt hatte, noch fünf Bataillone von der alten Garde zum Ersatz und zog mit ihnen wieder in den Kampf. Da sah Napoleon die letzten Reste der englischen Reiterei unter Vivian und Vandeleur sich plötzlich wieder ermannen und zur Attacke vorstürzen – er sah auch am Wald von Soignes Preußen kommen, die Reiter Zietens voran. Preußen überall und immer noch kein Grouchy! Er erbleichte –, es war die Niederlage, die jetzt auf ihn einstürmte. Zieten ließ seine Reiter los, sie machten mit den Schwadronen Vivians und Vandeleurs gemeinsame Sache und überfluteten in einem Augenblick das ganze Schlachtfeld. Wo Napoleon hinblickte, war ein Gewimmel von englischen und preußischen Uniformen. Und er hatte keine Kavallerie mehr hier unten, um die feindlichen Reiter zu verjagen, seitdem Ney ihm die letzte genommen hatte. Das Fußvolk allein war gegen sie ohnmächtig. Seine Gardebataillone bildeten überall Karrees, die hier und dort wie Felsen aus dem brandenden Meere emporragten und sich wohl wehrten, aber die Sturmflut nicht aufhalten konnten. Oben auf dem Plateau machten dann Milhauds Kürassiere kehrt, um nicht von der Hauptarmee abgeschnitten zu werden, und ritten wieder die Böschung hinunter. Auf dem abschüssigen Boden gerieten sie aber sofort in Unordnung und halfen so nur den Wirrwarr vermehren. Wellington ging jetzt zur Offensive über. Keine Möglichkeit für Napoleon, der Auflösung noch irgendwo eine Wehr entgegenzusetzen, und ein Bollwerk zu schaffen, hinter dem sich die aufgelösten Verbände ordnen könnten. „_Sauve-qui-peut!_“ wurde die Losung – der Kehrreim, in den sich der Siegestaumel der Franzosen jäh auflöste. Napoleon sah das Nutzlose ein, jetzt, bei beginnender Nacht, wo er weder gesehen noch gehört werden konnte, seine Person dem Trubel entgegenzustellen. Er ließ sich in ein Karree einschließen und ritt, Jérôme an seiner Seite, auf der Chaussee nach Charleroi fort, von den vorbeiflutenden Trümmern seiner stolzen Armee mitgeschwemmt. Über das Schlachtfeld zogen jetzt von verschiedenen Seiten die Preußen und die Engländer gegen das weithin sichtbare Gehöft Belle-Alliance hinan, fegten den Boden von Feinden rein und nahmen die Verfolgung der fliehenden Franzosen auf. Die Preußen besorgten das Geschäft allein. Bis Jenappes hielten sie die Jagd durch, nahmen unterwegs Napoleon seine ganze Artillerie und Bagage ab und scheuchten seine Truppen durch Kartätschenschüsse auf, sobald sie sich zur Ruhe setzen wollten. In Jenappes gönnten sie sich endlich selbst etwas Ruhe. Blücher, der trotz den Strapazen des vorhergehenden Marsches selbst die Verfolgung leitete, war frisch wie ein Fisch im Wasser und von einem seltenen Übermut. Als er vom Pferd stieg und in sein Quartier hineingehen wollte, trat ihm ein alter Husar in der schwarzen Uniform, die er so gut kannte, entgegen und legte die Hand an die Mütze. Wie der Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: „Aha, da habe ich ja meinen Solofänger! Der fehlte mir noch! Der war heute wieder fällig. So war’s nach Kirrweiler, so war’s bei Leipzig! Und heute war’s ja wieder eine Sache gewesen! Also, er ist da!“ Er ließ den Husaren gar nicht erst zu Worte, sondern rief ihm gleich zu: „Keinen Ton! Ich weiß, was du willst, ich weiß mit dir Bescheid! Komm, trinken wir miteinander eine Pulle Sekt für den guten Fang! Und da hast du auch deine zwanzig Mark! Soviel war’s wohl wert, daß du mich damals den Preußen einfingst! – Oder sollte ich schon im Preis gestiegen sein?“ Der alte Husar stand da, ohne zu begreifen, blickte bald Blücher, bald das Geldstück an und schüttelte den Kopf. „Wo hätte ich? Was hätte ich? Ich hätte Eure Exzellenz gefangen? – – Wie käme ich wohl zu der Ehre? Ich habe einen ganz anderen Fang gemacht!“ Und dabei nahm er aus der Tasche eine Handvoll Brillanten, ließ sie aus der einen Hand in die andere rieseln – hielt dem Marschall ein Etui hin, in dem eine Sammlung der höchsten und seltensten Orden der Welt, auch der preußische Schwarze Adler, glitzerten, und zog unterm Arm noch einen Degen und einen dreieckigen schwarzen Hut hervor, den man in der ganzen Welt wohl kannte. „Zu dem Hut gehört auch ein grauer Mantel!“ rief Blücher aufgeregt, und riß das Kleidungsstück an sich. „Und in dem Mantel steckte ein ganz besonderer Kerl! – Wo hast du den gelassen?“ „Der steckt wohl immer noch drin in dem nämlichen Mantel, denke ich! Und den habe ich nicht erwischt!“ „Du bringst mir ein Stück vom Fell des Löwen! Bringe mir den Löwen selbst, und du wirst ein Fürst, so wahr ich auch einer geworden bin. Ihm nach – rasch –!“ Damit stülpte er den Hut Napoleons auf den Kopf, nahm den Degen und die Orden an sich und ging hinein. Draußen blieb der Husar stehen. Er ließ noch ein paarmal die glitzernden Steine aus einer Hand in die andere rieseln, steckte sie in die Tasche, schüttelte den Kopf und kratzte sich bedächtig die Nase. * Das war am achtzehnten Juni. Schon am siebenundzwanzigsten konnte Blücher seiner Frau aus Compiègne schreiben: „Hier sitz ich in dem Zimmer, wo maria luise ihre Hochzeitsnacht Celebrierte, man kann nichts Schöneres und angenehmeres sehn als Compiene – –“ Am siebenten Juli rückte Blücher wieder in Paris ein und führte so den Gebrauch ein, auf jeden französischen Einzug in Berlin mindestens zwei deutsche in Paris folgen zu lassen, damit man sich das merke und sich auch danach richte. Der deutsche Michel stand also wieder in Paris. Er benahm sich nicht wie der Ochse im Porzellanladen – auch plünderte er nicht und erpreßte nichts. Ja, er getraute sich nicht einmal, die ihm abgenommenen Milliarden zurückzuverlangen – er war wieder gut und edel, zeigte Gemüt, nahm Rücksicht, dachte, man würde es ihm danken, und merkte nicht, daß man ihn auslachte. Die anderen, die machten es ganz anders, wenn sie an der Reihe waren und siegten. Sie verstanden es, ihren Haß und ihre Rachsucht ins Gemüt des Besiegten hineinzustampfen, daß der Schmerz drin blieb und wucherte und zur Vergeltung trieb. Es fehlte nicht an wohlmeinenden Mahnern, die Michel beim Ohr nahmen und sagten: „Michel, werde hart, sonst geht’s dir noch einmal ans Leben!“ Blücher brauchte jene Mahner nicht. Er sprach deutsch mit den französischen Unterhändlern und schrieb ihnen auch in dieser verpönten Sprache, zum Entsetzen aller Diplomaten, nicht zum wenigsten der deutschen. Er verfügte Wegnahme aller geraubten Kunstschätze, verlangte zweimonatige Löhnung und neue Bekleidung für seine Truppen, legte der reichen Stadt Paris eine Kontribution von hundert Millionen auf und befahl sofortige Sprengung der Jenabrücke, ehe die Monarchen nach Paris kommen konnten, um das zu verhindern. Sie kamen aber schleunigst mit Extrapost an und inhibierten sowohl das wie vieles andere, insbesondere die Auszahlung der hundert Millionen. Sie kamen aber nicht schnell genug, um zu verhindern, daß Wellington in seinem Gepäck den vor drei Monaten ausgerissenen König Ludwig XVIII. mitbrachte – _Louis dixhuit_ – oder „_biscuit_“, wie er fortan, als zweimal gebackener Monarch, genannt wurde. Die beiden Kaiser und der König von Preußen hatten sich das französische Cousinat diesmal ganz anders gedacht. Sie waren nicht sehr davon erbaut, auf dem Thron Frankreichs diesen ungeheuren Klumpen lächelndes, gekröntes, suffisantes Fett wieder vorzufinden, der sich ohne weiteres als Hausherr gerierte und ihnen die Rollen wohlerzogener Gäste zuschob. Sie fanden sich aber bald mit ihren Rollen ab und ließen den ungelenken Mastodonten auf seinem königlichen Rollstuhl sitzen, allwo er denn auch ein beschauliches Dasein führen konnte, sich tagtäglich zwischen dem Bett, der Tafel und dem geheimen Kabinett hin und her schieben ließ und, fern von den Schrecknissen des Krieges, von Werken des Friedens träumen konnte, als welche da sind: trüffiertes Wildbret, pikante Soßen, wohltemperierter Burgunder und mehr desgleichen. Bedenkt man die Verwüstung und Verarmung der anderen europäischen Länder während der langen Kriegsjahre, so muß zugegeben werden, daß la France, die Urheberin des ganzen Elends, doch mit ihrem neuen „Legitimen“ billig dabei weggekommen war. Denn, wenn er auch im guten Sinne nicht so viel leistete, so tat er sich im bösen noch weniger hervor. Ganz wie das weiße Pflaster, das von der bourbonischen Hausfarbe wohl den Namen hatte. 14 DER GRÖSSTE SIEG Alt und grau, noch rüstig, aber von Ruhm und Ehren gesättigt, kehrte er zurück zu den heimatlichen Gestaden, um die Stätten wiederzusehen, auf denen er in jugendlichem Übermut herumgetollt war. Er trieb sich in der Stadt umher, durch die Straßen, über den Markt, in den Kirchen, auf den Friedhöfen, versäumte nicht, den Ratskeller auf seine verborgenen Schätze anzusprechen, und landete schließlich auf dem Wall, von wo aus er über den Hafen auf den Breitling hinausblicken konnte, der im Sonnenschein glitzerte und blinkte. Lange stand er da, in wehmütige Gedanken versunken. Das Wiedersehen mit der Heimat war so ganz anders, als er es sich während seines langen Lebens vorgestellt hatte. Damals eine Welt, die für das Aufjauchzen der ersten Lebenslust kaum Raum genug hatte, die zu eng, zu drückend war – eine Fessel, die gesprengt werden mußte –, ein Kerker, aus dem es galt möglichst schnell zu entrinnen. Und jetzt leer, tot und verlassen von allem, was sich damals in ihr drängte –, fremd und doch so vertraut zum Herzen sprechend wie ein altes, lange nicht gehörtes Lied, das auf einmal plötzlich wieder an unsere Ohren dringt. _Vanitas! Vanitatum vanitas!_ Man kämpft und strebt, ringt um Erfolg und Ehren, kommt weit herum, sieht fremde Gesichter, knüpft neue Freundschaften an, bekommt Familie, schlägt irgendwo, wo’s der Zufall will, Wurzel, wird in neuer Erde bodenständig, glaubt sich dort beheimatet und bleibt ihr im Innersten doch ein Fremder. Die Wurzeln, die einen noch an die Heimaterde binden, verkümmern oft, zerreißen aber nie. Die Träume und Erinnerungen lassen Vergangenes wieder lebendig erstehen. Man wandelt in ihnen noch auf den Gefilden der längst verflossenen Kindheit, balgt sich mit den alten Gespielen herum, erlebt die ersten Hoffnungen, die ersten Enttäuschungen wieder, und bei jedem weiteren Schritt im Leben kehren die Gedanken wieder zu ihnen zurück. Und über allem anderen, über Siegesrausch und Triumph, leuchtet dann die Frage: „Was werden die alten Gespielen, die Freunde, die Verwandten dazu sagen! Sie werden sich wundern, wie weit ichs im Leben gebracht habe! Ich, von dem sie so wenig hielten und dessen Flucht ins große Leben hinaus nur ihr mitleidiges Mißtrauen in den Erfolg begleitete!“ Endlich hat man den Erfolg errungen. Man hat festen Boden unter die Füße bekommen. Und doch kommt keine rechte Siegesfreude auf, ehe nicht die engere Heimat ihren Segen zum Gelingen gegeben hat. Man brennt darauf, diesen Triumph zu feiern, kehrt wieder heim, sucht alte Stätten, Wege, Gefilde auf, läßt die Blicke nach gewohnten Zielen schweifen und wird gleich enttäuscht. Warum kommt nicht dort um die Ecke Freund Fritz gelaufen, munter, lustig und zu jedem Streich bereit? Wo bleibt heute Nachbars Lene, die sonst immer durchs Gartentor huschte, sogleich bereit, den Zoll der Freundschaft von ihres Vaters Apfelbäumen zu entrichten? Und der Herr Pastor, der würdig dort die Straße herunterschreitet, das Meßbuch in den fromm gefalteten Händen, die Blicke gesenkt, der Küster mit dem Kruzifix im gleichen Trott hinterher, wie hat er sich verjüngt! Damals Schnee in den reichen Locken, jetzt blondester Flachs! Dort sperrt ein fremdes Haus den gewohnten Blick über den Fluß, und endlose Speicherbauten machen sich rücksichtslos auf dem Gelände breit, wo die gewaltigsten Ereignisse der frohen Kindheit sich abspielten. In den Grünspan der Kirche sind frische Flicken von blankem Kupfer getrieben – das Glockenspiel von damals knarrte und schnarrte ganz anders, ehe es zum Herunterbimmeln des altgewohnten Chorals mit hinkendem, aber würdevollem Pathos ausholte –, auch der Straße am Elternhause gab die neue Zeit neues Pflaster! Und dann die zahllosen neuen Gräber auf dem Kirchhof, die die altvertrauten schier verdrängen wollen! Liegen wohl da alle die, deren freundliches Staunen ob spät, aber doch endlich gewonnener Anerkennung man heranzufordern kam? Ja –, wozu war denn schließlich alles da? Wozu der Kampf und Sieg, wenn eben die, die die schönsten Kränze aufrichtiger, selbstloser Freude winden würden, längst die Eitelkeit alles Erdenstrebens mit etwas Besserem vertauschten? Wären sie wenigstens in der Erinnerung geblieben, wie sie waren – jung, lebenslustig, übermütig, unbesiegbar. In der Erinnerung der Kindheit lebte bis jetzt noch alles, was seither im Aufblühen die Seele erfüllte! Und jetzt, nach dem Wiedersehen, verblaßten auch dort die Bilder und schwanden für immer. Die neue Wirklichkeit löschte ihre glühenden Farben aus – eintönige, gleichgültige Leere umfing die Sinne – das treu im Herzen gehütete Heiligtum sank hin, und Bitterkeit, Enttäuschung und unendliche Wehmut lagern über dem Trümmerfeld teurer Erinnerungen. Darüber dämmerte aber wie ein Hauch der Ewigkeit die Antwort, die die Heimat dann dem spät Wiederkehrenden gab: „Was du suchtest, fandest du: Ehren, Ruhm, Reichtum – für dich, aber nicht für mich! Hofftest du auch von mir Kränze, und spornte dich das zu immer neuem Ringen an – jetzt bist du ja am Ziel – jetzt brauchst du meine Kränze nicht mehr! Jetzt blüht dir nur noch die Erkenntnis, die ich dir als letzte Lehre auf deinem letzten Wege mitgebe: „_Aus dir selbst bist du nichts!_ Was du geleistet hast, wurde dir vom Geber aller Gaben geschenkt! Sei dankbar, demütige dich! Was suchst du noch im Staube nach Ehren! Das Loch in der Erde ist dir sicher, mehr kommt dir nicht zu!“ Das ist hart. Das bange Vorgefühl dieser Härte war’s wohl auch, das ihn immer wieder davon abgehalten hatte, den Weg zurück zu beschreiten, um nicht eher jene Illusion zu verlieren, die ihm sooft sieghaft über alle Enttäuschungen des Lebens hinweghalf, bis sie nicht mehr gebraucht wurde. – – Lange stand er noch, die Augen auf die glitzernde Wasserfläche gerichtet, mit den Gedanken spielend, die über ihn gekommen waren – am Grab der Eltern – unter den Bäumen im Garten, wo er sooft als Junge geklettert war – dort unten am Ufer, wo er sich mit all den anderen Rostocker Rüpeln nach Herzenslust gebalgt hatte – mit Hans Jörg und Jochen und Christian Faber, und wie sie alle hießen! Am Ufer der Warnow war ihr Schlachtfeld gewesen. Die merkwürdigsten Manöver hatten sie dort unten ausgeführt, unsterbliche Heldentaten verrichtet, Siege erfochten, gegen die Hamilkars und Hannibals das reine Nichts waren – sie hatten in Blut gewatet, hatten die Leichen haufenweise übereinandergetürmt! Und nach beendigter Schlacht waren die Gefallenen ohne Ausnahme wieder lebendig geworden und zogen am nächsten schulfreien Nachmittag wieder seelenfroh in den Kampf. Und der Festungskrieg, der sich dort zwischen den Bretterstapeln abgespielt hatte, der spottete jedes Vergleichs! Viele brave und werte Genossen waren ihm in den späteren Kämpfen seines Lebens nahegekommen, aber keiner näher als die Gespielen, die ihm halfen, die ganzen ungeheuren Erlebnisse der Kinderphantasie zu gestalten. Wo die wohl alle geblieben waren? Ob sie noch lebten – wie sie wohl aussahen, und ob sie sich nicht jetzt dazu bequemen würden, ihn als den Stärkeren anzuerkennen? Es waren obstinate Racker gewesen, steifnackige Krabaten, ganz wie er selbst. In den Jugendkämpfen mit ihnen, da hatte er wohl eben das feste Zupacken geübt – da hatte sich am Ende der Keim zu den späteren Siegen zuerst entfaltet? Daher kam es wohl, daß er sooft im wilden Getümmel großer Geschehnisse plötzlich innehielt und sich beim ernsten Nachdenken über die hochwichtige Frage ertappte: was wohl Hans Jörg zu diesem oder jenem gesagt hätte, wäre er jetzt dabeigewesen, und was für ein Gesicht der alte Knabe wohl machen würde, wenn er in der Avis die große Begebenheit fett gedruckt aufgetischt bekäme? Aber der Hans Jörg war wohl auch so’n dicker, aufgeblasener Spießer geworden und hatte wohl über der Sorge seines Bauches längst alles andere vergessen! Noch eine Weile blieb Blücher oben. Er konnte sich nicht vom Blick übers Wasser trennen. Es war wohl ein allerletzter Abschied, den er jetzt nahm. Endlich wandte er sich zum Gehen. Da kam dort um die Ecke, gerade auf ihn zu, ein altes Männlein, hüstelnd und sich räuspernd, blieb vor ihm stehen, zog ehrerbietigst die Mütze, blickte aus alten, müden, halberloschenen Äuglein neugierig zu ihm auf, verzog sein gefurchtes, braunledernes Gesicht zu einem breiten, vergnüglichen, aber zugleich verlegenen Lächeln, indes die Zunge hinter den zahnlosen Lippen mühselig nach Worten suchte. Endlich brachte er die Frage heraus, lange und wollüstig an jeder Silbe lutschend: „Verzeihen,“ sagte er, „wollen Ihro Hochgeboren nicht übel aufnehmen, wenn ich wage, gehorsamst eine Frage zu stellen – aber Sie sind ja woll der Durchlauchtigste Feldmarschall Fürst Blücher selbst _in persona_?“ „Der bin ich!“ „Dachte ich mir auch gleich! Meine Alte las mir nämlich heute früh vom hohen Besuch unserer Stadt aus der Avis vor. Und da dachte ich gleich – da mußt du aber ’raus und nachschauen, ob du ihn nicht auch erwischen kannst. Na, da hätte ich ja Glück gehabt! Nee –“, sagte er dann und besah ihn sich gründlich von allen Seiten, „was für’n hoher und durchlauchtiger Herr aus so’n ollen Rostocker Jungen wern kann! Das ist ja woll ganz und gar nicht mehr möglich! An so’n Mirakel hätte wohl keiner von uns damals geglaubt, als wir uns da unten mang die Bretter ’rumtollten. Aber das sind ja olle Kamellen! An die denkt so’n hoher Herr ja woll nicht mehr!“ „Was?“ rief Blücher, und starrte den Alten mit unverhohlener Neugier an. „Wer ist denn – – ja, ist das nur möglich –? Das ist ja woll –“ „Jaha,“ meckerte der Alte und nickte vergnügt, „der Hans Jörg, der bin ich immer noch –“ „Ja, wahrhaftig! Alter Freund! Das war aber eine rechte Freude! Na, da muß ich aber wirklich sagen! Eben stand ich hier und dachte an die alten Zeiten zurück und wunderte mich, wo ihr wohl alle seid, und was aus euch geworden sein könnte! – Wo sind denn all die anderen, der Krischan Faber und Jochen?“ „Die sind all tot! Den Krischan, den haben die Franzosen totgeschossen.“ „Na, das hätte er denn mit vielen braven Leuten gemeinsam gehabt. Ich war auch oft nahe dran.“ „Na, da hat der Himmel zu unserem Glück Eure Durchlaucht davor bewahrt!“ „Was?! Wie hast du mich genannt? Willst du wohl?!“ „Durchlaucht, sagte ich –“ „Nenne ich dich Durchlaucht? Wie?!“ „Nee, aber ich kann mir doch nicht erlauben –“ „Wenn du der Hans Jörg bist und du erlaubst dir, mich anders als früher zu nennen – nun dann bist du eben nicht der rechte Hans Jörg. Dann fordre ich dich vor die Pistole!“ „Das wäre ja nicht der erste Zweikampf, den wir miteinander ausgefochten haben!“ lachte der Alte. „Erinnerst du dich noch, Gebhard, als wir um die Wette nach der Boje da draußen hinausschwammen – ja, die schwimmt da noch – und ich kam zuerst heran.“ „I wo!“ „Jawoll, das tat ich. Und das paßte dir nun nicht. Da bist du untergetaucht und hast mich am Bein gepackt und zurückgezogen, und ich drehte mich dann um und versetzte dir eine –“ „Zwei hast du dafür gekriegt.“ „Jawoll – zwei – eine Balgerei ging da los, und ich habe dich noch orntlich gedoppt –“ „Das erinnerst du falsch! So war’s nicht – sicher nicht.“ „Ob’s so war? Dadrauf kannst du Gift nehmen, im Schwimmen, da war ich dir über – da frag’ nur all die anderen, die werden’s bezeugen! Und zuerst kam ich doch an die Boje ran – und zuerst war ich am Land –“ „Na – schneid nur nicht auf! – Ich werd’ mir wohl denn schon nichts daraus gemacht haben! Aber, das weiß ich noch bestimmt, im Schwimmen stellte ich meinen Mann, und mach’s heute noch!“ „Na – damals bist du aber unterlegen, Gebhard, und das stimmt. Und dann – erinnerst du noch, als wir die große Schlacht auf dem Teutoburger Wald schlugen und du der Hermann warst und ich der Varus? Weißt du noch, wie wir dir alle deine Leute totschlugen und dich dann mit Stricken banden?“ – „Das lügst du!“ „Wahrhaftigen Gottes, das lüge ich nicht. Du siegtest sonst immer, und niederträchtig hast du uns dann immer behandelt! Und da haben wir uns schließlich verschworen und deine Germanen mit Zuckerzeug bestochen – meine ganze Sparbüchse ging drauf! Sie waren aber gern damit einverstanden, ihrem Arminius einen Schabernack zu spielen. Das nächste Mal, als der Kampf losging, da starben sie denn auch richtig wie die Fliegen von dem Zuckerzeug, kaum daß wir sie angesehen hatten! Und da dauerte es nicht lange – da hatten wir auch den Arminius bei den Hammelbeinen und schnürten sie ihm feste zusammen, daran erinnere ich mich noch, als wäre es gestern!“ „Das erinnerst du falsch, Hans Jörg, und das steck’ dir hintern Spiegel!“ „Nun, das werde ich wohl wissen, wo ich dich selbst gebunden habe!“ „Das lügst du!“ „Mit ’nem richtigen Schiemannsknoten knüpfte ich dir deine Apostelpferde zusammen. Ich hatte meine Mutter ihre Wäscheleine zu dem Zweck gestibitzt. Ich fühle ja noch die Wichse, die sie mir dafür gab. Und das sollte ich mir nicht richtig erinnern?!“ „Nee – das ist nun und nimmermehr wahr!“ „Daß wir dich banden? Nun, so wahr, wie daß ich hier vor dir stehe!“ „Und wenn du doppelt und zehnfach vor mir ständest, so lügst du doch und lügst doppelt!“ „Ich werde mich wohl von dir einen Lügner schelten lassen!“ „Nun, wenn du einer bist!“ „Selbst bist du einer!“ „Was wagst du!“ „Nun, das fehlte auch noch, daß ich das nicht wagen sollte! Es kann noch besser kommen! Nimm dich nur in acht! Das wäre nicht das erstemal, daß ich dich auf den Rücken lege!“ „Nun schweig aber!“ „Schweig selbst!“ „Wenn du jetzt nicht bald still bist –!“ „Denkst wohl, ich fürchte mich vor dir!“ Hochrot im Gesicht standen die beiden Greise mit erhobenen Händen und zornig funkelnden Augen voreinander. Da besannen sie sich wieder darauf, daß sie nicht mehr die Schulbuben von Anno dazumal waren, sondern alte, gesetzte Männer im Staate, und brachen plötzlich in ein helles Lachen aus. Sie lachten, daß sie sich auf die Knie schlugen. „Wahrhaftig,“ sagte Blücher, „in einem Augenblick sind wir um sechzig Jahre zurückgekommen und zanken uns hier wie die dummen Jungen, die wir waren, und tragen unsere unerledigten Streitigkeiten von damals aus. Ich erinnere mich auch an den Vorfall, als wäre er gestern geschehen. Es war eine Niedertracht von dir, Hans Jörg, und davon gehe ich nicht ab! Aber erinnerst du noch, wie ich da gebunden lag und ihr mich alle fühlen ließet, wie ich euch meistens unter der Fuchtel hatte – erinnerst du, als ihr um mich tanztet und mich verspottetet, wie ich dann auf einmal frei unter euch stand und deiner Mutter Wäscheleine um eure Ohren sausen ließ, und wie ihr da alle lieft und euch wie die Ratten zwischen die Bretterstapel verkrocht? Weißt du das noch?“ „Nun ja – du hattest eben die Leine durchgebissen – ich hab’s nachher auf meinem Rücken ausbaden müssen!“ „Das hat dir nichts geschadet! Aber wenn ich an _den_ Sieg denke und an den Triumph – nun, Katzbach war schon eine Sache, und Leipzig auch, von Belle-Alliance und Paris nicht zu reden! Aber der Sieg über euch Rostocker Lausbuben im Teutoburger Wald, hier am Ufer der Warnow – wahrhaftig –, _das war doch mein schönster Sieg!_ Und weil er auch der unblutigste war, müssen wir ihn jetzt ordentlich mit Rebenblut begießen! Gekneipt haben wir ja damals noch nicht. Aber den Weg zu mancher guten Pulle Rotspon habe ich wohl nachher gefunden. Und du schon auch! Komm, Hans Jörg, finden wir den Weg einmal im Leben auch zusammen!“ Arm in Arm zogen sie dann ab. Blücher lang und stattlich und Hans Jörg klein und hüstelnd, aber mit fürstlicher Haltung und mit dem Widerschein all der Siege seines großen alten Kampfgenossen in den Augen. So gingen sie zurück in die gute alte Zeit, aus der sie gekommen waren, und blieben da beisammen und ließen die „ernsthaften“ Kämpfe dieser Welt sein, was sie ihnen immer gewesen waren: – Schlacken am Gold ihres Kindergemüts. BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESTALT Die Originalausgabe ist in Fraktur gesetzt. In Antiqua gesetzt sind in ihr einzelne Wörter aus fremden Sprachen (bis auf die Abküzung „Dr.“), hier durch Unterstrich (_) gekennzeichnet, ebenso wie gesperrt gesetzte Wörter. Das Inhaltsverzeichnis wurde in der elektronischen Version hinzugefügt. Variationen bei Schreibweisen oder Zeichensetzung wurden nicht vereinheitlicht. 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EIN BLÜCHERROMAN*** CREDITS May 07, 2012 Project Gutenberg TEI edition 1 Produced by Norbert H. Langkau and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net A WORD FROM PROJECT GUTENBERG This file should be named 39650‐0.txt or 39650‐0.zip. This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/3/9/6/5/39650/ Updated editions will replace the previous one — the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the Project Gutenberg™ concept and trademark. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://www.gutenberg.org/fundraising/pglaf. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s web site and official page at http://www.pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart is the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Each eBook is in a subdirectory of the same number as the eBook’s eBook number, often in several formats including plain vanilla ASCII, compressed (zipped), HTML and others. Corrected _editions_ of our eBooks replace the old file and take over the old filename and etext number. The replaced older file is renamed. _Versions_ based on separate sources are treated as new eBooks receiving new filenames and etext numbers. 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